Kapitel 56-Das Training der Auroren
Am Abend entzündeten die Aurorenschüler ein großes Lagerfeuer am Strand. Es war kälter geworden, und Harry genoss die Wärme der Flammen auf seinem Gesicht, als er sich sehr angeregt mit einem der Amerikaner namens Matthew über das dortige Zaubereiministerium unterhielt, während er mit einem Ohr der Musik der Südafrikaner lauschte, die eine Gitarre und eine Trommel mitgebracht hatten und ihr Spiel mit lautem, wildem Gesang begleiteten.
„Wir haben keinen Zaubereiminister so wie ihr. Unser Ministerium wird von einem Zaubereipräsidenten geleitet. Im Moment ist es...“
„Wodrow Shore, ich weiß!“, nickte Harry, der sich nach mehreren Gesprächsminuten endlich an das schnelle und undeutliche Englisch von ihm gewöhnt hatte, dass immer ein bisschen klang als ob er dabei kauen würde. „Ich hab ihn beim Weihnachtsball in der Walburgaburg kennen gelernt.“
Matthews Augen wurden groß.
„Im Ernst? Davon wusste ich gar nichts...was war denn das für ein Ball?“
„Ein Fest zur Feier von Voldemorts Vernichtung.“, erklärte Harry und ignorierte das Zusammenzucken von Matthew. „Für Mine und mich.“
„Mine? Meinst du diese...wie hieß sie noch gleich?“
„Hermine. Hermine Granger. Meine Verlobte!“, setzte er mit Nachdruck hinterher.
„Tut mir Leid. Aber wir in den USA kriegen nur wenig von diesen ganzen Sachen mit. „Du-weißt-schon-wer“ hat auch nie für allzu großes Aufsehen bei uns gesorgt. Ich glaube, er war nie in den Staaten...“
„Kann sein.“, nickte Harry.
„Und wie ist diese Hermine so?“, fragte Matthew grinsend. „Hübsches Mädchen? Gute Partie?“
„Sie ist der Wahnsinn...“, grinste Harry zurück . „Warte, ich hab ein Photo dabei...“ Er kramte ein Photo aus seinen Taschen hervor und reichte es ihm. Es zeigte Hermine wie sie lachend im Garten in Godrics Hollow saß und einem Buch blätterte. Natürlich bewegte sich das Bild und das Photo-Ich von Hermine lächelte bezaubernd ins Objektiv der Kamera.
„Wow!“, machte Matthew. „Sieht wirklich gut aus. Leihst du's mir über Nacht?“
Im Bruchteil einer Sekunde fühlte Harry wie sein Blut in Wallung geriet. Bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte, fuhr Matthew mit einem unterdrückten Schmerzenslaut nach hinten in den Sand hinein, ganz so, als hätte Harry ihm einen Schlag ins Gesicht verpasst. Stöhnend erhob er sich wieder und betastete vorsichtig seine Nase. Er legte den Kopf in den Nacken, um zu verhindern, dass sie zu bluten anfing.
„Ist ja schon gut...“, murmelte er. „War nur ein Scherz...“, versicherte er. „Mann, was war das denn schon wieder? Magische Kraft und dazu stumme und stablose Magie?“
„Sieht ganz so aus...“, nickte Harry, der nicht einsah, sich bei ihm noch entschuldigen zu müssen. „Was meine Hermine angeht, versteh ich keinen Spaß, okay? Lass das also bitte lieber.“
„Okay, ist ja gut!“, wiederholte Matthew. „Es tut mir Leid, einverstanden?“
„Akzeptiert. Sei froh, dass du nicht aufgeblasen wurdest und davon geflogen bist.“
Während Matthew ihn noch verdutzt anstarrte und Harry ihre Kelche mit Kürbissaft auffüllte, gesellten sich Chris und der norwegische Aurorenschüler namens Lars zu ihnen.
„Ist nicht wahr, dein Vater hat tatsächlich ein Gespann achtbeiniger Pferde?“, fragte dieser begeistert. „Ich liebe diese Tiere.“
„Jepp, die haben wir!“, grinste Chris ein ganz klein wenig eingebildet. „Du müsstest mal in einer von denen gezogenen Kutsche mitfahren. Ist der Wahnsinn!“
Die Feder, die von ihrer eigenen Harpyie stammte und Bellatrix zum Schreiben verwendete, kratzte mit einem ekelerregenden Geräusch über das Pergament, ganz ähnlich dem Quietschen von Kreide auf einer Schultafel, doch Bellatrix störte dies kaum noch, während sie mit dünner, spinnenartiger Schrift den Namen des nächsten Todessers notierte. Erst das Rufen nach ihrem Namen riss sie aus ihrer Trance, und beinah hätte sie das Glas mit Tinte umgestoßen, als Malfoy bereits die Eisentür zu ihrem Quartier aufriss. Der Wohnbereich von Bellatrix war spärlich eingerichtet, er beinhaltete lediglich ein schmales Bett, einen kleinen Kamin und einen groben Schreibtisch mit einem Hocker dazu. Malfoy hingegen hatte versucht, sein Quartier mit seinen Mitteln möglichst herrschaftlich und luxuriös einzurichten, wenn Bellatrix ihm schon den prunkvollen, mit Gold drapierten Raum verwehrte. Vor seinem größeren, mächtiger wirkenden Kamin stand ein giftgrüner Ohrensessel, sein Bett war größer als Bellas und auch sein Schreibtisch war stabiler und ordentlicher gezimmert als das knarzende Gerüst, an dem Bellatrix saß.
„Bella, was machst du da?“, fragte Malfoy, blickte ihr über die Schulter und las:
DIENER DES DUNKLEN LORDS
-Bellatrix Lestrange
-Draco Malfoy
-Vladimir Gregorowitsch
-Garth Russell
-Ken Beckett
-Hilbur Gaunt
Die Liste erstreckte sich noch über etliche weitere Namen, unter anderem MacMillan und Fenton sowie alle Todesser, die sie aus Askaban befreit hatten oder sich neu ihren Reihen angeschlossen hatten.
„Ich mache Inventur.“, meinte Bellatrix nüchtern. „Wir haben einige neue Anhänger, wir müssen die Übersicht behalten.“ Sie machte einen Schlussstrich unter der Liste. „Dreiundfünfzig. Eigentlich ganz ordentlich. Aber einige Namen bleiben offen.“ Durchdringend sahen ihre schwarzen Augen in Malfoys. „Was ist mit Dolohow und Rookwood? Und Nott, Avery und Macnair? Und wo ist dein Vater, Draco?“
„Sie...Sie sind wahrscheinlich nach der Schlacht von Hogwarts ebenfalls geflohen und haben uns nur noch nicht gefunden...“, stammelte Malfoy.
„Wirklich?“, fragte Bellatrix und ihr Blick bohrte sich in ihn hinein. „Oder hat dein Feigling von einem Vater dasselbe gemacht wie letztes Mal, als der dunkle Lord verschwunden ist? Sich ängstlich wieder auf die anderen Seite zu schlagen?“
„Was ist mit deinem Mann? Er ist auch nicht hier!“
„Genauso wie Thompson ist Rodolphus ebenfalls in Hogwarts getötet worden, Draco. Und sein Bruder Rabastan auch.“, erklärte sie mit tonloser Stimme.
„Oh...tut mir Leid.“
„Das tut es nicht und das braucht es auch nicht...Rodolphus war es nicht wert. Er hat nur verdient was er bekommen hat.“
Das war keine Lüge; Bellatrix hatte ihren Mann Rodolphus nie wirklich geliebt, sie hatte nur in einer standesgemäßen Ehe einen Reinblüter geheiratet. Zwar hatte sie Kingsley Shaklebolt, der Rodolphus getötet hatte, aus Rache den Todesfluch auf den Hals jagt, jedoch eher weil er einen Todesser, weniger weil er ihren Ehemann umgebracht hatte. Nach Rodolphus' Tod hatte sie keinerlei Trauer verspürt...im Grunde liebte sie nur einen einzigen Mann von ganzem Herzen. Auch wenn sie natürlich nicht zeigen durfte, dass sie ganz und gar dem dunklen Lord verfallen war.
„Was willst du eigentlich hier, Draco?“
„Ich...ich habe die Steinbrocken, die wir in der Pyramide gefunden haben, endlich zusammensetzen können...“
„Wurde auch Zeit!“, schnaubte Bellatrix. „Ist schon über ein halbes Jahr her!“
„Es ist eine Prophezeiung...hier, ich hab es übersetzt!“
Er reichte Bellatrix ein Pergamentblatt, das sie hastig ergriff und rasch überflog. Eine Todesstille breitete sich in dem kleinen Raum aus, nachdem sie zu Ende gelesen hatte. Schließlich räusperte sie sich.
„Und du bist dir sicher, dass du keinen Fehler gemacht hast?“
Malfoy schüttelte den Kopf.
Bellatrix schrie vor Freude und riss triumphierend die Arme in die Luft.
