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Fanfiction

Harry Potter und die Totenrelikte - Hinterm Licht

von Wizardpupil

Harry und Ginny standen vor der TĂŒr, unentschlossen, zögernd. Stimmen drangen durch die Wand, keine sehr leisen, aber nicht laut genug, um zu verstehen, was sie sagten. Harry glaubte, Nevilles Stimme zu erkennen. Warum schrie er nicht, wenn er Bellatrix gegenĂŒberstand? Was hatten sie ihm angetan, das es ihm unmöglich machte, zu schreien 
?
FĂŒr einen Moment dachte Harry schon, sie wĂŒrden es sich anders ĂŒberlegen, umkehren und Hilfe holen, bevor sie durch die TĂŒr da traten. Aber schnell wurde ihm klar, dass Ginny das nie tun wĂŒrde. Das hĂ€tten sie schon frĂŒher machen mĂŒssen. Jetzt hatten sie Neville gefunden, und jetzt war es Zeit, einzugreifen, ehe es zu spĂ€t war.
„Wir gehen rein“, wiederholte Ginny.
Harry nickte. „Ich denke, wir sollten sie ĂŒberraschen und sofort angreifen.“
Sie streckten ihre ZauberstÀbe vor sich aus.
„Eins –“, sagte Ginny.
„Zwei 
“, nuschelte Harry.
Aber anstatt gemeinsam „drei!“ zu sagen, riefen sie wie aus einem Mund: „Reducto!“
Die TĂŒr wurde aus ihren Angeln gehoben, mit einem lauten Krachen in den Raum dahinter geschleudert. Harry machte einen Sprung in das Kerkerzimmer, Ginny dicht hinter ihm. Und als er seinen Zauberstab auf das erstbeste Ziel richten wollte – begrĂŒĂŸte ihn schon ein Unheil verheißender Lichtstrahl. Harry japste entsetzt, als ihm sein Zauberstab aus der Hand flog. Er wollte sich umdrehen und Ginny warnen, umzukehren – aber Ginny war nicht da. In Windeseile ließ er seine Augen umher gleiten, auf der Suche nach Ginnys feurig roten Haaren, völlig durcheinander – und dann erblickte er die feurigen Haare. Aber nicht auf dem Kopf eines MĂ€dchens. Aus den Augenwinkeln sah er, wie das kleine rote Wesen hinter einem Wandvorhang verschwand. Ginny hatte schneller reagiert als er (oder mehr Zeit gehabt) – das war gut. Schnell wandte er sich wieder um, um sich dem zu stellen, der ihn entwaffnet hatte, in der Hoffnung, dass dem nicht aufgefallen war, dass Harry den Teil des Raumes hinter sich durchsucht hatte.
„Potter – wie ĂŒberaus freundlich von dir, zu erscheinen!“
Das spitze Gesicht von Lucius Malfoy wirkte krank vor BlĂ€sse, aber es trug ein selbstgefĂ€lliges Grinsen. Malfoys Haare wirkten mehr weiß als blond, zerzaust und ĂŒberlang.
Ganz im Gegensatz dazu erschien die Frau, die neben ihm stand, lebendiger als je zuvor. Ihr dunkles Haar fiel in Locken ĂŒber ihr schönes Gesicht, ihre dĂŒrren Wangenknochen, ihre breiten Schultern. Sie trug einen grĂŒnen festlichen Umhang anstelle der schwarzen Todesseruniform. Ihr Mund war zu einem entzĂŒckten, fast schon fröhlichen LĂ€cheln hochgezogen; und in ihren Augen blitzte der Wahnsinn. Bellatrix Lestrange hatte es geschafft, sich von den Strapazen von Askaban zu erholen und war nun wieder die hĂŒbsche Frau, die sie einst gewesen war. Nur strahlte sie nun mehr Macht aus als auf dem Bild, das Harry damals gesehen hatte; eine Macht, die selbst in den Mutigsten wohl noch Angst geweckt hĂ€tte.
Harry wĂŒrdigte die drei Personen, die hinter Lucius und Bellatrix standen, keines Blickes, sah sie nicht einmal eine Sekunde lang an. Er wusste ja, wer sie waren, und sie interessierten ihn im Moment kein bisschen.
„Wo ist Neville?“, fragte Harry; seine Stimme war fest und klang mutiger, als er sich fĂŒhlte. Seines Zauberstabs beraubt, war er unfĂ€hig, sich zu wehren. Es war fast schon witzig – kaum verlor der AuserwĂ€hlte sein Holzstöckchen, war er den Todessern hilflos ausgesetzt. Er wusste, dass er keine Chance hĂ€tte, wenn sie beschlossen, ihn zu fangen oder gar zu töten. Aber das spielte jetzt keine Rolle.
Lucius Malfoy hob seine Augenbrauen. Immer noch grinsend, sagte er: „Du glaubst, du kannst hier Fragen stellen? Immer noch so arrogant wie frĂŒher, was?“ Er schĂŒrzte seine Lippen. „Nun ja, was soll’s – dein Freund liegt dort.“
Mit seinem Zauberstab wies Lucius in die Ecke des Raumes. Harry sah in diese Richtung – und keuchte auf. Ein kleiner, schwarzer Haufen lag dort auf dem Boden: Der Umhang und die Haare Nevilles waren alles, was man von ihm sehen konnte.
„Als wir dich draußen vor der TĂŒr gehört haben, haben wir ihm spontan das Bewusstsein genommen und ihn in einen unruhigen Schlaf geschickt“, sagte Lucius; völlig emotionslos plapperte er vor sich hin. „Wir haben nur eine Stimme außerhalb der TĂŒr gehört und nicht gewusst, wer das ist. Daher konnten wir auch nicht einschĂ€tzen, wie lange uns der Neuankömmling aufhalten wĂŒrde. In jedem Fall wollten wir deinen kleinen Freund noch nicht umbringen, da –“
„– da ich noch einiges mit ihm vorhabe!“
Bellatrix kĂŒhle Stimme schnitt durch die Luft, lenkte Harrys Aufmerksamkeit auf sich, seine Augen weg von Neville und auf diese schreckliche Hexe. Ihr LĂ€cheln hatte sich nun in ein manisches Grinsen verwandelt; und plötzlich begann sie – nicht zu lachen, sondern zu gackern, zu gackern wie ein verrĂŒckt gewordenes Huhn.
„Wenn ich mit ihm fertig bin, kann er bei seinen Eltern einziehen“, rief sie dabei, und sie klang, als gĂ€be es keine schönere Vorstellung als die, die sie gerade im Kopf hatte; Harry wagte es kaum, sich auszumalen, woran sie dachte.
„Nana, meine liebe Bellatrix“, sagte Lucius, und Harry sah wieder zu ihm, froh, nicht mehr Bellatrix anblicken zu mĂŒssen, „du wirst es doch nicht genauso eilig haben wie Potter, oder? Lass uns höflich bleiben – hast du schon gesehen, wer uns Gesellschaft leistet, Potter?“
Lucius trat einen Schritt zur Seite, um den Blick auf die frei zu machen, die hinter ihm standen. Harry fragte sich, was das sollte – warum brachten sie ihn nicht einfach um? Warum riefen sie nicht Voldemort? Sie hatten Harry Potter – warum teilten sie die frohe Botschaft nicht mit ihrem Herrn?
Diese Gedanken brachen sofort ab, als Harry sah, wer hinter Lucius stand. Wie – wie war das möglich? Er hatte doch auf der Karte des Rumtreibers gelesen, dass 

Cornelius Fudge und Sybill Trelawney waren da. Normalerweise hĂ€tte es Harry wohl verblĂŒfft, Trelawney, mit magischen Fesseln geknebelt, in Fudges fester Umklammerung zu sehen; er hĂ€tte vielleicht sogar versucht, ihr zu helfen, denn sie wehrte sich heftig gegen die Arme des ehemaligen Zaubereiministers, bewegte alle Teile ihres Körpers, die sie bewegen konnte, ihre entsetzten Augen auf Harry gerichtet; vermutlich wollte sie ihn auch um Hilfe bitten, aber aus ihrem Mund kam kein Ton, obwohl sie ihn öffnete und schloss, aufriss und zuschlug.
Aber dieses Bild war nichts gegen das von Nymphadora Tonks, die, fast ohne Haare, mit einer unproportionierten Nase und ihrer großen goldenen Medaille um ihren Hals, Harry anstarrte, als wĂŒsste sie selbst nicht so ganz, was sie hier machte.
„Du!“, keifte Harry; er spuckte sogar aus Versehen. „Du miese VerrĂ€terin!“
Malfoy und Bellatrix stießen lautes GelĂ€chter aus. „Du und deine Freunde, ihr habt es also noch nicht begriffen?“, fragte Malfoy.
Aber Harry hörte kaum hin. Alles andere vergessend, ging er auf Tonks zu, hob die Hand und ballte sie zur Faust. Tonks‘ Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen – Harry war nur noch einen Schritt entfernt –
Ein Zauber traf ihn, schleuderte ihn einige Meter zurĂŒck, warf ihn zu Boden.
„Das hat doch keinen Sinn, Potter“, sagte Malfoy; er schĂŒttelte seinen Kopf. „Hat dir Dumbledore nie gelehrt, deine Emotionen zu zĂŒgeln?“ Er wandte sich an Tonks. „Geh rauf und mach alles fĂŒr unsere Abreise bereit. In spĂ€testens einer halben Stunde mĂŒssen wir los.“
Tonks nickte. Sie machte einen großen Bogen um Harry, wĂ€hrend sie zur TĂŒr hechtete und den Raum verließ. Harry rappelte sich hoch, wollte ihr hinterher laufen – aber etwas traf ihn im RĂŒcken und warf ihn wieder zu Boden.
„Nein, Potter, du musst noch bleiben!“, rief Bellatrix – nein, sie jubelte förmlich. Als wĂ€re all das hier wunderbar. „Du musst doch mit ansehen, was ich fĂŒr Longbottom geplant habe!“
Harrys stand wieder auf. Sein Körper zitterte, aber er war nicht wirklich Ă€ngstlich; sie schienen nicht vorzuhaben, ihn zu töten. Und er mochte vielleicht keinen Zauberstab mehr haben – aber sein Kopf funktionierte noch. Und er glaubte zu wissen, was er zu tun hatte.
Er musste sie ablenken. An seinen Zauberstab herankommen.
Ihnen ihre verfluchten Köpfe vom Hals reißen, wenn mir ein Zauber einfĂ€llt, der das kann und der nicht unverzeihlich ist.
„Fudge gehört also auch zu euch, ja?“, fragte er; es war das erste, was ihm einfiel.
Malfoy feixte. „Fudge – und Ollivander.“
Obwohl Harry nicht vorhatte, sich ebenso ablenken zu lassen, wie er die anderen abzulenken versuchte, schaffte Malfoy es doch, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
„Ollivander?“
„Aber natĂŒrlich. Die EntfĂŒhrung von Ollivander vor zwei Jahren war nur die Vorbereitung auf einen der genialen PlĂ€ne des Dunklen Lords. Fudges EntfĂŒhrung vor kurzem war inszeniert – er und Ollivander sollten gemeinsam wieder auftauchen. Der Dunkle Lord hat eine wunderbare Geschichte fĂŒr die beiden geplant, die sie erzĂ€hlen sollten, wenn der Orden oder das Ministerium danach fragen sollte, wie ihnen die Flucht gelungen ist – aber dieser dĂ€mliche Mad-Eye und seine Komplizin McGonagall haben sich von ihrer schrecklichen Verfassung –“ (er machte eine kurze Pause, in der er ein noch heitereres Schmunzeln aufsetzte) „– so sehr beeindrucken lassen, dass sie damals gar nicht gefragt haben, wie sie entkommen sind.“
„Und – und warum sollten die beiden gemeinsam wieder auftauchen?“ Harry konnte es kaum fassen: Er war schon ein ziemlich großes StĂŒck zur Seite gegangen. War es wirklich möglich, dass Lucius und Bellatrix nichts davon bemerkten? Das GlĂ€nzen in Bellatrix‘ Augen verriet Harry, dass sie wusste, was er vorhatte. Aber wenn er sie nur lang genug in dem Glauben ließ, dass er bis zu seinem Zauberstab schleichen wollte, um den im richtigen Moment einen Sprung zu machen, um den restlichen Weg bis zu der Stelle, wo der Stab lag, hinter sich zu bringen 
 wĂŒrde das funktionieren? Oder sollte er Bellatrix weismachen, er wolle zu Neville, um dann in der letzten Sekunde seinen Weg zu Ă€ndern? 

„Die BeweggrĂŒnde des Dunklen Lords sind auch mir nicht in vollem Ausmaß bekannt“, sagte Lucius mit seiner monotonen Stimme.
„Genug geschwafelt, Lucius!“, zischte Bellatrix dann, ohne die Augen von Harry zu nehmen. „Du weißt, wir mĂŒssen schon bald wieder verschwinden!“
„Wieso habt ihr es denn so eilig?“ Harry nutzte die Sekunde, in der Bellatrix und Lucius einander ansahen, um einen etwas grĂ¶ĂŸeren Schritt zu wagen; Fudge war ohnehin zu beschĂ€ftigt damit, Trelawney im Zaum zu halten, als dass er irgendetwas bemerken könnte.
Malfoy wandte sich wieder an Harry. „Du dachtest wohl, der Kampf hier in Hogwarts wĂ€re das, was der Dunkle Lord sich fĂŒr sein Finale ausgedacht hat, nicht wahr?“ Er schmunzelte; seine eisigen Augen blitzten auf. „Unser Herr hat viel bessere Ideen, das kannst du mir glauben, Potter.“
Harry stutzte, vergaß fĂŒr einen Augenblick, dass er seinen Zauberstab in die HĂ€nde bekommen wollte, und blieb stehen; konnte das bedeuten 
 konnte das bedeuten, dass dieser Kampf noch gar nichts mit dem Ende des Krieges zu tun hatte? Dass Harry noch Zeit hatte, die Horkruxe zu vernichten?
Scheinbar war sein Gesicht in diesem Moment wie ein offenes Buch.
„Oh nein, freu dich nicht zu frĂŒh!“, sagte Lucius, und er lachte. „Der Krieg wird noch vor Anbruch des Tages zu Ende sein, das ist sicher. Aber dieses ganze Spektakel hier in Hogwarts hat nur zwei Ziele.“
„Und die wĂ€ren?“, fragte Harry.
„Nun –“
„Lucius!“
„Beruhige dich, Bella“, sagte Malfoy; er hob die Arme und machte eine beschwichtigende Beweung. „Du weißt doch, dass es kein Problem ist, dass wir ihm all das erzĂ€hlen – du bist natĂŒrlich unser Gefangener, Potter, falls dir das noch nicht klar war, und wir werden dich zum Dunklen Lord bringen. Das war zwar keines der beiden Ziele, aber ein netter zusĂ€tzlicher Erfolg.“
Harry hörte Malfoy aufmerksam zu – aber gleichzeitig nutzte er dessen Redseligkeit aus, bewegte sich immer weiter auf seinen Zauberstab zu. Seine irrationale Hoffnung, dass Lucius und Bellatrix nichts bemerken wĂŒrden, wuchs mit jedem winzigen Schritt, der ihm gelang.
„Was sind denn dann die Ziele dieses Kampfes?“ Harry sah Lucius direkt in die Augen.
Er schnaufte. „Bellatrix hat schon Recht – es geht dich eigentlich nichts an. Aber abgesehen davon, dass es nichts macht, wenn ich es dir verrate – macht dieses Spiel hier eine ganze Menge Spaß. HĂ€ltst du uns eigentlich wirklich fĂŒr so dumm, dass wir nicht bemerken, was du vorhast?“
Harry blieb stehen, erstarrte an Ort und Stelle. Es hatte sich ausgespielt.
Die beiden lachten aus vollem Hals. „Du bist kein besonders begabter Schleicher, Potter“, sprach Lucius dann so gedehnt, wie Harry es noch von frĂŒher kannte; nicht gelangweilt, nicht emotionslos; Lucius Malfoy hatte mit ihm gespielt. „Aber bis wir abreisen, haben wir noch ein bisschen Zeit – und Longbottom rennt uns ja nicht weg. Außerdem haben wir unsere Ziele schon erreicht – einerseits die EntfĂŒhrung der werten Professorin –“ Er wies mit dem Kopf hinter sich auf Trelawney, die nun ihren Kampf aufgegeben hatte und in Ohnmacht gefallen war; sie in bewegungslos in den Armen Fudges, der sehr erleichtert wirkte. „– und andererseits 
 die Ablenkung des Ordens und des Ministeriums. Beides ist erfolgt, und nachdem wir Longbottom vor deinen Augen vernichtet haben, werden wir dich und Trelawney zu unserem Herrn bringen.“
Harrys Blut begann zu kochen; er war so wĂŒtend, so unglaublich wĂŒtend 
 „Dann tötet mich doch gleich!“, schrie er.
Lucius lachte. „Nicht das Temperament verlieren, Potter! Aber, weißt du – wir wĂŒrden dich unheimlich gerne töten! Aber leider wir haben klare Anweisungen. Wir dĂŒrfen dich nicht berĂŒhren, dir nicht den geringsten Schaden zufĂŒgen. Bedauerlich. Aber deine Freunde 
“ Lucius hob langsam seinen Zauberstab. „
 mit denen dĂŒrfen wir machen, was immer wir wollen. Also sieh zu und leide, Potter!“
Langsam drehte er seinen Kopf zu Bellatrix; er nickte, und sie hob grinsend ihren Zauberstab, richtete ihn auf Neville; das Funken in ihren Augen wurde noch manischer, ihre pure, tödliche Lust, Schmerz zuzufĂŒgen, war fast greifbar.
Harry wollte auf Bellatrix zulaufen, ihr den Zauberstab aus der Hand reißen, oder sich vor Neville werfen – irgendetwas musste er doch tun! Aber er kam nicht dazu, zu beschließen, wie er handeln sollte. Etwas sprang vor Nevilles Körper. Harry erschrak zuerst genauso wie Lucius und Bellatrix – denn er hatte schon völlig vergessen, dass außer ihnen, Fudge und Trelawney noch jemand im Raum war. Aber dann erkannte er das Etwas.
Als die rote Katze leichtfĂŒĂŸig neben Neville landete, fĂŒhlte sich Harry, als wĂŒrde sein Geist ihn verlassen, in die Erde sinken, tief, tief hinunter, bis er zur GĂ€nze verschwunden war. Er wollte sich wohl davor bewahren, mit ansehen zu mĂŒssen, wie zwei seiner besten Freunde auf einmal getötet wurden. Doch seine Augen blieben offen, starrten auf das, was sich vor ihm abspielte, und er war nicht fĂ€hig, wegzusehen.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich Ginny in einen Menschen zurĂŒckverwandelt. Bellatrix stieß ein erschrockenes Keuchen aus, und Ginny nutzte diesen Moment der Überraschung.
„Depulso!“
Ein roter Funken stob auf Bellatrix zu. Kreischen beschwor sie einen magischen Schild herauf. Der Fluch prallte daran ab – und Harry sah verwundert zu, wie er geradewegs auf Lucius Malfoy zuflog. Und Malfoy war nicht schnell genug. Der rote Blitz traf ihn in der Brust. Ein schockierter Ausdruck erfĂŒllte sein Gesicht, als er nach hinten geschleudert wurde. Sein Zauberstab fiel ihm aus der Hand. Malfoy raste geradewegs auf die Wand zu – und Harry wusste schon, was gleich passieren wĂŒrde. Da landete Malfoy auch schon an der Mauer – mit dem Kopf zuerst. Es schien eine Ewigkeit zu sein, in der Harry, Ginny und Bellatrix zusahen, wie Lucius an der Mauer hinab rutschte – wĂ€hrend das Blut von der Wunde an seinem Hinterkopf zu Boden tropfte, Perle fĂŒr dunkelrote Perle.
Lucius Malfoy sackte am Boden zusammen. Sein Haar war blutverklebt, seine kalten Augen waren leer und weit aufgerissen, glotzten schreckerfĂŒllt ins Nichts.
Dass er tot war, weckte ein seltsames GefĂŒhl in Harry. Aber diese GefĂŒhl war von zu kurzer Dauer, um es zu erfassen – denn Bellatrix‘ Schrei riss ihn aus der Trance, mit der er die Leiche Malfoys angestarrt hatte.
„Ihr verfluchten BĂ€lger!“ Zu schnell, um fĂŒr Harrys Augen ersichtlich zu sein, riss sie ihren Zauberstab hoch. „Avada Kedavra!“
Sein Herz zerriss, als er das grĂŒne Licht sah. Nein, schoss es ihm durch den Kopf – eine Angst zerrte an ihm, die er so noch nicht gekannt hatte, eine Angst vor etwas, das sich gleich unmittelbar vor ihm abspielen wĂŒrde. Denn er wusste, auf wen der Todesfluch zuschoss 

Aber seine Angst war nur von kurzer Dauer. Ginny sprang rechtzeitig zur Seite, der Fluch traf die Mauer hinter ihr, wo er einen schwarzen Fleck hinterließ.
„Fang!“, hörte Harry Ginny rufen. In Windeseile hob sie seinen Zauberstab vom Boden auf und warf ihn zu ihm, dann stĂŒrzte sie zu Neville und richtete seinen Körper auf, hielt ihn fest in den Armen. Sobald Harry seinen Zauberstab wieder hatte, stellte er sich vor die beiden.
Bellatrix schien sich schon bereit zu halten, den nĂ€chsten Fluch auszustoßen – aber als sie Harry vor Ginny und Neville stehen sah, zögerte sie.
„Du darfst mich nicht anrĂŒhren!“, rief Harry; er hoffte, dass das nicht auch bloß ein Scherz, ein Spiel gewesen war. Das war seine letzte Chance; wenn Voldemort ihnen wirklich verboten hatte, ihm Schaden zuzufĂŒgen, dann konnte er Ginny und Neville beschĂŒtzen, indem er sich einfach vor sie stellte 

„Ich werde dir alles mögliche antun, wenn du nicht zur Seite gehst, Potter!“, spie Bellatrix aus; ihr Zauberstab war direkt auf seine Brust gerichtet – er zitterte in ihrer Hand.
„Ach ja?“ Harry schluckte, aber so, dass Bellatrix nichts davon bemerkte. „Das glaub ich nicht. Ich glaube, du darfst mir nichts antun.“
FĂŒr einen Moment sah es so aus, als hĂ€tte Harry gewonnen. Bellatrix starrte ihn mit einem Entsetzen an, als hĂ€tte er ihr Weltbild zerstört, ihr die Nachricht von Voldemorts Tod ĂŒberbracht. Sie schien erstarrt zu sein. Aber gerade, als Harry das fĂŒr sich nutzen und ihr einen Schockfluch auf den Hals hetzen wollte, Ă€nderte sich ihre Miene – sie lĂ€chelte.
„Das glaubst du, ja, Potter?“ Sie lachte leise vor sich hin, wie ĂŒber einen privaten Scherz. „Weißt du 
 ES IST MIR EGAL, WAS DU GLAUBST! Stupor!“
Harry war ĂŒberrascht, aber nicht so sehr, dass er nicht rechtzeitig reagieren konnte. Er beschwor einen Schutzschild herauf, der den Fluch von ihm wegschleuderte – aber kaum war das geschafft, hagelten weitere Zauber von Bellatrix auf ihn herab. Er hörte sie schreien wie eine Wahnsinnige, wĂ€hrend er einen Fluch nach dem anderen abwehrte – er wusste, dass in einer davon treffen wĂŒrde, dass er unmöglich fĂŒr jeden schnell genug sein konnte 

„Petrificus Totalus!“
Das war nicht Bellatrix‘ Stimme. Sondern Ginnys. Und der Schauer an FlĂŒchen brach mit einem Mal ab. Harry sah zu, wie Bellatrix‘ Körper zu Boden fiel, schnell und hart landete wie ein Steinbrocken. Ihre Hand, die ihren Zauberstab umklammerte, war nun vor ihr in die Luft gestreckt.
Harry wollte sich bedanken – da fiel sein Blick auf Fudge, der die bewusstlose Trelawney immer noch fest umklammert hielt und entsetzt auf Bellatrix starrte. Fudge sah hoch und direkt in Harrys Augen. Wahrscheinlich wollte er Trelawney fallen lassen und flĂŒchten, aber Harry war natĂŒrlich zu schnell fĂŒr ihn. Schon lag auch er versteinert auf dem Boden, Kopf an Kopf mit Bellatrix, deren Augen voller Zorn und kaltem Hass direkt auf Harry gerichtet waren, ohne sich auch nur im Geringsten zu rĂŒhren – obwohl die Augen das einzige waren, was Bellatrix in diesem Zustand bewegen könnte.
„Ennervate.“
Harry drehte sich um. Ginny war ĂŒber Neville gebeugt, ihr Zauberstab war auf ihn gerichtet. Kurz sah es so aus, als hĂ€tte der Zauber nichts gebracht – dann fuhr Neville plötzlich mit einem lauten Keuchen hoch. Nevilles Gesicht, das Harry nun sehen konnte, war angsterfĂŒllt, leichenblass und schweißgebadet, ebenso wie die Haare, die ihm in die Stirn hingen.
„Was – was –“
„Es ist okay“, sagte Ginny mit ruhiger Stimme zu Neville. „Ganz ruhig.“
Harry ließ die beiden allein und wandte sich Trelawney zu, die mit Fudge umgefallen war. Die magischen Fesseln, die sie umschlossen, sahen nicht undurchdringbar aus.
„Finite“, sagte Harry, mehr, um zumindest etwas zu versuchen, als weil er dachte, dass das etwas nĂŒtzen wĂŒrde. Aber die Fesseln verschwanden tatsĂ€chlich sofort. „Rennervate!“ Wie Neville schreckte Trelawney mit angsterfĂŒllter Miene auf.
„L-lasst mich!“, kreischte sie. „Ge-geht weg! Los! Lasst mich in Ruhe!“
„Professor – Professor Trelawney!“, rief Harry; aber sie schien ihn nicht zu hören, riss ihren Kopf nach allen Seiten, krabbelte rĂŒckwĂ€rts gegen die Wand, in eine Ecke. „Professor Trelawney!“ Er lief zu ihr und wollte sie packen, sie wachschĂŒtteln – aber da sprang Trelawney hoch, schrie erneut „Lasst mich!“, und lief dann an Harry vorbei, durch die TĂŒr hinaus in die Kerker.
Harry wollte ihr hinterher, wollte sie beruhigen – tat es aber nicht. Etwas hielt ihn zurĂŒck; er fragte sich, warum er sie beruhigen wollte: Um ihretwillen 
 oder weil die Todesser sie hatten entfĂŒhren wollen? Warum wollten sie das eigentlich?
Harry sah nach rechts, hinunter auf den Körper von Lucius Malfoy. Er war tot. Getötet durch einen einfachen Zauber, der gewöhnlich dazu genutzt wurde, Objekte, die den Weg blockierten, wegzuschieben. Er blickte nach links, betrachtete die versteinerte Bellatrix Lestrange, ĂŒberwĂ€ltigt von einer Hexe, die noch nicht einmal volljĂ€hrig war.
„So, das hĂ€tten wir.“
Harry wandte sich an Neville und Ginny. Sie hatte ihm mittlerweile auf die Beine geholfen – auf wacklige, unsichere Beine. Bellatrix hatte vor ihrem Auftauchen also schon genĂŒgend Spaß mit ihm gehabt.
„Geht es?“, fragte Ginny ihn. Er antwortete nicht. Sein Blick war auf Bellatrix gefallen. Es schien einen Moment zu dauern, bis er verstand, was er da vor sich hatte. Aber dann, als er es begriff, verĂ€nderte sich Nevilles Gesicht auf erschreckende Weise. Niemals zuvor hatte Harry einen Ausdruck solchen Hasses bei Neville erkennen können, und nie hĂ€tte er ihn erwartet. Es war erschĂŒtternd, Neville so zu sehen.
„Nein, Neville, nicht!“, rief Ginny, als Neville einen Satz vorwĂ€rts auf Bellatrix zu machte, Harry dabei zur Seite stieß. Er wollte sich offenbar auf sie stĂŒrzen, sie vermutlich mi bloßen HĂ€nden an Ort und Stelle töten. Ihre Augen starrten nun ihn an, voller Angst; diese Angst verlieh ihr eine ganz andere, neue Aura des Wahnsinns.
„Tu nichts, was du spĂ€ter bereust!“ Wie ein Zuschauer stand Harry nur da und tat nichts, sah zu, wie Ginnys Worte Neville dazu brachten, stehen zu bleiben, wie sie langsam in seinen Kopf eindrangen. FĂŒr einen Moment schien es, als ob er sie ignorieren wĂŒrde. Er atmete schwer, als mĂŒsse er den Drang zu schreien zurĂŒckhalten; seine Augen glĂŒhten vor Hass; und seine Arme, die er vor sich ausgestreckt hatte, zitterten wie Espenlaub. Er stand direkt vor Bellatrix‘ FĂŒĂŸen. Gleich wĂŒrde er sich auf sie fallen lassen, ihr ins Gesicht schlagen, seine HĂ€nde um ihren Hals legen. Irgendetwas wĂŒrde er gleich tun, das war sicher 

Aber dann fiel Neville auf seine Knie. Wimmernd und schluchzend kniete er auf dem Boden, die Frau, die seinen Eltern etwas Furchtbares angetan und letztlich fĂŒr deren Tod gesorgt hatte, nur Zentimeter entfernt von ihm. Und obwohl sie sich nicht bewegen konnte und er alles hĂ€tte mit ihr anstellen können, saß er nur da und weinte.
Ginny ging zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie flĂŒsterte ihm ein paar beruhigende Worte ins Ohr, aber sie erzielte keinerlei Wirkung. Dann wandte sie sich an Harry, sah ihn an mit völlig gefasster, fast schon gefĂŒhlloser Miene; sie ist so stark, dachte Harry.
„Kannst du rauf gehen und jemandem Bescheid sagen, dass wir hier unten sind?“, fragte sie. „Ich meine damit auch Malfoy, Lestrange und Fudge.“
Harry nickte. Er musste nicht fragen, warum sie nicht mitkommen wollte. Neville war jetzt nicht in der Lage, irgendwohin zu gehen, und sie konnte ihn einfach nicht allein lassen. Das verstand er. Er könnte es auch nicht, aber er wusste ja, dass Ginny bei ihm war.
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Harry um, verließ den Kerkerraum, in dem eine Leiche, zwei besiegte Todesser, der – in Harrys Augen – Ă€rmster Mensch der Welt und dessen beste Freundin einander ihre merkwĂŒrdige Gesellschaft leisteten.

„Weich aus!“ – „Vorsicht!“ – „Stupor!“ – „Hinter dir!“ – „Avada Kedavra!“
Solche Rufe wechselten sich ab in dem Durcheinander, das sich mittlerweile auf das ganze Schloss ausgebreitet hatte. Bunte FlĂŒche schossen durch die Luft, und es war fast unmöglich, jedem davon auszuweichen und trotzdem gleichzeitig noch selbst zu zaubern. Man erkannte kaum noch, mit wem man es zu tun hatte, konnte nicht sehen, ob es ein Freund oder Feind war. Und jedes Mal, wenn man einen schmerzerfĂŒllten Schrei hörte, bildete man sich ein, es wĂ€re der des Menschen gewesen, der einem am allerwichtigsten war, und verlor beinahe den Verstand.
In diesem Chaos schaffte Ron es kaum, sich zu konzentrieren. Dabei musste er bei der Sache bleiben. Denn er hatte etwas Bestimmtes zu tun: er war auf der Suche nach Hermine.
Nachdem das Ministerium und der Orden des Phönix aufgetaucht war, hatte Ron es geschafft, die Kobolde von Hermine zu reißen. Er hatte die Schlacht gewonnen geglaubt – als die Todesser aufgetaucht waren. Und noch bevor er und Hermine die Möglichkeit gehabt hatten, zu besprechen, was sie tun sollten, waren sie in der Eingangshalle gewesen. Hermine hatte einen der Todesser entwaffnet und seinen Zauberstab Ron gegeben, dessen eigener von den Kobolden zerbrochen worden war, und in dem Moment, in dem er sich hatte bedanken wollen – hatte ein anderer Todesser Hermine angegriffen. Ron hatte ihr in dem Duell zu Hilfe eilen wollen, aber dann war auch er attackiert worden. Und als sein Kampf gegen den Todesser vorbei gewesen war – hatte er plötzlich bemerkt, dass sie das Duell bis hoch in den dritten Stock gebracht hatte.
Hier war er nun, suchte seinen Weg zwischen den anderen Duellanten und den umherschwirrenden FlĂŒchen zurĂŒck ins Erdgeschoss – wo Hermine hoffentlich noch war. Ansonsten mĂŒsste er eben weitersuchen. Denn gut ging es ihr bestimmt; sie war eine viel bessere Zauberin als er, und auch er war noch wohlauf. Ja, ihr war nichts passiert 

Oh Gott, bitte lass ihr nichts passiert sein 

Ein lautes Knacksen von oben ließ Ron hochblicken – und er sprang schnell zur Seite, um dem Holzbalken auszuweichen, der von der Decke gebrochen war und auf ihn hinabstĂŒrzte. Ron griff nach einem FensterflĂŒgel, um nicht zu Boden zu fallen. Erfreut sah er, dass zwei Todesser nicht so schnell gewesen waren wie er und nun unter dem Holzbalken begraben waren. Er wandte sich von ihnen ab, lief an dem Fenster vorbei und – sofort wieder zu dem Fenster zurĂŒck. Er hatte sich eingebildet, unten auf den LĂ€ndereien etwas gesehen zu haben 
 Einbildung, sagte er sich, das war Einbildung.
War es nicht.
Das durfte nicht wahr sein! Nicht das auch noch! Nicht die auch noch, besser gesagt. Aber im Licht des Mondes – dieses verdammten Vollmondes – waren ihre Gestalten auf den Wiesen deutlich auszumachen.
Mindestens drei Dutzend Werwölfe liefen dort auf den Eingang des Schlosses zu, wo die Schlacht in vollem Gange war.
„Die Werwölfe kommen!“, dröhnte der Ruf eines KĂ€mpfenden durch das offene Fenster zu Ron hoch. „Holt Silber! Schnell, holt Silber!“
Und ĂŒber dem das unheildrohende Heulen der Bestien, die gerade aufgetaucht waren – um die Todesser zu unterstĂŒtzen.
Hermine, dachte Ron nur. Er musste sie finden.

Harry stand am Fuß der Treppe, die hoch in die Eingangshalle fĂŒhrte. LĂ€rm hallte zu ihm hinunter, LĂ€rm, den er kaum beschreiben konnte, mit all seinen unterschiedlichen GerĂ€uschen: Den Schreien und Rufen von Menschen, den Explosionen irgendwelcher GegenstĂ€nde, dem Kreischen der Kobolde – und noch einem anderen GerĂ€usch. Wolfsgeheul 

Harry war unschlĂŒssig. Er wusste nicht genau, wie er handeln sollte. Einerseits war da sein Drang, selbst am Kampf teilzunehmen; Todesser zu erledigen. Das war es, was er eigentlich tun wollte. Aber andererseits wusste er, was er tun musste.
Malfoy hatte gesagt, der Krieg wĂŒrde vor Anbruch des nĂ€chsten Tages zu Ende sein. Voldemorts Plan zufolge sollte alles heute Nacht vorbei sein. Aber die Nacht dauerte noch ein paar Stunden. Vielleicht war noch Zeit. Und vielleicht verzögerte sich etwas in Voldemorts Plan dadurch, dass Malfoy und Bellatrix Lestrange nicht zu ihm zurĂŒckkehren konnten. Ganz abgesehen davon, dass Trelawneys EntfĂŒhrung, ein weiterer Punkt in Voldemorts Plan, der gescheitert war, vermutlich auch fĂŒr den Dunklen Lord zu Probleme fĂŒhren konnte. Warum wollte er eigentlich Trelawney haben? Harry hatte eine Idee – aber nicht die Zeit, diese nĂ€her zu bedenken.
Und doch: Ein bisschen Zeit blieb 
 Jetzt war es an Harry, zu entscheiden, wie er diese Zeit nutzen sollte.
Du musst dafĂŒr sorgen, dass Voldemort zu Fall gebracht werden kann, sagte die Stimme in Harrys Kopf, die er schon so oft gehört hatte, die, die ein bisschen wie Hermine klang – oder 
 war das Dumbledore?
Ganz egal, jedenfalls hatte die Stimme Recht. Er musste fĂŒr Voldemorts Untergang sorgen. Und das konnte er nur auf eine Weise.
Ich habe das Schwert und das Medaillon, sagte er sich, das Zepter hat keiner von uns und der Becher könnte ĂŒberall sein. Den Kessel habe ich auch. Die RĂŒstung ist in Gringotts, die Schlange ist bei Voldemort selbst, das Medaillon möglicherweise auch.
Es war letztlich so einfach. So klar, so simpel. Es war so offensichtlich, was Harry zu tun hatte, und es schien, als wĂŒrde die Zeit bis Sonnenaufgang locker dafĂŒr reichen. Um Voldemort zu besiegen, brauchte er die Totenrelikte nicht wirklich – zwei davon hatte er aber, und selbst wenn Voldemort aus irgendeinem Grund den Becher besitzen sollte, war sich Harry sicher, dass den Aufenthaltsort von Ravenclaws Zepter niemand kannte – was die Totenrelikte betraf, war Harry also im Vorteil. Und was er wegen der Horkruxe zu tun hatte, das war der einfachste Teil der ganzen Geschichte: Er musste die RĂŒstung holen, er musste ins Ministerium, den Kessel und die RĂŒstung durch den Schleier werfen. Und dann konnte er schon Voldemort gegenĂŒbertreten: Voldemort, der vielleicht sein Medaillon, ganz sicher seine Schlange bei sich hatte. Um die letzten zwei Horkruxe zu zerstören, musste Harry Voldemort konfrontieren. Er hatte keine andere Wahl.
Wenn seine Aufgabe bloß schon vor Monaten so augenscheinlich gewesen wĂ€re 

Harry griff tief in seine Tasche – und zog den Tarnumhang daraus hervor. Er hatte ihn vorhin, als er und Ginny die Karte des Rumtreibers geholt hatten, eingesteckt. Wenn er wirklich zurĂŒck nach Gringotts wollte, musste er zu dem Portal gelangen, und da wĂ€re es besser, wenn ihn niemand entdeckte. Auch wenn die Todesser ihn wohl auf Voldemorts Befehl hin nicht angreifen wĂŒrde – warum auch immer Voldemort das befehlen haben mochte, Harry glaubte nicht, dass Lucius und Bellatrix da gelogen hatten – so war es doch besser, unbemerkt durch das Schloss zu gehen. Er wĂŒrde, sobald er ein Ordensmitglied traf, das nicht zu sehr beschĂ€ftigt war – vielleicht gab es ja ein Lager zum Ausruhen oder Ähnliches – wĂŒrde er es zu Ginny und Neville schicken. Vorher aber wĂŒrde er ihm mitteilen, was Malfoy ihm ĂŒber Voldemorts Plan verraten hatte. Vielleicht konnte der Orden diesen ja vereiteln, wĂ€hrend Harry mit dem Kessel und der RĂŒstung zum Ministerium reiste.
Aber zuerst wollte er noch jemand anderen suchen. Ron und Hermine hatten es mehr als verdient, mit ihm mitzukommen.
Wenn sie denn wollten 

Er warf sich den Umhang ĂŒber, sah zu, wie sein Oberkörper, seine Beine, seine FĂŒĂŸe darunter verschwanden. Er war nun unsichtbar, aber bestimmt war es oben eng – er wĂŒrde aufpassen mĂŒssen, dass niemand ihn anrempelte. Nein, das war Schwachsinn – wenn ihn jemand berĂŒhrte, wĂŒrde er wohl einfach denken, er hĂ€tte einen derer berĂŒhrt, die um ihn herum ebenfalls kĂ€mpften. Und das gleiche, fiel Harry ein, galt fĂŒr seinen Zauberstab: Niemandem wĂŒrde dieses dĂŒnne StĂŒck Holz auffallen, und wenn es doch jemand sah, wĂŒrde er glauben, es wĂ€re der Stab eines Duellanten.
Es dauerte eine Weile, bis er den Zauberstab so in seiner Hand hielt, dass seine Spitze zwar außerhalb des Tarnumhangs war und nicht den Stoff treffen wĂŒrde, wĂŒrde Harry zaubern, sein Körper aber trotzdem vollkommen unsichtbar war. Er zweifelte nicht einmal daran, dass es richtig war, sich mit solchen scheinbaren Kleinigkeiten aufzuhalten, auch wenn die Zeit knapp war – er durfte jetzt keinen Fehler mehr machen, musste aufpassen, jeden Schritt planen. Er wusste genau, was als nĂ€chstes passieren wĂŒrde, denn endlich hatte er es wieder in der Hand.
„Harry? Bist du unter deinem Tarnumhang?“
Harry sah erschrocken hoch. Jemand kam die Stufen hinunter. Und obwohl er sofort erkannte, wer es war, dauerte es, bis er sich dessen sicher war – und selbst da verstand er es noch nicht.
„Ginny?“, rief er, als sie mit schnellen Schritten zu ihm lief; ihr rotes Haar tanzte um ihren Kopf, ihr strahlendes LĂ€cheln trennte die Sommersprossen auf ihren Wangen noch weiter voneinander. Ganz eindeutig, das war Ginny – aber wie war das möglich? Er hatte sie doch gerade erst in dem Kerkerraum zurĂŒckgelassen! Er nahm seinen Tarnumhang ab – und erst in dem Moment fiel ihm ein, dass das eine Falle sein könnte.
„Ich bin nicht Ginny“, sagte Ginny, als sie vor ihm zum Stehen kam; er war schon dabei, seinen Zauberstab auf sie – wen? – zu richten, als sie weitersprach: „Ich hab mich nur in jemanden verwandelt, von dem ich dachte, dass du sofort zu ihm kommen wĂŒrdest, wenn du ihn siehst. Ich such – oh, warte –“
Ginny schloss ihre Augen in Konzentration – und schon hatte Harry jemand anderen vor sich.
„Luna!“, fuhr es ihm erstaunt aus. „Ich – wie hast du mich gefunden? Was –“
„Ich hab einfach das ganze Schloss nach dir abgesucht“, erwiderte Luna. Sie packte seine Hand, zog daran. Irgendetwas schien sie sehr zu freuen – sie grinste, als wĂ€re etwas Wunderbares geschehen. „Du musst mit mir mitkommen!“
„W-was? Wieso? Wohin? Ich hab keine Zeit, Luna, ich –“
„Harry, du musst!” Luna zog fester an seiner Hand. „Es ist wichtig! Meine Mutter will dich sehen!“
„Deine –“
„Ja, meine Mutter! Komm schon, sie will mit dir sprechen – sie sag, sie kann dir helfen, Voldemort zu vernichten!“
Harry versuchte mĂŒhevoll, Lunas Worten einen Sinn abzuringen.
„Luna – deine Mutter ist doch – ist sie nicht –“
„Tot? Ja, das hab ich auch gedacht!“ Luna nickte, als wolle sie sagen Wahnsinnszufall, was? „Aber sie hat mich gerade abgefangen und –“
„Abgefangen? Was – wie meinst du das? Luna, wo warst du, man hat nach dir gesucht!“
„Ich war im verbotenen Wald spazieren. Das mach ich jede Nacht – wieso hat man nach mir gesucht?“
„Du solltest Hogwarts verlassen! Du merkst doch, ein Kampf ist ausgebrochen und –“
„Nein, genug, das ist jetzt egal!“ Wieder zog sie fest an seiner Hand, und diesmal stolperte er beinahe ĂŒber seine eigenen FĂŒĂŸe. „Sie sagt, sie will unbedingt mit dir sprechen! Ich hab ihr versprochen, dich zu ihr zu bringen. Harry, sie weiß etwas, das dir helfen kann, hat sie gesagt!“
„Aber – aber Luna! He- hey!“ Luna hatte sich umgedreht und wollte loslaufen, riss ihn mit sich, aber er hielt sie zurĂŒck. „Luna, jetzt hör doch mal zu – woher sollte deine Mutter etwas wissen, das mir im Kampf gegen Voldemort –?“
Als wĂ€re die Situation nicht schon verrĂŒckt genug, lachte Luna nun zu allem Überfluss auch noch. Das verschlug Harry endgĂŒltig die Sprache. Er wusste nicht, warum, aber Lunas herzhaftes, glĂŒckliches Lachen, wenn oben Krieg tobte und ein paar KerkergĂ€nge weiter eine blutige Leiche herumlag, versetzte ihn in stutzendes Schweigen.
„Du weißt es ja gar nicht, das hab ich vergessen!“, sagte Luna dann, und sie schien sich richtig zusammenreißen zu mĂŒssen, um nicht weiterzulachen. „Sie hat lange Zeit mit anderer IdentitĂ€t gelebt, meine Mutter, musst du verstehen. Und sie hat mir erzĂ€hlt, dass sie da auch viel ĂŒber Voldemort erfahren hat! Wo er sich versteckt hĂ€lt und solche Dinge – und sie will jetzt all das dir verraten!“
Harry war schon dabei, seinen Mund wieder zu öffnen – aber erneut verschlug es ihm die Sprache. Dieses Wort – Luna hatte das Schlagwort ausgesprochen 

Wo er sich versteckt hĂ€lt 
 oder vielleicht – wo er seine Horkruxe versteckt hĂ€lt?
Reiß dich zusammen, sagte sich Harry. Gerade zuvor hatte er festgestellt, wo sich die restlichen Horkruxe befanden, was er zu tun hatte. Was sollte Lunas Mutter – sofern sie denn ĂŒberhaupt noch lebte, was er bezweifelte – ihm da noch verraten können? Und doch – was das Medaillon betraf, so bestand da ein Restzweifel 

Harry wusste nicht, ob er an das Schicksal glauben konnte. Er hatte sich nie damit auseinandergesetzt, und leider hatte auch Dumbledore ihm nie etwas darĂŒber gesagt. Die Prophezeiung, das hatte Dumbledore ihm verraten, sei nur in ErfĂŒllung gegangen, weil Voldemort selbst dafĂŒr gesorgt hatte, nicht, weil es so bestimmt war 
 Aber war diese ErklĂ€rung wirklich ausreichend?
Was, wenn das Schicksal Harry hier helfen wollte? Was, wenn es erkannt hatte, dass Harry ĂŒberstĂŒrzt Voldemort gegenĂŒbergetreten wĂ€re, in der Erwartung, das Medaillon und die Schlange bei ihm anzutreffen, wenn eines von beiden – oder vielleicht sogar beides? – an gĂ€nzlich anderen Orten zu finden war? Und was, was, wenn Lunas Mutter tatsĂ€chlich noch lebte und tatsĂ€chlich etwas ĂŒber Voldemorts Verstecke wusste?
Konnte es Zufall sein, dass Luna in exakt dem Moment erschienen war, indem Harry seinen Plan in die Tat hatte umsetzen wollen?
„Okay“, sagte Harry. „Ich komme mit dir.“
Luna strahlte sogar noch mehr als zuvor.
„Hier runter“, sagte er zu ihr und hielt den Tarnumhang hoch; sie stellte sich neben ihn, dann ließ er den Umhang ĂŒber sie fallen. Wieder arrangierte er ihn so, dass er seinen Zauberstab kampfbereit halten und einige Todesser verfluchen konnte, ohne gesehen zu werden, und trotzdem unsichtbar war. Dadurch, dass sie nun zu zweit waren, wurde das noch schwieriger, aber es gelang ihm.
Erneut zog Luna an Harrys Hand; und diesmal ging er mit ihr.
„Wieso hat deine Mutter behauptet, sie wĂ€re tot, wenn sie noch lebt?“, fragte Harry, wĂ€hrend sie die Treppe hoch liefen.
„Das wĂŒrdest du nicht verstehen“, sagte Luna nur; Harry war nicht zufrieden mit dieser Antwort, aber bevor ihm weitere Fragen möglich waren, erreichten sie die Eingangshalle. Luna ließ ihm kaum Zeit, das Schlachtfeld zu betrachten – sie zog ihn sofort an seiner Hand weiter.
Trotz des Tarnumhangs – oder vielleicht gerade wegen ihm – war es schwierig, sich in der Eingangshalle unbemerkt zum Eichentor zu schleichen. Weniger Leute, als Harry erwartet hatte, kĂ€mpften hier, aber dennoch zu viele, um einfach zwischen ihnen durchzugehen. Eine BerĂŒhrung mit einem der Todesser war nicht so harmlos, wie er gedacht hĂ€tte; das stellte er fest, als Luna einem Todesser aus Versehen ein Bein stellte und dieser stĂŒrzte. Zwar konnte der Auror, der gegen ihn kĂ€mpfte, ihn deshalb fesseln, aber sie könnten in keinem Fall noch mehr Todesser umwerfen: Irgendwann wĂŒrde es jemandem auffallen, und egal, ob es Freund oder Feind war, verdĂ€chtig kĂ€me es beiden vor, und sie wĂŒrden sie wohl schnell mit FlĂŒchen bombardiert werden. Und vor denen schĂŒtzte der Tarnumhang nicht.
Als ein Auror so knapp vor Harrys Zauberstab vorbei lief, dass er dessen Spitze beinahe berĂŒhrte – und damit möglicherweise sogar abgebrochen hĂ€tte – zog Harry den Zauberstab kurzerhand nĂ€her zu sich heran und bedeckte ihn ebenfalls mit dem Tarnumhang. Er wĂŒrde jetzt wohl ohnehin nicht zaubern mĂŒssen. Das wĂŒrde ihn ebenfalls verraten.
Harry und Luna erreichten das Eichenportal. Am Fuß der Treppe, die zu den LĂ€ndereien fĂŒhrte, waren schon die nĂ€chsten KĂ€mpfenden. Harry erkannte beide: Kingsley Shacklebolt und der Todesser namens Dawlish lieferten sich ein Duell, dessen Ausgang fĂŒr Harry keine Frage war. Und tatsĂ€chlich rang Kingsley Dawlish in dem Moment mit einem besonders mĂ€chtigen Schockzauber nieder. Als Kingsley sich daran machte, Dawlish magische Fesseln anzulegen, sagte Harry zu Luna: „Komm unter dem Tarnumhang mit.“
Er warf den Umhang von sich und lief die Treppe hinunter.
„Harry!“, rief Kingsley erstaunt, als er ihn erkannte. „Wie sieht es drin aus?“
„Keine Ahnung“, antwortete Harry knapp, bevor er sofort sagte: „Hör zu, Kingsley – unten im Kerker – Kerker vier, glaub ich – ja, genau, im Kerker vier, dort sind Lucius Malfoy, Bellatrix Lestrange, Cornelius Fudge, Ginny Weasley und Neville Longbottom – keine Angst, Malfoy ist tot und Lestrange und Fudge können sich nicht rĂŒhren. Sie sollten hinunter gehen, die Todesser einsammeln – Fudge ist ĂŒbrigens auch einer – und Ginny und Neville irgendwohin bringen, wo sie sicher sind. Neville ist nicht in der besten Verfassung; machen Sie Ginny bitte klar, dass Neville nicht allein sein darf, und dass es am besten wĂ€re, wenn sie als seine beste Freundin bei ihm bleiben könnte. Es wĂ€re besser, wenn sie beide Hogwarts jetzt verlassen wĂŒrden, denke ich 
“
Harry war darauf vorbereitet, dass Kingsley Einwand erhob, Fragen stellte – aber glĂŒcklicherweise – und zu Harrys großer Überraschung – nickte er nur, wandte sich ein letztes Mal an Dawlish und berĂŒhrte mit seinem Zauberstab dessen Kopf; Dawlish schien mit dem Gras zu verschmelzen, als der Desillusionierungszauber zu wirken begann. Harry vermutete, dass Kingsley das machte, damit kein Todesser Dawlish finden und mit zurĂŒck zu Voldemort nehmen wĂŒrde.
ZurĂŒck zu –
„Hey – hey! Kingsley, warte!“
Aber es war schon zu spĂ€t, Kingsley war bereits in der Eingangshalle verschwunden und war von dem LĂ€rm umgeben, der da drin herrschte. Nun hatte Harry vergessen, ihm alles zu sagen, was er unten im Kerker erfahren hatte – dass das hier nur eine Ablenkung war, dass Voldemort den Krieg aber trotzdem noch heute Nacht beenden wollte, dass die Todesser Trelawney hĂ€tten entfĂŒhren sollen – dass Tonks eine VerrĂ€terin war 

Egal, sagte er sich; bestimmt wĂŒrde Ginny daran denken, Kingsley all das zu sagen.
„Luna, bist du hier?“, fragte er in die Dunkelheit neben sich hinein.
„Hier“, sagte Luna und sie hob den Tarnumhang hoch. Harry stellte sich darunter und gemeinsam liefen sie den Weg entlang, gefĂŒhrt von Luna. Harry war in Gedanken – wĂŒrde er nun gleich Lunas Mutter treffen, die ihm etwas ĂŒber Voldemort erzĂ€hlen konnte? Oder war er nur auf eine von Lunas dummen Geschichten hereingefallen, die außer ihr selbst kein Mensch glaubte (außer ihrem Vater vielleicht)?
Die Gedanken wurden aus seinem Kopf vertrieben, als nach und nach neue GerÀusche an Harrys Ohren drangen. Sie klangen nicht anders als die im Schloss. Und als er hoch sah, erkannte er, dass auch ihre Quelle kaum eine andere war.
Auch hier draußen spielte sich ein Kampf ab. Allerdings, so schien es Harry, war das hier die wahre Schlacht. Als hĂ€tte Kingsley bereits als Hinweis darauf gedient, war hier draußen offensichtlich die Elite beider Seiten am Werk: Moody, Scrimgeour und McGonagall zum Beispiel lieferten sich hier Duelle mit Todessern, die man sofort als Meister ihres Faches erkennen konnte. Die Einfachheit, mit denen diese Zauberer und Hexen ihre ZauberstĂ€be bewegen, die Konzentration, die sich auf ihren Gesichtern spiegelte (sicher auch auf denen der Todesser, nahm Harry an, auch wenn sie alle maskiert waren), die komplette Stille, mit denen sie ihre Zauber wirkten, ihre Treffsicherheit und ihre Schnelligkeit, wenn es darum ging, gegnerische FlĂŒche abzuwehren, erstaunten Harry so sehr, dass er stehen blieb und zusah, einfach nur zusah. Es war ein Spektakel, wie er es noch nie gesehen hatte. Und es breitete sich ĂŒber einen großen Teil der LĂ€ndereien aus: In weiter Ferne, fast schon am Tor, erkannte Harry Hagrid und einen Troll, die ĂŒber die anderen hochragten und in einen Faustkampf verwickelt waren. Zauber, die abgewehrt worden und hoch in Richtung Himmel schossen, explodierten dort wie Feuerwerk. Da Harry die wahre Natur dieser Lichter kannte, war es fĂŒr ihn natĂŒrlich weniger schön als erschreckend – aber trotzdem war es faszinierend 

„Harry? Harry!“
„Wa- ja.“ Harry riss seinen Kopf von dem Spektakel weg und sah in Lunas ungeduldiges Gesicht. „Ja, ich komm schon, tut mir Leid.“
„Wir mĂŒssen zu Hagrids HĂŒtte“, sagte Luna. „Dort wartet sie auf uns.“
Sie machten einen grĂ¶ĂŸtmöglichen Bogen um die KĂ€mpfenden. Harry warf einen letzten Blick ĂŒber seine Schulter, um einen besonders begeisterungswĂŒrdigen Zauber, den er nicht kannte, von Moody zu bewundern; dann wandte er sich endgĂŒltig ab.
Luna bewegte sich nun so schnell, dass sie beinahe den Tarnumhang von Harr zog. Er begann ebenfalls zu laufen, um mit ihr Schritt zu halten. Eigentlich war es gut, dass sie ihn so vorantrieb – er hatte es eilig, erinnerte er sich.
„Da!“, rief Luna nach einer Weile. „Da ist sie! Siehst du, da bei – bei – Moment 
“
Harry sah tatsĂ€chlich jemanden. Noch in einiger Ferne, schien eine Person an einem Baum neben Hagrids HĂŒtte zu lehnen. Sie war zwar noch weit weg, aber Harry fand, dass sie durchaus aussah, wie man sich Lunas Mutter vorstellen könnte, mit dem langen blonden Haar, das ihr ĂŒber die Schultern fiel.
„Sie hat vorhin anders ausgesehen 
“
Harry und Luna blieben gleichzeitig stehen.
„Wie meinst du das?“, fragte er; er hatte ein ungutes GefĂŒhl 

„Sie hat vorhin noch nicht so ausgesehen!“, sagte Luna mit aufgeregter Stimme und sie sah Harry mit einem ĂŒberraschten Blick an, als mĂŒsse er verstehen, was sie meinte. „Und sie hat gesagt, sie kann sich nicht mehr in ihre wahre Gestalt zurĂŒckverwandeln! Meinst du, sie es jetzt doch geschafft? Meinst du, sie hat ihre richtige Form wieder gefunden?“
„Ihre richtige – wie meinst du – ach so!“, rief Harry, als er verstanden hatte. „Sie ist ein Metamorphmagus, wie du!“
Luna nickte. „Glaubst du, sie sieht jetzt aus, wie sie wirklich aussieht?“ Sie starrte zu der Frau hin, gebannt von der Vorstellung, ihre Mutter unverĂ€ndert zu treffen.
„Ich denke, es ist möglich 
“ Harry wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Es war immerhin möglich; er hatte keine Ahnung von Metamorphmagus-Magie, hatte nicht einmal gewusst, dass ein Metamorphmagus in einer verwandelten Gestalt stecken bleiben konnte, wie Lunas Mutter offenbar von sich behauptet hatte. „Wir mĂŒssen wohl hingehen, um es herauszufinden.“
„Ja 
“ Luna blinzelte. „Ja! Genau, los, gehen wir!“
WĂ€hrend sie der Frau bei Hagrids HĂŒtte immer nĂ€her kamen, stiegen in Harry neue Zweifel auf. Vergeudete er hier wertvolle Zeit? – Was, wenn die Kobolde inzwischen nach Gringotts zurĂŒckgehen und die RĂŒstung an sich nehmen wĂŒrden? Oder –
Oh nein 

Was, wenn die RĂŒstung wie einige GoldstĂŒcke in dem Portal gelandet war? In Hogwarts war er nicht aufgetaucht ... schwebte er nun im Nichts dieses seltsamen Portals?
Nein, wusste Harry sofort. Wenn Voldemort wirklich den Kobolden einen Horkrux anvertraut hatte, wÀren sie nicht so achtlos damit umgegangen. Sicher nicht 

Oder doch?
„Mum, wir sind da!“
Luna zog den Tarnumhang von sich, bevor Harry etwas tun konnte; und als er sie zurĂŒckhalten wollte, stockte er. Warum glaubte er, etwas dagegen tun zu mĂŒssen? Etwas sagte es ihm. Purer Instinkt, ohne wahren Grund. Es war so ein GefĂŒhl 

Harry sah Luna hinterher, als sie auf die Frau zulief. Und als er die Frau nun aus der NĂ€he sagte, erkannte er den Grund fĂŒr sein GefĂŒhl.
„LUNA, BLEIB STEHEN!“
Luna schien ihn nicht zu hören. Unaufhörlich rannte sie auf die Frau mit den blonden Haaren zu; ohne zu wissen, dass das nicht ihre Mutter war. Nein 

Es war Narzissa Malfoy.
„LUNA, DAS IST NICHT DEINE MUTTER!“ Harry lief Luna hinterher und wĂ€re beinahe ĂŒber den Tarnumhang gestolpert. Er riss ihn von sich, hob seinen Zauberstab und stĂŒrmte auf Luna zu, die schon fast bei Narzissa angelangt war. Aber Narzissa hatte sich immer noch keinen Zentimeter gerĂŒhrt 

Harry bemerkte die Bewegung aus den Augenwinkeln – aber zu spĂ€t. Als er sich umdrehte und einen Schildzauber sprechen wollte, wurde er schon getroffen. Der Zauber riss ihn zu Boden; Fesseln wanden sich um seinen Körper wie Schlangen. Und dann hörte er ein Lachen, das er sofort wieder erkannte. Das Lachen eines kleinen MĂ€dchens, auch wenn es nicht von einem kleinen MĂ€dchen kam 


Über die Treppe hinunter in den zweiten Stock, durch einen Geheimgang in den fĂŒnften hoch, hinunter in den vierten, in den ersten, durch die Eingangshalle zum Keller, durch ein PortrĂ€t in den siebten Stock; egal, wo Ron suchte, er konnte Hermine nirgends finden.
Da kam ihm eine Idee – die Karte des Rumtreibers musste im Raum der WĂŒnsche sein!
Aber als er die Korridore zum Raum der WĂŒnsche – die die KĂ€mpfenden noch nicht erreicht hatten – durchquert hatte und in Harrys Zimmer nach der Karte suchte, konnte er auch die nicht entdecken. Wo war sie bloß? Hatte Harry sie etwa bei sich? Wozu?
Ron verließ Harrys Zimmer, ein benommenes GefĂŒhl in seinem Kopf. Als hĂ€tte er zu viel nachgedacht, wĂŒrde jetzt noch zu viel nachdenken. Und dabei war da nur dieser eine Gedanke – alles drehte sich darum, Hermine zu finden.
Wenn ihr etwas passiert war 

Nein, das ertrug er nicht. Allein die Vorstellung schien ihn von innen heraus aufzufressen.
Aber wo konnte sie sein? Überall, natĂŒrlich. Wie sollte er sie dann finden, wie sollte er –
„Hermine!“
Da stand sie, ĂŒber den Tisch im Raum der WĂŒnsche gebeugt. Sie sah unversehrt aus. Sie schreckte hoch, als er sie rief.
„Ron! Was – wieso erschreckst du mich so?“
„Wo warst du?“, entgegnete Ron. „Ich hab dich irgendwie verloren und – was – was hast du da?“
Denn er sah, wie sie hastig das, was auf dem Tisch gelegen hatte, in den Ärmel ihres Festmantels zu stecken versuchte; es rutschte immer wieder hervor, aber nicht lang genug fĂŒr Ron, um es zu erkennen.
„Gar nichts“, sagte Hermine, als es endlich dort blieb, wo sie es haben wollte; es zeichnete sich deutlich durch das dĂŒnne Schulterpolster ab, unter dem es steckte – es schien eine viereckige Form zu haben. „Nichts Wichtiges.“
Ron stutzte. „Wieso willst du’s mir nicht sagen?“
„Weil’s nicht wichtig ist!“, rief sie; dann seufzte sie laut. „Komm jetzt, wir mĂŒssen Harry finden.“
Sie ging zur TĂŒr und öffnete sie, aber Ron bewegte sich nicht vom Fleck.
„Wieso willst du’s mir nicht zeigen?“, fragte er, und hörte das Misstrauen in seiner eigenen Stimme 
 was, wenn das gar nicht Hermine war?
„Ich hab doch schon gesagt, es ist nicht –“
„Worum hat Harry uns vor einem Jahr gebeten, bevor er mit Dumbledore zu der Höhle gegangen ist?“
Es dauerte einige Sekunden, bevor Hermine antwortete. „Was? Ron, was –?“
„Du hast mich schon verstanden.“ Ron schluckte. „Worum hat Harry uns vor einem Jahr gebeten, bevor er mit Dumbledore zu der Höhle gegangen ist, das habe ich gefragt.“
Hermine glotzte ihn an, als wĂ€re er verrĂŒckt geworden – aber dann langsam schien es ihr zu dĂ€mmern; sie weitete ihre Augen und schloss den Mund – wie immer, wenn sie etwas erst nach kurzem Überlegen verstanden hatte.
„Er hat uns gebeten, den Felix Felicis unter allen aus der DA aufzuteilen, die helfen wollten, das Schloss zu bewachen“, sagte sie, „und dass wir uns fĂŒr ihn bei Ginny verabschieden. Ron, glaub mir, ich bin’s.“
„Aber warum willst du mir dann nicht sagen, was du da –?“
„Weil es unwichtig ist!“ Sie ging zu ihm und zog ihn an seinem Ärmel mit sich. „Komm jetzt!“

Luna starrte unglÀubig an, was sich vor ihr abspielte. Was hab ich getan 

Ihr war gleich aufgefallen, dass etwas nicht stimmte, als ihre Mutter – nein, nein, nicht ihre Mutter – als diese Frau sich nicht bewegt hatte. Und dann hatte sie gesehen, dass die Frau nicht einfach nur an den Baum angelehnt war, sondern dass sie jemand an ihn gefesselt hatte – und dass sie die Augen geschlossen hatte. War sie bewusstlos?
Und dann hatte sie sich umgedreht – und Harry genauso gefesselt auf dem Boden vorgefunden, wie die Frau an den Baum gefesselt war. Sein Tarnumhang lag ein paar Meter neben ihm, sein Zauberstab war im dunklen Gras kaum zu erkennen. Im Mondlicht sah sie sein Gesicht, verzerrt vor Wut und Hass, gerichtet auf Hagrids HĂŒtte. Nein – auf jemanden, der aus den Schatten hinter Hagrids HĂŒtte hervortrat 

Umbridges Zauberstab war auf Harry gerichtet. Ihr Triumph ließ sie strahlen, aber es tat ihrem krötenartigen Aussehen keinen Abbruch. Im Gegenteil – sie sah hĂ€sslicher aus als je zuvor. Und ihr Lachen war so hoch, dass es schmerzte; es tat weh, und es war wie Gift fĂŒr ihre Ohren.
Was hatte sie getan 

Aber noch war es nicht zu spÀt.
„STUPOR!“
Sie war nicht schnell genug; Umbridge drehte sich nach ihr um, wedelte mit ihrem Zauberstab – und Lunas Zauber wurde fortgeschleudert.
„So nicht, MĂ€dchen!“, rief Umbridge. „Du hast mir hervorragende Dienste erwiesen, aber jetzt brauche ich dich nicht mehr!“
Sie machte ein peitschendes GerĂ€usch mit ihrem Zauberstab, aus dessen Spitze etwas stob, das wie blaue Flammen aussah. Luna sprang zur Seite, bevor es sie erreichte – aber Umbridge bewegte ihren Zauberstab, die Flammen folgten Luna und schlugen sie gegen die Schulter – gingen direkt hindurch – und verschwanden dann. Und mit ihr verschwand Lunas Geist, als sie schlagartig das Bewusststein verlor.
Was habe ich getan 


Endlich hatte er einen Gang gefunden, der völlig leer und verlassen war. Hier hatten er und seine drei Freunde frĂŒher viel Zeit verbracht 
 seine drei „Freunde“ 

Er musste dringend nachdenken. Seitdem sie in Hogwarts eingefallen war, wollte er schon in Ruhe nachdenken. Und als er ihn gesehen hatte, war dieser Wunsch noch stĂ€rker geworden. Dieses GefĂŒhl in seinem Herzen, diese Last auf seiner Schulter 
 diese Schuld 
 wie er sie hasste!
Er wusste, dass er etwas daran Ă€ndern musste 
 Aber wie? Wie sollte er sich revanchieren? Es war doch unmöglich 


Sie konnte es kaum glauben. Sie hatte es geschafft!
Dolores’ Beute krĂŒmmte sich am Boden; Harry Potter kĂ€mpfte gegen seine Fesseln an, aber er hatte natĂŒrlich keine Chance, sich ihnen zu entreißen. Dolores hatte gewonnen. Sie war sich selbst nicht sicher gewesen, ob es klappen wĂŒrde. Aber dann hatte es funktioniert. Es hatte funktioniert! Ihr Plan war erfolgreich gewesen!
Anfangs hatte sie große Bedenken gehabt. Sehr gewagt hatte der Plan geklungen, sehr kompliziert 
 aber wie sonst hĂ€tte sie Potter in die Finger bekommen sollen? Wenn sie einfach ins Schloss hinein spaziert wĂ€re, wĂ€re sie von Auroren angegriffen worden. HĂ€tte sie gewartet, bis Potter das GebĂ€ude verließ, hĂ€tte sie vielleicht ewig warten können. Und hĂ€tte sie eine von Potters Freunden mit dem Imperius-Fluch belegt, so hĂ€tte Potter das bestimmt gemerkt.
Was könnte ich tun, hatte sie ĂŒberlegt, ewig lange 
 Und dann war es ihr gekommen, wie ein Geistesblitz.
Sie könnte sich doch einen von Potters kleinen Freunden zunutze machen. Die verrĂŒckte – diese merkwĂŒrdige Luna Lovegood. In ihrer Zeit als Großinquisitorin hatte Dolores natĂŒrlich ĂŒberaus sorgfĂ€ltig gearbeitet. Sie hatte den Hintergrund jeden SchĂŒlers ĂŒberprĂŒft. Und da war diese Lovegood, deren Mutter gestorben war, als sie neun Jahre alt gewesen war; und was hatte sie in ihrer Akte bei Besondere FĂ€higkeiten gelesen? Mutter war ein Metamorphmagus, möglicherweise an Miss Lovegood vererbt 
 Und der Vater der kleinen Lovegood? Dieser spinnende Muggel erzĂ€hlte ihr alle möglichen Geschichten von Nargeln und Schnarchkacklern; die Legende von den Schnarchkacklern hatte Dolores das letzte Mal erzĂ€hlt bekommen, da war sie drei Jahre alt gewesen!
Und sie hatte sich an die Legende erinnert. Und ihr war klar geworden, was sie zu tun hatte. Ihr Plan hatte Formen angenommen. Immer noch hatte er nicht plausibel geklungen – was, wenn Potter sie rechtzeitig entdeckt hĂ€tte, selbst wenn sie versteckt auf Lovegoods RĂŒckkehr mit Potter warten wĂŒrde?
Aber dann war Narzissa Malfoy ins Ministerium gebracht worden. Da hatte der letzte – nein, der vorletzte Teil ihres Planes neue Formen angenommen. Statt sich selbst Potter als Lovegoods Mutter zu prĂ€sentieren, wĂŒrde sie Narzissa Malfoy – die mit ihren blonden Haaren und der schlanken Figur im Dunkeln durchaus der kleinen Lovegood Ă€hnlich sah – dazu benutzen, Lovegood und Harry zu tĂ€uschen. Lovegood wĂŒrde annehmen, sie hĂ€tte wieder zu ihrer richtigen Gestalt zurĂŒckgefunden. Sie wĂ€re so begeistert, sie wĂŒrde Potter direkt in die Falle locken, indem sie einfach losrannte 
 all das hatte Dolores vorhergesehen.
All das war genauso eingetroffen.
Und jetzt – Rache!
„Potter!“, rief sie; sie ging langsam auf ihn zu, den Zauberstab immer noch auf sie gerichtet. „Ich werde dir das antun, was du damals mir angetan hast!“
„Halt deine verdammte –“
„Silencio!“
Potter war nicht einmal hoffnungsvoll genug, seinen Mund weiter aufzureißen; als der Zauber ihn traf, fletschte er einfach die ZĂ€hne und sah sie mit diesem hasserfĂŒllten Blick an.
„Mobilcorpus!“, rief Dolores; Potters Zauberstab erhob sich in die Luft. „Ich werde dich an eine Stelle tief im Verbotenen Wald bringen! Und dort werden die Zentauren dich holen, Potter!“
Dolores’ Stimme zitterte ein wenig, als sie von den Zentauren sprach. Sie hatte nie vergessen können, was die ihr damals angetan hatten. Diese schrecklichen Kreaturen 
 Es hatte sie viel Mut gekostet, der kleinen Lovegood ein StĂŒck weit in den Wald zu folgen. Aber sie hatte es geschafft – und war erfolgreich gewesen. Alles war gelaufen wie geplant. Sie bekam ihre Rache – und die Zentauren wĂŒrden Potter nicht töten, die Bedingung des Dunklen Lords war also erfĂŒllt. Dolores bekam, was sie wollte, und das dank ihrer Intelligenz, dank ihres Mutes, dank –
„STUPOR!“

Harry fĂŒhlte, wie die Fesseln von ihm fielen – und gleichzeitig stĂŒrzte er zurĂŒck auf den Boden, und das unsichtbare Blatt vor seinem Mund verschwand. Umbridge kippte immer noch zur Seite, als sich Harry schon wieder aufrappelte. Und als sie mit einem dumpfen GerĂ€usch auf dem Boden landete, hielt Harry bereits seinen Zauberstab wieder in seiner Hand.
„Alles in Ordnung?“
Harry drehte sich um. Zwei Leute kamen auf ihn zu gerannt: Moody – und Ginny.
„Was ist hier passiert?“, fragte Moody; sein magisches Auge fiel auf Luna, die am Rand des Waldes im Gras lag, und er rannte zu ihr.
„Umbridge hat Luna ausgetrickst“, sagte Harry, „und ihr weisgemacht, sie wĂ€re ihre Mutter. Was – was hat Umbridge ihr angetan?“
„Das war kein ungefĂ€hrlicher Zauber“, sagte Moody, ohne von Lunas Körper aufzublicken. „Aber Umbridge hat nicht gut gezielt, Luna ist kaum verletzt 
 das haben wir gleich 
“
Moody verweilte fast eine ganze Minute ĂŒber Lunas Körper gebeugt, murmelte einige Worte, ohne wirklich etwas zu sagen – und stand dann wieder auf.
„Sie wird gleich aufwachen“, sagte er. „Und nun zu – ihr.“ Er drehte sich um, sah zu Narzissa, die an den Baum gefesselt war. „Jetzt wissen wir zumindest, wie sie aus dem Ministerium verschwunden ist.“
WĂ€hrend Moody zu Narzissa ging, liefen Harry und Ginny zu Luna. Noch lag sie da, als wĂŒrde sie schlafen 
 Aber wenn Moody sagte, dass sie gleich aufwachen wĂŒrde, dann stimmte das wohl auch. Harry wandte sich an Ginny.
„Bist du okay?“, fragte er.
Sie nickte. „Neville ist eingeschlafen. Er war total erschöpft. Madame Pomfrey meint, er wĂ€re stark gefoltert worden – keine Angst“, sagte sie schnell, als sie Harrys Gesichtsausdruck sah, „er ist nicht wie seine Eltern geworden, so schlimm war’s nicht. Jedenfalls liegt er jetzt auf der Krankenstation.“
Harry runzelte seine Stirn. „Ist das nicht gefĂ€hrlich?“
„Die Krankenstation ist sicher“, erwiderte Ginny. „Moody hat mir vorhin erzĂ€hlt, dass einige Teile von Hogwarts sich – von selbst beschĂŒtzen oder so etwas. Hey – Luna!“
Lunas Körper zitterte, als sie sich auf ihre Arme stĂŒtzte. Harry und Ginny beugten sich hinunter, nahmen ihre HĂ€nde und halfen ihr hoch. Ihre Beine wackelten unaufhörlich.
„Geht es?“, fragte Ginny; aber Luna antwortete ihr nicht. Sie drehte ihren Kopf zu Harry; ihre Augen waren voller Bedauern.
„Es tut mir so Leid, Harry“, sagte sie; ihre Stimme war so leise, so schwach. „Es tut mir so Leid.“
„Nein, Luna“, sagte Harry, „nein, ganz ruhig. Wir bringen dich jetzt in den KrankenflĂŒgel, okay?“
„Es tut mir – es tut mir so Leid 
“
„Es muss dir nicht Leid tun.“ Harry meinte, was er sagte; er verstand so gut, was sie dazu bewogen hatte, Umbridge zu glauben. „Es soll dir nicht Leid tun. Luna, ich weiß, warum du –“
„OH MEIN GOTT!“
Ginnys Schrei durchdrang Harrys Kopf wie ein Messerstich. Er fuhr herum – was war jetzt schon wieder? Was konnte passieren, was Ginny so sehr entsetzte, wenn die Ereignisse im Kerkerraum an ihr vorbeigezogen waren, als wĂ€ren sie nichts gewesen? Was könnte –
Etwas sprang auf Harry, sprang mit einer solchen Schnelligkeit und einer solchen Kraft auf ihn, dass es ihn von den FĂŒĂŸen riss, dass er erneut zu Boden stĂŒrzte, mit dem Ding, das ihn angegriffen hatte, auf ihm. Ein Geruch von Blut und nassem Fell – und war da auch der Geruch von Feuerwhiskey? – machte Harry ganz benommen. Lautes Hecheln jagte einen kalten Schauer der Angst seinen RĂŒcken hinunter. Er öffnete seine Augen –
Und blickte in andere Augen, monströse gelbe, die ĂŒber einer riesigen, blutverschmierten Schnauze saßen.
Das war nicht irgendein Werwolf. Das war Fenrir Greyback.
Greyback hob seinen Arm, wollte mit seinen Krallen zuschlagen – ein blendender Lichtblitz, und Greyback wurde von Harry geschleudert. Harry sprang so schnell auf seine Beine, wie er konnte, und sah sich um. Moody, Ginny und Luna hatten ihre ZauberstĂ€be immer noch auf die Stelle gerichtet, an der der Werwolf eben gewesen war.
Er wollte sich bedanken, aber stattdessen rief er: „VORSICHT!“
Moody drehte sich sofort um – und sah den Werwolf, der schon zum Sprung ansetzte, um sich auf ihn zu stĂŒrzen. Ein weiterer Lichtblitz – und der Werwolf wurde heulend durch die Luft geschleudert.
„Da kommen mehr!“, rief Ginny; sie hob die Hand und zeigte in die Richtung der Peitschenden Weide. Mehr als ein Dutzend Werwölfe schien dort auf die richtige Gelegenheit zu warten, ihren Angriff zu starten.
Nun, da sie entdeckt worden waren, schien fĂŒr sie der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein.
„Luna, Ginny!“, sagte Moody zu den beiden MĂ€dchen. „Holt Hilfe! Sagt allen, denen ihr begegnet, sie sollen hier her kommen und so viel Silber mitbringen, wie sie finden können! Das ist ganz wichtig, Silber, habt ihr gehört? Harry, ich brauch dich hier, komm schnell!“
Harry war froh, dass Ginny und Luna klug genug waren, sich jetzt Moodys Befehl zu verweigern. Sie rannten sofort los.
„Wir mĂŒssen jeden von ihnen zu zweit schocken“, sagte Moody zu Harry, „sonst haben wir keine Chance! Oh – oder doch“, fĂŒgte Moody mit einem leisen, humorlosen Lachen hinzu.
Ginny und Luna mussten offenbar nicht erst auf die Werwölfe aufmerksam machen: UnzĂ€hlige rote Lichter schossen plötzlich aus der Dunkelheit auf die Biester zu. Harry erkannte in der Ferne die anrĂŒckenden Helfer: Scrimgeour, dessen HaarmĂ€hne nach allen Richtungen abstand, konnte Harry eindeutig als ihren AnfĂŒhrer ausmachen.
Die Sache hier war in guten HĂ€nden 

„Alastor“, sagte Harry, „denken Sie, ich bin entbehrlich?“
„Geh schon und tu, was du zu tun hast, Junge, bevor es noch zu spĂ€t ist!“
Damit stĂŒrmte Moody in den Kampf. Harry beschloss, Moodys Rat zu befolgen, denn er hatte Recht – obwohl er es vielleicht gar nicht wusste. Bald könnte es zu spĂ€t sein.
Er lief los. Er sah Ginny und Luna in der Ferne – glĂŒcklicherweise hatten sie erkannt, dass es Zeit fĂŒr sie war, zu gehen: Obwohl die Auroren sich schon um die Werwölfe kĂŒmmerten, waren die beiden immer noch auf dem Weg ins Schloss. Er wollte den beiden etwas zurufen, als ein seltsamer Schrei durch die Luft schnitt; kein Schrei der Trauer oder des Schmerzes, sondern ein Kampfschrei. Er drehte sich um: Aus dem verbotenen Wald kamen Zentauren gallopiert, Speere in den erhobenen HĂ€nden – angefĂŒhrt von Firenze und Bane, die Seite an Seite in den Kampf eilten. Mit angehaltenem Atem stand Harry da, wartete ab, wen sie mit ihren Speeren attackieren wĂŒrden –
Der erste Werwolf, den sie ĂŒberraschen konnten, stieß ein entsetzliches Heulen aus.
Beruhigt drehte sich Harry hastig wieder um und rannte weiter, erreichte den Weg, der direkt vom Tor des GelĂ€ndes zum Schloss fĂŒhrte. Jetzt konnte er endlich Ron und Hermine suchen, die RĂŒstung holen. Wie viel Zeit hatte er nun durch die Sache mit Luna und Umbridge verschwendet? Wie viel hatte ihn der Werwolfangriff gekostet? Wie lang dauerte es noch, bis Voldemort die Zeit fĂŒr reif hielt, den Kampf zu beenden und –
Wieso war dieses letzte WolfsbrĂŒllen so viel lauter gewesen als die vorhergehenden? Was hatten die Auroren oder die Zentauren denn getan, dass einer der Werwölfe so laut schrie, als wĂ€re er direkt hinter Harry? Oder –
Harry duckte sich reflexartig, und der Werwolf sprang ĂŒber ihn hinweg. Er landete, drehte sich um – und wieder erkannte Harry ihn. Greyback war zurĂŒckgekommen.
Harry hob seinen Zauberstab. Er wusste, dass er nichts tun konnte. Moody hatte gesagt, der Schockfluch von nur einem einzigen Zauberer wĂŒrde nichts gegen Werwölfe ausrichten. Aber – was hatte Moody noch gesagt? Luna und Ginny sollten Hilfe holen – und Silber!
Ein Zauber zum Beschwören von Silber, dachte Harry. Ein Zauber zum Beschwören von Silber 
 es muss einen geben!
Hatte er vielleicht von einem gelesen, als er fĂŒr das Trimagische Turnier nach FlĂŒchen gesucht hatte? Ihm fiel nichts ein 
 und es war nicht einfach, nachzudenken, wenn man von einem Biest wie Greyback angestarrt wurde. Und Greyback tat nichts als starren – starren und grinsen 
 Gleich wĂŒrde er angreifen 
 Und Harry konnte nichts tun 

Außer 

„Du darfst mir nichts antun, nicht wahr?“
Greyback schien fĂŒr einen Moment mit dem Atmen aufzuhören; dann knurrte er leise.
„Dein Herr hat es dir verboten“, sagte Harry; scheinbar tat er das Richtige. „Dein Meister hat dir verboten, mich zu verletzen.“
Eine Ewigkeit lang schienen sie einander einfach nur anzublicken; aus Greybacks Hals kam ein kaum hörbares Röcheln, wĂ€hrend Harry alle paar Sekunden leise schluckte. Jeden Augenblick könnte Greyback auf ihn losgehen –
Harry zuckte zusammen, als Greyback zum Sprung ansetzte, und er schloss sofort die Augen. Aber kein haariger, stinkender Körper fiel auf seinen. Keine Krallen und keine ZĂ€hne schlugen sich in sein Fleisch. Harry öffnete seine Augen wieder einen Spalt breit – und dann ganz, als er sah – aber nicht begriff – was Greyback aufgehalten hatte.
Tonks stand zwischen dem Werwolf und Harry. Nur, dass es nicht Tonks war. Diese Person hatte Ähnlichkeiten mit Tonks, große Ähnlichkeiten. Das wenige, was Harry von ihrem Gesicht sehen konnte, gleich bis ins kleinste Detail dem von Tonks. Die Figur war Tonks’, sowie die Kleidung. Aber die Haare waren noch farbloser, noch kĂŒrzer als in letzter Zeit. Die Medaille, die Tonks laut Hermine schon öfters getragen hatte, die Harry und Ron aber erst am Abend zuvor aufgefallen war, baumelte an ihrer Kette, die diese Person in der einen Hand fest umklammert hielt. Die andere Hand war Greyback entgegen gestreckt.
Und sie schimmerte in einem Silber, das im Mondlicht von gleißender Helligkeit war.
Greyback schien der Anblick der Hand wahre Schmerzen zu bereiten. Er heulte und winselte, verbarg sein Wolfsgesicht hinter seinen Pfoten.
Harry verstand nicht, was vor sich ging. Die silberne Hand war das, was ihn verwirrte. Seit wann besaß Tonks eine solche Hand? Kannte Harry nicht jemanden, der eine silberne Hand hatte? Ja, aber wer? War das nicht –
Nein, dachte Harry. Nein, das kann nicht sein.
Aber es geschah, direkt vor Harrys Augen. Die silberne Hand und das kurze, braugraue Haar waren nur die AnfĂ€nge der Verwandlung gewesen, die diese Person gerade durchmachte. Harry war sich sicher, dass es eine RĂŒckverwandlung war. Und gleich wĂŒrde er sehen, wer diese Tonks, die die ganze Zeit niedergeschlagen und unglĂŒcklich war, die Lupin und dem Orden aus dem Weg gegangen war, die Harry vor seiner Abreise aus dem Ligusterweg so erschrocken hatte, wirklich war. Er wusste es schon, bevor die Verwandlung vollendet war – aber es dann tatsĂ€chlich zu sehen 

Peter Pettigrew stand schließlich vor Fenrir Greyback und fĂŒgte ihm grausames Leid mit seiner silbernen Hand zu, nicht mehr Tonks.
Greyback erlangte wieder einiges seiner Kraft zurĂŒck. Er warf sich auf alle Viere und sprang an Pettigrew und Harry vorbei, den Weg entlang zurĂŒck Richtung verbotener Wald. Harry sah ihm hinterher, bis er zwischen den BĂ€umen verschwunden war, bevor er sich wieder an Pettigrew wandte.
Pettigrew hatte immer noch die Hand erhoben. Er gab ein erschreckendes Bild ab, sah noch krĂ€nklicher aus als er es als Tonks’ Ebenbild getan hatte. So mager, fast haarlos; Narben und seltsame dunkle Flecken auf seinem ganzen Gesicht; der Umhang von Tonks war ihm von der LĂ€nge her zu groß, vom Umfang her zu klein, was ihm eine merkwĂŒrdige Form verpasste.
Das war Pettigrew, der Harrys Eltern verraten hatte und fĂŒr deren Tod verantwortlich war 
 und gerade hatte er Harry vor Greyback gerettet.
Pettigrew starrte Harry an wie Harry auch ihn anstarrte. Keiner von beiden bewegte sich, keiner sagte etwas. Zumindest war das eine ganze Weile so. Harry hÀtte nicht gewusst, was er sagen sollte. Aber dann schien dieses seltsame Treffen zu Ende zu sein, bevor auch nur ein Wort gewechselt worden war.
Pettigrew beugte seinen Oberkörper hinunter, als wĂŒrde er sich zusammenrollen. Harry wusste, dass Pettigrew sich in eine Ratte verwandeln, flĂŒchten wollte. Und obwohl der Hass auf diesen Menschen natĂŒrlich nicht vergessen war, fĂŒhlte sich Harry nicht fĂ€hig, Pettigrew aufzuhalten 

GlĂŒcklicherweise musste er das auch gar nicht.
Der Lichtblitz eines Fluches riss Pettigrew zu Boden, bevor er sich verwandeln konnte. Harry wandte sich um. Kingsley und Scrimgeour. Einer von den beiden hatte den Zauber abgefeuert.
„Was ist hier passiert?“, fragte Scrimgeour. „Hat Pettigrew Sie angegriffen, Potter? Wo ist Greyback hin? Wegen dem sind wir eigentlich zu Ihnen –“
„Pettigrew hat Greyback vertrieben.“ Harry sprach die Worte zwar aus, aber glauben konnte er sie selbst kaum. Er versuchte auch gar nicht erst, es zu verstehen. Dazu war jetzt keine Zeit. Was immer Pettigrew dazu bewogen hatte, ihn zu retten –

 Ja, genau 
 Dumbledore hatte es ihm damals verraten. Was hatte Dumbledore gesagt? Dass er eines Tages noch glĂŒcklich darĂŒber sein wĂŒrde, Pettigrew vor dem Tod bewahrt zu haben. Dass zwischen Zauberern ein Band entstand, wenn einer dem anderen das Leben rettete.
Und diese Schuld hatte Pettigrew jetzt eingelöst 
 oder bestand sie noch?
„Befragt Pettigrew zu allem, was ihr wissen wollt“, sagte Harry. „Wo Voldemort ist, was er vorhat. Ich glaube, Pettigrew wird keine andere Wahl haben, als euch all das zu verraten.“
Scrimgeour zog die Augenbrauen zusammen. „Wieso denken Sie das?“
„Das erklĂ€re ich euch ein andermal.“ Harry wandte sich ab, warf einen letzten Blick auf Pettigrew, und setzte seinen Weg dann fort.
Über all das wĂŒrde er dann nachdenken, wenn er Zeit dazu hatte 

Harry kam an einigen der letzten KĂ€mpfer vorbei, die nicht mit den Werwölfen beschĂ€ftigt waren. Einer der Todesser rief: „DA IST POTTER!“, aber Harry ignorierte den Zauber, der auf ihn abgezielt war. Er lief einfach weiter, die Stufen hinauf zum Eichenportal. Auch in der Eingangshalle war die Schlacht noch in vollem Gange. Harry sah sich hastig um – aber Ron und Hermine waren nirgends zu sehen 

DafĂŒr, sie zu suchen, war genauso wenig Zeit wie fĂŒr das Nachdenken ĂŒber Pettigrew. Harry musste handeln. Ihm blieb nichts anderes ĂŒbrig. Er eilte zwischen den Duellanten hindurch, die Marmortreppe hoch. Irgendwo hier war ein Geheimgang, der schnell in den fĂŒnften Stock fĂŒhrte 

„Da bist du ja!“, rief jemand.
Harry drehte sich um, in der Erwartung, Ron und Hermine endlich zu begegnen – aber es waren Luna und Ginny, die den Korridor entlang auf ihn zuliefen.
„Harry, wir wollen mit dir mitgehen!“, sagte Ginny, als die beiden ihn erreichten.
„Ja, ich muss doch wieder gutmachen, was ich angerichtet habe“, fĂŒgte Luna in einem nĂŒchternen Tonfall hinzu.
Harry hĂ€tte beinahe aufgestöhnt – schon wieder dasselbe Spiel, immer wieder und wieder. Er hatte keine Zeit! So schnell er konnte suchte er nach den Worten, mit denen er Ginny und Luna am schnellsten davon ĂŒberzeugen könnte, hierzubleiben –
Da kam ihm eine Idee.
Wieso sollte er die beiden nicht mitnehmen? In Gringotts war es jetzt wohl weniger gefĂ€hrlich als hier im Schloss. Außerdem, wenn Ron und Hermine einfach nicht auftauchen wollten – warum sollte er dann nicht zwei andere Begleiter auswĂ€hlen? Luna und Ginny waren in der DA gewesen; sie waren begabte Hexen; sie hatten an dem Kampf in der Mysteriumsabteilung teilgenommen.
Und die Todesser, dachte Harry erneut, sind alle hier oder schon zurĂŒck in Voldemorts Hauptquartier. Es ist hier gefĂ€hrlicher als in Gringotts 

„Also gut.“ Harry nickte. „Gut, ihr könnt mit.“
„Was anderes hĂ€tten wir auch nicht als Antwort akzeptiert“, sagte Ginny grinsend.
„Wohin geht es?“, fragte Luna, als Harry mit ihnen den Weg zum Geheimgang zum fĂŒnften Stock fortsetzte.
„Wir gehen nach Gringotts“, sagte Harry, „durch das Portal, durch das die Kobolde reingekommen sind.“
Luna stellte keine Frage mehr, und auch Ginny blieb still – da hatte er sich offenbar die zwei besten Begleiter ausgesucht, die er hĂ€tte finden können. Die Ruhe brachte Harry beinahe dazu, wieder an Pettigrew zu denken, aber er schĂŒttelte diese Gedanken ab. Er musste sich konzentrieren – die Zeit wurde knapper und knapper – der Mond, sah Harry durch ein Fenster, begann schon zu sinken 

Sie erreichten den Wandteppich, hinter dem der Geheimgang war. Harry wollte ihn zur Seite schieben – da rief jemand nach ihm.
„Harry! Harry!“
Was ist denn jetzt schon wieder?, schoss es ihm durch den Kopf – und gleich darauf: Wenn das jetzt Ron und Hermine sind – werde ich trotzdem mit Luna und Ginny gehen 

Dann blickte er zur Seite – und erkannte, wer es wirklich war.
„Cho!“, rief Harry erstaunt. Er war wirklich ĂŒberrascht. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sie zum KĂ€mpfen im Schloss geblieben war, aber da war sie, Cho Chang, mit ihren dunklen Haaren, ihren schmalen Augen, ihren Sommersprossen, blieb direkt vor ihm stehen. Er hatte sie das ganze Jahr ĂŒber nicht wirklich angesehen. Jetzt erst fiel ihm auf, dass sie noch hĂŒbscher geworden war.
Und doch interessiert es mich nicht, dachte Harry, und der Gedanke machte ihn seltsam stolz; und er zauberte ein Schmunzeln auf seine Lippen, als er an Ginny denken musste, die direkt hinter ihm stand.
„Harry, ich muss dir etwas sagen“, keuchte Cho. Sie atmete schwer; als wĂ€re sie weit zu ihm gerannt.
Harry wollte warten, bis sie wieder Luft bekam, aber er verlor die Geduld. „Weißt du, ich hab es wirklich eilig und –“
„Nein, es ist wichtig!“, sagte Cho, richtete sich schnell auf und nahm einmal tief Luft. „Zumindest glaub ich das!“
„Worum geht’s denn?“, fragte Harry; er zog seine Augenbrauen zusammen – war etwas nicht in Ordnung? Mit Ron oder Hermine?
„Du hast doch mal“, sagte Cho; sie atmete erneut tief ein, dann fuhr sie fort, „nach Ravenclaws Zepter gefragt, nicht wahr?“
Harry spĂŒrte, wie seine Augen sich weiteten; er hatte keine Kontrolle darĂŒber.
„Ja, hat er“, sagte Luna, als Harry nicht reagierte. „Ich hab es euch dann weitererzĂ€hlt.“
„Richtig“, sagte Cho, dann wandte sie sich wieder Harry zu. „Nun, ich weiß zufĂ€llig, wo sich das Zepter befindet!“
FĂŒr einen kurzen Augenblick waren sie alle still. Harry war am stillsten (oder er wĂ€re es, wenn es möglich wĂ€re, stiller als still zu sein). Es war so leise, dass Harry glaubte, die anderen könnten hören, wie sein Kopf versuchte, Chos Worte zu verarbeiten.
Und dann sagte er, in einem Tonfall, der so unglÀubig und so fassungslos war wie kein Wort, das Harry je zuvor aus irgendeinem Mund gehört hatte:
„Was?“
„Ja, ich weiß es!“, sagte Cho, und sie nickte heftig. „Wirklich! Eine meiner Urgroßtanten stammte von Rowena Ravenclaw ab, deswegen ist dieses Wissen in unserer Familie.“
Vielleicht wollte sie ihn damit beeindrucken, dass sie mit Ravenclaw verwandt war, aber Harry interessierte das kein bisschen. Als er seinen Mund öffnen wollte, fiel Luna ihm ins Wort.
„Wieso hast du das nicht schon frĂŒher gesagt?“, fragte sie, mit etwas in der Stimme, das Harry fĂŒr EnttĂ€uschung hielt.
„Abgesehen davon, dass es geheimes Wissen ist“, antwortete Cho mit selbstgefĂ€lliger Miene und Stimme, „habe ich bis gerade vorhin nicht gewusst, dass du wegen Harry gefragt hast. Daher dachte ich, es wĂ€re nicht so wichtig.“
„Klar, wenn Harry es wissen will, dann ist es natĂŒrlich –“
„Psst!“, fuhr Harry Ginny ĂŒber den Mund, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Sag schon, Cho, wo ist das Zepter?“
Cho lĂ€chelte. „Hier in Hogwarts.“
Wieder dauerte es kurz, bis Harry Chos Worte begriffen hatte.
„Hier?“, fragte er dann, in demselben Ton wie zuvor.
Das konnte nicht wahr sein. Die Person, die ihm sagen konnte, wo Ravenclaws Zepter war, war die ganze Zeit in Hogwarts gewesen? Und nicht nur das – das Zepter selbst war auch in Hogwarts? Harry hĂ€tte das dritte von nur vier Totenrelikten schon lĂ€ngst finden können, wenn Cho einfach nur gewusst hĂ€tte, dass er es finden musste?
„Wo genau?“, fragte Harry begierig; das war ihm so wichtig, dass er sogar darauf verzichtete, sich ĂŒber all das, was ihm durch den Kopf gegangen war, zu Ă€rgern. Aber dann kam der Zorn doch noch hoch – denn Chos Miene verdĂŒsterte sich.
„Das weiß ich leider nicht so genau“, sagte sie. „Aber wenn das Zepter in Hogwarts ist, dann nehme ich einfach mal an, dass es –“
„– in Ravenclaws Gemeinschaftsraum!“ Es war Harry, der den Satz beendete. Es erschien so logisch, so einfach, so klar. NatĂŒrlich! Gryffindor hatte sein Relikt im sprechenden Hut versteckt, und der war in Hogwarts! Helga Hufflepuf hatte ihren Becher Generation um Generation ihrer Nachfahren weitergereicht, so, wie die GrĂŒnder es ursprĂŒnglich geplant hatten! Zumindest drei der vier GrĂŒnder – Rowena Ravenclaw hatte ihr Relikt fĂŒr alle Mitglieder ihres Hauses erschaffen.
Wo also sollte sie ihr Zepter verstecken, wenn nicht im Gemeinschaftsraum von Ravenclaw?
Er drehte sich zu Ginny und Luna um. „Geht zurĂŒck zu McGonagall“, sagte er. „Aus unserem Ausflug nach Gringotts wird nichts. Seht einfach zu, dass ihr irgendwie aus dem Schloss rauskommt, aber nicht durch das Portal, wer weiß, was am anderen Ende lauert. ErzĂ€hlt McGonagall von dem Portal, es muss verschlossen werden.“
„Und was machst du?“, fragte Ginny, ihre Arme verschrĂ€nkt.
„Ich hol das Zepter. Und dann – dann such ich mir einen anderen Weg in die Winkelgasse. Ich weiß nicht, wie lange ich nach dem Zepter suchen muss, also muss das Portal in jedem Fall verschlossen werden.“
„Wir helfen dir beim Suchen!“, sagte Luna. „Das wird toll, ich hab schon lange nichts mehr gesucht, das wirklich gut versteckt ist!“
„Nein“, erwiderte Harry. „Nein, ich suche allein. Ihr mĂŒsst das Schloss verlassen. WĂ€rt ihr mit mir nach Gringotts mitgekommen, das wĂ€re in Ordnung gewesen, aber in Hogwarts bleiben, wenn die Todesser immer noch nicht verschwunden sind –“
„Sag uns nicht, was wir zu tun haben!“
Harry wandte sich an Ginny; nein, nicht schon wieder 
 kein Streit, dachte er. Aber Ginnys Gesicht ließ keinen Zweifel: Sie war wĂŒtend.
„Wir werden sehr wohl im Schloss bleiben!“, sagte sie. „Und nicht nur das – wir werden kĂ€mpfen! Wir werden unsere Zeit nicht damit verschwenden, irgendwelche Zepter zu suchen. Wir hauen ein paar Todesser um. Komm, Luna!“
Sie packte Luna am Arm und zog sie mit sich, stĂŒrmte an Harry und Cho vorbei – und weg war sie. Harry sah ihr hinterher. Das durfte nicht wahr sein 
 Kaum war der Krieg da, war er sowohl mit Ron und Hermine, als auch mit Ginny zerstritten. Das war sicher kein gutes Zeichen.
„Ich könnte dir ja bei der Suche helfen.“
Harry traute seinen Ohren nicht. Er wandte sich an Cho.
„Ist das dein Ernst?“, fragte er.
Cho strahlte; offenbar dachte sie, ihr Angebot wĂŒrde ihm so sehr gefallen, dass er es nicht fassen konnte. „Ja, natĂŒrlich!“
Harry seufzte; das war wirklich nicht zu fassen 
 „Ich glaube, es wĂ€re besser, wenn du zu McGonagall gehen wĂŒrdest, Cho. Viel GlĂŒck noch.“
Dann ließ er sie ohne ein weiteres Wort stehen.
Harry wusste, wo der Gemeinschaftsraum der Ravenclaws war, in einem Turm im Westen. Damals, in der Zeit der DA, hatte er öfter auf der Karte der Rumtreiber die Ravenclaws beobachtet, um sicher zu gehen, dass sie sicher ihren Gemeinschaftsraum erreichten.
Korridore entlang, Treppen hinauf 
 Der Kampf war abgeflaut, wie es schien, die Todesser, die noch hier waren, schlugen sich in den unteren Stockwerken, wahrscheinlich schon auf dem RĂŒckweg zu Voldemort, der sie nach einer erfolgreichen Ablenkung erwartete 

Noch diesen Korridor entlang und dann – Rechts? Nein – links. Und jetzt –
„Durch diese TĂŒr!“
Er stieß sie auf und stand in einem Raum, einem so großen und hohen Raum, dass er an die Eingangshalle erinnerte. Und dort, am anderen Ende des Raumes, war er: Durch einen kleinen Torbogen in der Wand, kaum sichtbar, befand sich der Treppenaufgang, der zum Gemeinschaftsraum der Ravenclaws fĂŒhrte. Harry durchquerte den Raum, fĂŒhlte seine Aufregung steigen, sein Herz schneller schlagen. Er erreichte die Treppe, wollte seinen Fuß auf die erste Stufe stellen –
WUMMS!
Harry schrie auf; er wurde nach hinten geschleudert, landete flach auf dem RĂŒcken. Sein Zauberstab fiel ihm aus der Hand, er hörte, wie er auf dem Boden wegrutschte und am anderen Ende des Raumes gegen die Wand knallte. Etwas hatte den ganzen Raum erschĂŒttert, ihm den Boden unter den FĂŒĂŸen weggezogen. Erst dachte er, die Todesser hĂ€tten wieder diesen Erdbebenzauber angewandt, den sie schon zuvor benutzt hatten – dann aber spĂŒrte er, wie kleine Steine auf ihn hinab rieselten. Das GerĂ€usch war ihm gleich viel nĂ€her vorgekommen als die von vorhin 
 Aber was war das gewesen?
Langsam und blinzelnd öffnete er seine Augen. Er sah nur die Decke, also setzte er sich auf, drehte seinen Körper herum – und erstarrte, als hĂ€tte ihn jemand mit einem LĂ€hmfluch belegt.
Was er sah, waren keine Todesser, die einen Explosions- oder Erdbebenzauber benutzt hatten. Was er sah, war ein riesiges Loch, das in die Wand geschlagen wurde, und Steine und HolzstĂŒcke aus dieser Mauer, die am ganzen Boden herumlagen, von einem dĂŒnnen Nebel aus Staub durchzogen. Und in diesem Loch stand das, was das Loch in die Mauer geschlagen hatte. Und im Gegensatz zu Harry, dessen Zauberstab meterweit weg lag, hatte dieses Etwas noch seine Waffe: Die Keule von der LĂ€nge mindestens dreier Menschen baumelte in der Hand des unredlich großen Trolls, der Harry mit seinen kleinen Augen fixierte.


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Wenn mir frĂŒher jemand erzĂ€hlt hatte, was einmal alles passieren wĂŒrde, hĂ€tte ich kein einziges Wort geglaubt.
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