
von Tjeika
Zwei Jahre waren vergangen, seit dem Sieg über Lord Voldemort. Harry stand, wie jedes Jahr an diesem Tag, vor dem Grabstein, der seinem Vater und seiner Mutter gewidmet war. Eine einzelne Träne rann seine Wange hinunter. Er konnte nicht sagen, ob es die Trauer oder der Wind war, der sie ihm aus den Augen trieb. Es schien, als wären Stunden vergangen, bis er sich endlich wieder regte. So lief er einige Meter. Die Kühle der Nacht kroch in ihm hoch. Sie schien ihm passend zu dem Ort, an dem er sich befand. Vor einem anderen Grabstein blieb er schließlich stehen. Der Name "Sirius Black" zierte ihn. Harry senkte den Kopf und spürte einen weiteren Stich in seinem Herzen. Zuviele hatten ihr Leben gelassen. Sein Blick wanderte den schmalen Pfad entlang und blieb an einem weiteren Stein hängen. "Remus Lupin" stand darauf. Er schüttelte den Kopf. Die schmerzlichen Erinnerungen an die vielen Tode trieben ihn von hier fort. Keine Sekunde länger wollte er an diesem Ort verweilen. Er wollte rennen, doch seine Beine schienen nicht gewillt, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Er musste sie schließlich dazu zwingen, den Pfad entlang zu gehen. Scharfe Rosendornen von den Gräbern um ihn herum, zerschlissen seine Kleidung. Sein Blick vernebelte sich von den Tränen, die er erstmals bereit war, zu vergießen. So bemerkte er nicht, dass ihm jemand gefolgt war. Sein Augenmerk galt einzig und allein dem Tor, der ihm wie eine Erlösung, gar die Rettung vor dem Schmerz schien, der in ihm weiter und weiter wuchs.
Aus dem Schatten der Bäume heraus, beobachtete sie schmunzelnd, wie er durch das Tor stolperte. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie aus dem Schatten trat. Das fahle Mondlicht ließ ihr ohnehin schon blasses Antlitz noch kränklicher wirken. Eine seichte Brise spielte mit ihrem Haar, als sie schließlich den Pfad entlangglitt, den auch Harry genutzt hatte. Scheinbar schwebend ließ sie die Toten hinter sich. Vor dem Tor blieb sie stehen, drehte sich nocheinmal um und verschwand in die finstere Nacht. Das Tor hinter ihr schloss sich knarrend.
Nach gefühlten Stunden erreichte Harry schließlich sein Haus, welches er zusammen mit Ginny bewohnte. Leise trat er durch die Tür, um auch gar niemanden zu wecken. Als er sie schloss, bemerkte er, dass sie auf ihn gewartet haben musste. Mit sorgenvoller Mine sah sie aus der Dunkelheit zu ihm hinauf. Wie lange sie wohl schon auf dem Treppenabsatz gesessen hatte, allein auf ihn wartend, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Lächeln von ihrem Lippen ließ ihn vergessen, wie er sich noch wenige Minuten zuvor gefühlt hatte. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, begaben sie sich die Treppe hinauf. Draußen, aus der Tiefe der Nacht, hörten sie einen Wolf den Mond anbeten. Nun lächelte auch Harry, ohne auch nur zu ahnen, was in dieser Nacht beschlossen war.
Ginny, der das Lächeln auf seinen Lippen nicht entgangen war, stieß ihn sanft in ihr Schlafzimmer. Sie brauchte nicht zu fragen, wo er diese Nacht verbracht hatte. Der Geruch, der an seinen Kleidern haftete, verriet ihr, dass er den Toten einen Besuch abgestattet hatte. Der Vollmond erhellte das Schlafzimmer. Als er aus dem Schatten trat, bemerkte sie erst das frische Blut an seinen zerschlissenen Kleidern. Ihr Lächeln wich einer erschrockenen Mine. Sie öffnete den Mund, um ihn zu fragen, was denn geschehen sei, doch er schüttelte nur den Kopf. Er wollte es ihr jetzt nicht erklären. Er wollte ihr jetzt nicht sagen, was er auf dem Friedhof erstmal gefühlt hatte. Sie schien zu begreifen und nickte stumm, sich fest vornehmend, ihn gleich morgen früh darauf anzusprechen. Wieder heulte der Wolf und beide durchfuhr ein tiefer Schauer. Irgendetwas war in dieser Nacht geschehen, was alles verändern würde, dessen waren sie sich bewusst.
Harry, der mittlerweile am Fenster stand, sah sie in dieser Nacht das erste Mal in den Schatten der Bäume stehen. Ihr schneeweißes, langes Haar schien ihren jungen Gesichtszügen zu widersprechen. Ihre Augen, von der gleichen Farbe, wie ihr Haar, starrten zu ihm hinauf. Als ihre Blicke sich trafen, fühlte er eine unnatürliche Wärme in sich hinaufsteigen.
Wie vom Blitz getroffen erwachte Hermine schweißgebadet in ihrem Bett. Aufrecht in ihrem Bett sitzend, schwer atmend hatte sie immer noch die Bilder ihres Traumes vor ihren Augen. Neben ihr säuselte Ron schlaftrunken: "Noch fünf Minuten". Als sie zu ihm blickte, bemerkte sie, dass er immer noch schlief. Draußen heulte ein Wolf aus der Ferne. Doch diese Bilder wollten nicht aus ihrem Kopf weichen. Es war wieder diese geheimnisvolle Frau, die sie zu den Gräbern ihrer Freunde führte. Sie war nicht angsteinflößend, mit ihrem langen, gelockten, schneeweißem Haar und ebendiesen Augen. Im Gegenteil schien sie ein nie dagewesenes Vertrauen auszustrahlen. Doch immer, wenn Hermine ihre Hand ergreifen und ihr folgen wollte, verschwand sie spurlos und Hermine erwachte, wie auch in den Nächten zuvor, schweißgebadet. Seit Wochen schon rätselte sie darüber, wer diese Frau wohl sein könnte, doch nie kam sie zu einem schlüssigen Ergebnis.
So stand sie auf, begab sich schleichend die Treppe hinunter in die Küche und versuchte das Bild dieser Frau aus ihrem Kopf zu verbannen. Doch dieses Mal war Ron ihr gefolgt. Als sie sich auf einem Stuhl mit einem Butterbier in der Hand niedergelassen hatte, stand er in der Küchentür und sah sie mit ausdrucksarmen, verschlafenen Augen an. Er setzte sich neben sie. Eine Weile saßen sie schweigend da, bis es Ron nicht mehr aushielt.
"Seit Tagen das gleiche Ritual. Du wachst mitten in der Nacht auf, gehst in die Küche und trinkst Butterbier. Was ist denn los mit dir?", fragte er sie vor Müdigkeit triefend.
Sie setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Sie sahen sich fragend an. Wer kam sie denn um diese Zeit noch besuchen?
Wiedereinmal torkelte George aus dieser Kneipe Richtung Fuchsbau. Seine gesamte Konzentration verwendete er darauf, nicht gegen eine dieser Muggel-Laternen zu stolpern. Aus der Ferne vernahm er den Ruf eines Wolfes. Die Straße war wie leergefegt, was ihn nicht weiter verwunderte. Es war mitten in der Woche und zudem war es eiskalt. Doch das interessierte ihn zu diesem Zeitpunkt nicht weiter. Er wollte nur nicht mit einer dieser Leuchttürme, wie seine Mutter die Laternen immer gerne bezeichnete, kollidieren. Aus einem Busch, ganz in seiner Nähe vernahm er ein, ihm nur zu bekanntes, Grummeln. Erschrocken wandte er sich um und verlor dabei beinah den Boden unter den Füßen. Gerade noch rechtzeitig erreichten seine Finger eine dieser Laternen, denen er vorher noch aus dem Weg gegangen war. Leuchtende Augen starrten ihn aus dem einzigen Busch in seiner Nähe an. Bekannte Augen eines Toten. Nach Atem ringend stolperte er die Straße herunter. Er wollte nur weg. Sicher war es nur eine Halluzination, die er dem Alkohol zu verdanken hatte, redete er sich selber, wider besseren Wissens, ein.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel