von Hannah Abbott 13
James und Lily saßen beide wieder am Seeufer. Harry näherte sich von hinten.
„Hallo.“
„Harry! Wo ist denn Ginny?“
Er zuckte die Schultern. „Bei ihrer Familie. Ich würde gerne etwas mit euch unternehmen.“
„Gerne. Was denn?“
„Ich weiß es nicht. Irgendwas wo wir allein sind. Vielleicht Godric’s Hollow?“
„Warum nicht.“
Sie gingen zu dritt durch das von geflügelten Ebern bewachte Tor, wobei sie wieder viel angestarrt wurden, und disapparierten vor die Kirche in Godric’s Hollow.
„Uns hat doch keiner gesehen, oder?“, James sah sich beunruhigt um.
Es war niemand da. Merkwürdigerweise war niemand da, kein Mensch, kein Tier.
„Wo sind denn alle? Ich hab das hier noch nie so leer gesehen.“, sagte James.
Doch dann lief ein Kind vorbei, mit aufgeregtem Gesicht durch das Tor auf den Friedhof.
„Was ist da los?“, fragte Harry.
„Wir werden wohl nachsehen müssen.“
Sie gingen hinter dem Jungen durch ein kleines Schwingtor auf den Friedhof. Er war voll. Viel voller als es normal war. Alle Wege waren gerammelt voll mit Menschen. Harry sah, dass manche aufgeregt waren, andere jedoch verdutzt, erschreckt oder auch vollkommen verwirrt.
„Was ist passiert?“, fragte Harry einen Mann, der in seiner Nähe stand.
„Es sind plötzlich sehr viele Leute erschienen. Einfach aus dem Nichts!“
Er blickte seine Eltern an und sagte sehr leise: „Die Muggel sind auch zurückgekehrt?“
„Scheint so.“
Harry seufzte: „Das war’s dann mit der Ruhe.“
„Harry, sei nicht so pessimistisch. Nur hier ist so viel los. Das restliche Dorf wird vollkommen leer sein.“
„Hoffen wir es.“, brummte Harry.
„Komm schon, Harry. Freu dich doch. Sie Mal, es ist schönes Wetter, er ist tot und du bist mit Ginny zusammen. Ein schöner Tag, oder?“, scherzte James.
„Ich glaube, du hast da was vergessen.“, lachte nun auch Harry, „Aber du hast Recht. Ich, nein, wir sollten es genießen.“
Sie gingen durch das tatsächlich fast leere Dorf, den Weg, den Harry auch schon an Heiligabend mit Hermine gegangen war, zum Haus der Potters.
Das Haus war unbeschädigt, der Garten war gepflegt, die Hecke geschnitten. Die Hauswand war sauber und weiß, die Fenster geputzt. Harry konnte einen konnte einen Plattenweg erkennen, auch sehr gepflegt. Es sah aus, als hätte sich all die Jahre jemand aufopferungsvoll um das Haus und den Garten gekümmert.
„Was ist denn hier passiert?“, fragte Harry.
„Wieso? Das Haus sieht doch aus, wie es immer ausgesehen hat.“, sagte Lily, leicht verwirrt, „Und woher weißt du eigentlich, wie es hier aussieht? Ich dachte, du hättest bei Petunia, ihrem Mann und ihrem Sohn gelebt.“
„Ich war zu Weihnachten hier, zusammen mit Hermine. Voldemort hätte mich damals fast umgebracht, aber das ist jetzt nicht wichtig. Das Haus war stark beschädigt, da war ein großes Loch in der Hauswand, wo das Kinderzimmer war und der ganze Garten war ein Dschungel, alles völlig gewuchert. Obwohl: Hogwarts sieht auch wieder aus wie vor der Schlacht.“
„Gehen wir rein?“, fragte James.
Er öffnete das Gartentor.
„Die Tafel ist auch weg.“
„Welche Tafel?“
„Eine Tafel, die erschienen ist sobald man den Griff vom Tor berührt hat. Da stand drauf das ihr hier gestorben seid und ich nicht und so weiter. Das Übliche.“
Sie gingen gemeinsam den Gartenweg entlang, der von merkwürdigerweise gepflegten Blumenbeeten gesäumt war. Auf der anderen Seite der Beete war eine Rasenfläche mit einigen blühenden Bäumen und Büschen. Johannesbeersträucher und eine kleine Birke. Es gab auch einige magische Pflanzen, Harry glaubte einen Snargaluff-Stumpf zu erkennen, zum Glück in einiger Entfernung.
Lily öffnete die Haustür. Auch hier im Flur war alles einwandfrei sauber.
James ging wie selbstverständlich ins Wohnzimmer und ließ sich aufs Sofa fallen. Harry und Lily folgten ihm. Harry fühlte sich merkwürdig, bei dem Gedanken, dass er von 16 ½ Jahren das letzte mal hier gewesen war, dass hier seine Eltern gelebt und gestorben waren und dass dieses Haus all die Jahre sein Zuhause gewesen wäre, wenn seine Eltern gelebt hätten.
Er saß nun wieder zwischen seiner Mutter und seinem Vater. Wie oft hatte er sich das gewünscht? Mit seinen Eltern reden zu können, sie zu sehen, sie an seiner Seite zu spüren. Wie lange hatte er sie vermisst? Hätte er alles dafür gegeben, auch nur einen Rat von ihnen zu bekommen, einmal mit ihnen zu lachen. Wie lange war es sein größter Herzenswunsch gewesen, ihnen getröstet zu werden? Von ihnen unterstützt zu werden, vielleicht sogar ihnen einen Streich zu spielen und danach Ärger zu bekommen.
Doch er spürte auch, dass, auch wenn sie jetzt da waren, er die Zeit nicht zurückdrehen konnte, dass er kein Kind ohne Eltern mehr war, sondern ein Erwachsener, dessen ganze Träume sich auf einen Schlag erfüllt hatten. Doch er spürte ebenfalls, dass er einen neuen Traum hatte, nämlich wieder ein Kind zu sein und seine Kindheit mit seinen Eltern nachzuholen. Doch dieser Traum würde sich niemals erfüllen, das wusste Harry. Obwohl er auch nie angenommen hatte, dass es möglich war von den Toten aufzuerstehen, wusste er, dass sich schon fast alle seine Wünsche erfüllt hatten, aber in der Zeit zurück zu reisen, jünger zu werden und seine Eltern in der Vergangenheit zurückzubekommen war noch unwahrscheinlicher, als alles andere auf der ganzen Welt.
„Harry,“
Er hatte nicht gemerkt, dass im Tränen über die Wangen liefen. Er wusste selbst nicht wirklich, warum.
„Harry, was ist los?“
„Ich... Ich w-weiß es n-nicht.“, er zog die Nase hoch.
„Harry, alles ist gut.“, James sprach mit leiser, sanfter Stimme,
„D-das weiß i-ich d-d-doch.“
„Sag es uns Harry.“
„I-ich h-h-hab nichts.“
„Harry. Sag uns was los ist. Und zwar jetzt.“, Lilys Stimme war gespielt streng.
Harry schniefte: „T-tut mir L-l-leid.“
„Harry!“
Er atmete einmal tief durch und bekam seine Stimme mit Mühe wieder unter Kontrolle: „O-OK. Es ist immer noch so schwer zu begreifen, dass das alles vorbei ist, dass er nie wieder zurückkommen wird.“
„Harry, versuch doch mal das alles für eine Weile zu vergessen.“
„Ich bin doch auch glücklich, weil ihr zurück seid. Ich habe euch vermisst, ihr ward so lange nicht da. Und auch alle anderen - sie sind fast alle nacheinander gestorben, für mich.“
„Wir wissen, dass das schrecklich für dich war, Harry.“
„Aber das ist nicht mehr wichtig, ihr seid alle wieder da.“
„Dann ist doch alles gut.“
„Aber ich kenne euch doch nicht einmal richtig.“
„Du kennst uns, Harry. Wir wissen, dass du uns im Spiegel Nerhegeb gesehen hast, dass wir aus Voldemorts Zauberstab gekommen sind, damals auf dem Friedhof, dass du den Stein gedreht hast, letzte Nacht und wir bei dir waren.“
„Das habe ich nicht gemeint. Ich habe euch gesehen, gut, ich habe kurz mit euch gesprochen, ihr habt mich nicht nur einmal gerettet. Du bist für mich gestorben, Mum. Und ihr beide habt mich auf dem Friedhof gerettet und ihr habt mich dazu gebracht, zu ihm in den Wald zu gehen. Aber ich bin nicht... ich hab nicht... ich hatte euch nie als Eltern, mit denen ich über mich gesprochen habe oder mit denen ich normal gelebt habe... ganz normal... wie Ron und Hermine und Ginny... ich denke nur Neville hatte es schwerer mit seinen Eltern...“
„Wer ist Neville?“
„Der Sohn von Frank und Alice Longbotton. Die beiden haben ihr Gedächtnis verloren, als sie von den Todessern gefoltert wurden... Neville ist bei seiner Großmutter aufgewachsen und er ist mit ihr oft ins St.-Mungo gegangen, um seine Eltern zu besuchen. Ich denke, es wäre schlimmer seine Eltern leiden zu sehen und nicht von ihnen erkannt zu werden als zu wissen, dass sie tot sind.“
„Aber sie sind doch auch zurück. Ich habe sie gesehen. Auch bei ihnen ist alles in Ordnung.“
„Aber es wird nie dasselbe sein wie bei den anderen. Immer wenn ich euch sehe werde ich daran denken, dass ihr tot ward, dass Voldemort euch getötet hatte. Und Neville wird es genauso gehen. Man kann das geschehene nicht rückgängig machen, auch wenn eure Rückkehr diese Tatsache etwas unsicher gemacht hat.“
Sie schwiegen.
„Harry, du musst versuchen neu anzufangen. Du kannst nicht leben, wenn du nur an die Vergangenheit denkst und darunter leidest. Du musst dich damit abfinden, auch wenn es natürlich sehr schwer für dich war. Du musst dir eine neue Zukunft erschaffen, mit Ginny, Ron und Hermine, und wir werden dir helfen. Dafür sind wir doch da. Die Zukunft wird gut werden.“
Das erinnerte Harry daran, was Dumbledore ihm vor über 6 Jahren über den Spiegel Nerhegeb gesagt hatte: Es ist nicht gut, wenn wir nur unseren Träumen nachhängen und vergessen zu leben, glaub mir. Doch dies war kein bloßes Spiegelbild, es ging um seine ganze Vergangenheit, seine ganzen Bemühungen und alles, wofür er so große Opfer gebracht hatte.
Aber hatte nicht immer für eine Zukunft ohne Voldemort gekämpft? Hatte er nicht immer versucht, sich diese Chance zu verschaffen? Eine Chance, mit Ginny und seinen anderen Freunden ein neues Leben anzufangen, eine Chance auf ein besseres Leben. Er hatte nie wirklich über eine Zukunft nach Voldemorts Tod nachgedacht. Sein ganzes Leben hatte sich nur um Voldemort gedreht und nicht um Ginny oder seine Eltern oder seine Freunde in der Zukunft.
Jetzt begriff er plötzlich, dass es nicht wichtig war, was er in seiner Vergangenheit nicht gehabt hatte, sondern was er in seiner Zukunft haben würde. Es war alles in Ordnung. Nichts würde sein zukünftiges Leben stören können, außer den normalen Problemen von normalen Menschen. Keiner würde je wieder versuchen ihn zu töten. Und er war frei, er musste nichts weiter tun, als sich um sein eigenes Leben zu kümmern.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel