von Gwenifer
9. Dumbledores Brief
Mit langsamen, schweren Schritten ging Harry zu seinem Tisch, auf dem schön ordentlich seine Geburtstagspost aufgereiht war.
„Hatten Sie nicht gesagt, mein Zimmer wäre etwas durcheinander geraten bei meinem … Erbantritt?“ Verwundert schaute er sich zum ersten Mal richtig um und stellte dabei fest, dass sein Zimmer fast genauso aussah wie immer; genauso schäbig und ärmlich möbliert. Was allerdings die Wände anbetraf, die sahen aus, als wären sie frisch gestrichen worden. Strahlend weiß leuchteten sie schon fast in der Sonne, die durch sein Fenster schien.
„Ihr Zimmer, Mr. Potter, hat den Herren Moody und Weasley zu Folge ausgesehen, als hätte darin ein Sturm getobt. Der jetzige Zustand repräsentiert deren Geschick in Reparaturzaubern. Und obwohl mir bekannt ist, dass magische Stürme durchaus derart verheerend sein können, dass die Widerherstellung zerstörter Gegenstände manchmal unmöglich ist, kann ich in diesem Fall nur davon ausgehen, dass die beiden mit dieser Art von Zaubern nicht ausreichend bewandert sind.“
Obwohl der 17jährige Charlie und Moody gerne verteidigt hätte, schwieg er zu Snapes Kommentar. Sollte dieser doch davon ausgehen, dass sein Zimmer schon einmal besser ausgestattet gewesen war; das ersparte unangenehme Fragen. Ein Blick in Remus Augen bestätigte ihm jedoch, dass dieser damit nicht zufrieden war. Ob das nun daran lag, dass er sowohl mit dem einen, als auch dem anderen schon eng zusammen gearbeitet hatte und deren Können besser einschätzen konnte, oder ob er von den Zwillingen und Ron schon gehört hatte, wie es bei ihm aussah, ließ sich nicht sagen.
„Und meine Post hat alles unbeschadet überstanden?“ Wenn dem nicht so war, wollte er lieber nicht wissen, wie es in seinen Päckchen aussah.
„Ihre Post, Mr. Potter, kam erst, nachdem sich der Sturm gelegt hatte.“ klärte ihn der ehemalige Zaubertränklehrer gereizt auf.
„Die Eulen haben einen Sinn dafür, wenn es irgendwo magische Unruhen gibt. Sie haben auf den Dächern der Nachbarhäuser gewartet, bis es vorbei war, und haben erst dann ihre Post abgeliefert. Moody war reichlich erstaunt darüber, wieso jemand seine Geburtstagspost mitten in der Nacht zugestellt bekommt.“ erklärte Remus in ruhigem Ton.
„Was für mich im Übrigen auch zutrifft, Mr. Potter. Doch im Gegensatz zu Mad Eye habe ich mir in Ihrem Fall längst abgewöhnt, mich über Abnormalitäten zu wundern.“
„Meine Tante mag keine Eulen.“ Mit gleichgültigem Ton und einem leichten Schulterzucken tat Harry die Angelegenheit ab und wandte sich seiner Post zu.
So bekam er den skeptischen Blick und die hochgezogenen Augenbraue von Snape auch nicht mit, mit der dieser auf seine Antwort reagierte. Als jahrelanger Lehrer für pubertierende Jugendliche hielt er diese Art von Rücksichtnahme für eher unwahrscheinlich und in Potters Fall, unter dessen Egozentrik er seit Jahren zu leiden hatte, konnte er daran schon gar nicht glauben. Außerdem konnte diese pferdegesichtige Frau, die noch immer unten im Wohnzimmer darauf wartete, dass die Besucher ihres Neffen wieder das Haus verließen, damit sie endlich in Ruhe Geburtstagfeiern konnten, unmöglich dem verwöhnten Jungen-der-lebte seine Geburtstagspost verweigern, nur weil sie etwas gegen diese Vögel hatte. Irgendetwas an der Sache stimmte nicht, und er würde schon noch dahinter kommen was.
Als Harrys Blick auf ein rundes Paket fiel, begann ganz automatisch sein Magen zu knurren. Ohne es aufzumachen, oder das Begleitschreiben lesen zu müssen, wusste er, dass sich darin sein Geburtstagskuchen von Molly Weasley befand.
„Em, ich weiß zwar nicht, wie viel Uhr es ist, aber ich hätte jetzt Hunger.“ Versuchte er vorsichtig um Erlaubnis zu fragen, dieses besagte Paket öffnen zu dürfen. Schließlich hatte er seit Tagen auf die vor ihm liegenden Kalorien gewartet.
„Mit Ihrem Hunger kann es nicht weit her sein, Mr. Potter, da ich Ihnen gleich nach meiner Ankunft diverse Nährtränke eingeflösst habe. Ihre Verwandlung scheint Ihren Energiehaushalt durcheinander gebracht zu haben. Wir haben Sie in einem äußerst bedrohlichen Schwächezustand vorgefunden. Mit ist bewusst, dass Muggel der Meinung sind, dass die letzte Malzeit vor dem Schlafengehen eher klein ausfallen sollte, doch Ihnen als Zauberer, der Sie nie wissen, was Sie in der Nacht erwartet, rate ich davon ab.“
Harry machte sich erst gar keine Mühe, sich über den Kommentar seines ehemaligen Lehrers aufzuregen. Ihm war vollkommen egal, wann er „größere Portionen“ zu sich nahm, Hauptsache er bekam überhaupt etwas zu essen.
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Nährstoffunterversorgung bei Harry nur von den Ereignissen der letzten Nacht kam.“ mischte sich nun auch der Werwolf ein.
„Dudley ist auf Diät, das bekommen wir alle ab.“ versuchte sich Harry mit seiner Standardausrede.
„Dudley ist …?“ Nachdem er unten im Wohnzimmer zwei schwerstgewichtigen männlichen Personen gegenübergesessen hatte, würde es den Tränkelehrer nicht wundern, wenn es sich bei Dudley um den Hund der Familie handelte.
„Mein Cousin. Und fragen Sie nicht, warum nur er auf Diät ist. Dieses Wissen entzieht sich auch meiner Erkenntnis.“
„Wie dem aus sei, Ihr Körper ist im Moment nicht in dem dringend notwendigen Bedarf der Nahrungsaufnahme, deshalb würde ich es vorziehen, wenn Sie sich den Magen erst nachdem wir alles Wichtige geklärt haben, mit Naschereien verderben.“ Snape hatte nun wirklich lange genug auf den Jungen Rücksicht genommen. Wenn Sie sich nicht nun endlich ein wenig beeilten, würde er dieses Treffen wieder verlassen müssen, bevor auch nur ein wichtiger Punkt geklärt war.
Der Teenager warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf das runde Paket, bevor er vorsichtig, mit leicht zitternden Händen nach der Briefrolle griff, die das Siegel Dumbledores trug. Es mochte ja sein, dass er aufgepäppelt worden war, aber er hatte sich doch so sehr auf seinen Kuchen gefreut. Seit Tagen hatte er zu jeder wachen Sekunde davon geträumt, sich mit zwei Stückchen leckeren, luftigen, nicht zu süßen Kuchen seinen Magen zu füllen; wirklich zu füllen. Und nun, da er zum Greifen nahe war, wurde ihm genau das, von dem größten Spielverderber aller Spielverderber verboten. Aber vielleicht durfte er wenigstens ein Stück essen, wenn er den Brief gelesen hatte. Vorausgesetzt, dass er dann überhaupt noch Appetit darauf hatte. Vielleicht war es ja sogar gut, dass er jetzt nichts aß. Wer wusste schon, vielleicht würde ihm bloß alles wieder hochkommen.
„Wollen Sie, oder soll ich?“ fragend hielt Harry Severus Snape den geheimnisvollen Brief entgegen.
„Halten Sie den Schulleiter für so einfältig, dass Hinz und Kunz den Brief lesen kann?!“ verächtlich schnaubte der Angesprochene.
„Erstens sind Sie nicht Hinz und Kunz und wenn Sie eh über alles Bescheid wissen, kann ich mir nicht vorstellen, wieso Dumbledore etwas dagegen haben sollte, dass Sie den Brief lesen.“ entgegnete der Teenager arglos.
„Er hat Recht, Harry! Dieser Brief ist für dich bestimmt, und nur für dich. Auch wenn wir davon ausgehen, dass Albus über viel geschrieben hat, worüber wir miteinander reden müssen, so denke ich doch, dass er dir einige wirklich persönliche Dinge mitzuteilen hat, die er mit niemandem geteilt wissen möchte. Nur du kannst das Siegel brechen und den Brief lesen. Sollte es ein anderer versuche, würde es mich nicht wundern, wenn der Brief zu Staub zerfallen würde.“
„Wenn du meinst?“ Harry klang nicht wirklich überzeugt. Natürlich glaubte er seinem väterlichen Freund dass er allein die Berechtigung hatte, dieses Schreiben zu lesen, doch er zweifelte daran, dass sein ehemaliger Mentor ihm etwas zu sagen hatte, was nicht für andere Augen bestimmt war. Höchstens neue Lügen, die dann vielleicht schneller auffliegen würden.
Auf Remus' Kopfnicken brach der Junge mit zittrigen Händen das Siegel. Bevor es die Rolle entrollte und zu lesen begann, holte er noch einmal tief Luft.
Lieber Harry!
Wenn du diesen Brief erhältst, werde ich nicht mehr unter den Lebenden verweilen. Auch wenn ich jetzt noch nicht wissen kann, welche Umstände zu meinem Tod geführt haben, so hoffe ich doch, dass Severus für meinen Tod verantwortlich ist. Und ich hoffe, dass er noch am Leben ist, um den Lohn für diese Tat zu ernten.
Vor allem aber hoffe ich, dass seine Tat nicht dazu geführt hat, euch beide noch mehr zu entzweien, als ihr es bisher schon seid. In unserer Planung war dies die größte Sorge, denn wir können nur siegen, wenn ihr beide Hand in Hand zusammen arbeitet und euch gegenseitig vertraut.
Ich weiß, dass ich viel von dir verlange Harry, Severus hat seine Rolle all die Jahre hervorragend gespielt und nur mein Wort konnte dir nach all dem, was dir widerfahren und zwischen uns beiden schief gelaufen ist, nicht mehr genug sein. Ich bin mir sicher, dass ich dich mit in die Ereignisse, die zu meinem Tod geführt haben, mit hinein gezogen habe, auch wenn das nicht von Anfang an meine Absicht war. Manchmal laufen die Dinge eben aus dem Ruder und nicht einmal ich kann das Schicksal beeinflussen. Wenn ich das könnte, glaube mir, mein Junge, dann wäre vieles in deinem Leben anders verlaufen.
Ich bin mir sicher, dass du dich seit deinem dritten Schuljahr immer wieder gefragt hast, warum ich damals, als Tom deine Eltern umgebracht hat, nicht mit einem Zeitumkehrer in der Zeit zurückgegangen bin um die Ereignisse zu verhindern, oder zu ändern. Heute wie vor drei Jahren kann ich dir hierzu nur Sagen, dass das Spielen mit der Zeit eine gefährlich Sache ist, und so leid es mir um deine Eltern und deine Zukunft tat, so groß war meine Angst, alles zum negativen zu verändern. Tom war gegangen, damals hofften wir noch für immer und ich hatte geglaubt, der Zweck heilige die Mittel. Was waren zwei Leben gegen das Grauen, das uns alle heimzusuchen drohte? Für dich war es die Welt und dafür möchte ich mich bei dir aufrichtig entschuldigen, ich glaube, ich habe dies nie richtig getan.
Den Tod deiner Eltern habe ich weder beeinflusst, noch habe ich ihn verhindern können, er lag einfach außerhalb meines Handlungsbereiches. Viele waren verantwortlich dafür, dass es soweit gekommen war, doch nur einer trug wirklich die Schuld: Tom Riddle. Nicht Sybille, für ihre einzig wahre Prophezeiung, die sie zwar glücklicherweise in meiner Gegenwart aber nicht geschützt vor lauschenden Ohren gemacht hatte, nicht Severus, der als falsch verstandener und von mir oftmals unfair behandelter junger Erwachsener nach einer Möglichkeit der Profilierung gesucht hatte, nicht Peter, der sich Freunde gesucht hatte, denen er nie das Wasser hatte reichen können, und der scheinheiligen Versprechungen geglaubt hatte, die ihn aus ihrem Schatten heraus hatten führen sollen. Und Schuld war auch nicht ich, der ich als junger Lehrer Toms Streben und Ehrgeiz nicht als das erkannt hatte, was es war, der ihn falsch eingeschätzt hatte. Schuld allein am Tod deiner Eltern war Tom, mit seinem Machthunger und seinem Größenwahn.
Schuld an meinem Tod ist ebenfalls ausschließlich Tom. Nicht ich, der ich nicht genügend Vorsicht habe walten lassen, als ich das Seelenteil im Gaunt-Ring zerstört habe, nicht der junge Malfoy, der wie ich hoffe, mit der ganzen Angelegenheit überhaupt nichts zu tun hat (ja ich weiß, du hast mich vor ihm gewarnt und ich war mir der Gefahr, die von ihm ausging nicht wirklich immer ganz bewusst), nicht Severus, der auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin gehandelt hat, und meiner Bitte, aus meinem Tod den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, nur sehr widerwillig nach gegangen ist. Und Schuld an meinem Tod bist nicht du. Würde ich jetzt wirklich wissen, was letztendlich zu meinem Tod geführt hat, könnte ich über deine Rolle darin wesentlich leichter schreiben. Doch auch ohne genaues Wissen, weiß ich eines ganz genau: egal was passiert ist, ob du bei mir warst oder nicht, ob wir zwei im Vorfeld etwas unternommen haben, dass mich geschwächt hat und du mich nicht ausreichend schützen konntest, ob du mit mir gegen eine ganze Armee aus Angreifern gekämpft hast, oder glaubst, mich durch eine Vision oder eine deiner Überzeugungen in den Tod getrieben zu haben, oder du friedlich schlafend in deinem Bett gelegen hast, Schuld an meinem Tod war ganz allein Tom Riddle.
Ich weiß, dass du mir, nach allen, was dir in deinem Leben widerfahren ist, und nach all dem, was ich dir vorenthalten habe, nur mehr schwer vertrauen kannst. Und ich weiß, dass ich dir nach Sirius' Tod versprochen habe, offen und ehrlich mit dir zu sein und dies nicht gehalten habe. Wenn du seit meinem Ableben mit Severus zusammen getroffen bist, wirst du das inzwischen wahrscheinlich wissen und wütender denn je auf mich sein. Und so soll es auch sein. Sei wütend auf mich, eine zeitlang, denn der Gedanke, dass du deinen Gefühlen freien Lauf lässt und tobst ist mir tausendmal lieber als der Gedanke, dass du irgendwo sitzt und deinen Schmerz in dich hineinfrisst. Wenn es dir hilft, geh in mein Büro und zerlege es in Einzelteile, Minerva wird darauf vorbereitet sein. Aber bitte, suche in dir das Vertrauen in mich, das ich nur schwer verdient habe, wir alle aber dringend brauchen, wenn wir unsere Welt von dem Übel Voldemort befreien wollen. Vielleicht hilft dir dabei, dass was auch immer zwischen uns beiden vorgefallen ist, ich dich stets geliebt habe, wie den Enkelsohn, den ich nie gehabt habe. Mehr als jeder andere, oder zumindest so gut wie Severus, weißt du, dass ich nicht unfehlbar bin. Ich habe Fehler in der Beeinflussung von Tom gemacht, in der Behandlung deines Vaters und seiner Freunden in ihrem Verhalten Severus gegenüber und ich habe Fehler gemacht, was dich anbelangt. Habe ich bei den beiden ersteren meine Fehler erst bemerkt, als es schon zu spät war, habe ich bei dir bewusst die Augen verschlossen. Und ich hoffe, dass sich dies nun nicht auch noch rächen wird. Ich habe dich in die Obhut deiner Tante und ihrer Familie gegeben, obwohl mir jeder davon abgeraten hat, und ich, ehrlich gesagt, auch kein gutes Gefühl dabei hatte. Aber es musste getan werden. Ich habe nie nach dir geschaut, mich nie von deinem Wohlergehen überzeugt, wohl aus Angst, dich nicht dort belassen zu können, sollte mir nicht gefallen, was ich vorfinden würde. Und ich sage dir warum.
An dem Tag, an dem du Tom zum ersten Mal besiegt hast, bist du in unserer Welt zur Berühmtheit geworden, soviel weißt du mittlerweile. Und du hast inzwischen erkannt, wie lästig und schädlich diese Popularität sein kann. Doch hättest du diese negativen Seiten des Ruhmes auch gekannt, wenn du mit ihm aufgewachsen wärst? Was für ein Mensch wäre aus dir geworden, wenn du von allen die dir in deinem jungen Leben begegnet wären angehimmelt und vergöttert worden wärst? Ich musste mit dem Wissen der Prophezeiung im Hinterkopf, mit allen Mitteln verhindern, dass aus dir ein zweiter Draco Malfoy wird. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie dich deine Verwandten behandelt haben, Arabella hat nie von besorgniserregenden Ereignissen berichtet, aber ich weiß, dass aus dir ein Prachtexemplar von einem Menschen geworden ist; und ich sage bewusst nicht Gryffindor (du glaubst ja nicht, wie langweilig einem Hut das Schuljahr werden kann, wenn er die ganze Zeit auf einem Schrank liegt und vor sich hinstaubt!). In welches Haus du sortiert werden würdest, hat nie einem Rolle gespielt. Du wirst mir Recht geben, dass das Leben an sich zu viele Weichen bereit hält, die den Weg bestimmen den wir nehmen, als dass wir immer auf dem Weg bleiben würden, den wir einmal eingeschlagen haben. Welche Windungen dein Weg bisher auch genommen haben mag, ich weiß, dass er aus dir einen starken Charakter, einen Menschen, der zu unendlich großer Liebe fähig ist und einen intelligenten jungen Mann, der das Leben seinen Bedürfnissen anzupassen weiß, gemacht hat. Ich hoffe, dass mein Tod nichts davon aus dem Gleichgewicht geworfen hat. Und ich hoffe, dass die Wehmut in der Stimme des Sprechenden Huts, wenn die Sprache auf dich kommt, nicht damit zu tun hat, dass du deine Slytherinseite nutzt, um uns alle zu täuschen. Wenn dem so ist, dann habe ich weder deine Freundschaft, noch deinen Respekt noch deine Ehrbezeugung verdient, dann entschuldige ich mich aufrichtig für alles, was du erleiden hast müssen, aufgrund meiner Entscheidung, dich in deinen ersten Lebensjahren fern von uns, die dich lieben und achten, gehalten zu haben. Dann kann ich nur hoffen, dass dir das Leben deiner Freunde und aller anderen so viel bedeutet, dass du den Kampf gegen Tom trotz meiner Fehler weiterführst.
Was uns zu meinem letzten großen Vertrauensmissbrauch führt: ich weiß mehr über die Horkruxe, als ich dir gesagt habe und du und ich sind nicht die einzigen die Bescheid wissen. Und dafür gibt es einen einzigen, aber immens wichtigen Grund: Tom. Wir beide wissen, dass du Informationen nicht verlässlich vor ihm geheim halten kannst und während ich vor einem Jahr noch mit Severus der Meinung war, das wäre eine Sache des Willens und der Übung, weiß ich inzwischen, dass dem nicht so ist. Warum, wirst du gleich noch erfahren. Zuerst einmal möchte ich dir erklären, wieso ich dich dann überhaupt in die Angelegenheit mit den Horkruxen eingeweiht habe. Es war mir wichtig, dass du mit der Materie vertraut bist, solange ich noch lebe und Gelegenheit bekommst, dich im Einholen von Informationen zu üben. Slughorns Wissen war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr von Bedeutung, doch es war wichtig, wie du es aus ihm herausbekommen hast. Die Gefahr dass Tom in deinem Kopf spionieren gegangen wäre, habe ich als gering eingeschätzt, ich denke, die Erfahrung, die er gesammelt hat, als er dich im Ministerium besetzt hatte, wollte er nicht so schnell wiederholen. Für den Fall, dass ich ihn wieder einmal falsch eingeschätzt haben sollte, habe ich dich nur mit Informationen versorgt, deren Geheimhaltung nicht ganz so wichtig war. So hast du von Horkruxen erfahren, die bereits zerstört waren und von Vermutungen über Potentielle. Wäre er an diese Informationen gelangt, hätte das unserer Sache nicht weiter geschadet. Nicht nur hat er mit den sieben Horkruxen schon das Maximum ausgeschöpft, da er selbst ja nur eine Wiedergeburt ist, und nicht mehr das Original, dafür hast du glücklicherweise gesorgt, kann er keine weiteren anfertigen. Alles was er hätte machen können, wäre eine Kontrolle seiner verbliebenen Seelenteile, eine bessere Bewachung oder deren Verlegung. Alle drei Optionen hätten uns bei deren Aufspürung helfen können. Leider hat er nichts davon gemacht. So bleibt dir, Severus, Remus, Ron und Hermine die Aufgabe, die restlichen zwei bzw. drei Horkruxe aufzufinden und zu zerstören. Die Zahl hängt davon ab, ob ich meinen letzten Beutezug vor meinem Tod noch habe durchführen können. Wenn ja, dann solltest du darüber Bescheid wissen, wenn nicht, sprich mit Severus und Remus darüber.
Nun zählst du jetzt wahrscheinlich gerade in Gedanken und kommst darauf, dass ich mich entweder verzählt habe, oder wieder einmal etwas vor dir verheimlicht habe. Ich muss leider zugeben, dass letzteres der Fall ist. Und das hat mehrere Gründe. Zum einen weiß ich nicht einmal, ob Tom sich der Tatsache bewusst ist, dass es dieses Seelenteil überhaupt gibt, zum anderen wäre es mir sehr schwer gefallen, mit dir darüber zu reden, denn so leid es mir tut, dir das sagen zu müssen, das letzten Horkrux hat Tom in der Nacht in der er deine Eltern ermordet hat gemacht, aber leider sicher nicht so, wie er es beabsichtigt hatte. Deshalb ist dieses Seelenteil nicht in einem Gegenstand, sondern in dir. Das ist deine Verbindung zu Tom und der Grund, weshalb du deinen Geist nicht vor ihm verschließen kannst. Was das für dich und dein Leben bedeutet, muss ich dir sicher nicht erklären. Glaube mir, keine Erkenntnis hat mich in den letzten Jahren mehr geschmerzt als diese.
Harry hatte sich während des Lesens im Schneidersitz auf den Boden gesetzt. Sein Bett und sein einziger Stuhl waren von den beiden anderen Männern besetzt worden. Was er bisher gelesen hatte, hatte geschmerzt, doch es hatte sein Herz auch erleichtert, dass sein Mentor nicht so skrupellos gewesen war, wie er ihn vor kurzem noch beschuldigt hatte zu sein. Die letzten Sätze jedoch, und die damit verbundene Erkenntnis, rammten ihm einen Dolch durch sein Herz. Er trug ein Stück Voldemorts in sich, schon fast sein ganzes Leben lang. Und alle Horkruxe mussten vernichtet werden, wollte man verhindern, dass er jemals wieder auferstehen konnte. Das bedeutete, er musste vernichtet werden. Jetzt war es nicht nur an ihm, sein Leben zu riskieren, in dem Versuch, Voldemort zu besiegen, jetzt musste er auch noch sein eigenes Leben dafür geben. Wie? Wann?
Irgendwie drehte sich alles um Harry, aber nicht so, als würde er gleich ohnmächtig werden, sondern, als wäre das alles zu viel auf einmal, es war weniger ein Schwindel, als mehr ein Druck, schwierig zu beschreiben, aber auf jeden Fall kein schönes Gefühl. Ganz automatisch zog er die Knie hoch und umschlang sie fest mit seinen Armen. Der Brief war ihm unbemerkt aus der Hand geglitten und auf den Boden gefallen. Ganz langsam, als würde sein Kopf magnetisch angezogen, näherte sich seine Stirn seinen Kien, langsam, weil er es nicht wollte, weil er wusste, was passieren würde, wenn er seinen Kopf erst einmal auf seinen Beinen ablegte. Doch keine Kraft der Welt schien es verhindern zu können und schließlich hatte er das letzte bisschen Distanz zwischen beiden Körperteilen überwunden und im selben Moment, als Kniescheiben und Stirn sich trafen, als sein Kopf zwischen seinen Armen versank, brachen die Schleusen. Heftig wurde sein Körper vom Schluchzen geschüttelt, als er seiner Verzweiflung und seinen Tränen freien Lauf ließ. Warum?
- Dumbledores Brief Teil 2 ist schon fast fertig, es geht also bald weiter. Bleibt mir treu! -
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