Kapitel 59-Die Zwischenprüfung
Nein, ganz allein war er nicht. Die Lichtung war zwar wie ausgestorben, doch die Geräusche aus dem Wald, ein Rascheln, ein Knacken, ein Grunzen, drangen sehr deutlich zu ihm vor und ab und zu meinte er, Augen aufblitzen zu sehen. Dagegen drangen keine Geräusche von außerhalb des Dschungels zu ihm vor, nicht einmal das am Strand mächtige Meeresrauschen. Harry blickte sich um und suchte nach der Anweisung für seine Aufgabe. Auf einem Baumstumpf lag ein gelblicher Briefumschlag, durch einen Stein beschwert. Adressiert war er an einen „Prüfling“. Harry entfaltete das Pergament und las in violetter Tinte:
Sehr geehrter Prüfling,
die VAST heißt Sie herzlich willkommen zur Zwischenprüfung Ihrer Aurorenausbildung!
Die Prüfung besteht darin, folgende drei Gegenstände zu finden und vor Ablauf der Frist an den Strand zu bringen. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
a. Eine Affodillwurzel
b. Ein Bowtruckle (lebend)
c. Eine Phiole mit Drachenblut
Um Ihnen ein wenig Hilfestellung zu geben, haben wir vier Hinweise für Sie:
I). Sie befinden sich ungefähr im Zentrum des Dschungels
II). Magische Pflanzen sind oft Symbolträger der Zaubertränke, für die sie verwendet werden und
stellen diese Bedingungen häufig auch an ihre Umgebung
III). Nichts nährt besser als das Kostbarste
IV). Tief ist ebenso geeignet wie hoch
Mit freundlichen Grüßen,
Eric Fawcett, Leiter der VAST
Einen Moment lang noch starrte Harry auf die violetten Buchstaben. „Okay...keine Ahnung!“, meinte er schließlich. „Ich hab keinen blassen Schimmer, wo ich das alles her kriegen soll, also muss ich einfach aufs Geratewohl los, schätz ich. Die Hinweise sind auch nicht wirklich eine Hilfe...“ Wieder las Harry den Brief Wort für Wort durch. „Sie befinden sich ungefähr im Zentrum des Dschungels...“, las er laut vor. „Im Zentrum des Dschungels...wieso ist das wichtig?“, rief er laut. „Wenn ich zurück zum Strand will, ist doch völlig egal, wie weit das ist, warum schreiben die extra, wo ich mich im Dschungel befinde? Ich muss sowieso in...wohin?“ Er blickte sich nach allen Seiten um, aber natürlich konnte er kein Anzeichen auf den Strand entdecken. „Hätte ich nur meinen Feuerblitz...“, murmelte er. „Ich hab bestimmt nicht die Zeit in alle Richtungen zu laufen, bloß um den Strand wiederzufinden...Moment mal...“ Er kratzte sich am Kinn und dachte nach. „Wenn wir morgens zum Laufen losgegangen sind, ist die Sonne doch hinter uns aufgegangen. Und wir sind immer von links nach rechts gelaufen...zumindest, von unserer Hütte aus gesehen von links nach rechts. Das bedeutet von unserer Hütte ist links Osten und rechts Westen...ungefähr zumindest. Dann muss unsere Hütte ja im Norden gelegen haben. Und weil hinter unserer Hütte der Dschungel begann, muss der Dschungel im Norden liegen, das heißt ich muss nach Süden um wieder zum Strand zu kommen!“
Zufrieden lächelte er. Er wusste zwar immer noch nicht, wo er die drei Dinge finden sollte, aber immerhin wusste er jetzt, in welche Richtung der Rückweg war. „Sie befinden sich ungefähr im Zentrum des Dschungels...“, wiederholte er noch einmal. Sollte dies eine Hilfe sein? Seufzend setzte er sich auf den Baumstumpf und dachte nach.
„Wenn extra gesagt wird, dass ich im Zentrum des Dschungels bin...“, überlegte er laut. „...dann muss ich vermutlich in verschiedene Richtungen gehen...um die verschiedenen Sachen zu finden...“ Wieder las er die Liste durch. Da ihm von den drei Sachen die Affodillwurzel noch am einfachsten erschien, beschloss er diese zuerst zu suchen und zermarterte sich das Hirn um alles über diese Pflanze in seinen Kopf zu ziehen, an was er sich nur erinnern konnte. „In der ersten Stunde Zaubertränke hat Snape davon gesprochen...“, murmelte er. Er erinnerte sich noch gut daran, weil es seine erste persönliche Begegnung mit Snape gewesen war. „Und natürlich hab nichts davon gewusst.“, setzte er noch hinzu. „Die einzige, die es gewusst hat, war selbstverständlich Hermine...Warum hab ich eigentlich gerade jetzt so große Sehnsucht nach Hermine?“ Sie wüsste bestimmt längst, in welcher Himmelsrichtung Affodillwurzeln am ehesten wachsen. „Sie gehören zum Trank des lebenden Todes...und alle Zutaten dafür sind wohl auch symbolisch für Schlaf oder Ende oder Ruhe, wie es im zweiten Hinweis steht, also die Affodillwurzel und ihre Umgebung auch...Aber was hilft mir das? Was ist denn symbolisch für Schlaf in der Natur? Tiere schlafen, aber Pflanzen doch nicht! Woran sieht man denn in der Wildnis, dass der Tag vorbei ist und man schlafen geht?“ „Nun ja, die Sonne geht unter...“, schoss es durch seinen Kopf. „Die Sonne?“, dachte Harry. „Ja, natürlich. Die Affodillwurzel braucht auch Sonnenlicht zum Wachsen...Ende...Schlaf...“, überlegte er wieder. „Westen...“, murmelte er leise vor sich hin. „Die Affodillwurzel ist auch symbolisch für Schlaf und Ende, und dafür braucht sie wohl die Abendsonne, die Abendsonne, die das Ende des Tages zeigt...und die Abendsonne kann sie nur am westlichen Rand des Dschungels bekommen!“
Er war sich zwar nicht vollständig sicher, aber da er das im Grunde noch fast nie gewesen war, kümmerte ihn das nicht weiter. Er hatte keine andere Idee und konnte es nicht ertragen, länger tatenlos hier zu bleiben, sondern er wollte jetzt so schnell wie möglich aufbrechen. Hinter dem Baumstumpf lag ein großer Rucksack angelehnt. Er öffnete die Verschnürung und fand eine leere Phiole, ein großes Taschentuch sowie zwei Flaschen Wasser und einige in Butterbrotpapier eingewickelte Sandwiches. „Damit ist ja bestens für mich gesorgt!“, meinte er trocken, schulterte den Rucksack und ließ sich von seinem Zauberstab die westliche Richtung weisen.
Ein schmaler Pfad führte ungefähr in westliche Richtung. „Lumos!“, rief Harry und sein Zauberstab erhellte den Weg vor ihm ein wenig. Die ersten paar Schritte lagen noch wie ausgestorben da, doch bald schon verstärkten sich die unheilvollen Geräusche links und rechts zwischen den Bäumen. Ein Knacken und ein widerliches Schmatzen klang von rechts zu ihm her. Mit erhobenem Zauberstab ging Harry weiter. Ein Schwarm Mücken schwirrte ihm durchs Gesicht. Irgendetwas krabbelte über den Boden. Er meinte, eine Gabelung des Weges zu erkennen, als ihn urplötzlich etwas von hinten an den Füßen packte und zu Boden riss. Wie an kräftigen Stricken wurde Harry zurück gezogen. Eine zweite, enge Fessel zog sich um seine Knie und eine weitere fest um seine Brust. Er erkannte, dass es Ranken waren, die sich immer fester um seinen Leib schlangen. Beinahe hätte er seinen Zauberstab fallen gelassen, als sich eine weitere Schlinge um sein rechtes Handgelenk schnürte.
„Das ist eine Teufelsschlinge...“, schoss es ihm durch den Kopf, und im selben Moment noch glaubte er, Hermines Stimme hören zu können.
„Was hat Professor Sprout gesagt? Sie mag das Dunkle und Feuchte...“
„INCENDIO!“, schrie Harry und eine Stichflamme schoss aus seinem Zauberstab hervor hinein in die Dunkelheit, dorthin, wo er die Wurzel der Pflanze vermutete. Er hörte, wie zischend etwas versengte und im selben Moment noch lockerten sich die Ranken um seinen Körper. Ein weiterer Feuerzauber und er konnte die Teufelsschlinge vollends abschütteln.
„Da hat mir Hermine schon wieder das Leben gerettet!“, dachte er. „Ohne sie hätte ich das nie gewusst...“
Als er an der Gabelung ankam, wies ihm sein Zauberstab, dass der rechte Weg ziemlich genau nach Westen führte, während der linke ein ganzes Stück abfiel und wahrscheinlich zum Strand führte. Also schlug Harry den rechten Pfad ein, der dunkler und steiler war. Er war noch nicht sehr weit gegangen, da schoss ein Zauber irgendwo zwischen den Bäumen hervor, verfehlte ihn nur um Haaresbreite und schlug ein großes Loch in den Baum hinter ihm. Harry wirbelte herum: In dem Dickicht sah er schemenhaft eine Gestalt, als bereit ein weiterer Fluch auf ihn zu schoss.
„Protego!“ Der Fluch prallte an seinem Schild ab und Harry setzte rasch einen Entwaffnungszauber hinterher. Er hatte Erfolg: Ein knorriger Zauberstab flog in seine Hand. „Komm da raus!“, rief er, den eigenen Zauberstab im Anschlag.
„Na ja Potter, ich hab's dir leicht gemacht...“, knurrte eine Stimme zwischen den Bäumen hervor, die Harry ewig nicht mehr gehört habe. „Bin ja eigentlich auch im Ruhestand, tu ja nur Owen einen Gefallen...“
Zwischen den dunklen Blättern tauchte ein wild rotierendes, leuchtend blaues Auge auf.
„Professor...Professor Moody?“, fragte Harry ungläubig.
„Jetzt lass endlich den Professor stecken, Junge!“, brummte Moody, während er auf den Pfad humpelte. „Hab dich nur wenig unterrichtet und bin im Moment auch gar nicht mehr dein Lehrer. Ich genieße jetzt wieder den wohlverdienten Ruhestand. Schließlich ist Voldemort weg vom Fenster. Und auch wenn die Todesser allerhand Blödsinn treiben, das sollten sie nun auch ohne den verrückten, alten Moody schaffen.“
„Wieso, was haben die Todesser...“, doch im selben Moment bemerkte Harry, dass die Frage sinnlos war. „Aber...aber was machen Sie hier?“
Der narbige Mund Moodys verzog sich zu einer Fratze, die wohl ein Lächeln sein sollte.
„Owen meinte, wir sollen's euch auch nicht zu leicht machen...schließlich werdet ihr als Auroren auch gegen andere Zauberer kämpfen müssen, nicht nur gegen magische Geschöpfe und Pflanzen.“ Demonstrativ riss er einen Ast ab, der gegen seine Schulter drückte. „Nur auf Owen's Wunsch bin ich hier. Tja...deswegen und weil ich kontrollieren will, ob wir Wenders und dir was in den Schädel gepaukt haben. Immer wachsam!“, schrie er Harry lautstark ins Gesicht und deutete auf ein etwa zwanzig Zentimeter großes Geschöpf, das in diesem Moment in Harrys Bein beißen wollte. Es war kaum auffällig, da es aussah, als ob es aus Rinde und Zweigen bestand. In diesem Moment fühlte Harry bereits, wie sich seine Zähne schmerzhaft in sein Fleisch versenkten. Er schrie auf und schoss einen Sprengfluch auf das Geschöpf, das rauchend und gackernd wieder im Gebüsch hinter ihm verschwand.
„Tut weh, hä?“, fragte Moody. „Mach dir nichts draus, Potter.“, meinte er und fuhr über sein narbiges Gesicht und die halbe Nase. „Es gibt Schlimmeres...“
„Das war ein Bowtruckle.“, fluchte Harry und ließ mit dem Zauberstab die Wunde in seiner Wade verheilen. „So ein Mist, ich brauch einen von denen...“
„Von denen gibt’s noch genug hier im Dschungel!“, versicherte Moody. „Zeig mal deine Liste, Junge!“
Sein normales Auge fuhr den Brief hinab, während sein magisches weiterhin abwechselnd Harry und die Umgebung beobachtete.
„Gut, das sollte ja zu schaffen sein.“
„Aber...Drachenblut?“, rutschte es Harry heraus. „Wo soll ich denn Drachenblut her kriegen?“
„Na, von der Quelle.“, antwortete Moody nur.
„Von der Quelle? Von einem...einem...“
„Drachen natürlich!“, knurrte Moody. „Und nun viel Glück, Potter.“ Er riss Harry seinen Zauberstab aus der Hand und humpelte wieder zurück ins Dickicht.
„Es gibt noch andere, oder?“, rief Harry ihm hinterher. „Noch andere, die uns angreifen können, nicht wahr? Andere Auroren?“ Moody drehte sich um und schaute in seine Richtung. Für den Bruchteil einer Sekunde flog ein kurzes Lächeln über sein Gesicht, dann setzte er wieder einen grimmigen Gesichtsausdruck auf.
„Immer wachsam bleiben, Potter!“ Dann humpelte er weiter in die Tiefe des Dschungels hinein.
„Von einem...Drachen.“, wiederholte Harry abgehakt. „Ich soll das Blut tatsächlich von einem Drachen holen.“ Im Stillen hatte er gehofft, es gäbe irgendeine andere Möglichkeit, das Drachenblut zu beschaffen.
Harry ging tiefer in den Dschungel hinein, weiter Richtung Westen. Eine kleine Gruppe Feuerkrabben lief ihm über den Weg und wollte die Gelegenheit nutzen, ihn in eine menschliche Fackel zu verwandeln, doch bevor sie noch aus ihren Hinterteilen die Flammen ausgespien hatten, waren sie bereits von Harry mit einem Schlenker seines Zauberstabs auf den Rücken geworfen und wehrlos. Er mochte noch gut zwei Stunden so weiter gegangen sein, ohne einer ernsthafteren Gefahr zu begegnen. Einmal musste er durch einen breiten Bach waten, in dem ein Kappa lauerte, ein anderes Mal traf er auf einen äußerst beweglichen Baum, dessen spitze Äste ihm einmal kräftig durchs Gesicht schlugen, bevor er sich wieder zurückziehen konnte. Der Baum schien sich dagegen wehren zu wollen, dass Harry diesen Weg benutzte, und versuchte mit Ästen, Lianen und Ranken nach Harry zu schlagen oder ihn zu sich zu ziehen. Harry, der hinter einem (glücklicherweise normalen) Baum in Deckung gegangen war, fühlte sich unangenehm an die peitschende Weide erinnert. In Gedanken ging er alle Zaubersprüche durch, die er kannte, aber keiner schien geeignet, diesen Baum außer Gefecht zu setzen. Er hatte bereits einen Brandzauber auf einen der Äste geschossen und eine der Lianen abgeschnitten, doch der Baum wurde davon nur noch aggressiver und schlug noch wilder und öfter um sich. Seine Schläge und Angriffe waren so schnell, dass es unmöglich schien, heil an ihm vorbeizukommen.
„Die peitschende Weide hatte einen Knoten, der sie erstarren ließ, wenn man ihn berührte...“, erinnerte sich Harry. Aber er konnte unmöglich den ganzen Baum abtasten. Er kam ja gar nicht an ihn heran, er war viel zu schnell. Also probierte er es selbst und schoss einen Schockzauber auf ihn, doch auch dieser hatte keinen Effekt.
„Ach, Verdammt!“, schrie Harry. „Defodio!“ Der Sprengfluch schoss nahe der Wurzel ein und schlug ein Stück Rinde aus, doch nun wurde der Baum so rasend wie noch nie und Harry war sicher, jetzt totgeprügelt zu sein, wenn er nicht in Deckung gegangen wäre. „Der Baum ist einfach zu schnell!“, schimpfte er, während die Äste in so rasendem Tempo hin und her schlugen, dass er sie kaum wahrnahm. Der permanent um sich schlagende Baum erinnerte ihn mittlerweile unangenehm an einen Ventilator. „Moment mal...schnell?“, überlegte er. „Impedimenta!“
Der Lähmzauber traf den Baum direkt an die Stelle, an der Harry die Rinde weg gesprengt hatte. Die Äste und Zweige, eben noch wild um sich um schlagend, erstarrten sofort in ihrer Bewegung. Der Baum wirkte, als sei er in eine starke Zeitlupe zurückgedreht worden; er bewegte sich derart langsam, das selbst Vögel auf den Ästen landeten. Harry atmete auf und da er wusste, dass der Lähmzauber nicht lange anhielt, beeilte er sich an dem Baum vorbeizukommen.
Der Pfad stieg nun stetig an. Die Luft wurde klarer, je höher er kam. Der Dschungel wurde lichter, zusehends verschwanden die dicken, großen Bäume und machten Büschen und Moos Platz. Der Waldboden, der sich tiefer im Zentrum noch sehr weich angefühlt hatte, verhärtete sich und bald schon hatte Harry den Eindruck, es wäre eher Gestein auf dem er ging, bis er schlussendlich am westlichsten Punkt der Insel ankam, dort, wo der Dschungel aufhörte und mächtige Klippen abfielen bis zum Meer hinunter, das mit starkem Rauschen gegen die Felsen donnerte. Ein starker Wind, der nach Salz und Tang roch, schoss Harry ins Gesicht, und er war fast froh, der drückenden, schwülen Hitze des Dschungels ein wenig entkommen zu sein. Er befand sich auf einem kleinen Plateau, auf einer Ebene, die gerade mal die Ausmaße eines Wohnzimmers hatte, auf der ein ganzes Feld von weißen, hell blühenden Pflanzen wuchs.
„Affodillwurzeln!“, rief Harry erleichtert. Er kannte diese Pflanze aus dem sechsten Schuljahr in Hogwarts. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er die Affodillwurzel für den Trank der lebenden Toten kleingehackt hatte und Snape ihm zehn Punkte abgezogen hatte, weil er die Pflanze nicht quer sondern längs aufgeschnitten hatte. („Lernen Sie endlich das Rezept richtig zu lesen, Potter!“)
Er packte eine Pflanze und zog seinen Zauberstab. „Diffindo!“
Der Zauber trennte die Wurzel ab und Harry konnte die Pflanze abziehen, doch kaum hatte er sie aus dem Boden herausgetrennt, begann sie in seiner Hand zu vertrocknen. Das Grün verblasste, die Blüten wurden welk und als ein Windstoß vom Meer herbei trieb, stob die Affodillwurzel in Stücke gebrochen auseinander. Einen Moment lang noch starrte Harry auf die Überreste der Pflanze in seiner Hand. So, das wurde ihm jetzt klar, konnte er sie nicht zum Strand bringen. Er machte noch einen zweiten Versuch, bei dem er die Pflanze mitsamt der Wurzel aus der Erde zog, kam jedoch zum selben Ergebnis: Sobald er sie aus dem Erdreich zog, verwelkte die Pflanze fast augenblicklich. Stirnrunzelnd starrte Harry auf die verdorrte Affodillwurzel, als von seiner linken Schläfe, da wo ihn ein Ast des Baumes getroffen hatte, ein einzelner Blutstropfen herabfiel und direkt auf der Pflanze landete. Sobald sein Blut die vertrockneten Blüten berührte, verwandelten sich ihre Blätter wieder in ein sattes Grün und die Blüten leuchteten hell.
„Nichts nährt besser als das Kostbarste...“, las Harry noch einmal den dritten Hinweis. Er zog ein Taschentuch hervor, wischte sich soviel von dem Blut wie möglich ab und wickelte die Affodillwurzel damit ein. Er steckte das Bündel in seinen Rucksack und wollte weitergehen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass von seinen kostbaren vierundzwanzig Stunden bereits fast vier vergangen waren.
Aber in welche Richtung sollte er weitergehen? Die ersten beiden Hinweise hatten ihm geholfen, die Affodillwurzeln zu finden. Er wusste, dass er sich nun am westlichen Rand des Dschungels befand, aber er wusste nicht, wo er einen weiteren Bowtruckle oder (ein Schauer lief ihm den Rücken herunter) einen Drachen finden würde. In nordöstlicher Richtung erhob sich ein großer Berg aus dem Dschungel hervor. Sein Gipfel glitzerte in der Sonne.
„Tja...einziger Anhaltspunkt für einen Drachen...“, seufzte Harry. „Dann mal los...“
Er schulterte den Rucksack und lief los.
In Richtung Berg führte kein Pfad, und so musste Harry sich quer durch den Dschungel schlagen. Lianen und Ranken schnellten ihm auf seinem Weg kraftvoll ins Gesicht, und ganze Schwärme von Mücken schienen seinen Weg zu kreuzen, ganz so, als ob alle Mücken unbedingt in die Richtung wollten, aus der Harry kam. Wieder traf er einige Feuerkrabben, die ihm aus dem Dickicht heraus angriffen und einer der Feuerstöße traf ihn sogar und versengte ein Stück der Haut des rechten Arms bevor er sie außer Gefecht gesetzt hatte. Harry hielt sich den schmerzenden, geschundenen Arm. Er konnte Schnittwunden und gebrochene Knochen verheilen lassen, doch zur Behandlung von so etwas wie Brandverletzungen hätte er Hermine gebraucht.
Als er tiefer in den Dschungel fortschritt, hörte er plötzlich zwei bekannte Stimmen. Vorsichtig pirschte Harry sich an sie heran. Er strich die Blätter eines dichten Busches zur Seite und erkannte Lars, den Aurorenschüler aus Norwegen. Ihm gegenüber stand Mark, einer der Aurorenschüler aus den USA, mit erhobenem Zauberstab, den er unverwandt auf Lars richtete. In seiner anderen Hand hielt er den einem Wanderstock gleichenden Zauberstab, den die Skandinavier verwendeten. Offenbar hatte er ihn Lars abgenommen.
„Das kannst du nicht machen, Matthew. Das ist nicht fair!“
„Nicht fair?“, tobte Matthew und stieß seinen Zauberstab ein Stück nach vorne, was Lars zusammenzucken ließ. „Nicht fair ist, dass du mir von Anfang an hier den Rang als besten Auroren abläufst, Lars! Und das, obwohl ich schon mein ganzes Leben für die Aurorenausbildung trainiert habe. Nicht ein einziges Mal habe ich dich in den Duellen besiegt! Du führst mich vor wie einen blutigen Anfänger!“ Seine blauen Augen funkelten bedrohlich. „Du hast schon zwei deiner drei Dinge gefunden, ich noch gar nichts!“, fügte er zischend hinzu und deutete auf ein großes Stück blau leuchtender Rinde und ein weißliches Ei von der Größe eines Fußballs. „Also gibst du mir jetzt deine beiden Sachen und deine Liste!“
„Das kannst du vergessen!“, erwiderte Lars.
„Na dann...“, fauchte Matthew. „Leb wohl...“
„Stupor!“ Der Schockzauber riss Matthew von den Füßen und starr wie ein Brett fiel er zu Boden.
„Harry! Danke für deine Hilfe.“
„Keine Ursache!“, grinste Harry und trat aus dem Dickicht hervor. „Matthew ist wohl mit dem Druck nicht ganz klar gekommen, was?“
„Scheint so.“, nickte Lars. „Der wollte mir doch tatsächlich meine Sachen abnehmen, weil er seine eigene Aufgabe nicht erfüllen kann.“
„Was musstest du denn besorgen?“
„Ein Stück von einem Pogrebin-Baum.“, antwortete Lars und deutete auf die blau leuchtende Rinde. „Und das Ei einer Acromantula!“
Harry pfiff anerkennend.
„Nicht schlecht.“
„Na ja, war nur ne kleine Acromantula!“, gab Lars grinsend zu. „Und bei dir?“
„Ich muss Drachenblut besorgen...“, erklärte Harry missmutig.
„Alter Schlappen!“, stöhnte Lars. „Das ist aber ne üble Aufgabe.“
„Noch übler ist, dass ich keine Ahnung habe, wo ich den finden soll!“
„Hast du keine Hinweise auf deinem Brief gehabt?“
„Doch, aber die helfen nicht gerade. Ich bin gerade auf dem Weg zum Berg, vielleicht lebt dort ein...“
„Harry, da verlierst du nur zu viel Zeit, den Weg kannst du dir sparen!“, unterbrach Lars ihn unwirsch.
„Was? Wieso denn?“
„Weil du da mit Sicherheit keinen Drachen finden wirst! In meiner Heimat, da findest du die Drachen vielleicht in den Bergen, aber hier? Hier ist es viel zu schwül und heiß für die meisten Drachen.“
„Aber...aber wo...“
„Der einzige Drache, der in diesem Klima leben kann, ist der antipodische Opalauge!“, erklärte Lars. „Und der lebt nicht in Bergen. Ach übrigens: Ungefähr zwei Meilen östlich von hier ist ein tiefes Tal. Mach's gut Harry, ich muss weiter!“ Und ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand Lars wieder im Dickicht.
Harry sah ihm noch eine Weile hinterher, bis eine neugierige Baumwurzel seine Aufmerksamkeit auf sich zog, da sie versuchte seinen rechten Schuh zu verspeisen. Mit einem saftigen Tritt drängte er sie zur Seite. Dabei fiel ihm der immer noch geschockte Matthew auf. „Nö, er hat die Aurorenausbildung nicht verdient!“, entschied Harry. „Nicht, nachdem er sich so verräterisch verhalten hat.“ Harry schickte einen Funkenstrom durch die Wipfel der Bäume in den Himmel, damit die Auroren Matthew abholen konnten. Dann machte er schnell in östliche Richtung davon.
„Ob der Opalauge wohl in dem Tal lebt?“, murmelte er dabei. Er zog wieder den Brief hervor und überflog die Hinweisliste. „Tief ist ebenso geeignet wie hoch...das muss es sein. Der Drache lebt nicht auf einem Berg, sondern in einem Tal!“
Obwohl es nur zwei Meilen bis zum großen Tal sein sollten, kam Harry der Weg durchs Dickicht endlos vor. Auch auf diesem Weg griffen ihn sowohl Pflanzen als auch Tierwesen an, aber mit Brand-, Schneid-, und Sprengzaubern erzielte er gute Ergebnisse. Einmal schossen ganze Salven von Flüchen aus dem Dickicht auf ihn zu, doch als er sich wehrte und seinerseits Schockzauber zwischen die Bäume jagte, hörten die Angriffe auf.
Der Weg wurde nun mühselig. Er war nicht mehr so steil, doch die Lianen und Ranken schlangen sich immer enger und Harry musste oft aufpassen, nicht der Länge nach hinzufallen. Das Dickicht wurde dichter und dichter. Ein Dornenbusch zerkratzte ihm beinah das ganze Gesicht und einmal fiel er in einen tiefen Tümpel hinab, der ihm bis zu den Hüften ging und seine Kleidung komplett durchweichte. Als er endlich die große Senke im Dschungel erreicht hatte, ließ er sich erschöpft zu Boden fallen und atmete schwer. Keuchend wischte er sich Schweiß und Dreck aus dem Gesicht und öffnete zitternd die Wasserflasche. Aus Leibeskräften trank er. Erst als er sich von der Anstrengung einen Moment erholt hatte, fand er Gelegenheit, seine Umgebung genauer wahrzunehmen. In dem großen Talkessel standen einige gigantische Felsen, ansonsten war die Senke komplett leer. Nicht einmal Moos wuchs hier, der Boden bestand nur nackter, lehmfarbener Erde. Noch immer erschöpft von der Anstrengung des Weges, musste Harry sich an einem der großen Felsen abstützen, als er aufstand. Leichter Schwindel überkam ihn, und es dauerte einen Moment, bis er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Oder zumindest glaubte, das Gleichgewicht wiedergefunden zu haben, denn der große, massive Fels schien sich gemächlich auf und ab zu bewegen. Auch fühlte er sich, das merkte Harry nun, wesentlich wärmer an, als ein Stein zu sein hatte. Erschrocken ließ er ihn los, taumelte ein paar Schritte zurück und fiel beinah wieder zu Boden, als er bemerkte, dass es ein gigantisches Tier war, an dem er sich abstützte.
Erst jetzt fiel Harry auf, dass der zusammengekauerte, schlafende Opalauge keinerlei Ähnlichkeit mit den Felsen hatte. Seine Schuppen schillerten perlmuttartig, und ab und zu ließ er im Schlaf eine leuchtkräftige, scharlachrote Flamme aus seinen Nüstern hervor blähen. Der Drache hatte keine Ähnlichkeit mit dem ungarischen Hornschwanz, dem Harry sich fünf Jahre zuvor hatten stellen müssen. Der Opalauge war wesentlich kleiner und machte schlafend einen so friedlichen Eindruck, dass Harry ihn nicht angreifen wollte. Während er noch untätig seinen Zauberstab in der Hand drehte, wurde ihm die Entscheidung abgenommen: Ein erwachsener Magier, den er noch nie gesehen hatte, und Maurice, der Aurorenschüler aus Frankreich, stürzten wild und laut schreiend aus dem Dickicht ins Tal hinab, während sie sich gegenseitig alle möglichen Flüche an den Kopf warfen, die schrecklich schlecht gezielt waren. Sich wild duellierend schossen auch zwei Fluche geradewegs in den Bauch des Opalauges hinein. Auch wenn es sich offenbar um einen Jungdrachen handelte, war seine Haut sehr resistent gegen Magie und die Flüche prallten ohne Wirkung zu hinterlassen von ihm ab, genügten jedoch um den Drachen aus seinem Schlaf zu reißen. Wie eine gigantische Echse erhob er sich, spannte die Flügel, riss das Maul mit den gelben Fangzähnen weit auf und ließ einen ohrenbetäubenden Schrei ertönen, der so gigantisch war, dass Harry sich die Ohren zuhalten musste. Starr vor Schreck schauten Maurice und der andere Zauberer auf den Drachen, bevor sie sich rasch (und ohne Kampfhandlung) wieder ins Dickicht zurückzogen. Der Opalauge ließ eine Stoßflamme aus seinen Nüstern aufsteigen. Harry meinte, verbrannte Luft zu riechen, als das monströse Wesen seinen Blick auf ihn richtete. Die pupillenlosen Augen blickten Harry mehrere Momente lang unverwandt an. Auch Harry konnte nicht seinen Blick von ihm wenden, zu gefangen war er von dem Anblick. Es war zwar nur ein Jungdrache, aber er mochte auch fünf Meter lang sein und sicherlich zwei Tonnen wiegen. Erst als der Drache sich weiter aufbäumte und mit seinem Schwanz zuschlug, konnte Harry reagieren. Reflexartig sprang er zur Seite und es gelang ihm, dem Hieb des Tieres auszuweichen. Schnell rappelte er sich hoch und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, um die Ecke und zu einem der nächsten Felsen, hinter dem er rasch in Deckung ging. Wieder brüllte der Drache und stieß eine Flamme Harry hinterher, doch der große Stein wehrte den Feuerangriff ab. Der Opalauge hatte Harry gemustert und ihn wohl als zufriedenstellende Abendmahlzeit eingeschätzt. Harry keuchte. Er hatte noch nicht den geringsten Gedanken daran verschwendet, wie er dem Vieh das Blut abnehmen wollte. Damals war es nur darum gegangen, an dem Drachen vorbeizukommen, und selbst das hatte er nur mit Glück und seinem Flugbesen geschafft. Jetzt ging es darum, den Drachen zu töten oder zumindest zu betäuben.
„Was haben die anderen Champions beim Turnier noch mal getan?“, überlegte Harry fieberhaft. „Ron hat's mir doch erzählt, was haben die noch mal...“ Doch es gelang ihm nicht, den Gedanken zu Ende zu denken, er hörte, wie der Opalauge die Schwingen ausgebreitet hatte und in die Lüfte stieg. Harry rannte aus seinem Versteck hervor und schoss einen Zauber auf das fliegende Monster, der allerdings daneben ging. Ein zweiter Fluch traf ihn in die Brust, prallte aber wirkungslos ab.
„Verdammt!“, fluchte Harry und rannte weiter, um dem Drachen kein zu einfaches Ziel zu bieten. Ein weiter Flammenstoß hatte ihm beinah die Haare versengt. Er blickte hoch zum über ihm schwebenden Opalauge, doch gegen den hellen, fast weißen Himmel konnte er den Drachen trotz seiner Größe kaum noch erkennen. Bis er sich rasend vergrößerte und hinab auf ihn zu schoss. Mit einem Hechtsprung gelang es Harry, dem Angriff auszuweichen, er stolperte jedoch dabei und fiel der Länge nach zu Boden. Wieder ertönte ein gigantisches Brüllen. Harry wirbelte herum, als der Drachenschwanz bereits ein zweites Mal auf ihn zustieß und diesmal sein Ziel traf. Harry stöhnte schmerzerfüllt auf, als ein langer Stachel sich glattweg durch seinen Brustpanzer bohrte und ein Stück in seinen Bauch hinein, direkt an der Stelle, in die ihn zwei Jahre zuvor bereits die Chimäre getroffen und beinah getötet hatte. Harry hustete und meinte Blut zu schmecken, als der Drache erneut ein Brüllen ertönen ließ. Harry umklammerte seinen Zauberstab und schoss einen weiteren Fluch in Richtung seine Richtung, ob er den Opalauge jedoch wirklich getroffen hatte, konnte er hinterher nicht sagen. Als der Drache ein weiteres Mal brüllte, sah Harry überrascht auf. Es klang beinah nach Schmerz. Während er sich aufrappelte und sich stöhnend die schmerzende Wunde im Bauch hielt, sah er, wie eine ebenfalls in weinrot gekleidete Gestalt einen pechschwarzen Fluch nach dem anderen gezielt in die Augen des Drachen schoss. Er schrie auf vor Schmerz und stieß Chris eine Stichflamme entgegen. Nur knapp konnte dieser ausweichen, sein Umhang wurde jedoch komplett versengt.
„Harry, jetzt hilf mir doch endlich mal!“, schrie er, als nun er dem Schwanz des Drachen ausweichen musste. „In die Augen! Schieß die Flüche in seine Augen!“ Harry hob seinen Zauberstab und schoss einen ebenfalls pechschwarzen Fluch in das rechte Auge des Drachen. Wieder schrie er auf, als Chris sich wieder gesammelt hatte und Harry zur Hilfe kam. Gemeinsam schossen die beiden einen Fluch nach dem anderen direkt in die Augen des Drachen. Der Drache heulte vor Schmerz, doch Harry und Chris dachten nicht daran aufzugeben. Der monströse Gegner faltete duckend die Schwingen ein und es dauerte nicht lange, bis seine baumstammdicken Beine vor Erschöpfung einknickten, und der Drache mit einem großen Donnern wie leblos zu Boden fiel.
Zitternd gaben auch Harrys und Chris' Knie nach und sie stürzten zu Boden.
„Ist er...tot?“, fragte Harry keuchend.
„Glaub ich nicht...“, schnaufte Chris. „Ich denke, er ist k.o.“ Über sein Gesicht zog sich eine lange Schramme und seine Trainingskleidung war über und über mit Schlamm und Dreck beschmiert, doch Harry ahnte, dass er kaum besser aussehen konnte. „Und sonst? Wie läuft's so?“, grinste Chris.
„Geht so...Mann, war das ein Brocken...“
„Das kannst du laut sagen...und das ist noch ein junger Drache...“
„Danke für deine Hilfe.“, meinte Harry, dem erst jetzt einfiel, dass Chris ihm gerade das Leben gerettet hatte.
„Schon okay...aber normalerweise macht man sich erst mal nen Plan, bevor man nen Drachen angreift, Potter!“
„Ich hab ihn gar nicht angegriffen!“, verteidigte Harry sich und erzählte die Geschichte von Maurice und dem Zauberer mit dem sich dieser duelliert hatte.
„Blöde Franzosen!“, entgegnete Chris nur. „Sie hätten dir wenigstens helfen können...ganz schön hart, die Zwischenprüfung, oder?“
„Hm...“, murmelte Harry. „Immerhin komm ich jetzt an das Drachenblut...“ Chris, der vor Erschöpfung die Augen geschlossen hatte, öffnete das eine wieder.
„Drachenblut?“, wiederholte er, und versuchte sein stark hämmerndes Herz unter Kontrolle zu bringen. Der Kampf gegen den Drachen hatte ihm mehr abverlangt, als er erwartet hatte. „Du sollst Drachenblut besorgen?“
Harry nickte und öffnete die Schnüre seines Brustpanzers. Als er die Wunde an seinem Bauch endlich freigelegt hatte, tupfte er das Blut mit einem Taschentuch ab und ließ die Wunde verheilen.
„Das solltest du aber nachher noch mal untersuchen lassen...“, meinte Chris, der ihn beobachtet hatte. „Die Drachenklauen sind nicht giftig, aber damit ist auch nicht zu spaßen.“ Harry nickte. „Vielleicht lassen sie dich ins St. Mungo!“, fügte Chris grinsend hinzu. „Zu einer ganz besonderen Heilerin...“
„Dafür würd ich glatt noch mal gegen den Drachen kämpfen!“, meinte Harry, während er das neue und ebenfalls blutbefleckte Taschentuch noch zusätzlich um die Affodillwurzel in seinem Rucksack herum band.
„Hier nimm das fürs Drachenblut!“, rief Chris und warf ihm ein Messer zu. „Ich weiß, dass du keins hast, und mit Zaubern wirst du die Haut des Drachen nicht auf bekommen.“
„Danke...“, nickte Harry und ging zögernd auf den Drachen zu, in der einen Hand die leere Phiole, in der anderen Chris' Messer. Er blieb einen Moment lang vor dem bewusstlosen Geschöpf liegen.
„Komm Harry, nur ein kleiner Schnitt.“, ermunterte ihn Chris. „Nimm am besten die Bauchseite.“
Harry nickte und stieß das Messer zwei Fingerbreit in den Bauch des Tieres. Der Opalauge zuckte, regte sich aber nicht weiter, und sehr dickflüssig und in weitaus größerer Menge als er erwartet hatte, rann das dunkelrote Blut aus der Wunde hinein in Harrys Phiole. Schnell war sie mit Drachenblut gefüllt und Harry verkorkte sie ordentlich.
„Episkey!“
Der Heilzauber hatte jedoch keine Wirkung, die Wunde des Drachen verheilte nicht.
„Lass gut sein, Harry!“, versicherte Chris. „Der Opalauge wird überleben, der kleine Kratzer wird ihm nichts ausmachen.“
„Ist eigentlich ein schönes Tier...“, murmelte Harry.
„Hm...“, machte Chris nur. „Gib mir mal das Messer.“ Kaum hatte er es zurück, stieß er es kraftvoll in den Schwanz des Drachen, direkt hinter die lange Klaue, die Harry zuvor erwischt hatte. Er durchtrennte die Sehnen und hebelte die Klaue vorsichtig aus dem Fleisch des Drachen heraus.
„Mein letzter Gegenstand...“, grinste er dabei. „Die Klaue eines Drachen. Wie steht's bei dir?“
Während sie gemeinsam das Tal (und vor allen Dingen den Drachen) verließen und sich zurück in den Dschungel schlugen, erzählten Harry und Chris sich gegenseitig, was sie bereits erlebt hatten. Chris wäre beinah von einem Schlammloch erstickt worden und hatte sich mit einem der Zauberer ein langes Duell geliefert, bei dem mehrere der um sie stehenden Bäume Brandlöcher erleiden mussten. Neben der Drachenklaue hatte er eine junge Alraune beschaffen müssen (die er mit einem Schweigezauber belegt hatte) und eine Ampulle mit Bubotubler-Eiter.
Sie legten ein ganzes Stück weiteren Wegs in Richtung Süden zurück.
„Ich brauch noch einen Bowtruckle...und zwar lebend...“, meinte Harry missmutig. „Moody hat gesagt, die gibt es überall hier im Wald, aber ich hab erst einen einzigen getroffen.“
„Ach echt? So ein Mist, ich hab schon dutzende von denen gesehen!“, behauptete Chris. „Hätte ich das gewusst, hätte ich dir einen mitgebracht.“ Das war gelogen, er hatte bisher keinen einzigen Bowtruckle zu Gesicht bekommen, aber er wollte Harry nicht noch mehr entmutigen. „Komm schon, du hast das Blut eines Drachen besorgt, da wird ein Bowtruckle doch kein Problem sein, oder?“
Als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, stürzte sich in diesem Moment eine kleine, rindenähnliche Gestalt aus einem der Wipfel der Bäume hinab und sprang auf Chris' Kopf. Er schrie vor Schmerz auf und versuchte den Bowtruckle abzuschütteln, doch dieser klammerte sich in seinen Haaren fest und wollte ihm offenbar die Augen auskratzen, bis Harry ihn mit einem Schockzauber erwischte.
„Uff...danke, Harry.“
„Kein Problem.“, nickte Harry. „Da haben wir ja endlich eins von den Biestern. Incarcerus!“ Die Fesseln, die aus seinem Zauberstab hervor beschwor, schlangen sich um den Leib des geschockten Bowtruckles.
„Erweck ihn noch nicht!“, meinte Chris. „Lass ihn lieber vor uns her schweben, er macht sonst nur Ärger. Er ist ja noch lebendig.“
„Vielleicht hast du Recht...Mobilcorpus!“ Der kleine, holzartige Körper stieg in die Luft und schwebte wie ein Geist vor den beiden her, während sie weiter in südliche Richtung gingen.
„Weißt du, du hättest auch Holzläuse als Köder benutzen können...“, meinte Chris. „Bowtruckles stürzen sich sofort auf Holzläuse...“
„Das kam ein wenig spät, Wenders!“, lachte Harry und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Der Weg war weiter, als die beiden eingeschätzt hatten, und bald schon musste die Sonne untergegangen sein und nur das Licht ihrer Zauberstäbe erhellte den Pfad, auf dem sie gingen.
„Es kann eigentlich nicht mehr weit sein...“, meinte Chris nach einer ganzen Weile. „Wir müssten...“
Doch er verstummte, als er plötzlich von hinten kraftvoll gerammt wurde. Auch Harry wurde zu Boden gestoßen, und als sie aufschauten, merkten sie, wie gigantische, haarige Spinnen eilig auf sie zu krabbelten. Die Acromantulas waren kleiner als Aragog damals gewesen war, doch es waren Dutzende. Ein schneller Schockzauber von Chris ließ eine der Spinnen erstarrt zu Boden sinken, aber an ihre Stelle eilten sofort drei neue. Im Schein ihrer Zauberstäbe sahen Harry und Chris, das die Spinnen nicht nur aus einer, sondern gleich aus drei Richtungen angelaufen kamen. Ihre Beißscheren knackten unheilvoll, und die vielen Augenpaare schimmerten Harry und Chris gleichermaßen hungrig an.
„Sie haben bestimmt unser Blut gerochen...“, murmelte Chris, während sich die beiden Rücken an Rücken stellten und mit erhobenen Zauberstäben die sich nähernden, großen Spinnen im Auge behielten. „Hilft uns jetzt auch nicht viel!“, entgegnete Harry knapp. Der Kreis der Spinnen zog sich enger und sie waren vielleicht gerade mal noch einen Schritt von ihnen entfernt. Das Licht ihrer Zauberstäbe reichte nicht weit genug, um erkennen zu können, wie lang sich die Reihen der Spinnen fortsetzten, doch selbst in weitester Entfernung meinte Harry noch rotschimmernde Augenpaare erkennen zu können.
„Und was jetzt?“, meinte Chris.
„Keine Ahnung!“, entgegnete Harry, doch da kam ihm ein Geistesblitz. Er bemühte sich (trotz der drohenden Gefahr der Imbiss einer Spinnenhorde zu werden) an nichts zu denken und rief laut: „Persequo!“ Eine bläulich-graue Kugel schoss aus der Spitze seines Zauberstabs und sprengte Richtung Norden davon. Die Spinnen verharrten, und kurz darauf musste der Köder-Zauber ein Ziel getroffen haben, denn sie ließen von ihren Opfern ab und krabbelten nach Norden davon.
„Der Köder-Zauber!“, schnaufte Chris. „Harry, du bis geni...“
„Lauf Chris, LAUF!“, schrie Harry und beide nahmen die Beine in die Hand und rannten, so schnell sie es im Dickicht nur vermochten, in die entgegen gesetzte Richtung davon, während ihnen der wild hin und herschwankende, geschockte Bowtruckle folgte. Zwei Flüche schossen wieder auf die beiden, doch sie kümmerten sich gar nicht darum, sondern liefen nur weiter. Raus wollten sie jetzt aus dem verdammten Dschungel, wo alles voller aggressiver Pflanzen und blutrünstiger Tiere war. Raus, endlich raus und fertig mit der Prüfung. Die Flüche verfehlten sie und Harry und Chris rannten und rannten ohne Pause, auch wenn beide bald heftiges Seitenstechen spürten, hörten sie nicht auf zu laufen, immer schneller und immer weiter in Richtung Süden, bis sie schließlich, fast überraschend für beide, von einem Schritt zum anderen aus dem dichten Dschungel heraus stürzten und auf dem mondbeschienen Strand ankamen. Sie liefen noch einige Schritte weiter, bis sie sich erschöpft in den Sand warfen und wild schnaufend und absolut reglos liegen blieben. Ihre Herzen hämmerten erbarmungslos gegen ihre Brust und einen kurzen Moment wurde beiden schwarz vor Augen, bis sich das Bild wieder scharf stellte und ihnen das Licht eines Zauberstabs ins Gesicht gehalten wurde, und dahinter ein grinsender Dwight auftauchte.
„Na, meine Herren? War's so schwer?“
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