Sorgfältig schnitt Regulus die Titelseite des Tagespropheten entzwei. Der untere Abschnitt, auf dem eine tintenschwarze Überschrift verkündete :'Tödlicher Überfall erschüttert Südengland', wanderte auf einen kleinen Haufen mit ähnlichen Artikeln, während der obere Teil, auf dem irgendein Beamter des Ministeriums gestenreich eine Rede hielt, mit einem Schlenker des Zauberstabs im Müll landete.
„Na, zu faul selbst den Müll wegzubringen?“, ertönte es auf einmal hinter Regulus. „Außerdem darfst du doch noch gar nicht außerhalb der Schule zaubern, oder irre ich mich?“, setzte Sirius mit einem abfälligen Schnauben hinzu.
„Oh, komm schon, Sirius“, ohne sich zu seinem Bruder umzudrehen fuhr Regulus fort, „ das Ministerium hat im Moment sehr viel besseres zu tun, als Minderjährigen Zauberei zu ahnden, ganz davon abgesehen, dass sie eh nicht in der Lage sind, sie vernünftig zu orten.“
Natürlich, da hatte Reg recht, dem Ministerium war so was im Moment mehr als egal. Und eigentlich hatte Sirius das auch nicht wirklich ernst gemeint, es war ihm einfach so rausgerutscht. Diese idiotische Angewohnheit, immer alles kommentieren zu müssen. Wie oft hatte sie sich diesen Sommer jetzt schon wegen irgendwelcher Kleinigkeiten gestritten? Sirius wusste es nicht mehr; fest stand nur, dass es viel zu oft gewesen war, dass sie beide schon beim geringsten Anlass auf Abwehr schalteten. Zu oft gekämpft, zu oft, um noch zu vertrauen. Dieses Mal würde er es besser machen, es zumindest probieren. Also, noch mal von vorne.
„Was ist das?“, noch bevor Regulus irgendeine Antwort geben konnte, hatte Sirius sich über seine Schulter gebeugt und beäugte neugierig den Zeitungsartikel. Doch als sein Blick dann das Foto, das ein zerstörtes Haus, über dem das dunkle Mal schwebte, streifte, schreckte er förmlich zurück. Verdammt, das hatte er nicht erwartet. Warum konnte dort nicht irgendetwas Unverfängliches herumliegen. Irgendetwas über Quidditch oder so. Etwas, worüber sie noch reden konnten ohne zu streiten. Gab es so etwas überhaupt noch? In den letzten Tagen hatten sie es irgendwie immer wieder geschafft, selbst aus dem harmlosesten Gespräch einen Streit zu machen. Viel zu viel Argwohn hatte sich eingeschlichen, selbst in dem eigentlich gut gemeinten „Guten Morgen“ meinten sie beide schon, den Spott zu hören. Als wenn es im Moment so etwas wie einen guten Morgen geben könnte!
Sirius düstere Gedanken wurden von dem knarrenden Geräusch der sich öffnenden Tür unterbrochen. Herein kam ein alter Hauself mit faltiger, grauer Haut, der vor sich ein Tablett trug, auf dem eine einsame Teetasse thronte.
„Master Regulus, Ihr-“, begann Kreacher, bevor Sirius ihn unterbrach. Diesen senilen, alten Hauselfen konnte er nun wirklich nicht hier gebrauchen, nicht jetzt verdammt noch mal! Nicht jetzt, wo sie sich zum ersten Mal seit Wochen nicht anschrieen, sobald der andere auch nur den Mund aufmachte. (Gut, eigentlich war es eher Sirius, der laut wurde. Regulus dagegen hatte sich einen beißenden Sarkasmus angewöhnt. Nur manchmal sah man noch etwas, von dem kleinen Jungen, dem die Tränen so leicht in die Augen traten.)
„Kreacher, raus hier!“, Sirius ganze Angespanntheit, die ganze Frustration über die jetzige Situation entlud sich über dem Hauself, „Verschwinde, niemand hat dir erlaubt reinzukommen!“
„Hör' nicht auf ihn, Kreacher.“ Regulus war aufgestanden und nahm dem unsicher hin und her guckenden Hauself lächelnd den Tee ab. „Danke.“
„Was hat er dir getan, Sirius?“, fragte Regulus sobald sich die Tür hinter Kreacher wieder geschlossen hatte, „Warum kannst du ihn nicht einmal wie ein Lebewesen behandeln?“ Ich denke, du kämpfst für die Rechte der Unterdrückten, fügte Regulus in Gedanken noch hinzu. Sprach es aber nicht aus, auch er war den ewigen Streit mit seinem Bruder leid. Und trotzdem, Kreacher hatte das nicht verdient, was konnte der Hauself dafür, dass sie nicht in der Lage waren ein vernünftiges Gespräch zu führen? Nichts, rein gar nichts.
„Weil er es nicht verdient, weil er nur ein verdammter schleimiger Diener ist, darum, Regulus!“ Jetzt konnte auch Regulus sich nicht mehr zurückhalten, war er eben noch bereit gewesen, Sirius den Ausrutscher zu verzeihen, dann war es damit jetzt endgültig vorbei.
„ Ach, aber ein paar Muggel verdienen es, oder was?“ Das konnte nicht Regulus' Ernst sein. Wie konnte man Milliarden Menschen, Menschen mit Gefühlen, mit diesem idiotischen Hauselfen vergleichen und verlangen, dass sie auch nur annähernd gleiche Rechte bekamen? Wenn es irgendjemand anders gesagt hätte, hätte Sirius ihn mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgelacht. So, aber fühlte er nur Bitterkeit und Verlust. Aus Regulus war endgültig der Reinblutfanatiker geworden, den Sirius so lange nicht hatte sehen wollen. Ganz deutlich hatte sich die Abscheu sich auf dem schmalen, blassen Gesicht abgezeichnet, als er „Muggel“ gesagt hatte, so offensichtlich wie nie zuvor. Vorbei. Endgültig. Nie wieder würde es sein wie früher. Und die ganze Wut, den Hass auf sich selbst, auf Regulus, auf die Todesser, auf ihre verdammte Familie, auf einfach alles schrie er Regulus ins Gesicht.
„Das sind Menschen, Reg!!“ Früher wäre Regulus bei diesem Ton zurückgewichen, die Tränen hätten in seinen Augen gestanden und es wäre so viel leichter gewesen, ihm zu verzeihen. Doch auch das hatte sich geändert. Nur kurz verzog Regulus den Mund, kurz zuckte der Schmerz durch seine Augen. Dann war er verschwunden hinter der Maske dieses neuen, fremden Regulus.
„ Das ist ja das Schlimme, Menschen verletzen nur. Warum sollten wir sie beschützen? Weist du wie vielen sie schon das Herz gebrochen haben? Wie viele sie getötet haben? Wie viele sie verletzt und gefoltert haben? Warum sollte ich ihnen helfen?“ Mir hilft ja auch niemand, las Sirius in Regulus' Augen. Und es tat weh, schmerzte, nie hätte er gedacht, dass Reg so verdammt einsam war. Woher auch? Sie sahen sich ja kaum noch, in Hogwarts gingen sie einander aus dem Weg, einfach, weil man das von ihnen erwartete. Und hier, Zuhause? Hier konnten sie nicht mehr miteinander reden ohne zu streiten. Zu enttäuscht von sich selbst, zu misstrauisch dem anderen gegenüber. Still und leise hatten sie sich auseinander gelebt. Standen nun auf zwei verschiedenen Seiten und wünschten sich verzweifelt die alten Zeiten zurück.
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