Kapitel 54-Gefräßiger Sand
Harry und Chris rappelten sich auf und klopften den Sand von ihrer Kleidung. Staunend blickten sie umher. Beide konnten nicht verhindern, dass ihnen der Mund offen stehen blieb.
„Ich möchte gern, dass sie sich nun ihre Hütte beziehen, einen kurzen Moment ausruhen und sich pünktlich um 11.00 Uhr auf dem großen Platz einfinden.“, erklärte Owen und wies ihnen den Weg zu ihrer Unterkunft. Verwundert blickte Harry auf die Armbanduhr, die Hermine ihm geschenkt und die die Wildwassertour glücklicherweise unbeschadet überstanden hatte. Tatsächlich, es war kurz nach zehn. Sie mussten sich in einer anderen Zeitzone befinden. „Es bleibt noch genug Zeit alles kennenzulernen, ganz sicher!“, versprach Owen. „Gehen Sie nun bitte in Ihre Hütte. Ihr Gepäck befindet sich bereits dort.“
Neugierig blickten sie in alle Richtungen, als sie sich auf den Weg zu ihrer Hütte machten. Die übrigen Unterkünfte schienen noch unbewohnt zu sein. Sie mussten wohl mit die ersten zu sein. Lediglich eine kleine Gruppe von drei Männern in marineblauen Uniformen war in einiger Entfernung am Strand auszumachen. An der Hütte angekommen, sahen sie dass an der sperrigen, grob geschnitzten Holztür eine schwarze Schiefertafel hing, auf der mit weißer Kreide in kunstvoller, verschnörkelter Schrift GROSSBRITANNIEN, C. WENDERS & H. POTTER geschrieben stand. Chris öffnete die Tür und die beiden betraten ihr neues Zuhause für die nächsten sechs Monate.
Die doch sehr geräumige, kreisrunde Hütte war mithilfe von raumtrennenden Vorhängen in vier Zimmer eingeteilt. Direkt hinter der Eingangstür befand sich eine Art Wohnzimmer, das mit einem winzigen Kamin und zwei Ohrensesseln sehr gemütlich wirkte. Daneben war ein Badezimmer, ausgestattet mit Waschbecken, Toilette und sogar einer Badewanne. Die zwei hinteren Bereiche wiesen eine komplett identische Ausstattung auf: Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein Stuhl und ein Bücherregal, alles aus demselben, Bambus ähnlichem Holz, aus dem auch die Hütte gebaut war. Chris schob den Vorhang der die beiden Viertel trennte zurück, sodass sie sich nun zu zweit in einem großen Raum befanden. Ihre Reisetaschen warteten bereits am Fuß ihrer Betten ungeduldig darauf ausgepackt zu werden, aber keiner von ihnen verspürte Lust dazu. Sie warfen sich auf die Federkernmatratzen und starrten ins Bambusdach hinein. Langes Schweigen folgte, bis Harry schließlich zu seufzen begann.
„Irgendwas fehlt, nicht wahr?“, murmelte Chris.
„Irgendwer.“, verbesserte Harry, und dann, nach einer kurzen Pause: „Apparieren funktioniert wohl nicht...“ Chris lachte.
„Nee, bestimmt nicht! Das wäre zu einfach.“
„Was soll der Scheiß eigentlich?“, fragte Harry verbittert. „Was zum Henker soll es nützen, dass wir unsere Freundinnen nicht sehen dürfen? Ich denke, das ist gut für die magische Kraft, wenn man sexuell ausgelastet ist...“
„Eigentlich schon...“, nickte Chris. „Aber vielleicht wollen Sie genau das nicht. Wer weiß, vielleicht ist das Training dann effektiver...und wir können mächtigere Magie wirken, wenn wir erst wieder von unseren Mädchen beansprucht wurden.“
„Kann sein...“, stimmte Harry zu. „Aber dazu wäre bei mir nicht ein Jahr nötig...ein Monat würde völlig ausreichen.“
„Wem sagst du das? Aber ein bisschen haben wir ja vorgesorgt, nicht wahr, Kumpel?“
Harry grinste.
„Ja, ein bisschen schon. Ein paar Tage sollten schon zu schaffen sein...“
„Lav hat mir ja Flohpulver mitgegeben...“, erzählte Chris. „Nur für den Fall...aber der Kamin ist doch ein bisschen zu klein. Außerdem haben sie die Kamine hier wohl kaum an das Flohnetzwerk angeschlossen...“
„Nö...wohl kaum...“ Einige weitere Augenblicke, in denen beide ihren eigenen Gedanken nachhingen, vergingen schweigend.
„Wollen wir uns ein bisschen die Insel angucken?“, fragte Chris schließlich. „Wir müssen ja nicht noch ne halbe Stunde hier rumlungern.“
„Einverstanden!“, nickte Harry.
Als sie die Hütte verließen hätten sie beinah drei Personen über den Haufen gerannt, die sie auf der Türschwelle erwarteten. Ohne Zweifel waren es die drei Zauberer, die sie bereits kurz von weitem bemerkt hatten. Ihr marineblauer Brustpanzer mit dazugehörigem Oberschenkelschutz, der exakt der Machart ihrer eigenen Rüstung entsprach, war unverwechselbar. Hose und Ärmel der drei waren weiß, der Umhang mitternachtsblau und sehr argwöhnisch betrachteten sie ihre neuen Trainingskollegen. Sie waren von mittlerer Größe und durchschnittlicher Statur. Zwei von ihnen hatten hellbraune Haare, der dritte weißblonde und erinnerte Harry unangenehm an Malfoy. Hämisch grinste er die beiden an.
„Da sind ja unsere Mitschüler aus England! Wollten eusch nur einmal begrüßen kommen...“ Seine Augen huschten für einen kurzen Moment über Harrys Blitznarbe. „Oh, der berühmte 'arry Potter persönlisch! Was für eine Ehre!“ Er machte eine spöttische Verbeugung vor Harry, die die anderen beiden ohne viel Federlesens sofort kichernd nachmachten.
„Danke.“, entgegnete Harry trocken. „Darf ich jetzt gehen?“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Chris bereits die Muskeln spannte und seine rechte Hand auf dem Griff seines Zauberstabs ruhte. Er wusste nicht, ob Chris ebenso wie Lavender Franzosen nicht recht leiden konnte, aber er wusste ganz genau, dass Chris es verabscheute dumm angemacht zu werden.
„Moment, nischt so schnell! Eigentlich hatten wir angenommen, dass der Beitrag Großbritanniens an Aurorenschülern wenigstens so groß wie der Frankreischs sein würde.“ Missbilligend musterte er Harry und Chris. „Aber anscheinend gibt euer Land nischt so viele begabte Zauberer her, nischt wahr?“
„Vielleicht sind in Großbritannien die Anforderungen an zukünftige Auroren nur sehr viel höher als zum Beispiel in Frankreich!“, mischte sich Chris ein. Mit festem Blick bohrte er sich in die Augen des Franzosen, der eine Spur Rot im Gesicht wurde.
„Was weißt du schon von den Zulassungsbedingungen in Frankreisch?“, polterte er.
„Ich weiß, dass es zumindest in Spanien üblich ist, die Aurorenausbildung in „Frankreisch“ anzutreten, wenn das eigene Zaubereiministerium einen ablehnt!“, erwiderte Chris.
„Sieht einer von uns aus wie ein Spanier?“
„Wie wär's, wenn du dich erst einmal vorstellen würdest?“, schlug Harry vor.
„Meinetwegen...mein Name ist Maurice Houdon...“
„Klingt wie ein Gewürz...“, murmelte Chris. „Harry, reisch mir doch noch mal was von dem Houdon, s'il vous plait?“
Harry verpasste ihm einen leichten Stoß in die Rippen.
„...und das hier sind meine Freunde und Mitschüler Louis Cézanne und Marcel de l'Orme.“
Erwartungsvoll schauten Maurice, Louis und Marcel Chris an, bis Harry ihm einen weiteren Rippenstoß verpasste.
„Ich bin Christopher Wenders.“
„Schön, da wir uns noch bekannt gemacht haben, möschte isch trotzdem gern wissen, ob Englands Aurorenschüler sisch mit Frankreischs Aurorenschülern messen können.“
„Soviel ich weiß hat zumindest Hogwarts das trimagische Turnier gewonnen, und nicht Beauxbatons.“, meinte Harry.
„Das ist fast fünf Jahre 'er!“, erwiderte Maurice mit finsterem Blick.
„Hat denn einer von euch den Orden der Merlin, erster Klasse?“, grinste Chris. „So wie Harry?“
„Schluss mit dem Geschwätz! Was 'altet ihr von einem kleinen Duell?“
„Na schön...“, entgegnete Chris siegessicher. „Ihr werdet ja sehen, was ihr davon habt!“
Ein ausreichend großer Platz war schnell ausgemacht: Der Strand wand sich um eine Biegung hinter einigen, schroffen Felsen und direkt dahinter war ein kleines Tal, eine Senke, die als Duellplatz ganz ausgezeichnet war. Zur Seite des Dschungels hin wurde sie umrahmt von einigen mächtigen Dornenbüschen.
„Okay, wer macht den Anfang?“, fragte Chris.
„Losen wir es aus!“, schlug Maurice vor. „Ziehen wir Strohhalme!“, richtete er an seine Kameraden.
„Wir sind ja nur zu zweit, wir können knobeln! Kennst du Stein-Schere-Papier, Harry?“
Harry nickte. Zu seiner Freude gewann Chris; es juckte ihn bereits in den Fingern und seine Hand fuhr schon ungeduldig den Griff seines Zauberstabs entlang. Begierig auf das Duell stürzte er sich die steile Böschung in die Senke hinab. Voll Vorfreude zog er seinen Zauberstab und begann bereits damit, Zielübungen in die Luft zu machen.
„Was ist denn jetzt?“, wollte er schon ungeduldig rufen, als einer der Franzosen, Louis, gerade in die Senke hinunterlief. Er war der größte der drei, und seine nussbraunen Augen funkelten seinen Gegner erwartungsvoll an. Offenbar freute er sich auf den Kampf ebenso sehr wie Chris.
Harry und die beiden Franzosen blieben oberhalb der Senke stehen und hatten nun einen guten Blick auf den bevorstehenden Kampf. Chris und Louis stellten sich im Abstand von zehn Schritten zueinander auf, erhoben ihre Zauberstäbe und erwarteten mit spitzen Ohren das Startsignal, das Maurice geben wollte. Dieser hob seinen eigenen Zauberstab senkrecht in die Höhe und ließ eine schimmernd purpurne Seifenblase aus der Spitze heraustreten. Gemächlich schwebte sie einige Augenblicke über ihren Köpfen, bis sie schließlich zerplatzte und dabei ein hohes, helles Klingeln ertönen ließ. Chris hatte den Kitzelfluch auf den Lippen, er holte aus um ihm möglichst viel Kraft zu verleihen, als ihn bereits ein Funkenstrom von Louis in den Bauch traf. Er hatte, anders als Chris, nicht auf Kraft sondern auf Schnelligkeit gesetzt und damit den ersten Schlag gewonnen. Obwohl sein Zauber nicht besonders stark war, wären Chris beinah die Knie eingeknickt. Ärgerlich schoss er seinem Gegner einen Schleuderfluch entgegen, den Louis jedoch an seinem herauf beschworenen Schild zerbersten ließ. Maurice und Marcel johlten vor Lachen, während Harry Chris stumm anwies, gefälligst auch einen Treffer zu landen. Augenscheinlich hatte dieser ihn erhört: Als Louis seinen nächsten Fluch losschickte, wich Chris ihm im letzten Moment aus und schoss im selben Moment einen Furunkelfluch auf Louis, der ihn völlig unerwartet mitten ins Gesicht traf und dort mehrere unansehnliche, schmerzende Pusteln bildete. Das Lachen blieb seinen Kameraden im Halse stecken.
„Finite incantatem!“, rief er wütend und verscheuchte damit die Furunkel. „Relaschio!“, setzte er gleich hinten an, und ein Strom aus roten und blauen Funken schoss mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf Chris zu, doch der war vorbereitet.
„Reprotego!“, rief er im allerletzten Moment. Der Fluch wurde wie mit einem großen Gummiband aufgefangen, auf die doppelte Größe gebracht und zurückgeschleudert. Louis, der diesen Verteidigungszauber nicht kannte, traf der Fluch völlig unerwartet in die Brust und riss ihn von den Füßen. Der Länge nach fiel er rückwärts in den sandigen Boden der Senke hinein. Chris lachte, doch Louis hatte sich schnell wieder aufgerappelt und schoss einen Fluch auf ihn, der Chris kaum verfehlen konnte. Es gelang ihm zwar noch größtenteils auszuweichen und somit das Schlimmste zu vermeiden, doch der Zauber streifte seine Wange und zog einen langen, blutenden Kratzer. Ein weiterer Fluch folgte dem ersten und traf Chris vors linke Schienbein, brannte ein Stück seiner Hose weg und bildete dort eine ebenfalls blutende Schürfwunde.
„Defodio!“, rief Chris, voll Wut über seine Verletzungen. Der Sprengfluch traf Louis mitten ins Gesicht. Er tat seinen Schmerz in einer Mischung aus Brüllen und Stöhnen kund und schlug sich die Hand vors Gesicht. Vorsichtig betastete er den Schaden, den Chris verursacht hatte. Offenbar war die Nase gebrochen. Schnaufend spuckte Louis Blut aus dem Mund heraus. Langsam wurde ihm schummrig vor Augen. Als er sah, wie verletzt sein Gegner war, ließ Chris den Zauberstab sinken, doch Louis wollten sich augenscheinlich noch nicht geschlagen geben: Stammelnd schoss er einen weiteren Fluch auf Chris, der exakt auf die schmale Stelle zwischen Brustpanzer und Hals traf und sich dort wie ein Lötkolben einbrannte. Chris schrie auf vor Schmerz, lauter als ein wütender Drache. Seine Knie versagten unter dem Gewicht und knickten ein, doch noch während er dem Boden entgegen taumelte, führte er einen Patronus-Zauber aus. Der Patronus, in Chris' Fall Löwe, brach aus der Spitze seines Zauberstabs hervor und stürzte sich auf Louis. Er rammte ihn einmal und löste sich anschließend in silbrige Luft auf. Mit einem Plumps fiel Louis hintenüber auf den Hosenboden. Das Blut, das sein Kinn herunter rann und den Sand befleckte, lief jetzt immer stärker und der kalte Schweiß sickerte ihm in die Augenbrauen hinein. Obwohl sich alles vor seinen Augen drehte, erhob er den Zauberstab erneut und schoss einen Fluch ab, dessen Rückstoß ihn wieder zu Boden warf. Im selben Moment schoss auch Chris einen Fluch ab; Mit einer großen Explosion trafen die Zauber krachend aufeinander, zerbrachen am anderen und lösten sich in Rauch auf. In diesem Moment ertönte erneut das silbern helle Klingeln von Maurices Startsignal.
