Es war eine Nacht unter vielen. Da war nichts Besonderes. Sie war nicht besonders dunkel oder hell. Die silberne Scheibe des Mondes wurde immer wieder von vorüber ziehenden Wolken verdeckt. Hier und da blitzten ein paar Sterne auf.
Dieses Mal war der Ort des Grauens eine von welkem Gras überzogene Wiese mitten im Nirgendwo. Überall und Nirgends zugleich. Die Fenster der kleinen Hütte glühten matt in der Dunkelheit.
Langsam glitten die Schatten näher. Schwarze Umhänge streiften das Gras. Lautlose Schritte auf feuchtem Boden. Das namenlose Grauen rückte näher.
Niemand sah sie kommen. Kein Alarmzauber schlug an. Es hätte sowieso nichts genützt. Niemand würde sie aufhalten in dieser Nacht. Die eigentümliche Stille, die sich über sie gelegt hatte wie ein alles erstickendes Tuch, zerbrach mit dem ersten Zauber, der die Tür sprengte.
Ein Mann im Morgenmantel stolperte hinaus in die beißend kalte Nacht. Das blonde Haar hing in langen, unordentlichen Strähnen in sein kantiges Gesicht. Unter anderen Umständen hätte er einschüchternd gewirkt, doch in dieser Nacht saß das Grauen in seinen Augen.
Noch ehe er den Zauberstab gezogen hatte, traf ihn der rote Lichtblitz direkt auf die Brust. Er fiel zurück auf die eichengetäfelten Dielen wie ein gefällter Baum.
Nicht immer war es so einfach, doch trotzdem stand der Schweiß auf Regulus' Stirn. Mit eiskalten Händen umklammerte er den Zauberstab.
?Ruhig', ermahnte er sich selbst und versuchte verzweifelt, gleichmäßig zu atmen. Dann betraten sie das Haus. Die Dielen knarrten unter seinen schweren Stiefeln und zerbrachen die Stille in hundert kleine Scherben, doch es stellte sich ihnen niemand mehr entgegen. Alles blieb ruhig. Zu ruhig. Die Nervosität griff um sich, erfasste jeden von ihnen. Sie alle wussten, dass der tote Mann draußen nicht der einzige Bewohner dieser Hütte gewesen war.
Systematisch begannen sie, die wenigen Zimmer zu durchsuchen. Sie stießen Türen auf und rissen Schubladen aus ihren Verankerungen, leise wurden Suchzauber gemurmelt.
Doch hinter der unschuldigen braunen Tür, die Regulus aufstieß, wartete das wahre Grauen.
Es war das Zimmer eines Mädchens. Ihr helles, blondes Haar breitete sich auf dem Kissen aus wie Sonnenstrahlen, doch auf ihrem Gesicht lag selbst im Schlaf noch ein Anflug von Sorge. Es war in vom Krieg geformtes Gesicht. Viel zu früh hatte der Ernst sich in das noch so junge Gesicht gegraben; sie war höchstens ein paar Jahre jünger als Regulus selbst und trotzdem würde sie diese Nacht nicht überleben.
?Wach auf', dachte er, ?wach auf und kämpf!' Denn ein Kampf würde es leichter machen, würde die Last der Schuld ein klein wenig mindern. Aber das Mädchen wachte nicht auf und die Minuten vergingen. Noch immer stand Regulus bewegungslos in der Mitte des Kinderzimmers. Der Zauberstab in seiner zitternden Hand war auf das Mädchen gerichtet, doch die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen.
Dann, ganz langsam, drehte Regulus sich um, drückte die Türklinke hinunter und verließ das Zimmer.
„Und?“ Im Flur erwartete ihn Yaxleys fragendes Gesicht.
„Nichts.“ Das Wort kam schleppend über seine Lippen, als weigere es sich zu erklingen in der abgestandenen Luft eines engen Flurs; mitten im Nirgendwo. „Und bei dir?“
„Tot.“ Durch den Spalt der leicht geöffneten Tür hinter Yaxleys breitem Rücken lugte eine schmale Frauenhand hervor. Über ihre Finger rann das Blut und tropfte leise auf den Boden. Sie hatte sich das Leben genommen, bevor jemand anders es ihr hatte nehmen können.
Schluckend wandte Regulus sich ab, floh zurück in die Küche. Vier menschliche Schatten erwarteten ihn dort. Fragende Blicke und noch einmal dieselbe, klebrige Antwort: „Nichts.“
Das Wort wabberte einen Augenblick in der Stille herum, dann das ruckartige Nicken von Bellatrix Lestrange. Das Zeichen zu gehen. Vom Schlachtfeld zu verschwinden und den See aus Blut zurückzulassen.
Dann das plötzliche Zuschlagen eines Fensters, gefolgt von dem Geräusch nackter Mädchenfüße auf feuchtem, welken Gras.
Die Anspannung kehrte in die Gesichter der Todesser zurück.
Der eisige Atem der Nacht umschloss Regulus, als er wieder hinaus in die Nacht trat. Als letzter. Um hinaus zu zögern, was ohnehin geschah, um das Unvermeidbare nicht mitansehen zu müssen. Doch auch so sah er sie rennen. Sah ihre zierlichen Füße auf dem Gras aufkommen und wieder abheben, sah das Sonnenhaar hinter ihr herwehen und wünschte sich, dass ihre Flucht gelingen möge. In seiner Fantasie tat sie das. In Wirklichkeit brachte Bellatrix Lestranges Zauber sie zu Fall und ihr zerbrechlicher kleiner Körper schlug dumpf auf der nassen Erde auf.
Mit der Seele des Mädchens stieg auch ein lautloser Schrei gen Himmel.
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