von Gwenifer
5. Unerwarteter Besuch
Verschlafen blinzelte Harry in die Sonne und reckte sich. Seine Glieder taten ihm fast noch ein wenig mehr weh, als am Abend zuvor, alles schien total verspannt zu sein. Aber glücklicherweise hatte er keine Kopfschmerzen mehr, also hatte sich das mit dem Sonnenstich wohl erledigt.
Moment mal! Er hatte keine Kopfschmerzen mehr? Seit Voldemorts Seele wieder in einem richtigen, na ja nahezu richtigen Körper wohnte, hatte er eigentlich immer Kopfschmerzen. Und warum schien die Sonne? Er konnte doch unmöglich die ganze Nacht durchgeschlafen haben. Ohne die Unterstützung eines Trankes, der das Träumen unterband, hatte er seit Sirius' Tod keine Nacht ohne Albträume mehr erlebt, und/oder Visionen. Doch alles woran er sich erinnern konnte, war wie er sich in seine Decke eingekuschelt hatte und es ihm, trotz der Wärme, die sich in seinem Zimmer gestaut hatte, kalt gewesen war, und die dünne Sommerdecke nicht genügend Wärme zu geben schien.
Nachdenklich verzog er das Gesicht und blinzelte noch einmal in die Sonne. Dann durchfuhr ihn ein Gedanke und er schnellte in seinem Bett auf. Er hatte Mitternacht verschlafen! Heute war sein Geburtstag und er hatte Mitternacht verschlafen und damit all die Eulen, die ihm Geschenke hatten bringen wollen. Das konnte doch nicht wahr sein! Doch noch bevor Harry näher darüber nachgrübeln konnte, wieso er ausgerechnet in dieser von allen Nächten mit einem ungestörten Schlaf beglückt worden war, schreckte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
„Ah, Harry! Ich sehe, du bist aufgewacht.“
„Remus?“ Erstaunt schaute der jetzt 17jährige zur Tür, in der der letzte der Herumtreiber, lässig an den Türahmen gelehnt, stand. Er sah besser aus, als Harry ihn je gesehen hatte. Ob das die Liebe machte?
„Genau derselbe. Hast du gut geschlafen?“ Langsam ging Remus Lupin in den Raum hinein auf den Sohn eines seiner besten Freunde zu.
„Seltsamerweise ja. Aber was machst du denn hier? Bist du gekommen um mich abzuholen? Ist Grimmauldplatz wieder sicher? Oder habt einen neuen Hauptsitz für den Orden gefunden? Oder bringst du mich zum Fuchsbau? Ist was passiert? Es geht doch allen gut? Hast du was von ….“
Nachdem Harry die anfängliche Verwunderung über das Erscheinen seines ehemaligen Verteidungs-Lehrers überwunden hatte, sprudelten tausend Fragen aus ihm heraus. Ein Zeichen seiner Nervosität, denn eigentlich wäre er gerne aufgesprungen und hätte den Mann herzlich umarmt. Aber zum einen war er sich unschlüssig, ob dieses Verhalten als angebracht empfunden wurde, er war schließlich am Tod des besten Freundes des anderen schuld. Zum anderen nagten unschöne Gefühle in ihm. Zuletzt hatten sich die beiden bei Dumbledores Beerdigung gesehen, unter sehr emotional belastenden Umständen. Doch während für Harry mit dem Tod seines Mentors wieder einmal die Welt untergegangen war, schien sein adoptierter Patenonkel in den wenigen Tagen zwischen dem Tod des Schulleiters und dessen Beerdigung das Glück in sein Leben gelassen zu haben. Und das schmerzte den, vom Leben so stiefmütterlich behandelten, Jungen ein wenig, auch wenn ihm eine sehr laute Stimme ins Gewissen redete, dass Remus selbst sein ganzen Leben hatte kämpfen müssen und ein bisschen Glück mehr als verdient hatte.
„Hey, hey, nun mal langsam mit den jungen Pferden.“ Fiel ihm der ältere Mann schmunzelnd ins Wort. „Wir haben noch so viel Zeit, in der ich dir all deine Fragen in Ruhe beantworten kann. Aber erst einmal: geht es dir gut?“
Fragend schaute der Junge ihn an. „Ja schon. Wieso soll's mir nicht gut gehen?“
„Keine Schmerzen?“
„Ein bisschen Muskelkater, steife Gelenke und so, war gestern ziemlich fleißig im Garten …“
Während Harry Remus antwortete begannen seine Gedanken zu rotieren. Worauf wollte sein väterlicher Freund hinaus? Ahnte er etwas? War nach so vielen Jahren doch jemand dahinter gekommen, wie er von seinen Verwandten behandelt wurde? Wodurch hatte er sich verraten? Wie würde es jetzt weitergehen? Während sein Gesicht eine emotionslose Maske blieb, die nichts von seinem inneren Tumult verriete und seine Augen nur für einen kurzen Moment die aufsteigende Panik aufblitzen ließen, fühlte er auf einmal Hitze in sich aufsteigen.
„Warum fragst du?“ Noch klammerte sich der Junge an die Hoffnung, dass sein ehemaliger Lehrer auf etwas anderes als seine Misshandlung hinaus wollte und so bemühte er sich um einen gelangweilten Ton.
„Nur so. Fühlst du dich irgendwie unwohl oder anders als sonst?“ Remus Lupin betrachtete seinen adoptierten Patensohn aufmerksam, seine Stimme aber blieb nach wie vor im Small-Talk-Modus.
„Wieso sollte ich mich anders fühlen?“ Lupins Nachfrage führte nicht dazu, dass sich Harrys Argwohn legte. Inzwischen hatte er das Gefühl, als wäre seine Körpertemperatur um mehr als 10° C. angestiegen. Von innen heraus war ihm unerträglich warm, was jedoch nicht dazu führte, dass er zu schwitzen anfing, oder dass ihm schummerig wurde. Zu allem Überfluss hörte er das Blut in seinen Adern wie einen reißenden Bach rauschen und spürte seine Schulterblätter pochen. Wie konnten Schulterblätter pochen? Irgendetwas stimmte hier nicht, aber es hatte nichts mit den Dursleys zu tun.
Durch das Rauschen in seinen Ohren musste sich Harry anstrengen, um zu verstehen, was der Werwolf zu ihm sagte. Dieser hatte, obwohl es noch zweieinhalb Wochen bis zum nächsten Vollmond waren, und der Werwolf tief in ihm schlummerte, im Geruch des Jungen dessen Angst erkannt. Nun war er sie fast zu hundert Prozent sicher, dass dieser, von dem, worüber sie baldmöglichst würden sprechen müssen, keine Ahnung hatte, deshalb fragte er sich, wovor sich der sonst so mutige 17jährige eigentlich derart fürchtete, dass er es mit seinen, zu dieser Zeit der Mondphase eher schwachen ausgeprägten, sensiblen Geruchssensoren erfassen konnte. Auf der anderen Seite musste er sich jetzt ganz schnell etwas einfallen lassen, um den Jungen zu beruhigen. Das, was er ihm zu sagen hatte, wollte er ihm schonend beibringen, doch wenn Harry sich in was auch immer hineinsteigerte, würde es zu seinem Schockerlebnis für ihn kommen.
„Ja weißt du Harry, einige von uns treten, wenn sie volljährig werden ein magisches Erbe an, von dem sie manchmal vorher gar nichts wussten.“
„Was meinst du mit ?magisches Erbe'?“ Die Erleichterung des jungen Gryffindors war schon beinahe greifbar. Sie wussten nichts, sie ahnten nichts, es ging um etwas ganz anderes als die Liebesbezeugungen seines Onkels. Während er noch darüber nachgrübelte, welcher Schuh ihn nun wieder treffen würde, und sein adoptierter Patenonkel ihm einen Überblick darüber gab, was man als Zauberer so alles für Fähigkeiten erben konnte, bemerkte er, dass sich sein Blut wieder beruhigt zu haben schien. Auch hatte er das Gefühl, das seine Körpertemperatur sich wieder dem Normalbereich näherte, wenn sie denn jemals wirklich darüber gelegen hatte und das seltsame Pochen in seinen Schulterblättern, das zeitweise von einem heftigen Spannen der Haut begleiten worden war, hatte auch wieder aufgehört. Er musste sogar einmal kurz lachen.
„Also, dass ich das ?Gesicht' geerbt haben sollte, halte ich für absolut ausgeschlossen!“ erklärte er zuversichtlich. „Ich war bei Trewlawney totaler Krampf. Und selbst wenn dass nur daran gelegen haben sollte, dass meine Gabe noch tief in mir verborgen war, sie wäre die erste gewesen, die, gäbe es in meinem Stammbaum einen Seher, es mir unter die Nase gerieben hätte.“
„Na ja Harry, manchmal sind die Dinge nicht so wie sie scheinen. Nimm dir mich als Beispiel! Man sagt mir nach, ich wäre viel zu gutmütig und hätte ein viel zu großes Herz. Doch einmal im Monat, da verwandele mich zur reißenden Bestie, ohne Vernunft und Gewissen, getrieben von Mordlust. Manchmal sind die Dinge einfach nicht so wie sie scheinen und es gibt noch so viel in unserer Welt, von dem du keine Ahnung hast.“
Remus Lupins Stimme bekam einen melancholischen Unterton, vom dem Harry glaubte, er käme von der Erinnerung an sein Schicksal als Werwolf. Natürlich hätte ihm bereits bei der Einleitung seines väterlichen Freundes klar sein müssen, dass auf den Jungen-der-lebte nur das schlimmste und außergewöhnlichste warten konnte.
„So wie du das sagst, klingt es ganz so, als wäre es besser, wenn ich von diesen Sachen auch in Zukunft besser keine Ahnung hätte.“
„Wenn es nur so einfach wäre!“ Murmelte Lupin leise vor sich hin. Es fiel ihm schwer, dem Jungen das zu sagen, was er ihm sagen musste.
„Hör mal Harry, eines muss dir klar sein: egal was du in den nächsten Stunden und Tagen über dich erfahren wirst, wir alle, deine Freunde, ich und auch deine Eltern, Sirius und Albus lieben dich und werden dich immer lieben. Nichts kann diese Gefühl für dich ändern.“
Langsam begriff der Teenager, dass das, was Remus ihm erzählt hatte, nur eine Einführung in das Thema magisches Erbe gewesen war, und nichts, was ihn betreffen würde. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle, den er vergeblich versuchte hinunter zu schlucken. Tiefe Traurigkeit breitete sich in ihm aus, darüber, dass sein Leben wieder einmal eine Wendung genommen hatte, die nicht ins Bessere führte.
„So schlimm?“ flüsterte er erstickt, auch wenn er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer ihn die bevorstehende Enthüllung bewegte.
„Harry, nein! So darfst du das nicht sehen! Dir sind neue Möglichkeiten offenbart worden. Deine Zukunft, unser aller Zukunft sieht unter den neuen Gesichtspunkten betrachtet viel besser aus, als bevor du dein magisches Erbe angetreten hast.“
„Du hast ja keine Ahnung!“ entgegnete Harry schwach. Was wusste der Werwolf schon von den Horkruxen, die Voldemort unsterblich machten. Er konnte sich nichts vorstellen, was seine Suche nach den Seelenteilen des Größenwahnsinnigen vereinfach würde.
„Dann klär mich auf!“ kam die sanfte Aufforderung.