„Das reicht Leute!“, rief er. „Es ist genug, wir einigen uns auf Unentschieden!“ Das war in Harrys Augen mehr als vernünftig: Keiner der beiden konnte mehr auf eigenen Beinen stehen und sie bluteten stark aus mehreren Wunden.
Doch weder Chris noch Louis schienen einsichtig sein zu wollen. Obwohl sie sich nur noch unkontrolliert bewegten und ihnen bereits schwindelig vor Augen wurde, schossen sie weiterhin aufs Geratewohl Flüche in die Richtung, in der der Gegner irgendwo sein musste. Die Zauber schossen pfeifend ohne Ziel weiter oder durchbrachen Äste und sprengten Steine weg.
„Jetzt hört endlich auf!“, rief auch Harry, doch sie schossen nur noch hitziger aufeinander ein. Sie schienen partout nicht aufgeben zu wollen.
„Expelliarmus!“ Harry und Maurice hatten gleichzeitig ihre Zauberstäbe erhoben. Chris und Louis blickten verwundert ihren eigenen Zauberstäben hinterher, die aus ihren Händen flogen.
„Harry, was soll der Scheiß? Ich hätte gewonnen!“, röhrte Chris und fiel noch einmal der Länge nach in den Sand.
„Du unvernünftiger Idiot!“, tadelte ihn Harry, besah sich prüfend Chris' Wunden und richtete seinen Zauberstab auf sie.
„Episkey!“ Die Wunden verheilten. „Hast noch mal Glück gehabt. In Merlins Namen Chris, ich kann doch nicht vor Lavender verantworten, dass du dich in Stücke reißen lässt!“
„Hat doch geklappt, Kumpel!“, grinste Chris. „Obwohl...etwas schummrig ist mir schon...“
„Kein Wunder bei dem Blutverlust!“, meinte Maurice, der soeben die Wunden von Louis geheilt hatte. Er reichte Chris eine kleine Phiole, kaum größer als ein Schnapsfläschchen, gefüllt mit einer blutroten Flüssigkeit. „'ier, trink! Das 'ilft bei Blutverlust!“
„Nein, danke!“, schnaubte Chris. „Es geht schon!“
„Jetzt sei nischt albern!“, entgegnete Maurice stirnrunzelnd. „Louis hat auch einen Trank genommen!“
„Chris!“, drängte auch Harry.
„Schon gut, schon gut!“, nickte er. „Danke.“
Der Trank war sehr dickflüssig, ähnelte mehr Sirup. Doch kaum hatte er ihn getrunken, spürte Chris wie sein Herz schneller schlug und frisches Blut durch seine Arterien pumpte. Das Schwindelgefühl in seinem Kopf ließ nach und die Augen stellten das Bild wieder schärfer.
„Tja Potter...ich hab gegen Marcel gewonnen...und da kein anderer Engländer übrig ist, sieht es ganz nach einem Duell zwischen uns beiden aus!“, grinste Maurice. „Aber keine Sorge, ich werd dich nicht gleich umbringen...“
Harry starrte ihn an. Er hätte nicht gedacht, dass unter dem Umstand das Duell weitergehen sollte. Nicht, wo Chris und Louis sich beinah gegenseitig umgebracht hätten. Aber er wollte unter keinen Umständen vor Maurice als Feigling dastehen.
„Keine Bange!“, grinste er zurück. „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“
Diesmal gab Marcel das Startsignal zum Beginn des Duells. Er, Louis und Chris hatten sich ebenfalls auf dem Steilhang aufgestellt, wo sie einen hervorragenden Blick auf den Duellplatz hatten. Anders als ihre Vorgänger schossen Harry und Maurice nicht sofort blindlings aufeinander ein, als das Duell begann. Langsam umkreisten sie sich mit erhobenen Zauberstäben und beobachteten sorgsam jede Bewegung des Gegners. Harry fühlte, wie seine Sinne schärfer wurden. Er nahm jetzt auch das Knacken in den Bäumen im Dschungel hinter ihnen war, sowie den Wind in den großen Palmblättern oder das Knirschen des Sandes unter seinen Füßen. Sein Blick dagegen war einzig und allein auf Maurice gerichtet, der ihn ebenso aufmerksam beobachtete. Eine Todesstille schien sich zwischen den beiden aufzutun. Blitzschnell schoss Harrys Hand nach vorn.
„Confringo!“
Doch Maurice reagierte ebenso schnell und beschwor einen Schutzschild hervor. Der Schutzschild hielt den Fluch zwar auf, der Explosionszauber detonierte jedoch trotzdem, zerriss den Schild und die Schockwelle riss Maurice glatt von den Füßen. Chris jubelte, während sich bei Louis und Marcel betretenes Schweigen bemerkbar machte, während Maurice sich wütend aufrappelte. Wie ein Lichtblitz schoss ein Lähmzauber auf Harry zu, doch es gelang ihm gerade so auszuweichen, sodass der Fluch an der Felswand hinter ihm verpuffte. Harry schoss einen Wabbelbeinfluch auf Maurice, den dieser jedoch ebenso wie Chris zuvor mit einem elastischen Schutzschild zurück schießen ließ. Der Zauber traf Harry nun, und seine gummiartigen Beine ließen ihn zu Boden sinken und er fiel mit dem Gesicht voran direkt in den Sand. Die drei Franzosen lachten noch, während die Wirkung des Fluchs langsam nachzulassen begann.
„Na warte!“, zischte Harry und hob erneut seinen Zauberstab. Maurice erwartete ihn in Verteidigungsstellung. Seine Lippen hatten sich einen Spalt geöffnet, ganz so als bereite er bereits seinen nächsten Fluch vor. „Jetzt gibt’s was zurück...“, Doch bevor Harry noch über einen möglichst schmerzhaften Fluch nachdachte, merkte er gar nicht, dass der Sand unter seinen Füßen von ihm weg rieselte. Erst als er Chris' Ruf von ganz fern hörte, bemerkte er, dass er bereits bis zu den Knien im Sand versunken war. Er schrie auf und versuchte mit Peitschenschlägen seines Zauberstabs den Sand wegwehen zu lassen, was jedoch keinen Erfolg hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Maurice in denselben Schwierigkeiten wie er steckte.
„Jetzt 'elft uns doch endlisch!“, schrie er. Er steckte bereits bis zur Taille im Sand fest. „Wir versinken 'ier!“
Doch Chris, Louis und Marcel hatten ihre eigenen Probleme. Der beißend stechende Geruch von Schwefel machte sich über der Senke breit, während zahlreiche Feuerstöße von der anderen Seite auf die drei zu schossen. Nur mühsam gelang es ihnen ausweichen. Insbesondere Chris und Louis waren noch immer geschwächt von ihrem Duell und hielten den Angriffen nur mit Mühe stand. Harry wandte den Kopf und sah, dass durch die inzwischen verkohlten Dornbüsche auf dem anderen Steilhang eine ganze Horde Feuerkrabben krabbelten, deren Hinterteile Flammen auf die drei ausspien. „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“, schrie er, als er den Sand bereits an seinem Kinn spürte.
„Keine Ahnung!“, brüllte Maurice zurück. Das nahm Harry nur noch gedämpft wahr, da ihm nun Sand auch über die Ohren und fast gleichzeitig über die Augen lief. Strampelnd versuchte er den Kopf zu befreien um Luft holen zu können, doch er versank nur noch tiefer im Boden.
Nachdem Harry am Vormittag bereits fast ertrunken war, drohte er nun den Erstickungstod zu sterben. Es dauerte gar nicht lange bis seine Lungen zu schmerzen begannen.
„Okay...das war's!“, dachte Harry.
Doch gerade in dem Moment als ihm schwarz vor Augen wurde, löste sich der Sand von ihm und wirbelte wie von einem Windstoß angetrieben in die Luft empor. Gierig schnaufend sog Harry die rettende Atemluft in sich hinein, als Mund und Nase endlich wieder befreit waren. Japsend erkannte er durch den Schleier des Sandsturms Owen, der mit zornesrotem Gesicht und erhobenem Zauberstab Maurice und ihn aus ihrer unangenehmen Lage befreite.
„Sie sind mit Abstand die unvernünftigsten Schüler, die ich je das Pech hatte unterrichten zu müssen!“, erklärte Owen, während er die fünf zurück zum Versammlungsplatz führte. „Wir warten bereits alle auf sie!“
„Na schön, aber wer reschnet denn auch mit sowas?“, beschwerte sich Maurice. „Mit gewaltigem Treibsand und Feuerkrabben...“
Owen blieb stehen und wandte sich um. Der starre Blick seiner haselnussbraunen Augen fokussierte Maurices. Alle fünf Aurorenschüler hielten unweigerlich den Atem an, als Owen sich ihm mit langsamen Schritten näherte. Er beugte sich zu Maurice, der einen Kopf kleiner war als er, hinab bis ihre Augen auf gleicher Höhe und nur eine Handbreit voneinander entfernt waren. Sein Seufzen strich Maurice übers Gesicht und ließ einen Schauder über seinen Rücken fahren. Owen flüsterte mit kaum hörbarer Stimme:
„Was glauben Sie denn, wo Sie hier gelandet sind? Auf einer Urlaubsinsel? Abgesehen von dem großen Platz und ihren Hütten gibt es keinen einzigen sicheren Ort für Sie auf dieser Insel! Jeder Quadratmeter beherbergt ein monströses Tierwesen, eine todbringende Pflanze oder einen bedrohlichen Fluch. Sie sind nicht hier um Ferien zu machen, sie sind hier um ein nervenaufreibendes, erbarmungsloses Training zu absolvieren, das Sie auf ihre Tätigkeit als Auror vorbereiten soll. Und wenn Sie mich noch einmal so blöd von der Seite anquatschen, schleudere ich sie nackt und ohne Zauberstab in die Mitte des Dschungels hinein, ist das klar?“
Maurice schluckte und nickte. Harry und Chris konnten sich ein Grinsen nur äußerst schwer verkneifen, als sie weitergingen.
„Gar nicht mal schlecht Potter...“, wisperte Maurice in Harrys Ohr, als er sicher war, dass sie außer Hörweite von Owen waren. „Dein Explosionszauber. Und meinem Lähmfluch hat noch nie jemand ausweichen können.“
„Na ja, einmal ist immer das erste Mal.“, grinste Harry. „War aber zugegeben verdammt knapp!“
„Entschuldigung Sir!“, rief Chris nun. „Was hatte es mit diesem Treibsand auf sich?“
„Das war kein Treibsand. Das war ganz normaler Sand.“
Harry und Chris sahen sich verblüfft an.
„Na ja, vielleicht nicht ganz so normal. Ich schätze Sie haben ihn...hungrig gemacht.“
„Hungrig?“, rutschte es Harry heraus.
„Ja, hungrig! Wenders, Sie und Ihr Gegner haben doch mehrere Lachen Blut in den Sand sickern lassen. Sie können nicht erwarten, dass er bei diesem Appetitanreger ruhig bleibt, wenn es Aussicht auf mehr gibt.“
„Der...der Sand, Sir?“
„Natürlich der Sand!“, antwortete Owen kopfschüttelnd. „Wo bleibt Ihr gesunder Menschenverstand? Ach ja!“ Er winkte lässig mit der zauberstabfreien Hand ab. „Sie haben ja überhaupt keinen!“
Die sechs kletterten über die Felsen und gingen auf den großen Platz direkt am Strand zu. Peinlich berührt stellten Harry und Chris fest, dass sie tatsächlich bereits erwartet wurden.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel