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Fanfiction

Harry Potter und die Totenrelikte - Caput Draconis

von Wizardpupil

Harry rannte und rannte, blickte nicht zurück, reagierte nicht auf Rons und Hermines Rufe.
Nein, war alles, was er denken konnte. Nein! Es darf nicht – es kann nicht passiert sein – NEIN!
Es war auch nicht passiert!
, versicherte ihm eine Stimme in seinem Kopf. Luna lebt, sie ist doch noch rechtzeitig in den See gesprungen, du hast es nur nicht gesehen!
Genau, so musste es gewesen sein. Der Fluch hatte sie gar nicht getroffen, sondern ein Stück vom Boot weggerissen, was Ginny auch in den See geworfen hatte – und nun schwammen die beiden selbst zum Ufer, so war das, ganz einfach!
Sie lebt, sie lebt, sie lebt! Langsam akzeptierte er das, erkannte, dass er Recht hatte, dass es tatsächlich so war! Sie lebt und wir werden noch ganz, ganz viele weitere Lieder von ihr hören!
Ihr Lied!
Und der Rabe wird kommen … hol dir das Stäblein am höchsten Turme …
Harry hatte es verstanden. Harry hatte kapiert, was das Lied wirklich aussagte. Es war Luna zu verdanken, dass er das Zepter Ravenclaws finden würde, dass er die Totenrelikte vereinen könnte! Er würde sich bei Luna bedanken, wenn er sie das nächste Mal sah!
… das Stäblein am höchsten Turme …
Ja, er musste sich nun auf das Lied konzentrieren, und auf das Zepter …
Ravenclaws Zepter war nicht etwa in ihrem Gemeinschaftsraum zu finden. Nein – dieses alte Lied, das nur Ravenclaws wie Luna, die an allerlei Unfug glaubte, heute noch sangen, erzählte, wo das Zepter – das „Stäblein“ – zu finden war. Am höchsten Turm. Und Harry wusste genau, welcher Turm das war.
Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, noch einmal dorthin zurückkehren zu müssen …
Seine Erinnerung an die letzte Nacht, in der er dort oben gewesen war, war noch so klar. So schrecklich klar … Waren ihm in dieser Nacht nicht ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen? Dass es nicht passiert war, dass er es rückgängig machen könnte? Damals hatte er sich geirrt …
Aber diesmal nicht! Luna darf nicht …
War nicht!, sagte er sich ein allerletztes Mal, und damit musste die Sache für ihn erledigt sein. Er könnte sonst nicht weitermachen. Also lief er einfach, lief und lief und wusste genau, wo er hin wollte, während Ron und Hermine immer noch hinter ihm waren, ihm etwas zuriefen, aber er ging nicht darauf ein, hörte nicht hin. Sein Geist war an einem anderen Ort, war bereits dort, wo seine Füße ihn noch hintrugen.
Und da war er: Der Gang zum höchsten Turm von Hogwarts lag vor ihm. Der Fuß der Wendeltreppe, die hoch zu der Spitze führte, löste etwas in Harry aus: Plötzlich musste er sich nicht mehr anstrengen, um nicht an Luna zu denken, um sich selbst einzureden, dass sie nicht tot war – denn der Anblick der ersten Stufen machte ihm schon noch deutlicher, wie nah er nun einem seiner Ziele war. Ravenclaws Zepter galt als verloren, als das Artefakt der Gründer, das niemand finden könnte – und er würde es gleich entdecken! Er würde dann drei der vier Totenrelikte zusammengetragen haben, würde dann sofort die Rüstung aus Gringotts holen und hätte damit zwei Horkruxe, und die anderen zwei würde er bei Voldemort selbst finden – der Weg, den er gehen musste, lag klar und deutlich vor ihm. Und jetzt – mit Lunas Lied im Hinterkopf und dem kurz bevorstehenden Triumph – wusste er, dass er die Kraft hatte, ihn zu beschreiten!
Er war lang genug stehen geblieben für Ron und Hermine, um ihn zu erreichen.
„Harry, wohin –“ Hermine brach ab, als sie sah, wo sie waren. „Oh!“, machte sie – auch sie hatte verstanden.
„Was, oh?“, fragte Ron. „Was haben wir hier zu suchen?“
„Das Lied, Ron!“, hörte Harry Hermine sagen; er selbst hatte keine Lust, zu antworten. Er ging weiter, plötzlich viel langsamer, weil er es nun nicht mehr eilig hatte aus einem unerfindlichen Grund. „Das Lied von Luna! Das Stäblein auf dem höchsten Turme ist in Wirklichkeit –“
„Das Zepter!“ Harry sah Ron nicht an, aber er wusste, dass sein Mund weit offen stand. „Sie hat es auf dem Astronomieturm versteckt!“
„Wisst ihr noch, was in Dumbledores Geschichte von Hogwarts stand?“ Hermine klang fassungslos. „Rowena Ravenclaw war die Königin der Logik und der Sterne. Sterne! Dass wir nicht schneller darauf gekommen sind …“
Harry ging den anderen beiden voraus die steile Wendeltreppe empor. Nach dieser Nacht wirkte sie auf ihn wie eine letzte Hürde, der Weg zum Ziel, zu dem, wohin dieser gesamte Kampf eigentlich geführt hatte – wäre Luna nicht auf Umbridge hineingefallen, hätte sie ihn nicht zu ihr gebracht, hätte sie sich wahrscheinlich nicht so schuldig gefühlt, dass sie ihm das Lied vorgesungen hätte – wäre wohl nicht einmal auf die Idee gekommen, wäre sie in dieser Nacht nicht so schmerzlich an ihre Mutter erinnert worden – und Harry hätte nie erkannt, wo das Zepter war.
„Wieso wissen ausgerechnet die Lovegoods von diesem Lied?“, fragte Hermine, als sie die Tür, die auf die Spitze des Turmes führte, beinahe erreicht hatten.
„Also, das ist doch wohl klar“, sagte Ron glucksend. „Woher hätte denn jemand eine Ahnung haben sollen, dass das Lied nicht nur irgendein Gutenachtlied, sondern ein Hinweis von Rowena Ravenclaw persönlich ist? Die Lovegoods sind doch die einzigen Menschen, die verrückt genug sind, um solche Dinge von Generation zu Generation weiterzugeben!“
Die Tür. Harry stand direkt davor. Er atmete tief durch – und stieß sie auf.
Hinter den Zinnen des Turmes leuchtete der immer schwächer strahlende Mond. Keine Geräusche drangen vom See hoch – die Lage hatte sich offensichtlich beruhigt, die Todesser waren wieder vertrieben worden. Aber neue Geräusche begannen, Harrys Kopf zu erfüllen; er hörte Stimmen, von denen er wusste, dass sie gar nicht da waren – die Stimmen von Albus Dumbledore und Draco Malfoy, die miteinander sprachen – hörte, wie ein paar Todesser auf den Turm gestürmt kamen, Malfoy dazu bewegen wollten, Dumbledore endlich zu töten – hörte Snape kommen, ja bildete sich sogar ein, er würde wirklich hinter ihm die Wendeltreppe hochlaufen und zuckte zusammen, bevor er verstand, dass Snape nicht hier war. Das war alles vor einem Jahr passiert, vor einem langen, langen Jahr … Harry hatte schon zu viel Zeit in diesem Jahr damit verbracht, an Dumbledore zu denken. Er sollte jetzt nicht wieder damit anfangen. Er schüttelte seinen Kopf, um die Erinnerungen zu verdrängen – und sah sich um.
Die Ebene, auf der sie standen, war völlig leer.
Was hatte Harry erwartet? Dass das Zepter, nun, da jemand seinen Aufenthaltsort erraten hatte, plötzlich inmitten des Turmes auftauchen würde? Es bestand kein Zweifel daran, dass es hier war, aber versteckt – nur wo? Wo konnte man auf diesem Turm ein Zepter verstecken?
„Wo kann es sein?“, sprach Hermine aus, was Harry dachte. „Unter dem Boden?“
„Eher da oben, oder?“, meinte Ron, und er zeigte auf das Dach des kleinen Häuschens, in das die Tür eingelassen war.
Harry verschwendete keine Zeit damit, zu raten. Von einem neuen Impuls gepackt, zog er seinen Zauberstab, richtete ihn auf nichts Bestimmtes und rief: „Specialis revelio!“
Hermine öffnete ihren Mund, vermutlich, um ihn für die gute Idee zu loben – als eine Art Klicken sie alle drei erstarren ließ.
„Das kam von da hinten …“, sagte Ron; er zeigte zu der Rückseite des Türhauses. Unnötigerweise – Harry und bestimmt auch Hermine hatten das Geräusch ebenso gut wie er wahrgenommen. Etwas war dort verborgen; und Harry hatte keinen Zweifel daran, was es war.
„Da werden wir nichts finden.“
Den ersten Schritt hatte Harry schon um das Häuschen herumgemacht. Jetzt blieb er stehen und sah zu Hermine.
„Wieso nicht?“, fragte er.
„Ist mir eben wieder eingefallen“, sagte sie; dann lief sie um das Häuschen herum. Harry hörte, wie sie – vermutlich mit ihrem Zauberstab – gegen die Wand schlug. Eine Sekunde später erschien sie wieder, nun hielt sie aber noch etwas außer ihrem Zauberstab in ihren Händen.
Ein Teleskop.
„In diesem Fach in der Wand liegt nur das Teleskop, das Sinistra im Unterricht immer benutzt“, sagte sie. „Das Lehrerteleskop. Dein Revelationszauber hat nichts getan, als das Schloss, mit dem das Fach verschlossen ist, zum Klicken zu bringen.“
Harry wagte es nicht, zu glauben, was das bedeuten würde. Es durfte nicht sein, dass er sich geirrt hatte, dass Lunas Lied möglicherweise nichts gewesen war als ein einfaches Lied, dass das Zepter nicht hier auf dem Turm war …
„Wartet mal …“
Sofort wandte sich Harry an Ron, voll neuer Hoffnung. Er musste etwas entdeckt haben!
„Was ist?“, drängte Harry. „Sag schon!“
„Sieh doch mal genau hin!“ Ron ging zu Hermine, nahm ihr das Teleskop ab und hielt es Harry direkt vor die Nase. Harry nahm es in seine Hände und betrachtete es von nahem.
Das Teleskop war aus recht schwerem Bronze, das, vom Mond beschienen, fast golden glänzte. Es war nicht besonders lang, lag bequem in Harrys Händen. Er hatte Professor Sinistra nur selten damit umgehen sehen, weil sie meistens nur die Theorie unterrichtet hatte, und daher war ihm auch nie aufgefallen, wie außergewöhnlich schön es für ein Teleskop war. Ahnungslos, was Ron so erstaunte an dem Ding, wollte er es an sein Auge führen und ausprobieren, wie gut und weit man durch es sehen konnte (vielleicht war Ron ja eine Besonderheit aufgefallen, die mit dem Guckloch zu tun hatte) – da fiel ihm auf, was Ron wohl gleich bemerkt hatte.
Wie viele andere Teleskope auch, bestand dieses aus drei Gliedern, die man ineinander schieben konnte – zumindest theoretisch. Denn am untersten Glied befand sich etwas, das es vermutlich unmöglich machte, es ins nächste zu schieben. Winzig klein und daher völlig unauffällig, aber doch da. Und selbst wenn ein Lehrer sie einmal bemerkt hätte, hätte er sie für nichts als Verzierung gehalten; es gab keinen augenscheinlichen Grund, mehr in dieses Detail zu interpretieren. Außer, man wusste, dass hier oben auf dem Turm Ravenclaws Zepter versteckt war.
Zwei winzige bronzene Vogelflügel waren an dem untersten Glied des Teleskops angebracht, das eine dem anderen genau gegenüber. Harry erinnerte sich sofort an das Bild des Zepters aus der Geschichte von Hogwarts. Zwar zeigte es ein Zepter im herkömmlichen Sinne, aber auch daran waren zwei Flügel befestigt.
Dieses Teleskop war Rowena Ravenclaws Zepter.
„Die Königin der Sterne!“, flüsterte Hermine mit einer gewissen Ehrfurcht in der Stimme.
„Ein Teleskop als Zepter?“ Ron, der scheinbar den Ernst der Lage (und die Lage selbst) nicht begreifen wollte, grunzte. „Sehr passend.“
„Oh ja, das ist es!“, sagte Hermine. „Ravenclaw hat nichts mehr geschätzt als die Logik und die magischen Wissenschaften! Kein Wunder, das sie als das Symbol ihrer Herrschaft, als ihr Zepter, so etwas wie ein Teleskop wählt!“
In seinen Händen lag Rowena Ravenclaws Zepter. Harry wusste gar nicht genau, warum ihn dies so begeisterte – hatte er doch Gryffindors Schwert mehrmals gehalten, und sogar Slytherins Medaillon war ihm gegeben worden. Aber das war es vermutlich: Beides hatte ihm jemand anderes gegeben, als er es brauchte. Und obwohl Luna mit ihrem Lied geholfen hatte, war Harry ganz allein, sogar ohne Ron und Hermine, darauf gekommen, dass das Zepter hier sein musste.
Ein Gefühl von unglaublichem Triumph fuhr durch seine Glieder, durch seinen Bauch, durch sein Herz, hinterließ ein zauberhaftes Prickeln in seinem Kopf. Er hatte endlich etwas ganz allein geschafft!
„Weiter geht’s“, sagte er, als er seine Augen endlich von dem Teleskop – dem Zepter – genommen hatte. „Ab nach Gringotts.“
Ron und Hermine warfen einander einen Blick zu, dann sahen sie zu Boden.
„Was ist?“, fragte Harry.
„Naja …“ Ron hob seinen Kopf wieder; seine Augen schimmerten. Tränen bildeten sich darin. „Sollten wir uns nicht vorher – von Luna – verabschieden?“
Und da kam alles wieder zurück. Das Gefühl des Triumphs wurde aus Harrys Geist vertrieben. Wie ein Film, den jemand wieder und wieder abspielte, kehrte Lunas Sturz in den See plötzlich in Harrys Kopf ein. Und diesmal wollte, konnte Harry es nicht leugnen; jetzt, wo Ron bestätigt hatte, dass es wirklich geschehen war …
Luna war tot.
Natürlich hatte er es die ganze Zeit gewusst. Es zu verdrängen hatte ihm nichts gebracht. Nun, da es ihm erneut bewusst wurde, kam es wie ein Schlag ins Gesicht, ein Schlag in die Magengrube, ein Schlag in den Rücken und auf seine Beine, auf seinen Kopf und seine Schultern zugleich, zog ihm beinahe den Boden unter den Füßen weg, machte es ihm schwer, einfach nur zu stehen. Eine Panik, die Trauer unmöglich machte, ergriff ihn. Eine Panik, so mächtig, dass sie mehr schmerzte als alles, was Harry je gefühlt hatte – ob nun nach Cedrics Tod, oder Sirius‘ Tod – oder sogar Dumbledores Tod, der genau hier auf dem Astronomieturm eingetreten war …
„Es ist schon alles ganz still“, gelangte Hermines leise, zittrige Stimme irgendwie an Harrys Ohr. „Die Todesser sind sicher nicht mehr da. Wir sollten … wir sollten wirklich …“
Harry nickte; er konnte kein Wort sagen. Ja, sie sollten wirklich …

Viele Meilen entfernt tobte das Meer wild und reißerisch um die Insel Askaban. Aber jeder, der in der Festung war – abgegrenzt von den Wellen durch den magischen Schutzwall – bekam davon nichts mit. Nur in den kurzen Augenblicken, in denen die Todesser, die von Hogwarts zurückkehrten, durch den Schild geflogen kamen und für ein paar Sekunden große, klaffende Löcher in dem mystischen Nebel hinterließen, waren das Rauschen des Wassers und der Sturm, der darüber im Himmel tobte, zu hören.
Aber die Rückkehr seiner Todesser interessierte den Dunklen Lord in diesem Moment weniger, als sie es eigentlich sollte. Etwas hatte ihn vollkommen davon abgelenkt. Nur wenige Sekunden zuvor war etwas – er wusste nicht, was das Etwas getan hatte! War es in seinen Kopf eingedrungen? Hatte es von ihm Besitz ergriffen?
„Mein Lord, geht es Euch nicht gut?“
Severus Snapes Stimme drang durch die Dunkelheit des Raumes und sogar durch die Irritation im Kopf des Dunklen Lords.
„Ich bin mir nicht sicher …“ Er stand auf, schloss seine Augen. Seine langen Finger legte er an seine Schläfen, begann, sie zu massieren, und konzentrierte sich dabei auf das, was er empfunden hatte. Es war ein so erstaunliches Erlebnis gewesen; ihm fiel kaum etwas Vergleichbares ein, das er erlebt hatte. „Etwas ist passiert, Severus, das ist gewiss. Ich habe gefühlt, dass etwas passiert ist.[/I]
Er hörte die Überraschung – und den Zweifel in Severus’ Stimme.
„Seit wann beherrscht Ihr diese Technik, mein Herr?“
Der Dunkle Lord konnte nicht anders, trotz seiner Konzentration – er musste lächeln. „Aber mein lieber Severus – genau das ist es ja gerade! So stark meine legilimensischen und okklumensischen Fähigkeiten auch sein mögen, empathische Kräfte der Art, die ich scheinbar gerade angewandt habe, habe ich nie gelernt.“
Severus schwieg für eine Weile. Dann fragte er: „Was habt Ihr denn gefühlt, mein Herr?“
Der Dunkle Lord öffnete seine Augen. Severus stand neben dem Kessel, in dem der mittlerweile stechend rote Trank leise vor sich hin brodelte, und sah ihn mit der emotionslosen, undurchsichtiger Miene an, die der Lord so an seinem treuesten Anhänger zu schätzen gelernt hatte.
„Triumph“, antwortete er. „Triumph, wie auch ich ihn nicht kenne, Severus.“

Harry hatte gehofft, nicht sofort die Schüler und die Lehrer, die sie begleitet hatten, zu sehen, sobald er das Schloss verließ. Er hatte inständig gebetet, sie wären zumindest über den See gekommen, und er hätte noch Zeit, bis er – bis er Luna sehen musste, hätte vorher noch den Weg durch Hogsmeade zum Bahnsteig zu beschreiten, den langen Weg, der es ihm ermöglicht hätte, sich zu wappnen (hätte er natürlich nicht – der Weg vom Astronomieturm hinunter in die Eingangshalle hatte ihm auch nicht helfen können, sich auf das vorzubereiten, was jetzt kommen würde). Aber seine Hoffnung und seine Gebete nutzten nichts: Eine Ansammlung von Leuten stand am Seeufer, warf einen scheinbar einzigen, riesigen Schatten über die Wiese. McGonagall hatte offensichtlich beschlossen, die Schüler zurück auf das Gelände von Hogwarts zu bringen. Harry hatte gesehen, dass sie noch nicht besonders weit mit den Booten vorangekommen waren, dass der Seeweg zurück zu den Ländereien kürzer gewesen war als der zum Bahnhof, und war daher nicht überrascht. Aber es änderte nichts daran: Er war nicht bereit, Luna zu verabschieden …
Abschied … Er hatte gewusst, dass die Worte, die er vorhin mit Luna gewechselt hatte, möglicherweise die letzten hätten sein können. Aber nicht so, nicht deswegen! Nicht Luna war diejenige gewesen, die sich Sorgen hätte machen müssen, sie könnte bald sterben …
Er hörte auf zu denken, als er erkannte, was sich in dem Schatten der Menschenmenge befand. Jemand kniete dort am Boden: Ginny. Sie saß mit ihrem Rücken zu Harry, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass sie weinte; ihren Körper riss es, als litt sie an einer Art Anfall. Und Harry war sich auch sicher, ganz genau zu wissen, wem dieser Körper gehörte, über den sie gebeugt war, wegen dem sie die Tränen vergoss, die vermutlich ihre ersten seit Langem waren. Harry würde es nicht wundern, wenn der Tod von heute Nacht Ginny trostloser hinterlassen würde als der von George …
Immerhin glaubte er selbst, all seine Beherrschung, all seine Anstrengungen, sich zu zügeln, endgültig verloren wären, sobald er sie sah; dass er, obwohl er Sirius‘ Tod ertragen hatte, und sogar Dumbledores, nun nicht mehr fähig sein würde, weiterzumachen.
Der Kampf war schon vorbei gewesen, sie hatten alle überlebt … Warum waren die Todesser noch einmal zurückgekehrt? Warum hatte Kingsley es nicht geschafft, Bellatrix festzuhalten? Denn wenn ihm das gelungen wäre … es wäre vielleicht nie passiert …
Seine Füße trugen ihn zu Ginny, ohne dass er sie steuerte. Und je näher er kam, desto klarer wurde sein Blick auf das, was vor Ginny im Gras lag. Er wollte es nicht sehen, durfte es nicht sehen … es würde ihm alles nehmen, würde ihn zerstören … das Teleskop, das Hermine nun bei sich trug, wäre vergessen, ebenso wie die Rüstung in Gringotts, die sie dringen holen mussten …
Aber dann sah er sie doch.
Luna war nicht mehr nass, jemand hatte die Güte gehabt, sie zu trocknen. Sie hatte ihre besondere Ausstrahlung nicht verloren. Ihre Augen waren geschlossen (und Harry wusste, dass er nie wieder ihr merkwürdiges Leuchten sehen würde), aber ihr Mund war in einer kugelrunden Form geöffnet, die ihrem Gesicht einen leicht überraschten Ausdruck verlieh. Das war es, was das Wesen dieses Mädchens auch jetzt noch festhielt, obwohl sie nicht mehr da war; obwohl nur noch die Hülle von Luna Lovegood, die nie wieder von Nargeln, Schnarchkacklern oder der Rotfang-Verschwörung erzählen würde, hier so unspektakulär am Boden lag, ihre Arme und Beine still aber wenigstens in Reih und Glied – nicht wie damals Dumbledores gebrochener Körper … Und so gerne sich Harry anderes vormachen wollte, so erweckte Luna nicht den Anschein, sie würde nur schlafen; ihr bewegungsloser Bauch ließ keinen Zweifel über ihren Zustand.
Und als Harry sah, dass Radieschen von Lunas Ohren in ihr helles Haar hineinhingen, war es tatsächlich um seine Beherrschung geschehen. Er fiel neben Ginny auf seine Knie, hörte ihr Schluchzen und fühlte seine eigenen, lautlosen Tränen kommen. Er hätte genauso gut an Ort und Stelle das Bewusstsein verlieren können; das wäre so schön gewesen …
„Harry, komm, wir müssen jetzt gehen.“ Hermine klang, als würde sie weinen. Ron hingegen, konnte Harry hören, weinte tatsächlich.
„Nein“, sagte er, „noch nicht.“
„Es ist wichtig und uns bleibt wenig Zeit, wir müssen gehen!“
Wenn da nicht dieses schwarze Loch gewesen wäre, das Harry nun fühlte, wäre er wahrscheinlich geschockt gewesen: Wie konnte Hermine so laut sprechen, wenn hier eine Tote – Luna betrauert wurde? Er wusste ja, dass sie Recht hatte, dass er sich nicht von Lunas Tod so sehr ablenken lassen durfte. Aber dass sie gleich so ungehalten wurde, hätte er nicht erwartet. Er hätte ihr das gerne alles gesagt, aber sprechen würde ihm sehr schwer fallen, das wusste er.
„Es tut mir Leid, Harry, aber du musst dich jetzt von Miss Lovegood verabschieden.“
Harrys Augen sprangen von allein auf. Seine Hände begannen zu zittern. Es schien, als würde die eiskalte Hand, die er nun schon allzu gut kannte, sein Herz loslassen, und als würde gleichzeitig eine neue zuschnappen. Das konnte doch nicht sein! Diesmal hatte er es sich sicher eingebildet! Lunas Tod war passiert, aber – aber diese Stimme konnte er nicht gehört haben!
Dumbledore war doch auch tot!
Aber als er die Gesichter der Schüler, von McGonagall, Sprout und Flitwick, von Moody, Viridian, Hagrid und Kingsley sah, wusste er, dass nicht nur er die Stimme gehört hatte. Verwirrte und schockierte Blicke wechselten einander ab, starrten alle in die gleiche Richtung – zu ihm. Oder – hinter ihn?
Harry drehte seinen Kopf langsam um – sah dabei, dass auch Ron, dem immer noch Tränen über seine dunkelroten Wangen rollten, entsetzt auf eine Stelle hinter Harry blickte (Ginny aber hatte immer noch ihr Gesicht in ihren Händen begraben, schien es als einzige nicht interessant zu finden, dass Dumbledore eben gesprochen hatte) – spürte, wie sein Herz zu rasen begann –
Und sah dann direkt in Albus Dumbledores Gesicht, in seine stechend blauen Augen.
„Auch wenn die Zeit knapp ist, Harry, komm bitte sofort in mein Büro“, sagte Dumbledore, seine Stimme ein bisschen höher und lebloser als früher, nun, da er nur aus einer kleinen Schokofrosch-Karte heraus sprach, die Hermine in ihrer Hand hielt. „Wir müssen dringend einiges besprechen.“
Dann drehte sich die Abbildung Dumbledores zur Seite und verschwand im Rand der Karte, ging zurück zu seinem Porträt im Schulleiterbüro. Harry starrte die leere Karte einen Moment länger an, dann sah er hoch zu Hermine. Erkläre bitte, versuchte er ihr mitzuteilen, ohne etwas zu sagen.
„Ich sag dir alles auf dem Weg zu seinem Büro“, sagte sie, ihr Tonfall ruhig, aber ihre Hand, die immer noch die Karte hielt, zitterte.
Harry hatte Luna nicht einfach vergessen, aber es fiel ihm nicht schwer, aufzustehen und mit Hermine zu gehen. Ron blieb zurück, blieb bei Ginny und Luna stehen und blickte ihm und Hermine nur hinterher, so wie all die anderen, die dort am Seeufer versammelt waren. Harry konnte es ihm nicht verübeln: Wenn er nicht von Dumbledore selbst dazu aufgefordert worden wäre, zu ihm zu kommen, wäre er wohl auch bei Luna geblieben.
Aber Dumbledore hatte ihm persönlich gesagt, er müsse kommen. Dumbledore möchte ihm etwas erzählen, etwas Wichtiges.
Und Hermine war seine Botin gewesen …
„Erkläre jetzt“, drängte Harry, als er Hermine über die Treppe hoch ins Schloss folgte.
Sie zögerte, sah ihn kurz an, blickte dann aber schnell wieder nach vorne – und begann zu reden.
„Bitte, Harry, du darfst mir nicht böse sein. Du musst es verstehen – du musst einsehen, dass ich das Richtige getan habe!“
Harry verzog den Mund; was erwartete ihn nun wieder? „Sag mir doch erst einmal, was ich verstehen soll.“
Hermine nickte. „Ja – also, da du nicht dumm bist, wirst du dich sicher noch ganz genau an alles erinnern, was vor sechs Jahren passiert ist. Was wir alles durchgemacht haben auf der Suche nach dem Stein der Weisen – Fluffy, die Teufelsschlingen und die anderen Rätsel. Und du bist dann Voldemort begegnet … Und an diesem Tag hat Dumbledore erkannt, dass du noch mehr Schutz brauchst, als du durch deine Tante ohnehin schon hast.“
Der Blick, den sie ihm an dieser Stelle zuwarf, schien zu bedeuten, dass er nun schon verstehen sollte, worauf sie hinaus wollte. Er verstand aber ganz und gar nicht.
„Bei den Dursleys warst du sicher, aber Dumbledore brauchte jemanden, der hier in Hogwarts immer auf dich Acht geben kann. Er selbst tat alles, was er konnte, um dich im Auge zu behalten. Aber selbst als Schulleiter waren seine Möglichkeiten beschränkt – er konnte nicht den ganzen Tag bei dir sein, und alles einfach nur zu erraten hätte auf Dauer, trotz seiner Intelligenz, einfach nicht funktioniert.“
Harry blieb stehen; langsam begann er, zu verstehen …
„Oh, Harry, bitte geh weiter!“, flehte Hermine ihn an. „Ich weiß, dass es dir im ersten Moment etwas schockierend vorkommen muss, aber hör mir bis zum Ende zu!“
Harry versuchte nicht einmal, sich eine Erwiderung zu überlegen. Ihm schwebte immer noch das Bild von Lunas leblosem Körper vor den Augen; irgendwie war es ihm egal, was Hermine ihm sagen würde, obwohl er glaubte, es schon zu wissen.
„Dumbledore brauchte jemanden, der fast immer in deiner Nähe ist und viel über dich weiß“, fuhr Hermine fort, als er wieder mit ihr ging. „Jemanden, dem er vertrauen konnte – und dem du genauso vertrauen konntest.“ Sie sah ihn traurig an. „Er hat mich gefragt, ob ich auf dich aufpassen könnte, und ob ich ihm alles berichten könnte, was du tust; was wir tun, du, Ron und ich.“
Er hörte die Worte aus ihrem Mund, und sofort wurde ihm eines klar: Es war ihm doch nicht egal. Mit einem Mal, völlig unerwartet, kamen verschiedene Gefühle in ihm hoch. Harry ertrank in einem Strudel aus Entsetzen, Wut – Enttäuschung …
„Du bist ja schon wieder stehen geblieben!“ Hermine drehte sich zu ihm um. „Harry, bitte, du musst doch verstehen –“
Aber Harry hatte nicht vor, sich noch mehr anzuhören. Er konnte Hermine kaum ansehen – ihr Anblick stieß ihn so sehr ab. Eine Erkenntnis nach der anderen, eine Schlussfolgerung nach der anderen erschreckenden Schlussfolgerung ging in seinem Kopf auf, und er fasste es kaum, dass er nicht schreien musste.
„Willst du damit sagen“, zischte er, „dass du für Dumbledore all die Jahre die Spionin gespielt hast?“
„Nenn es bitte nicht Spionin!“, fiel Hermine sofort ein. „Anfangs habe ich nur ja gesagt, weil ich mich geehrt gefühlt habe, verstehst du das nicht? Ich war elf! Du weißt doch, wie ich damals war! Und ich finde, es ist eine Unverschämtheit von Dumbledore gewesen, ein kleines Kind mit einer solchen Last zu beladen –“
„GIB NICHT DUMBLEDORE DIE SCHULD!“
„Nein! Nein, das will ich gar nicht –“
„WARUM TUST DU ES DANN?“
Harrys Adern pulsierten. Ein Wirbelwind aus Wut tobte nun in ihm; blinder, tobsüchtiger Zorn war das. Regelrecht angewidert war er.
Er war betrogen worden … von seiner besten Freundin!
„Bitte, lass mich ausreden!“ Hermine kam einen Schritt auf ihn zu, aber er machte einen viel größeren Schritt weg von ihr. „Harry – ich war keine Spionin! Und ich habe dich auch sicher nicht betrogen, falls du das denkst! Lass mich erklären –“
„DANN ERKLÄRE ENDLICH!“
„Anfangs, da fand ich es toll, dass Dumbledore mir so vertraut hat! Das musst du doch verstehen!“
Ja, das tat er; aber das tat nichts zur Sache.
„Aber umso länger ich diese Aufgabe für ihn erfüllte, umso klarer wurde mir eins – etwas, das heute alle wissen, das eindeutiger ist als je zuvor: Du bist in Gefahr, Harry, in großer Gefahr! Und als mir das bewusst wurde, ist mir auch die Tragweite meiner Aufgabe ersichtlich gewesen! Von da an habe ich Dumbledore berichtet, nicht mehr, weil ich es für eine Ehre hielt, sondern für eine notwendige Pflicht! Dumbledore war der einzige, der dir richtig helfen konnte, der dich auf den Weg dorthin bringen konnte – nun, wo du heute bist!“
Harry fühlte seine Wut immer noch, jetzt wie eine Schlange, die sich durch seinen ganzen Körper wand. Sie war kochend heiß, zerrte an seinem Inneren. Aber obwohl Hermine eine kurze Pause machte, sagte er nichts.
„Ich weiß heute genau, dass es ein Fehler war, es dir nicht zu sagen“, sprach sie weiter, nun mit ruhigerer Stimme. „Das ist mir nur allzu schmerzhaft bewusst. Aber als ich das erkannt habe, dachte ich, war es schon zu spät – was, wenn du das Vertrauen in mich verloren hättest, und unsere Freundschaft abgebrochen hättest?“
„Dann hättest du Dumbledore nichts mehr weiterverraten können.“ Das konnte sich Harry nicht verkneifen; es brannte auf seiner Zunge, wollte losgelassen werden. „Wie schrecklich.“
„Nein, darum ging es mir nicht!“ Hermine ging erneut auf ihn zu; diesmal wich er nicht zurück. „Nicht mehr! Harry, glaub mir, du bist mein bester Freund! Vielleicht mein einziger richtiger Freund!“ Tränen standen nun in ihren Augen. „Und auch, wenn meine Sorge um dich eine Zeit lang von den falschen Gründen getrieben wurde, musst du mir glauben, dass sie heute nur noch bestehen, weil ich dich liebe! Genauso wie Dumbledore dich geliebt hat, wie Ron und Hagrid dich lieben! Vergiss bitte nicht, dass ich dir und Ron schon mit meinen Ratschlägen auf die Nerven gegangen bin, bevor wir Quirrel zum Stein gefolgt sind!“
Zuerst dachte Harry, sie hätte ihn mit diesem letzten Kommentar zum Lachen bringen wollen – das wäre dann fürchterlich daneben gegangen. Aber er schien sich ohnehin zu irren: Es war ihr bitterer Ernst, was sie sagte. Alles, was sie sagte. Ihr flehentlicher Blick, die hilflose Angst in ihren Augen; offenbar tat es ihr wirklich Leid.
Und er konnte es sich selbst nicht erklären, aber in diesem Moment war es, als würde sich etwas in ihm um hundertachtzig Grad drehen. Eben noch voller Wut und Hass für Hermine – schämte er sich nun für eben diese Gefühle. Sie hatte getan, was sie für richtig hielt. Und Harry musste zugeben, dass es auch richtig klang: Er überlegte, was er gemacht hätte, wenn Dumbledore ihn gebeten hätte, jemanden für ihn zu bespitzeln (und egal, was Hermine sagte, für Harry klang es trotzdem wie Spionage). Bestimmt hätte er auch ja gesagt, bestimmt aus den gleichen Gründen wie Hermine; und bestimmt, wie sie, sogar, wenn es um einen seiner besten Freunde ging …
„Ich – ich verstehe, Hermine“, sagte er. Und obwohl er wusste, dass es so war, kam es ihm seltsam vor, wie schnell er ihr vergeben hatte. Es kam ihm einerseits so richtig, und andererseits überhaupt nicht richtig vor …
Hermine hingegen konnte ihre Begeisterung gar nicht im Zaum halten. Harry wehrte sich nicht, als sie ihre Arme um ihn warf, hob seine eigenen aber nicht. Das Teleskop, das Hermine immer noch hielt, berührte eine Stelle an seinem Hals – es war eiskalt.
„Ich wusste, dass du es verstehen würdest! Ich wusste, dass du mir nicht lange böse sein konntest!“
„Ja“, sagte Harry, „so gut, wie du mich kennen musst, ist das auch kein Wunder.“
Harry war nicht sicher, ob er das scherzhaft gemeint hatte, aber Hermine fasste es jedenfalls so auf: Sie stieß ein leises, unsicheres, aber beruhigtes Lachen aus, bevor sie ihn losließ.
„Ich bin gespannt, ob Ron das genauso schnell hinnehmen wird“, sagte sie, und obwohl sie gluckste, war sich Harry sicher, dass sie das nicht nur im Scherz sagte. „Ich glaube, der wird viel länger rumschreien als du … Aber kommt jetzt – wir müssen uns wirklich beeilen! Es ist schon fast drei!“
Während Harry Hermine weiter durch das Schloss folgte, überlegte er nicht, was Dumbledore er ihm mitteilen wollen könnte. Der Gedanke an das, was Hermine getan hatte, ließ ihn nicht mehr los; ebenso wenig wie seine Ratlosigkeit, warum er ihr so schnell und plötzlich vergeben hatte. Sie hatte ja nichts wirklich Schlimmes angestellt … aber trotzdem: Wie kam es, dass er seine Meinung so hastig und so dramatisch, von einem Extrem ins andere, geändert hatte?
Einiges wurde ihm plötzlich klar, das er zuvor gar nicht als Unklarheit erkannt hatte. Damals, als Mr Weasley von der Schlange angegriffen worden war und Harry sich im Grimmauldplatz in ein einsames Zimmer zurückgezogen hatte, hatte Dumbledore Hermine zu ihm geschickt, obwohl sie mit ihren Eltern Urlaub machen wollte; Hermine hatte so sehr darauf bestanden, dass Harry Okklumentik übte, dass es ihm schon fast übertrieben vorgekommen war …
Harry hätte damit rechnen müssen, dass Hermine ein Geheimnis hatte. Er erinnerte sich daran, wie gut sie darin gewesen war, ihr Geheimnis in der dritten Klasse zu verbergen, ihren Zeitumkehrer.
Sie hat es gut gemeint …
„Da sind wir.“
Der Wasserspeier zum Schulleiterbüro war unversehrt. Der Kampf hatte wohl nicht bis in den siebten Stock hinaufgeführt.
„Wir wollen Dumbledore sehen“, sagte Hermine. Der Wasserspeier verzichtete auf ein richtiges Passwort und gab die Öffnung zum Büro frei.
„Dumbledore hat dir einige wichtige Dinge zu erzählen“, sagte Hermine aufgeregt, während sie die Stufen erklommen. „Ich meine, ich weiß nichts davon – glaub mir, er hat mich irgendwie mit Informationen bezahlt für meine Hilfe – aber ich bin mir ziemlich sicher, einiges erraten zu haben. Ich habe ihn vor kurzer Zeit zu einem Thema ausgefragt und er hat zumindest angedeutet, dass ich richtig liegen könnte – oh, Harry, das würde so viel verändern!“
Harry nickte nur. Er würde ohnehin gleich alles von Dumbledore hören. Und er wusste, dass es ihm schwer fallen würde, mit Hermine zu reden …
Sie erreichten die Tür. Hermine klopfte an, drehte den Greifförmigen Türknauf und öffnete.
„Endlich. Ich bin froh, dass ihr hier seid.“
Dumbledore begrüßte sie, bevor sie überhaupt das Büro betreten hatten. Sie gingen hinein und sahen hoch zu Dumbledores Porträt. Es war das einzige im ganzen Raum, das besetzt war. Alle anderen ehemaligen Schulleiter hatten ihre Bilder verlassen.
„Hermine“, sagte Dumbledore, „bevor du die Tür schließt – ich muss dich um einen letzten Gefallen bitten.“
Hermine ließ den Türknauf los. „Ja?“
„Geh bitte los und hol mein Denkarium, Gryffindors Schwert und Slytherins Medaillon aus eurem Quartier – und Mr Longbottom aus dem Krankenflügel. Sei so gut und bring sie her.“
„Neville?“, fragte Hermine, ihre Stirn gerunzelt.
„Ganz recht.“
Nachdem sie einen überraschten Blick mit Harry getauscht hatte (oder es zumindest versucht hatte) und ihm Ravenclaws Zepter in die Hand gedrückt hatte, verließ sie das Büro.
„Also … Harry.“
Harry wandte sich wieder an Dumbledore. Er saß da oben in seinem gemalten Thron, blickte hinab auf ihn; schien ihn, wie so oft, zu röntgen.
„Möchtest du dich setzen?“
„Ich bleib stehen, danke.“
Dumbledore hob die Augenbrauen. „Harry, hege nicht zu viel Wut gegen deine Freundin Hermine. Sie –“
„Sie hat mir alles erklärt. Sie brauchen Ihre und meine Zeit nicht noch einmal damit zu verschwenden.“ Harry zögerte keinen Moment, all das zu sagen, und zwar genauso, wie er es meinte. „Sagen Sie mir lieber, was Sie mir so Dringendes zu erzählen haben. Voldemort will den Krieg heute Nacht beenden, und ich habe nicht vor, darauf hier in Ihrem Büro zu warten.“
Dumbledore schien für einen Augenblick zu erstaunt zu sein, um zu antworten. Abgesehen von seinem Schweigen tat er aber nichts, um sich das anmerken zu lassen.
Nach einer Weile sagte er: „Die Gefühle in dir sind verständlich, Harry. Ich hoffe, du bist trotzdem bereit, mir zuzuhören. Denn ich werde dir –“
„Sie werden mir alles erzählen, nicht wahr?“ Harry schnaufte. „Zum wievielten Mal? Ich habe aufgehört, mitzuzählen.“
Dumbledore seufzte. Es war ein langes, erschöpftes Seufzen. Er schloss sogar seine Augen, als müsse er sich sammeln, bevor er weitersprechen könnte.
„In Ordnung“, sagte er dann. „Ich kann nachvollziehen, wieso du dich mir heute auf diese Weise präsentierst, Harry, und ich werde das respektieren. Lass mich das Gespräch von vorn und anders beginnen, so, wie du es möchtest. Also – wie ich sehe, hältst du Ravenclaws Zepter in den Händen.“
„Sie wussten, dass das Lehrerteleskop Ravenclaws Zepter ist?“ Harry hielt die Worte zurück, die er Dumbledore wirklich an den Kopf werfen wollte. Langsam ging es zu weit! „Sie wussten es und haben es mir nicht erzählt?“
„Du wirst mir glauben müssen“, erwiderte Dumbledore, „wenn ich dir sage, dass ich es eben erst erraten habe, als ich euch mit dem Teleskop hereintreten sah. Ich habe zuvor nie an die Möglichkeit gedacht. Es mag dir seltsam erscheinen, dass mir die Idee nie gekommen ist – aber für Astronomie habe ich mich in meinem ganzen Leben nicht besonders interessiert, Harry. Ich habe das Teleskop, das du da hältst, nie genauer unter die Lupe genommen. Aber da ich jetzt im Tod viel bessere Augen habe als früher, erkenne ich die kleinen Flügel. Das macht es doch ziemlich offensichtlich – ich werde ein Wörtchen mit Aurora reden müssen.“
„Lenken Sie nicht wieder ab!“
„Oh, nein – natürlich nicht, tut mir Leid. Also, ihr habt das Zepter. Und das Medaillon und das Schwert. Das ist hervorragend. Wirklich hervorragend.“
„Wieso? Uns fehlt der Becher. Bringen drei Totenrelikte etwas ohne das vierte?“
„Du beziehst dich mit den Totenrelikten wahrscheinlich auf jene der Gründer“, antwortete Dumbledore, „und dann hast du mit deiner Vermutung auch Recht: Ich glaube nicht, dass drei der Relikte der Gründer reichen, um die besondere Magie dieser Objekte zu wecken. Hufflepuffs Gral fehlt euch noch. Ich bin zuversichtlich, dass ihr ihn noch vor dem Ende der Nacht findet.“
Harry legte seine Stirn in Falten. „Ach ja?“
„Ja“, sagte Dumbledore, „aber dazu später mehr. Die Totenrelikte zusammenzutragen ist, allen Legenden zufolge, eine sehr noble Aufgabe. Eigentlich hätten nur die Erben der Gründer dazu fähig sein sollen, sie zu finden – und offenbar ist dieses Vorhaben auch gelungen.“
„Was?“ Harry schüttelte seinen Kopf. „Aber ich habe doch Gryffindors Schwert gefunden? Sie wollen doch nicht sagen, dass –“
Harry erstarrte. War er –
„Nein, Harry, du stammst nicht aus der Blutlinie Gryffindors“, sagte Dumbledore. „Aber eben darum geht es auch gar nicht. Du musst unterscheiden können zwischen Erben – und Nachfahren. Du bist nicht verwandt mit Godric Gryffindor. Aber die Gründer von Hogwarts haben nicht umsonst Totenrelikte erschaffen: Sie wollten, dass ein ehrenwerter Mensch eines Tages die Relikte finden und zusammentragen würde, um ihre uralte Magie zu erwecken. Dieser Mensch ist gekommen – du scheinst dazu auserkoren zu sein, Harry.“
Harry reagierte kaum darauf, zeigte sich völlig unbeeindruckt. Das Medaillon hatte ihm Dumbledores eigener Bruder gegeben, das Schwert war ihm vom sprechenden Hut – und damit eigentlich auch von Dumbledore – gegeben worden. Nur das Teleskop hatte er selbst entdeckt. Wollte Dumbledore ihm nun ernsthaft weismachen, dass er sich auf irgendeine spezielle Weise von den anderen abhob, dass er sich den Totenrelikten als würdig bewiesen hatte?
„Ein Totenrelikt zu kreieren“, fuhr Dumbledore fort, als Harry nichts sagte, „ist ein riskantes Unternehmen, musst du wissen – ich habe dir schon einmal erklärt, dass es dem Erschaffen eines Horkruxes ähnelt, dass aber die Liebe die wichtigste Zutat dieses Zaubers ist.“ Dumbledores Augen funkelten auf seltsame Weise, als er das sagte. „Man vererbt sozusagen den besten Teil seiner Seele, den, der lieben kann, einem Gegenstand, der dadurch unsterblich wird. Verstehst du nun, was du da in Händen hältst?“
Harry betrachtete das Teleskop. „Das wusste ich schon vorher“, sagte er, „aber so besonders sieht es nun auch wieder nicht – warten Sie eine Sekunde … Hat es nicht geheißen, die Totenrelikte wären unzerstörbar? Ist der Unterschied zwischen unzerstörbar und unsterblich nicht genauso wichtig wie der zwischen Erbe und Nachfahre?“
„Gut erkannt, Harry. Ja, da gibt es einen Unterschied. Ich glaube, der ist sogar noch größer und relevanter, als du dir im Moment vorstellen kannst, Harry. Und ich versichere dir, egal, was ich zuvor gesagt haben mag – die Totenrelikte sind unsterblich.“
„Also kann man sie zerstören, nur der Seelenteil darin stirbt nicht?“ Harry schüttelte seinen Kopf erneut, aber diesmal vor Fassungslosigkeit. „Warum haben Sie mir das nicht einfach früher gesagt? Dann hätten wir uns nicht so viele Sorgen gemacht, weil der Becher von Hufflepuff aus unserer Sicht damals wahrscheinlich ein Horkrux war! Und – was passiert denn mit dem Seelenteil der Gründer, wen ein Totenrelikt zerstört wird?“
„Alles berechtigte Fragen … Und ich werde versuchen, sie alle zu beantworten. Aber zuerst, Harry, setz dich bitte.“ Er wies mit der Hand auf den Stuhl, auf dem Harry schon so oft Platz genommen hatte. „Wenn Miss Granger mit Mr Longbottom und dem Denkarium zurückkehrt, haben wir noch einiges zu tun, und im Besonderen für dich wäre es besser, du würdest dabei in Ruhe sitzen.“
Harry starrte Dumbledore einen Moment länger an, dachte darüber nach, sich erneut zu weigern. Aber es wäre sinnlos gewesen, ja sogar kindisch. Er legte das Teleskop auf dem Schreibtisch ab und setzte sich. Und dann sah er erwartungsvoll hoch zu Dumbledore – und wartete.


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