von Xaveria
„Du weißt, dass du es willst.“
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Ihr erster Gedanke war, dass ihre Wimpern zusammenkleben würden.
Ihr zweiter, dass ihr Kissenbezug an ihrer Wange kleben würde.
Ihr dritter, dass sie Snape in der Bibliothek treffen würde.
Verdammt, Granger. Sie rieb mit ihrem Finger über ihre dichten Wimpern und versuchte ihre Augen zu öffnen.
Sie zuckte, als ihr Reiben eine Wimper ausriss. Sie öffnete ein wütendes Auge und starrte auf ihren Finger, als ob die Wimper das Treffen mit Snape an diesem Morgen arrangiert hätte.
„Wünsch dir was, Hermine.“
Sie legte ihre Stirn in Falten – wo kam das her?
Ginny.
Sie kniff ihre Augen zusammen und verkrampfte ihre Faust für einen beharrlichen Moment auf dem Kissen, bevor sie aufstand.
Die Hauselfe würde die Wimper später auf dem Kissenbezug finden.
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Wenn an diesem Morgen das Hallen ihrer Schritte durch die Steinkorridore etwas von ihrem gewöhnlichen Ausdruck verloren hatte, wenn ihr Blick noch eingekehrter wirkte, wenn ihr Haar mit einer Strenge zusammengebunden war, die sie sich sonst immer für die schneidenden Kommentare der Aufsätze der Schüler aufhob, dann war sich Hermine dessen nicht bewusst.
Warum, warum hatte sie ihm angeboten ihre Arbeit mit ihm zu besprechen?
Er weiß es.
Sie zermalmte diesen halbgeborenen Gedanken, aber er kehrte zurück. Er weiß es.
Um die Ecke wirbelnd, drückte sie sich gegen den rauen, kalten, alten Stein des Schlosses, ihr Herz pochte, als würde sie verfolgt werden.
Gejagt.
Nein.
Da war niemand.
Sie konnte keine Schritte hinter sich hören, weder die langen Schritte, noch die bedächtigen, stark raschelnden Stiefelabsätze, die oftmals nur die einzige Warnung waren, dass dieser Schurke von Professor Snape...
Mister Snape. Mister.
Sie war jetzt die Professorin und egal wie sehr er sich über die Entwicklung in seinem Gebiet auf dem Laufenden gehalten hatte...
Sie schüttelte den Kopf und zwang ihren Verstand sich wieder zu ordnen.
Seine Stimme in ihren Kopf. „Ich kam, um Sie zu suchen.“
Und ihr Verstand zerbrach erneut. Sie schloss ihre Augen und schlug leicht mit ihrem Kopf gegen die Wand.
Was wusste er?
Ihre Augen zogen sich zusammen. Da gab es zuerst nicht viel zu wissen – sie hatte Voldemort getötet, sie hatte keine Ahnung wie und so viel hatte sie auch den Unsäglichen gesagt – und auch dann nicht, als sie Jahre später zurückgekehrt waren.
Sie musste sich zur Verschwiegenheit verpflichten. Es hätte Harry sein sollen, und so war es Harry gewesen. Er war das perfekte Symbol für das kulturelle Wiedervereinigungsprogramm des Ministerium – Vollblut, wenn nicht sogar Reinblut, nicht muggelgeboren, aber als dieser erzogen worden. Ja, er war das perfekte Symbol für Hoffnung und die Zukunft.
Wohingegen sie nur... sie war....
Und Harry und Ginny waren ein solch fotogenes Paar.
Es gab Gerede, dass er nach seiner Quidditchkarriere in die Politik gehen wollte, aber bisher hatte er es immer wieder dementiert.
Genauso wie man etwas dementierte, wenn man genau das plante.
Hermine seufzte. Wenn er lange genug lebte, würde er eines Tages Zaubereiminister sein.
Und dann wird er es wissen.
„Weiß irgendwer, dass ich es war... dass es nicht Harry gewesen war?“, hatte sie die Unsäglichen vor zweiundzwanzig Jahren gefragt.
„Wir und der Zaubereiminister.“
„Scrimgeour?“
„Und wer auch immer sein Nachfolger werden wird. Es gibt andere, ähnliche Vorkehrungen für andere Angelegenheiten.“
Sie hatte genickt, sich keine Gedanken darüber gemacht noch weitere Fragen zu stellen.
Falls – wahrscheinlicher war, sobald – Harry Zaubereiminister wurde, würden sie es ihm erzählen?
Die Szene sprang voll ausgereift in ihren Kopf.
„Oh, noch eine Sache, Mr. Potter. Ein paar hochgradige Regierungsgeheimnisse, Sie verstehen sicherlich... die Angelegenheit mit Voldemort vor ein paar Jahren – Sie erinnern sich bestimmt - die ist nicht ganz so gelaufen, wie wir die Öffentlichkeit und, hm, nun ja, Sie haben glauben lassen.“
Sie schloss erneut ihre Augen.
Natürlich würden sie ihm nichts erzählen.
Das war doch der Sinn gewesen.
Harry war noch nie ein guter Schauspieler gewesen. Nein, diese Rolle fiel auf...
Und Hermines Gedanken prallten zurück in die Gegenwart und zu dem ehemaligen Zaubertränkelehrer, welcher neben ihren Ellenbogen erschienen war.
„Halten Sie das Schloss aufrecht, Professor Granger?“
Sie starrte ihn an und seine Lippen zuckten.
„Das wiederholte Schlagen des Kopfes gegen Stein hat noch nie die Gedanken geklärt.“
„Stimme der Erfahrung, Snape?“
Sein Blick wurde starr. „Vielleicht.“
Hermine stieß sich von der Wand ab und ging in Richtung Große Halle.
Severus folgte ihr, viel langsamer.
Für einen Moment hatte sie mehr wie sie selbst ausgesehen.
Er fragte sich an was sie gedacht haben mochte.
Es wunderte ihn nicht, dass er sich darüber überhaupt Gedanken machte.
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Minerva blickte auf, als der Baron neben ihrem Schreibtisch schwebte.
„Er hat eine schwierige Nacht gehabt, aber Madam Pomfrey sagt, dass er jetzt stabil ist“, informierte er sie.
„Kommt er über den Berg?“
Der Baron schüttelte seinen Kopf, sein lange Perücke schwebte langsam in der Luft. „Nein, Minerva. Es verbleibt noch ein Berg für Horace.“
Sie schloss ihre Augen. „Man kann noch hoffen, Baron.“
„Die Lebenden scheinen das immer zu denken.“
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„...Sie sehen also, Professor, ich bin sehr daran interessiert zu wissen, wie sich seitdem Ihre Gedanken weiter entwickelt haben“, sagte er und legte das letzte Band des Ars Necronomica zur Seite.
Mit den sich neigenden Sonnenstrahlen des Vormittags vom Fenster aus, saßen sie sich an ihrem gewohnten Tisch in der Bibliothek gegenüber.
Sie schaute hinauf zur gewölbten Decke. Der Kontrast war zu dieser Zeit immer am stärksten.
Sein Blick folgte dem ihren und ruhte auf dem aufsteigenden Gewölbe über ihnen, aber er kommentierte es nicht.
Ihre Unterhaltung an diesem Morgen – eine Zusammenfassung ihrer übrig gebliebenen Arbeit und seiner vorsichtigen Anerkennung – wurde in besonderen Schlüsselmomenten durch ihren unfreiwilligen Blick Richtung Decke unterbrochen.
Er hatte in ihnen kein Muster erkannt.
Hermines Stimme holte ihn wieder zurück. „Ihre Vertrautheit mit meiner Arbeit scheint ziemlich gründlich zu sein, Mr. Snape.“
Er neigte seinen Kopf. „Ich durfte für viele Jahre den Luxus von ausreichend Zeit für Nachforschungen genießen, Professor Granger, und Ihre Arbeit berührt zentrale Angelegenheiten, die von nicht geringer Bedeutung sind.“
„Für Sie persönlich.“
„Ja.“
Ihr Blick war kalt, scharf. „Ich bin der Meinung, dass ein Anteil von zu vielen Emotionen in theoretischen Angelegenheit den klaren Durchblick behindern, Mr. Snape.“
Er wog ihre Worte ab und entschied sich sie zu testen. „In der Tat. Auf diesem Weg liegt Blindheit.“
„Wahnsinn“, korrigierte sie ihn automatisch.
„Ah, ja, natürlich. Wahnsinn.“
Hermines Nackenhaare stellten sich auf und sie legte ihre Feder auf den Tisch. „Welches Spiel spielen Sie, Snape?“, fragte sie.
„Wie ich bereits gesagt habe... ich finde Ihre Arbeit faszinierend und ich bin neugierig welche Richtung sie zur Zeit einschlägt.“
Ihren Kopf schüttelnd, als ob sie ihre Haare über ihre Schulter werfen wollte, entgegnete sie. „Wirklich nett, Snape. Allerdings sollten Sie folgendes nochmal überdenken. Fakt: Sie sind mit meiner Arbeit genauso vertraut, wie ich es bin. Fakt: Sie sind nach einer zweiundzwanzigjährigen Abwesenheit nach Hogwarts zurückgekehrt, nachdem Sie unter Umständen verschwunden sind, die – wie soll ich es diplomatisch genug ausdrücken? - weniger liebenswert waren. Fakt: Sie versprechen sich nie und Fakt: Sie arbeiten alleine.“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte ihre Arme. „Welches Spiel spielen Sie?“
„Ich versichere Ihnen, Professor, ich spiele keine Spiele.“ Er drückte sich leicht vom Tisch weg und seine Finger tippten aneinander, rieben für einen Moment gegen seine Lippen, während er ihren Blick prüfte.
Der Zorn, den er am vorigen Arbeit gesehen hatte, wurde in ferner Schwebe gehalten.
Ihre Aufmerksamkeit von seinen Absichten abschirmend, beobachtete er. „Sie basieren einen Teil Ihrer letzten Arbeit auf Kommentaren, die Sie als Antwort auf frühere Artikeln erhalten haben.“
Sie nickte.
Er schlug eine der Kopien des Ars Necronomica aus der Bibliothek auf. „Insbesondere die von den Franzosen.“
Sie runzelte die Stirn, aber nickte erneut und beugte sich leicht nach vorne. „Ihre Anwendung der Muggeltheorie vom Abbau zur Metaphysik ist faszinierend. Ich habe die Textquellen extra aus Paris angefordert. Es hat mich Jahre gekostet all dies durch zuarbeiten.“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Sie haben Derrida auf französisch gelesen?“
Sie gestikulierte ungeduldig. „Natürlich. Im englischen macht es überhaupt keinen Sinn.“
„Richtig“, stimmte er ihr zu, ihre Augen beobachtend. Der Zorn in ihnen verschwand, als sie sich in ihren Ideen verlor.
„Seine Einleitung des zusätzlichen Körpers um einen Grundfehler des Systems offen zu legen – sozusagen, um die Schachtel zu öffnen, muss etwas von außerhalb benutzt werden – gab mir den entsprechenden Hinweis für die Möglichkeit des dreistufigen Prozesses...“
Sie holte weit aus und und ging unglaublich weit ins Detail, wobei er nur halb zuhörte, als er ihr Gesicht beobachtete, wie es von einer Leuchtkraft erfasst wurde, dass es seine optischen Erinnerungen reizte... eine fortgeschrittene Schülerin, ihre Gesichtszüge wurden weicher, das Silber in ihren Haaren wurde kurz durch den vertrauten warmen Schimmer verdrängt.
„... offenbart, natürlich, in der Annahme, dass 'Anweisung' und 'Bedeutung' nichts weiter als ein Mittel der kulturellen Kontrolle sind, das jeder mehr oder weniger freiwillig Teil von einem betäubten Schlaf ist.“ Mit funkelnden Augen hielt sie inne, um durchzuatmen. „Schafe“, spuckte sie. „Sie sind alle Schafe.“ Sie verstummte, ihre Augen schienen irgendwo in der Nähe ihrer Nase die richtige Formulierung zu suchen. „Auf Opium.“
Mit Nachdruck verschränkte sie ihre Arme, starrte ihn an, als ob sie ihm herausfordern würde zu „blöken“.
Als Antwort zog er eine Augenbraue hoch.
Sie errötete und der Fleck neben ihrem Ohr verschwand kurz.
„Gut zusammengefasst, Professor Granger. Aber stimmen Sie mir nicht zu, dass...“
Und so ging es weiter. Vier Stunden, in denen Teetassen und Tabletts mit Essen erschienen und abkühlten und unberührt von Hauselfen, Hannah Abbot und schließlich auch Minerva, bei der die Neugierde die Oberhand gewonnen hatten, weggewischt wurden.
Spät am Abend, als sie über einen Punkt, der so unbedeutend war, dass sich keiner mehr daran erinnern konnte, worum es eigentlich ging, diskutierten, hatten sie sich vollkommen erschöpft zurückgelehnt, denselben Gesichtsausdruck angenommen, der irgendwo zwischen Erregung und Erschöpfung lag.
So lebendig in seinem Verstand, so ermüdet in seinem Körper, hatte er fast die Tatsache übersehen, dass der Zorn aus ihren Augen verschwunden war.
Für einige Minuten schwiegen sie, erlaubten es ihren Köpfen sich wieder zu erholen.
Schließlich bewegte er sich in seinem Stuhl. „Es wird spät“, sagte er.
Sie nickte, ein nüchterner Ausdruck kehrte in ihr Gesicht zurück. Sie schnippte die Bücher und Pergamente in ihre Tasche und wollte aufstehen.
„Darf ich Sie morgen wieder treffen?“, fragte er.
Sie zögerte, suchte die Tischoberfläche ab, als ob diese die richtige Antwort auf seine Frage beinhalten würde, aber konnte dort nichts erkennen außer das Flechtwerk der Schatten des Mondlicht.
„Wenn Sie das wünschen“, sagte sie schließlich ohne ihn anzusehen.
Sie standen auf, um zu gehen, und sie schaute hinaus aus dem Fenster.
Der Wind hatte sich etwas beruhigt, aber reizte noch immer die entfernten Bäume.
Die Bäume... sie blickte hinauf zu den sich senkenden Schatten, verspürte erneut das Gewicht des Schlosses, welches aus den Tiefen hinaufgezogen wurde, es umhüllte sie, über ihr, unter ihr, erdrückte sie, stöhnend von den unerbittlichen Gewölbe über ihr...
Als er ihren wandelnden Blick von Zögern zu etwas wie Panik sah, streckte er seine Hand nach ihrer Tasche aus. „Lassen Sie mich.“
Weder bewegte sie sich, noch gab sie ein Anzeichen, dass sie ihn gehört hatte.
„Professor Granger“, flüsterte er.
Keine Reaktion.
Wo ist sie?
„Hermine.“
Sie blinzelte einmal, langsam, ihre Augen senkten nicht verstehend den Blick auf die ausgestreckte Hand.
„Ihre Tasche. Sie sind erschöpft...“
Sie nickte und hielt sie ihm entgegen.
Eine seltsame Wärme wuchs in seinen Augen. Bedacht darauf nicht ihre Hand zu berühren, nahm er ihre Tasche und hielt ihr die Tür der Bibliothek auf. „Dann kommen Sie.“
Sie trat hinaus und als sie schweigend zu ihrer Tür gingen, da suchte er bei ihr beobachtend nach irgendwelchen Anzeichen für... irgendetwas.
Aber da waren keine. Als sie ihre Tasche nahm, dankte sie ihm, ihre Stimme war seltsam dick, irgendwie fern.
„Gute Nacht, Professor Granger.“
„Gute Nacht, Professor Snape.“
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah er sie einen Moment lang an und schaute dann hinunter.
Ein winziger Geist saß neben Hermines Tür auf dem Boden und spielte mit einem entkeimten Blumenstängel. Ernst legte sie einen Finger auf ihre Lippen und zeigte auf die Tür.
Ohne genau zu wissen warum, wiederholte er ihre Geste und nickte ebenso ernst.
Der Geist lächelte ihn schüchtern an.
Als er sich umdrehte, um zu gehen, blies der kleine Geist die Samen von dem Halm los. Ihre fedrigen Stängel trugen sie schnell nach oben, schwebend und glitten dann nach unten, um schimmernd im Fackellicht gegen den wehend schwarzen Hintergrund seines sich entfernenden Mantels zu tanzen.
Im Schein der Fackel hatten die treibenden Samen dieselbe Farbe wie sie.
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