Remus setzte sich langsam neben Harry aufs Bett. Die ganze Zeit hatte er in bestem Lehrmodus vor ihm gestanden und über ihm stehend einen ersten Einblick in die einfachsten und harmlosesten magischen Vermachenschaften gegeben. Nun, da er spürte, dass der Junge sich zum einen wieder beruhigt hatte und die Panik von vor wenigen Minuten wieder komplett verschwunden war, sie sich aber auch dem emotionaleren Bereichen ihres Gesprächs näherten, versuchte er seinem Schützling durch seine körperliche Nähe Trost zu spenden, wenn dieser dann von Nöten war.
„Das kann ich nicht!“ antwortete Harry schuldbewusst und leise. Seine Augen auf die Hände in seinem Schoß gerichtet.
„Kannst du nicht, oder willst du nicht?“ Der sanfte Ton in der Stimme des Älteren, der zeigte, dass, wie auch immer die Antwort ausfallen würde, dem Jungen kein Vorwurf daraus gemacht werden würde machte es diesem noch schwerer, der Bitte nach Auskunft nicht nachzukommen.
„Ich kann es nicht! Ich darf es nicht! Ich hab' es Dumbledore versprechen müssen!“ Harrys Antwort war kaum hörbar. Er hätte sich so gerne in ein Mauseloch verkrochen, um die Enttäuschung seines väterlichen Freundes über sein mangelndes Vertrauen nicht miterleben zu müssen.
„Schau mich an Harry!“ Eine leise, sanfte Aufforderung, mehr Bitte als Befehl, begleitet von Fingern, die sich behutsam unter das Kinn des 17jährigen legten und ihn mit sanftem Druck baten, aufzuschauen.
„Es ist gut! Kein Mensch macht dir einen Vorwurf!“ bernsteinfarbene Augen trafen grüne. „Albus wäre stolz auf deine Loyalität, auch nach seinem Tod. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, in der du deine Meinung darüber, wem du deine und Albus' Geheimnisse anvertrauen kannst, änderst. Wenn nicht, ist das OK für mich. Wenn es für dich leichter ist, eine schwere Bürde allein zu tragen, als das Versprechen, dass du einem geschätzten Menschen gegeben hast, zu brechen, dann werde ich das akzeptieren.
„Danke!“ flüsterte Harry leise und lehnte sich langsam gegen die Schulter seines väterlichen Freundes.
„Welch rührendes Bild! Solch sentimentales Gehaben habe ich eher von Hufflepuffs erwartet, als von stolzen Gryffindors.“
Gerade in dem Moment, in dem Harry sich so sicher und umsorgt gefühlt hatte wie schon seit langem nicht mehr, trat ein Mann ins Zimmer und zerstörte diesen kurzen Moment des Friedens.
„Sie!“ wie von der Tarantel gestochen sprang der Teenager auf. Sein Zauberstab flog in seine ausgestreckte Hand, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er so etwas zuvor noch nie gemacht hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er wieder die seltsame Hitze in sich aufsteigen und sein Blut in seinen Adern rauschen. Als er sich mit einem Satz dem Ankömmling zuwenden wollte bemerkte er ein Ziehen in seinem Rücken, das sich von seinen Lenden bis zu seinen Schultern erstreckte. Doch bevor es sich darüber Gedanken machen konnte, was das zu bedeuten hatte, hatte er etwas Dringenderes zu erledigen.
„Avad…“
Den Todesfluch schon auf den Lippen verlor Harry das Gleichgewicht und fiel mit einem lauten Rums auf seinen Hintern.
„War das wirklich nötig?“ seufzte Lupin und betrachtete den dritten Mann skeptisch, bevor er sich dem Teenager zuwandte, der nun mit zwei Wahrheiten würde kämpfen müssen.
- Sorry, dass das neue Kapitel noch keine richtige Auflös- ung über das Was und Wer gebracht hat, aber so habt ihr noch ein bisschen Gelegenheit, darüber zu rätseln, was in der Nacht der Nächte geschehen ist. Danke für eure Kommis, so viel Ansporn motiviert ungemein. -
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