„Der dunkle Lord kehrt zurück!“, rief sie begeistert, und in ihren dunklen Augen schimmerten die Tränen. „Ich wusste es, ich wusste es!“
Sie schlang die Arme um Malfoy und drückte ihn fest an sich.
„Draco, schick alle Leute los um das Blut von Potter und der Granger zu besorgen, der dunkle Lord wird zurückkehren!“
„Bella, darf ich dich dran erinnern, dass Potter im Moment ein Aurorentraining absolviert? Wie soll ich da bitte schön an ihn herankommen?“ Missmutig zog Bellatrix die Arme wieder ein.
„Natürlich, du hast Recht...“, murmelte sie ernüchternd. „Aber trotzdem müssen wir uns das Blut so schnell wie möglich beschaffen!“
Ein gewaltiger, unmelodischer Alarmton erschütterte ganz Bangakilu Island am nächsten Morgen um fünf Uhr früh. Harry und Chris, die die erste Nacht lange nicht hatten einschlafen können (die Trennung von Hermine und Lavender war zu schlimm gewesen), fielen beinah aus ihren Betten heraus, als Owen bereits in ihre Hütte stürmte.
„Jetzt machen Sie sich schon fertig!“, meckerte er. „Der Unterricht beginnt.“
„Was? Jetzt schon?“, fragte Harry, während Chris ausgiebig gähnte. „Es ist doch erst fünf Uhr...“
„Schon ist gut. Das ist spät genug. Jetzt beeilen Sie sich!“
Hastig stürzten sich Harry und Chris in ihre Rüstungen und zwängten ihre morgendlichen Versteifungen ärgerlich in die Hosenbeine hinein.
Als sich nach einigen Minuten endlich alle Aurorenschüler (die meisten wirkten noch ziemlich verschlafen) am Strand versammelt hatten, begann Owen mit strenger Miene seinen Unterricht.
„Das hat fast sechs Minuten gedauert. Eigentlich sollten sie das unter zwei Minuten schaffen, aber das kriegen wir schon hin, denke ich. Mein Name ist Nicholas Owen, ich bin Leiter der Aurorenzentrale von Großbritannien und heute bis zum Mittag für ihr Training verantwortlich. Sie sehen alle noch sehr verschlafen aus...ich denke, Sie beginnen am besten mit einer kleinen morgendlichen Schwimmrunde, um munter zu werden. Los, runter mit den Klamotten und rein ins Wasser!“
Als die Aurorenschüler ihn noch einige Augenblicke verdutzt anstarrten, rief er zornig:
„Haben Sie mich irgendwie missverstanden? Merlin, noch eins!“
Er zog seinen Zauberstab, murmelte ein paar Worte und mit einem Schlenker seines Zauberstabs ließ er die Kleidung aller Aurorenschüler verschwinden. Panisch bedeckten alle fast gleichzeitig ihre Blöße, in vielen Fällen wohl nicht aus Scham vor der Größe ihres Gliedes, sondern, wie in Harrys und Chris' Fall, um vor den anderen ihre Morgenerektion zu verstecken. Da sie das auch mit Einsatz beider Hände nur sehr unzureichend bewerkstelligen konnten und Owen immerhin ihr eigener Lehrer war, sprangen Harry und Chris schnell und als erste ins noch eisig kalte Wasser des Meeres hinein. Rasch kraulten sie einige Meter. Das Wasser erfrischte sie, wirkte entspannend auf die Muskeln und animierte ihren Kreislauf. Kurz nach ihnen hörten sie mehrere laute Platscher und die übrigen Aurorenschüler waren ebenfalls ins Wasser gesprungen. Entweder schämten sie sich ebenfalls nackt am Strand zu stehen, oder aber sie wollten zeigen, dass Großbritannien nicht als einziger schwimmen konnte, jedenfalls schwammen, kraulten und plantschten bald darauf alle Aurorenschüler voller Begeisterung wie kleine Kinder im Meer herum. Owen sah ihnen noch einige Minuten zu wie sie sich gegenseitig mit Wasser bespritzten oder versuchten, andere mit dem Kopf unter die Oberfläche zu drücken, bis er sie zurück ans Land. Fröstelnd aber immerhin hellwach stellten sie sich in einer Reihe vor Owen auf. Das eiskalte Wasser hatte nicht nur dafür gesorgt, dass ihre Lebensgeister erwachten, sondern hatte auch gegen die Erektionen gewirkt, sodass sie sich nicht mehr allzu sehr vor ihren Mitschülern, die ja auch ebenfalls nackt waren, schämen mussten.
„So weit, so gut!“, ertönte Owens laute Stimme. „Ich komme nicht umhin festzustellen, dass sie beim Schwimmen nass geworden sind. Also ordne ich ein leichtes Jogging den Strand entlang an. Das wird sie wieder aufwärmen, trocknen und außerdem ihrer Ausdauer zu Gute kommen, die, wie Sie ja selbst wissen, ein wesentlicher Bestandteil ihres Zauberkönnens ist.“
Also liefen sie im lockeren Tempo den Strand auf und ab, immer wieder dieselben hundert Meter hin und zurück. Das Gefühl nackt zu laufen war für Harry sehr ungewohnt. Das unvermeidliche Auf und Abschwingen gewisser Körperteile dabei verlief nicht ohne Folgen: Er spürte deutlich, wie sich an der frischen Luft die Schwellkörper in seinem Penis wieder mit Blut füllten. Ärgerlich stellte er fest, dass er eine Erektion bekommen hatte, was beim Laufen zwar nicht gerade hinderlich, aber auch nicht förderlich war. Als Owen den Lauf endlich abbrach, und sie erschöpft in den Sand fielen, hatten sie das Gefühl, mindestens einen halben Marathon gelaufen zu sein. Zur allgemeinen Freude hatte Owen die Kleidungsstücke wieder erscheinen lassen, und glücklich darüber begannen sie sich wieder anzuziehen. Harry war kein Einzelfall gewesen: Kaum einer von den Aurorenschülern hatte keine Erektion beim Laufen bekommen. Während sie sich noch in ihre Brustpanzer und Hosen (vor allem Hosen!) zwängten, legte Owen die Wichtigkeit eines guten Konditionstrainings dar und verkündete, dass dies für die nächsten Wochen und Monate nun der alltägliche Frühsport vor dem Essen sein würde. Wobei er, wie er mit einem Schmunzeln erklärte, darüber nachdenke, darauf zu verzichten sie das nackt ausführen zu lassen.
Das Frühstück das alle zusammen am runden Tisch auf dem großen Platz einnehmen war unerwartet üppig und reichte von Toast über Cornflakes und Spiegeleiern bis hin zu Würstchen, Bratkartoffeln, Speck, Schwarzbrot, Obst, Müsli und Pfannkuchen. Mit großem Appetit nach der körperlichen Anstrengung bedienten sich Harry, Chris und ihre Mitschüler, und begannen im kühlen Schatten der inzwischen recht warmen Morgensonne zu frühstücken.
Noch nie war Hermine so glücklich darüber ins St. Mungo zu gehen wie an diesem Morgen. Ablenkung von ihrer Trennung zu Harry war genau das, was sie jetzt am sehnlichsten nötig hatte, und da war ihr die Arbeit im Hospital mehr als Recht. Trotz des Weins und des langen Abends mit Lavender und Julia war es ihr ebenso wie Harry sehr schwer gefallen, die erste getrennte Nacht einzuschlafen. Seit sie sich nach Harrys Seitensprung wieder versöhnt hatten, seit beinah sieben Monaten, hatten die beiden jede einzige Nacht miteinander verbracht.
An diesem Tag waren Julia und sie wieder als praktische Heilerinnen für die Abteilung Fluchschäden eingeteilt. Also ging Hermine voller Arbeitseifer in ihre Praxis und zog die Krankheitsakten hervor, die Cornelia, ihre Heilerassistentin, schon bereitgelegt hatte. Es waren nicht ganz so viele Patienten, wie Hermine es gern gehabt hätte, denn je mehr sie hier zu tun hatte, desto weniger würde sie unter der Trennung von Harry zu leiden haben. Seufzend zog sie sich den weißen Heilerkittel an und streifte den limonengrünen Umhang des St. Mungo Hospitals über. In diesem Moment klopfte es an ihrer Tür und Cornelia steckte den Kopf hinein.
„Guten Morgen, Hermine. Kann ich dir den ersten rein schicken?“
„Morgen, Cornelia. Sicher, nur zu. Der Junge, dem die Finger verschwinden, nicht wahr?“
Bis zum Mittag übten die angehenden Auroren unter Aufsicht von Owen weiterhin Flüche und Zauber aus, teils an Gegenständen, teils an sich selbst. Owen ging zwischen den Reihen umher und kontrollierte sie dabei. „Wenn Sie ein Bein nach vorn und eins zurückziehen, können Sie die Stärke ihrer Flüche noch erhöhen. Ihre Füße müssen dabei komplett parallel zueinander stehen!“, erläuterte er. „Wenn Sie dabei ein wenig in die Knie gehen, können Sie Ihre Treffsicherheit besser kontrollieren. Nein, Garibaldi!“, wies er einen italienischen Aurorenschüler zurecht. „Das Bein das sie nach vorne ziehen muss immer entgegen ihrem Zauberstabarm gesetzt sein, Sie müssen das linke Bein nach vorne ziehen. Ja, genau so. Gut!“ Zufrieden sah er zu, wie seine Schüler ihre Arbeit besser machten.
„Legen Sie den Zeigefinger an das Holz des Zauberstabs an. Das ermöglicht eine exaktere Zielerfassung. Sehr schön!“, lächelte er. „Der häufige Gebrauch von Flüchen macht sie sowohl einfacher zu wirken als als auch effektiver! Je öfter Sie einen Zauber einsetzen, umso besser werden Sie ihn beherrschen!“
Auf diese Sicht hin trainierten die Aurorenschüler selbst einfachste Flüche und wiederholten so ziemlich alle Zauber, die Harry, Chris und die meisten ihrer Kommilitonen bereits kannten.
Hermine saß bereits im Aufenthaltsraum und wartete ungeduldig, als Julia endlich und viel zu spät zur Mittagspause hereinkam. Trotzdem grinste sie über beide Ohren.
„Na, das wurde aber auch Zeit. Ich hab extra auf dich gewartet!“ Ärgerlich deutete sie in Richtung ihres mittlerweile knurrenden Magens.
„Tut mir Leid!“, sagte Julia und konnte sich dabei ein Lachen nur mühsam verkneifen. „Ich hatte noch einen...einen Notfall.“
„Und? Worum ging's?“
„Na ja...“, grinste Julia, setzte sich neben sie und nahm sich ebenfalls von dem Salat mit Putenstreifen, den Hermine gemacht hatte. Die beiden hatten sich darauf geeinigt, abwechselnd das Mittagessen für den Tag zuzubereiten und sich die Portion dann zu teilen.
„Hm...der Salat schmeckt gut!“, meinte Julia, nachdem sie ein Stück probiert hatte.
„Jul, was war das nun für ein Notfall?“, wollte Hermine neugierig wissen. Sicherheitshalber blickte Julia sich noch einmal um ob jemand zuhörte.
„...kennst du diesen Masturbationszauber für Männer?“
„Nein.“, schüttelte Hermine den Kopf. „Was ist das?“
„Masturbation ist wenn man keinen Geschlechtspartner zur Hand hat und sich deswegen selbst...“
„Merlin, ich weiß was Masturbation ist!“, herrschte Hermine sie an.
„Also, dieser Zauber bewegt die Vorhaut des Mannes vor und zurück als ob er es sich selbst mit der Hand machen würde.“, erklärte Julia im sachlichen Ton und spießte ein Stück Putenfleisch mit ihrer Gabel auf. „Und normalerweise hört der Zauber von selbst auf, wenn der Mann abgespritzt hat. Nun, bei dem jungen Mann von heute Morgen, er war siebzehn, hatte der Zauberspruch nicht aufgehört, sondern einfach weitergemacht.“
Hermine verzog schmerzhaft das Gesicht.
„Und?“
„Na ja, als er bei mir in die Praxis kam, war es immer noch so, als ob er permanent masturbieren würde...“, erzählte Julia mit einem Grinsen. „Ich hab's dann behoben, aber er war trotzdem ziemlich wund danach. Und Merlin, was war ihm das peinlich!“
„Kann ich aber verstehen!“, dachte Hermine, die während sexueller Enthaltsamkeit solche Geschichten nicht gern hörte, weil sie sie (unabsichtlich) aufwühlten. Es war nicht direkt Erregung, mehr Anheizen. Sie beschränkte sich auf ein Nicken. Zum Glück brach Julia das Schweigen wieder.
„Wie war's denn bei dir so? Schwierige Fälle?“
Nach dem Mittagessen und der Ruhepause widmeten sich die Aurorenschüler unter Anleitung von Dwight der geistigen Konzentration, die, wie er ausdrückte „...von äußerster Wichtigkeit für die Zauberkraft“ sei.
„Ich frage mich langsam was nicht von äußerster Wichtigkeit für die Zauberkraft ist!“, murrte Chris, folgte aber ebenfalls den Konzentrationsübungen.
„Verschließen Sie Ihren Geist!“, wies Dwight sie an.
„Erinnert mich an Okklumentik...“, murmelte Harry Chris zu. „Obwohl, damals...“
„Potter, seien Sie still und konzentrieren Sie sich! Nur still sitzen, an nichts denken und konzentrieren, das ist alles was ich will!“
Harry musste feststellen, dass an nichts zu denken und sich gleichzeitig zu konzentrieren unheimlich schwierig war. Bisher hatte er angenommen, dass man sich nur auf eine Sache, die man gerade im Kopf hatte, konzentrieren konnte, und nicht völlig ohne Gedanken.
„Jetzt wollen wir uns ein bisschen im Duellieren üben!“, meinte Dwight, als das Konzentrationstraining endlich abgeschlossen war. „Von jetzt an werden wir jeden Abend ein großes Duell-Turnier veranstalten, bei dem sie gegeneinander antreten werden.“
„Wir sollen gegen unsere eigenen Mitschüler kämpfen?“, fragte einer der Aurorenschüler.
„Das ist das beste Training das es gibt!“, behauptete Dwight. „Angriffs- und Verteidigungszauber werden bei dieser Übung gleichermaßen geschult, sowie das Erkennen und Ausweichen von Kampfzaubern. Heute Vormittag haben sie sämtliche Zauber und Flüche trainiert, die Sie nun in der Praxis anwenden sollen.“
Da es sich um immerhin vierundfünfzig Kontrahenten handelte, dauerte das Turnier eine längere Zeit, insbesondere, da Dwight darauf bestand, dass immer nur ein Kampf auf einmal ausgeführt wurde, damit die übrigen Aurorenschüler genauestens die Bewegungen und Techniken der Kämpfenden beobachten konnten. Die Regeln des Duells waren ziemlich einfach: Wer verloren hatte, war ausgeschieden. Gekämpft wurde solange, bis acht Kontrahenten übrig geblieben waren, die im Finale aufeinander trafen.
Harry nahm auf einer Bank Platz und erwartete sein erstes Duell. Einige Kämpfe dauerten wenige als eine Minute, andere zogen sich bis zu einer Viertelstunde und länger hin. Missmutig sah Harry auf den Pergamentzettel, den er gezogen hatte. Er hatte die neununddreißig, und sie waren erst beim siebten Kampf angelangt.
„Das kann ja noch ne Weile dauern...“, seufzte er.
„Hast du ne Ahnung...“, meinte Chris, der neben ihm saß und auch wenig Interesse an dem Kampf eines russischen Aurorenschülers gegen einen italienischen zeigte, die beide permanent Schildzauber hervorriefen und den Kampf dadurch unnötig in die Länge zogen ohne einen einzigen Treffer zu landen. „Ich hab Nummer zweiundfünfzig, was meinst du, wie lange das noch dauert?“
Der Kontrahent aus Russland hatte den Italiener jetzt mit einem Schockzauber, der ihn in den Bauch getroffen hatte, zu Boden geschickt und war damit eine Runde weiter. Kämpfer fünfzehn (Südafrika) und Kämpfer sechzehn (Deutschland) betraten den Duellplatz und erhoben erwartungsvoll ihre Zauberstäbe, als Dwight das Startsignal gab.
„Guten Abend, Harry!“, hörte Harry plötzlich eine müde, alte Stimme direkt neben sich. Er blickte zur Seite und durch die Gläser einer halbmondförmigen Brille hindurch direkt in die leuchtend blauen Augen von Albus Dumbledore. Wohlwollend lächelte er Harry an. Er trug einen gleichfarbigen, leuchtenden Umhang in den glitzernde, silberne Monden gestickt waren.
„Professor Dumbledore!“, rief dieser überrascht. Einige Aurorenschüler wandten den Kopf in Richtung des fremden, alten Mannes. „Was machen Sie denn hier?“
„Schauen, wie du dich so machst...“, gluckte Dumbledore, änderte seinen Gesichtsausdruck allerdings sogleich in eine ernstere Miene. Er beugte sich ganz dicht zu Harry vor und flüsterte:
„Ich muss mit dir sprechen, Harry. Allein.“
Harry nickte. Er ahnte, dass es wichtig sein musste.
„Kommen Sie.“
In Harrys und Chris' Hütte setzten sich die beiden gegenüber in die gemütlichen Ohrensessel.
„Es handelt sich um Folgendes, Harry...“, begann Dumbledore. „...ich habe...Nein, lass mich anders anfangen. Ich möchte mit dir über deine beeindruckende Rettungsmission von Miss Brown sprechen.“
„Da war ne Menge Glück dabei!“, erklärte Harry. „Ich...“, doch er verstummte, als Dumbledore beschwichtigend die Hand hob.
„Harry, als du in Afrika warst, bist du da zufällig auf eine andere magische Pyramide gestoßen, als die, in der die Todesser Stellung bezogen hatten?“ Harry nickte.
„Ja, Sir.“
„Hast du Sie betreten?“
„Ja, das haben wir. Hermine und ich.“
„Sind dir zufällig in dieser Pyramide merkwürdige Hieroglyphen aufgefallen? Hast du irgendwo deinen oder Voldemorts Namen lesen können?“ Wieder nickte Harry.
„Hermine und ich haben eine Prophezeiung gefunden...“
Die Augen seines ehemaligen Schulleiters blickten ihn scharf unter den Augenbrauen hervor an.
„Du weißt, dass es eine Prophezeiung war...Habt ihr sie übersetzt?“
„Ja. Sie besagte, dass ich Voldemort besiegen kann, wenn ich bis zu unserem finalen Kampf meine wahre Liebe gefunden habe.“ Harry senkte den Blick. „Und auch dass Voldemort ein zweites Mal zurückkehren würde. Mit einem unbekannten Kampfergebnis.“
„Mr. Fawcett hat mir vor einigen Tagen von dieser Prophezeiung erzählt.“, nickte Dumbledore. „Er hat sie ebenfalls in Afrika in eben jener Pyramide gelesen, in der ihr beide gewesen seid.“
Eine merkwürdige, drückende Stille breitete sich im Raum aus. So lange, bis Harry es nicht mehr aushielt und sich räuspernd bemerkbar machte.
„Heißt das...heißt das, Voldemort wird ganz sicher zurückkehren? Und wir können nichts dagegen tun?“
Dumbledore seufzte.
„Ich fürchte nicht, mein Junge. Prophezeiungen sind gebunden an das Schicksal. Und das Schicksal lässt sich nun mal leider nicht verändern. Wir wissen nicht wann und nicht wo, aber wir wissen, dass der dunkle Lord zurückkehren wird.“
„Verdammter Mist!“, fluchte Harry.
„Weiß noch jemand außer euch beiden von dieser Prophezeiung?“, fragte Dumbledore.
„Wir haben es niemandem erzählt, nicht mal Lavender oder Chris.“, antwortete Harry. „Ich hab auch dafür gesorgt, dass niemand nach uns mehr die Prophezeiung lesen konnte. Ich hab sie weg gesprengt.“
„Hast du die einzelnen Bruchstücke noch zerstört oder mitgenommen?“
Harry hatte plötzlich das Gefühl, er befände sich im freien Fall in bodenlose Tiefe.
„Meinen Sie...meinen Sie, die Todesser könnten die Stücke gefunden und zusammen gesetzt haben?“
„Möglich...“, nickte Dumbledore. „Nicht unmöglich!“, fügte er noch hinzu.
„Hätte ich daran doch gedacht!“
„Mach dir keine Vorwürfe, Harry.“ Wohlig streckte er sich auf dem bequemen Ohrensessel. „Der erste Teil der Prophezeiung war mir bekannt!“, erzählte er. „Er war ein Teil von Sybills Vision, dass du nur dann Voldemort besiegen könntest, wenn du bis dahin deine wahre Liebe gefunden hast.“
„Das haben Sie mir damals aber nicht erzählt!“, bemerkte Harry.
Dumbledore lächelte schwach.
„Und dich noch mehr als ohnehin schon unter Druck setzen? Dich gewissermaßen, dazu zu zwingen, zu einem Mädchen Gefühle wie Liebe zu empfinden, nur damit du auf Voldemort vorbereitet bist? Nein, das konnte ich nicht tun. Und es hätte sowieso nicht funktioniert, denn erzwungene Liebe ist niemals das wahre wie echte Zuneigung. Das einzige was ich tun konnte, war euch wenig zu unterstützen.“ Dumbledores Blick fokussierte Harrys. „Deshalb haben Severus, den ich eingeweiht hatte, und ich alles daran gesetzt, deine Beziehung zu Miss Granger zu unterstützen. Ich muss dir sicher nicht erklären, dass ein gemeinsames Schlafzimmer in Hogwarts auch für das Schulsprecherpaar eher unüblich ist. Zudem hat Severus uns Veritaserum und das Gefühls-Denkarium zur Verfügung gestellt um euch über eure Beziehungskrisen hinweg zu helfen. Als abschließenden Test habe ich dich drei Monate lang von Miss Granger getrennt. Ich musste ausschließen können, dass eure Liebe nur eine flüchtige Affäre ist. Deshalb wurdest du zu einem scheinbaren Training geschickt.“ Der alte Mann hustete und rückte seine Brille gerade. „Natürlich hatte es auch einige positive Nebenwirkungen, aber der Hauptgrund war nicht etwa dich auf den Kampf mit Todessern vorzubereiten, sondern zu überprüfen ob deine Liebe zu Miss Granger auch wahr und ehrlich ist. Ob sie stark genug ist, um Voldemort zu besiegen.“
Harry starrte ihn an.
„Und sie haben daran gezweifelt?“
„Ich konnte es zumindest nicht beschwören!“, gab Dumbledore zu. „Dafür begann alles zu schnell zwischen euch beiden.“
In Harrys Kopf kämpften zwei Gedanken gegeneinander. Zum Einen, dass Dumbledore alles getan hatte um ihnen zu helfen und sie im Kampf gegen Voldemort vorzubereiten, zum Anderen, dass er ihn belogen, getäuscht und seine Liebe zu Hermine in Frage gestellt hatte, die, trotz aller Widrigkeiten und Probleme, die sich durch Parvati, Krum, Cho und auch Christina Hopkins gebildet hatten, unverändert stark und mächtig geblieben war. Wie eine erstickende Decke lag über diesen Überlegungen die nagende Erinnerung, dass Voldemort eine dritte Schreckensherrschaft beginnen würde, worüber er, seit er mit Hermine in der Pyramide davon gelesen hatte, kaum einen Gedanken verschwendet hatte. Noch während Harry überlegte, ob er Dumbledore nun dankbar oder doch lieber böse sein sollte, erhob sich der alte Mann, stieß die Tür der Hütte auf und blickte in den noch sonnendurchfluteten Abend hinaus.
„Ich glaube, es ist Zeit für dein erstes Duell, Harry! Viel Glück!“
Das Abendessen wurde erst serviert, als das Duell beendet war, was besonders die Verlierer der ersten Runden sehr ungerecht fanden, da sich die Kämpfe noch bis beinah Mitternacht hinzogen, sie einen sehr langen und anstrengenden Tag hinter sich hatten und sie, obwohl sie bereits ausgeschieden waren, auch den letzten Duellen („Und gerade denen!“, wie Dwight ausdrückte) zuschauen sollten. Hungrig als ob sie seit Tagen nichts gegessen hätten, fielen die jungen Männer über das Abendessen (noch recht blutige Steaks, Brot und viel Salat) her und hatten das Gefühl, niemals mehr richtig satt werden zu können. Während Dwight erklärte, dass die Duelle bis auf wenige Ausnahmen in Zukunft etwas abgekürzt werden sollten und ihnen versprach, dass der nächste Tag erst um neun Uhr beginnen sollte, nahmen sich Harry, Chris und ihre Mitschüler ein zweites und auch ein drittes Mal von den köstlichen Speisen, deren Teller und Platten sich vor ihren Augen wie von Zauberhand immer wieder aufs Neue füllten. Dumbledore hatte Harry einiges zum Nachdenken gegeben, womit er sich im Moment aber nicht beschäftigen wollte. Er war sehr zufrieden mit dem Turnier, dass er von immerhin vierundfünfzig Teilnehmern nach dem Norweger Lars, einem Amerikaner namens Mark, dem Chinesen Zhu und dem Russen Alexander mit dem fünften Platz verließ. Chris hingegen hatte in seinem letzten Kampf knapp dem Deutschen Thomas unterlegen und musste sich mit Platz Sieben zufrieden geben.
Noch spät am Abend, als es bereits dunkel geworden war, ging Harry hinaus auf den Steg und die knarzenden Stufen des baufälligen Turms in die Eulenvoliere hinauf. Im Licht seines Zauberstabs funkelten ihn zwei dutzend Paare Uhu-Augen an. Er ging zu einer der Eulen und band ihr einen Brief für Hermine ans Bein. Harry hatte er ihr geschworen, gleich sofort einen Brief zu schreiben, wenn er angekommen wäre, und nun war schon der zweite Tag beinah vorbei.
„So. Bring ihn ganz schnell zu Hermine Granger noch Godrics Hollow, ja?“, flüsterte er der Eule zu. Sie schüttelte ihr Gefieder als ob sie nicken wollte, breitete die Schwingen aus und segelte in die Nacht davon. Harry blickte ihr noch eine Weile nach, wie der kleine Punkt der Eule im Mondschein rasch kleiner wurde und schließlich verschwunden war. Er seufzte und verließ die Voliere wieder. Obwohl er sich so erschöpft und müde wie lange nicht mehr fühlte, hatte er das Gefühl, dass es ewig dauern würde, bis er eingeschlafen wäre.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel