Der Mond beleuchtete den alten Friedhof mit den schiefen Grabsteinen nur notdürftig. Aber es reichte, um die Namen auf den Grabsteinen zu lesen. Ein Frösteln jagte Regulus über den Rücken und das obwohl die Nacht gerade erst begonnen hatte, obwohl heute noch so viel schlimmere Dinge passieren würden. Nicht dran denken. Nicht jetzt. Es war schwer genug, so etwas mit anzusehen ohne etwas zu tun. Es einfach nur geschehen lassen. Man durfte nicht darüber nachdenken, dann ging es besser, wurde erträglicher. Aber die Gedanken kamen, ließen sich nicht abwimmeln und malten Bilder voller Blut. Jede Nacht sah er sie vor sich, sah wie das Blut an den Boden benässte und schließlich zu einer Pfütze zusammen lief, sah die reglosen, starren Gesichter der Toten. Und manchmal blickten ihm graue Augen aus dem Gesicht des Toten entgegen und schwarze Locken waren blutverklebt. Nein, Schluss damit. Das waren nicht die richtigen Gedanken für eine Nacht wie diese.
Langsam verdichtete sich der Kreis der Todesser und der uralte Friedhof füllte sich mit schwarzen Schatten. Schwarz wie ihre Seele. Am Anfang hatte Regulus Angst gehabt, dass man ihm ansehen könnte, dass er anders war, dass er all das nicht aus Überzeugung tat. Aber sie hatten es nicht gesehen und Regulus wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte. Vielleicht machte er sich selbst etwas vor, vielleicht hatten sie alle Recht. Vielleicht war er tatsächlich einer von ihnen.
Plötzlich rissen die Wolken auf und das silbrige Licht des Mondes beleuchtete das schlangengleiche Antlitz des Dunklen Lords und machte es noch bleicher, als es ohnehin schon war. Doch da war noch jemand, eine kleine Gestalt im Schatten des Lords. Nicht mehr als einen Umriss konnte Regulus erkennen und trotzdem erkannte er die kleine etwas rundliche Gestalt, die sich immer wieder nervös umsah. Zu oft hatte er ihn gesehen, wenn er Sirius heimlich beobachtet hatte. Er war einer von Sirius' Freunden gewesen. Peter Pettigrew. Was tat er hier? Würde er das Opfer dieser Nacht sein? Würde Pettigrews Blut diese Nacht den Boden benetzen? Nein, dann stände er nicht dort, dann wäre er gefesselt, dann wäre sein Gesicht vor Schrecken verzerrt. Es gab nur eine Lösung. Peter Pettigrew war ein Verräter. Ein Verräter selbst unter den loyalen Gryffindors. Verräter. Das Wort klang so vertraut. Oft genug hatte er es gehört und in dem abfälligen Gesicht seines Bruders gelesen. Würde auch Peter es hören? Klang es jetzt schon in seinen Ohren? Wie konnte er sie verraten, seine Freunde? Wie konnte er sein Glück wegwerfen? Regulus wünschte sich nichts mehr. Freunde, denen man vertrauen konnte. Pettigrew hatte sie gehabt und sie trotzdem verraten. Warum? Er konnte es nicht verstehen.
Doch auf einmal stellte sich ihm eine ganz neue Frage, was sollte er tun, wenn Pettigrew tatsächlich redete? Sirius warnen, obwohl er ihm kein Wort glauben würde oder schweigen, weiter zu sehen, wie Regulus es sein ganzes Leben lang getan hatte? Er wusste es nicht. Wieder einmal. Verdammte Hilflosigkeit. Warum war es ihm nicht einfach egal? Würde Sirius es bemerken, wenn sein Bruder tot wäre? Würde er trauern? Regulus konnte es sich nicht vorstellen. Aber deswegen schweigen, aus Rache, wegen verletzten Gefühlen? Es würde noch mehr wehtun, wenn er mit Sirius redete. Die alten Wunden würden wieder aufreißen. Die Schmerzen, die er nie hatte vergessen können, würden zurückkehren. War Sirius das wert? Regulus erschrak vor sich selbst. Jetzt dachte er sogar schon wie sie, dachte über den Wert eines Menschenlebens nach und stellte ihn gegen seinen eigenen Stolz. Eigentlich war die Entscheidung so leicht. Aber Regulus wusste nicht, ob er den Mut dazu hatte, zu ihr zu stehen.
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