von Tjeika
Lethe war gerade über die Mauer geklettert, als sie Stimmen vernahm. Ihre Verfolger konnten es nicht sein, dessen war sie sich sicher, denn die Stimmen kamen vom Friedhof und nicht von außen.
Sie beschloss, sich ersteinmal zu verstecken, denn sie wusste nicht, um wen es sich bei den Besuchern des Friedhofes handelte. Schnell hatte sie eine Gruft ausgemacht. Schleichend trat sie zum Eingang dieser Gruft. Über diesem stand in goldenen Lettern "Si Vis Vitam Para Mortem". Lethe hielt kurz inne, bevor sie beschloss, die Ruhe der darin verborgenen Toten zu stören. Ein kleiner Schwenk ihre Zauberstabes genügte und die alten Holzflügel öffneten sich knarrend. Sie hoffte, dass dieses Knarren keine Aufmerksamkeit auf sich zog, sah sich noch einmal um und trat langsam hinein.
Ein kalter Schauer durchfuhr Lethe. Es war stockfinster in der Gruft. Selbst das dämmrige Licht, welches von draußen hineinglitt, konnte daran nichts ändern. Der Staub wirbelte umher und Lethe musste sich alle Mühe geben, nicht zu niesen. Knarrend schloss sie die Flügel und ging tastend vorwärts. Nach einigen wenigen Schritten schon hatte sie eine große Grabplatte erreicht. Der Staub klebte an ihren Fingern und sie setzte sich dahinter. In Gedanken entschuldigte sie sich bei dem darin bestattenen Toten, seine Ruhe gestört zu haben.
Stille.
Ihr eigener Atem schien das einzige Geräusch in dieser Gruft. Es war ein beinah beklemmendes Gefühl und Lethes Gedanken drifteten abermals in eine bessere Vergangenheit.
25 Jahre zuvor.
Wiedereinmal saß Lethe alleine im Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Es war nun beinahe ein Jahr her, dass der sprechende Hut sie - wenn auch mehr durch einen Unfall - von Slytherin nach Gryffindor geschickt hatte. Sie saß damals im Büro des Schulleiters. Er hatte sie zu sich gerufen, um mit ihr über ihr Außenseiterdasein in Slytherin zu sprechen. Der Schulleiter war noch nicht da gewesen und irgendwie hatte Lethe das Bedürfnis, diesen Hut ein zweites Mal aufzusetzen. Auch wenn sie aus einer reinblütigen Familie stammte, so hatte sie sich nie wie eine Slytherin gefühlt. Also hatte sie ihn erneut aufgesetzt und der Hut sprach, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, laut das Wort "Gryffindor" aus. Sie wollte gerade den Hut absetzen, als der Schulleiter in der Tür stand.
"Sie gehen jetzt ihre Sachen packen", hatte er damals gesagt.
Lethe, noch immer etwas verwirrt, hatte damals zunächst gedacht, dass er sie von der Schule verweisen wollte. Doch der Schulleiter sprach weiter.
"In einer Stunde möchte ich sie vor dem Gryffindorturm sehen."
Weder sie noch der Schulleiter konnten sich erklären, was da genau geschehen war, doch Dumbledore betonte, dass die Entscheidung des Hutes nicht in Zweifel zu ziehen wäre.
Das war nun beinah ein Jahr her. Die Gryffindors hielten immer noch Abstand von ihr - sie schienen Lethe nicht ganz zu trauen. Es gab nur wenige, die sie herzlich aufgenommen hatten. Dennoch war sie froh, nicht länger eine Slytherin zu sein. Auch wenn sie hier in Gryffindor ebenfalls eine Außenseiterin war.
Das Mondlicht schien durch das Fenster des Gemeinschaftsraumes. Seit einer Stunde nun starrte sie hinaus in die Dunkelheit. Es war Vollmond. Immer wieder vernahm sie das Heulen eines Wolfes und Lethe bildete sich ein, dass es ein Werwolf sein musste. Wer wusste denn schon so genau, was sich alles im verbotenen Wald herumtrieb.
Die Stunden glitten nur so dahin und Lethe meinte, einen riesigen Hund am Rande des verbotenen Waldes erblickt zu haben, der mit einem Hirsch herumtollte. Doch sie traute ihrem Verstand in dieser Hinsicht nicht und war der felsenfesten Überzeugung, sich das nur eingebildet zu haben.
Sie brauchte keinen Grund hier zu sitzen und in die Dunkelheit zu starren. Auch brauchte Lethe keine Beschäftigung, denn sie langweilte sich keineswegs. Im Gegenteil war die Dunkelheit für sie eine Art Buch, in dem sie lesen konnte.
Und so kam der Morgen. Langsam erklommen die ersten, samtroten Sonnenstrahlen den verbotenen Wald und die Dämmerung zog sich langsam zurück.
Sie hätte noch Stunden so dasitzen können - solange, bis der Morgen das Land endgültig erobert hätte. Doch sie schrak jäh auf, als sie Schritte hinter sich hörte. Das Porträt zum Gemeinschaftsraum schwang auf und sie vernahm leises Gemurmel.
Langsam drehte sie sich herum. Sirius Black, Peter Pettigrew und James Potter starrten sie entsetzt an.
Lethe konnte die Blicke nicht einordnen. Was hatte sie getan? War es denn verboten an einem Samstagmorgen in Ruhe den Sonnenaufgang zu beobachten?
"Was... suchst du hier?", stammelte Sirius.
Lethe schien es, als fühlten sich die drei erwischt. Doch wobei sollte sie sie erwischt haben?
Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die drei Marauder in der Nacht nicht hatte herunterkommen sehen. So sehr konnte sie nicht in Gedanken versunken gewesen sein, um das verpasst zu haben.
"Wo kommt ihr denn her?", stellte sie verwundert die Gegenfrage.
James fuhr sich durch die Haare, ehe er antwortete.
"Das Übliche... du weißt schon... Marauderleben...", stammelte er.
Lethe nickte bloß. Sie konnte sich schon vorstellen, dass die Marauder wieder die ganze Nacht überall waren, nur nicht in ihren Betten.
"Und was treibt dich zu so früher Stunde hier runter?", hakte Sirius noch einmal nach.
"Ich habe die Nacht beobachtet und dann den Morgen", sprach sie, während ihr Blick verträumter wurde.
"Und, war es spannend?", belustigt mischte sich nun auch Peter ein.
"Nicht wirklich. Meine Phantasie hat mir wieder einmal einen Streich gespielt. Ich meinte doch tatsächlich, einen Hund gesehen zu haben, der mit einem Hirsch herumtollte", lachte Lethe, ob ihrer eigenen Phantasie amüsiert.
DIe drei sahen sich an. Irgendetwas war in ihren Blicken, dessen war sich Lethe sicher und dieses Mal war das kein Streich ihrer Phantasie.
"Alles in Ordnung mit euch?", hakte sie nach.
"Ja... ja, sicher. Wir... ähm, sollten dann mal schlafen gehen. Täte dir vielleicht auch ganz gut", sprach Sirius und die drei verschwanden auffällig schnell im Jungenschlafsaal.
Kopfschüttelnd sah Lethe den Dreien nach, bevor auch sie sich zu Bett begab.
Erst am Nachmittag kam sie wieder herunter. Der Gemeinschaftsraum war leer. Das wunderte sie jedoch herzlich wenig, war dies doch ein Hogsmeade-Wochenende. Sie war froh, alleine hier sein zu können und sich nicht den zweifelnden Blicken einiger anderer Gryffindors ausgesetzt zu wissen. Gähnend setzte sie sich auf das große Sofa und ging einige ihrer Hausaufgaben noch einmal durch.
Nach wenigen Minuten bemerkte sie, wie sich jemand neben sie gesetzt hatte. Es wunderte sie, dass sie keine Schritte gehört hatte und sie sah auf.
Sirius Black hatte sich neben sie gesetzt und sah sie wie aus Hundeaugen an.
"Nanu, wollt ihr denn nicht Hogsmeade unsicher machen?", sprach sie ein wenig verwundert.
Sirius schüttelte nur müde den Kopf, was sie dazu bewegte, mit den Schultern zu zucken und ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Hausaufgaben zu lenken.
Lethe bemerkte die Blicke, die sich in sie bohrten und so wandt sie ihren Blick wieder Sirius zu.
"Alles in Ordnung? Hab ich da irgendwas?", ihr war diese Situation vollkommen suspekt.
Sirius schüttelte den Kopf und Lethe spürte die Hand, welche sich auf ihre legte.
Dieses Gefühl, dass sie vor wenigen Tagen hatte, als sie gemeinsam mit Sirius Strafarbeiten bei Filch verrichten musste, breitete sich wieder in ihr aus. Es war angenehm. Seine Nähe war angenehm. Und das wunderte sie sehr. Auch wenn sie nicht wusste, was das alles zu bedeuten hatte.
Wie betäubt saß sie da. Sie konnte und wollte sich nicht von seinem Blick lösen, der sich immer tiefer in ihre Seele zu bohren schien. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie dachte, man könne es selbst im Slytherinturm pochen hören.
25 Jahre später.
Lethe saß eingekauert zwischen ihren Knien hinter dem Sarkophag. Sie konnte es so nicht enden lasse, sie hatte so viel zusagen. Sie wollte noch so viel sagen. Sie wollte ihm noch so viel sagen. Was war bloß mit ihr geschehen? Was war nur geschehen...
Als sie aufstand, knackten ihre Knochen, doch das spielte für sie in diesem Augenblick keine Rolle. Sie wollte nur eines: hinausgehen und all die Dinge sagen, die sie ihm nie sagen konnte. Was danach geschehen sollte, wollte sie voll und ganz dem Schicksal überlassen.
Knarrend öffneten sich die Holzflügel an diesem Tag das zweite Mal und Lethe trat in die Dunkelheit der Nacht. Weiße Grabsteine, goldene Lettern, all dies nahm sie kaum wahr, als sie zwischen den Steinen hindurchwanderte. Hatten sie sie aufgegeben? Waren sie wieder gegangen? Wo waren sie bloß?
Hinter ihr knirschte der Boden und gerade als sie sich umdrehen wollte, vernahm sie jene vertraute Stimme, die ihr seit jenem Tag, als sie das vierte Jahr den Hogwartsexpress betreten hatte, nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel