So viel mehr als das - -
von LiliaRose
So love me now, hell is coming
Yeah kiss my mouth, hell is here
Little soldier, little insect
You know war it has no heart
It will kill you in the sunshine
Or happily in the the dark
~*~*~*~
Der Krieg verlangt Opfer. Er hat schon einmal Opfer verlangt und wird es wieder tun, tut es jetzt gerade, in diesem Augenblick. Sinnlos, unwillkürlich, mag es auch seinen Ursprung haben. Vielleicht ist es die Intensität, mit der jeder einzelne versucht, sein Ziel zu verfolgen, vielleicht die Treue, die dich dazu bringt, dein Leben und das Leben deiner Freunde, deiner Familie zu riskieren, vielleicht Edelmut, Hass oder Liebe.
Zwei Seiten, die sich bekriegen, versuchen zu gewinnen, dabei aber außer Acht lassen, dass sie nur verlieren können. So vieles. Alles.
Menschen sterben, Familien werden auseinander gerissen, Eltern verlieren ihre Kinder, Kinder verlieren ihre Eltern, werden zu Waisen, durch die Fronten in ein anderes, dunkleres Leben gedrängt. Durch das Böse. Durch das Gute. Dazu verdammt, einen Preis zu zahlen, den der Krieg von ihnen fordert, den die Liebe fordert.
Liebe.
Fronten.
Krieg.
Der Regen prasselt auf die gelben Rasenflächen nieder, die ausgetrocknet sind von der Dürre, die seit Wochen über das Land herrscht und mit diesem Wolkenbruch ihr jähes Ende zu finden scheint.
Fußabdrücke sind zu erkennen, zurückgelassen im durchnässten Boden, mit einem schmatzenden Geräusch bei jedem Schritt. Der Regen füllt sie mit Wasser und lässt sie langsam hinter dem langen Umhang verschwinden, der nass und schwer über die schlammige Erde schleift.
Sein Träger eilt mit schnellen Schritten durch die Dunkelheit, nur als schwarzer Fleck erkennbar, der den Vorhang aus dicken Regentropfen durchbricht. Fast wie ein Fremdkörper wirkt er, eine bewegliche Störung, in der sonst so ausgestorbenen Gegend, deren kahle Bäume fest wie Felsen im aufbrausenden Wind stehen.
Er sieht sich um, mehrere Male, und beschleunigt seine Schritte mit jeder Bewegung, die sein Kopf tut, wenn er nach hinten sieht. Er weiß nicht, wonach er sucht. Nicht genau. Doch er hat Angst, etwas zu sehen, er fühlt sich beobachtet. Nicht weil er hier ist, nicht weil er etwas Verbotenes tut. Er fühlt sich ständig beobachtet. Er weiß, dass man nach ihm Ausschau hält, wo auch immer er hingeht.
Er geht trotzdem.
In der Ferne zeichnen sich die Umrisse einiger Häuser ab. Kleine Häuser, wie die einer Vorstadtsiedlung. Keines ist bewohnt, oder bewohnbar. Sie sind nichts weiter als traurige Ruinen, irgendwann verlassen und vergessen. Keine Laternen beleuchten die engen Straßen, die ohnehin niemand sehen möchte, niemand geht hier jemals entlang, um sich die Gegend genauer anzusehen. Nicht einmal er selbst, obwohl er so oft schon hier gewesen ist. Blind stolpert er auf sein Ziel zu, blendet alles andere aus, nur eines vor Augen. Nur das vor Augen, was wirklich zählt.
Noch einmal dreht er sich um, vergewissert sich, dass er allein ist, und biegt in eine dunkle Gasse ab. Er kennt den Weg. Er kennt ihn gut.
Vorsichtig bückt er sich und steigt durch das Loch eines rostigen Zauns. Sein Umhang gibt ein reißendes Geräusch von sich, das einzige Geräusch, das hier zu vernehmen ist, abgesehen vom Regen, der unaufhörlich weiterprasselt und die Straßen zu überfluten droht.
Keine Zeit, darauf zu achten.
Er bleibt stehen, völlig durchnässt, zitternd, und blickt auf das Haus, das schon seit so vielen Jahren leer steht, in dem so vieles passiert ist. So viel Schlechtes und so viel Schönes.
Ein letzter bebender Atemzug bevor er weitergeht, auf die Mauern zu, deren lange Risse jetzt nicht zu erkennen sind. Es ist zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
Er greift nach dem Türknauf, dreht ihn herum und drückt gegen das morsche Holz.
Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Schemenhaft kann er die Umrisse der Treppe ausmachen, die zu großen Teilen von herabgestürzten Ziegelsteinen versperrt ist, einen bogenförmigen Eingang, der zu einem anderen Zimmer führt und seine eigene Hand, die an der rauen Wand entlangfährt. Er tut das nicht, um sich zu orientieren, er weiß wo er ist und wo er hin will. Er tut es, weil er es möchte.
Wasser rinnt aus seinen Haaren, bildet einen Tropfen an seiner Nase und fällt schließlich lautlos auf seine nasse Brust, die sich gleichmäßig hebt und senkt. Er hat aufgehört zu zittern, wenngleich ihm immer noch kalt ist. Er tut einen Schritt auf die Treppe zu, der alte, hölzerne Boden knarrt nicht, obwohl er es vielleicht sollte.
Es ist still.
Der andauernde Regen ist hier drin nicht zu hören. Gar nichts ist zu hören, außer seinem eigenem Atem. Er späht durch die Dunkelheit, diesmal in der Hoffnung etwas zu sehen. Jemanden.
Noch ein lautloser Schritt weiter.
Seine Augen haben sich längst an die Umgebung gewöhnt. Vielleicht mussten sie sich gar nicht daran gewöhnen. Es ist fast so, als hätte er sein ganzes Leben hier verbracht. Er kennt jeden Winkel, jede Stelle des Hauses, an der Putz abbröckelt, jeden Kratzer im Holzboden, jeden eigentümlichen Geruch, der sich von Raum zu Raum ändert.
Ein weiterer Schritt.
Er wischt sich das heruntertropfende Wasser aus den Augen. Das Treppengeländer liegt nun hinter ihm, vor ihm der bogenförmige Eingang, der ihn immer ein wenig an ein Theater erinnert. Im Grunde hat er nichts damit gemein, doch die Vorstellung lässt sich nicht mehr aus seinem Kopf verbannen, seitdem er das Haus gedanklich eingerichtet hat, um es gemütlicher zu machen. Um den Bogen herum hatte er einen samtenen, roten Stoff drapiert. Wie in einem Theater eben.
Er fährt mit seiner Hand einen Teil des Bogens nach, geht weiter und tritt in den großen Saal. Es ist schmutzig, die Möbel sind verstaubt, doch das sieht er nicht. Er hat die Realität ausgeblendet, ersetzt, durch gemütliche Couches, einen stattlichen Kamin mit loderndem Feuer und vielen Bücherregalen an den Wänden.
Es riecht nach Eiche, nach frischer Farbe, neuen Stoffen, nach ihm selbst und nach Harry.
Harry.
Er ist hier, steht vor dem Kamin.
"Harry."
Jetzt lächelt er, doch er tut nichts weiter. Er steht nur da und lächelt ihn an. Einige Augenblicke lang.
Noch einmal: "Harry."
"Ja", antwortet er schlicht, weil er bezeugen will, dass er es tatsächlich ist. "Draco?", fragt er dann und macht einen Schritt auf ihn zu.
"Ja."
Sie müssen sich nicht beweisen, dass sie es sind, dass niemand sonst es sein kann. Doch sie tun es trotzdem. Jedes Mal wieder.
Sie gehen aufeinander zu, betrachten sich dabei, kommen sich langsam näher. Jetzt stehen sie sich gegenüber, so nah, dass sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Wie beim ersten Mal, lange bevor der Krieg begonnen hat.
Draco blickt nach unten, greift nach Harrys Händen und hält sie fest. Er weiß, dass Harry nicht einfach so verschwinden wird, vom Erdboden verschluckt oder von der Flutmasse davongespült, die ohne weiteres jeder Zeit durch die porösen Wände brechen könnte. Trotzdem hält er ihn fest. So fest wie ein Ertrinkender den rettenden Ast.
Er zieht leicht an seinen Handgelenken, um ihn noch näher bei sich zu haben. Harrys Brust drückt sich an seine. Draco hat nicht länger das Gefühl, durchnässt zu sein. Er friert nicht mehr.
Harrys Atem, der gegen seine Lippen stößt, scheint ihn zu wärmen und er möchte das selbe für Harry tun - doch Harry tut so viel, auch wenn er nur da steht und Draco ansieht. Es ist so viel mehr als das.
Draco schließt die Augen, so wie Harry es in eben diesem Moment tut. Sie haben Zeit. Die ganze Nacht lang. Es ist nicht genug, nichts im Vergleich zu dem, was sie hatten oder was danach kommen wird, aber es muss reichen. Es muss einfach.
Vielleicht können sie die Zeit anhalten, diesen Moment ewig währen lassen, wenn sie es nur wollen, wenn sie sich anstrengen, wenn sie glauben. Der Glaube kann Berge versetzen, so heißt es doch. Womöglich kann er auch den drohenden Zusammenbruch aufhalten, so wie dieses Haus mit Sicherheit längst zusammengebrochen wäre, hätte man es nicht hin und wieder mit Leben erfüllt. Mit Liebe, mit Glauben.
Dracos Hände wandern an Harrys Armen hinauf. Er hält die Augen geschlossen, hört das Zischen des Feuers im Kamin, nimmt den vertrauten Geruch ihrer beiden Körper wahr, der sich nur dann bilden kann, wenn sie zusammen sind. Wenn sie hier sind.
Sie wollen nicht an morgen denken, an das, was geschehen wird, an das, was nicht geschehen wird und an alles dazwischen. Sie wollen nicht daran denken, dass es womöglich das letzte Mal sein wird. Das letzte Mal in diesem Haus, das letzte Mal, dass dieser unvergleichliche Geruch entsteht, ohne Einflüsse von außen. Ohne den Krieg, der draußen bleibt, sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hat.
Noch einmal wird sie sich öffnen und wieder schließen, und dann vielleicht für immer geschlossen bleiben.
Doch sie wollen nicht daran denken. Nicht jetzt - nicht heute Nacht. Sie planen nicht, was geschehen wird, wenn diese Nacht endet. Pläne sind nichts wert, nicht wenn alles um sie herum davon lebt, in heilloser Verwirrung voran zu schreiten, das wissen sie beide.
Also sind sie einfach hier. Jetzt. In diesem Augenblick. Zusammen.
Draco verlagert sein Gewicht von einem Bein auf das andere und legt seine Hände an Harrys Wangen. Sie sind warm. So warm wie Harrys Atem.
"Wir gehen nicht", flüstert Harry und schmiegt sich an Dracos Handinnenflächen.
"Nein, wir gehen nicht", antwortet er. "Nicht jetzt."
"Lass uns niemals gehen."
"Das werde ich nicht." Es ist eine Lüge.
Das alles ist eine Lüge. Eine Notlüge, doch das ist jetzt egal. Sie kennen die Wahrheit zu gut, um sie wirklich verleugnen zu können. Sie leben mit ihr und sie werden mit ihr sterben. Doch bevor das geschieht erschaffen sie sich ihre eigene Realität. Etwas, für das es sich lohnt zu leben und zu sterben. Und all das haben sie. Genau hier. In einem Haus, in Godric's Hollow. Das Haus, in dem alles begann und endete.
Draco schlägt die Augen auf. Sein Blick wandert über Harrys Gesicht, über den Mund, die dichten, schwarzen Wimpern, bis hinauf zu seiner Stirn. Die blitzförmige Narbe ist deutlich zu sehen.
Harrys Lider bewegen sich. Er öffnet die Augen und begegnet Dracos Blick. Er weiß, dass er auf seine Narbe starrt. Er tut das oft, doch er hat ihn nie nach dem Grund dafür gefragt. Und das braucht er auch nicht. Er sieht es in Dracos Augen, in ihrem Ausdruck und dem kleinen Zucken seiner Lippen.
Er ist traurig. Ebenso traurig wie Harry es ist.
Jetzt lehnt er sich nach vorn und presst seine Lippen auf Dracos, schließt die Augen, hört auf zu denken. Seine Finger krallen sich in den noch immer nassen Stoff von Dracos Hemd. Er küsst ihn, fühlt Dracos Zunge an seiner, die weichen Lippen, die nicht einmal absetzen würden, wenn er keine Luft mehr bekäme.
Draco zieht ihn noch enger an sich und drückt ihn gleichzeitig nach hinten, bis er gegen die verstaubte Couch stößt. Er lässt sich fallen, zieht Draco mit sich, ohne den Kuss auch nur einen Herzschlag lang zu unterbrechen. Sie lassen nicht von einander, auch nicht, als sie sich gegenseitig ausziehen, sich berühren, streicheln.
Die ganze Nacht lang, so wie der Regen, der weiterhin auf die Erde hinab fällt.
Die ganze Nacht lang.
~*~*~*~
Draco ist wach. Es ist zu früh, um wach zu sein, aber er kann nicht mehr schlafen. Die frühmorgendliche Sonne fällt durch die verstaubten Fenster, leicht abgedunkelt. Der Regen ist vorbei, die Nacht ist vorbei und das Haus hat sich zurückverwandelt. Die Realität hat ihn eingeholt.
Eine kaputte Sprungfeder drückt in seinen Rücken, der Staub kitzelt in seiner Nase und Harry liegt in seinem Arm. Er schläft. Draco weiß, dass Harry nicht so bald wach werden wird. Er hat noch ein bisschen Zeit, ihn zu beobachten. Ein letztes Mal.
Harry sieht zufrieden aus - vielleicht träumt er. Draco hofft, dass es ein schöner Traum ist, ein Traum von einem Ort, den niemand sehen kann, niemand außer ihnen beiden. Ein Ort, an dem sie zusammen sein können, an dem niemand sie stört, an dem kein Krieg herrscht. So wie dieses Haus es gewesen ist, bis gestern, bis eben. Draco hat nicht geträumt. Er träumt viel zu selten.
Harry scheint immer zu träumen, selbst wenn er wach ist. Draco erkennt das auf Anhieb. Es ist das Glitzern in Harrys Augen, das ihn verrät. Das schwache Beben seines Körpers, wenn er ruhig neben Draco liegt. Das kleine Lächeln, das er auf den Lippen trägt, wenn sie sich gegenüber stehen.
Und Draco liebt es. Jede Geste, auch wenn sie noch so unauffällig oder alltäglich ist. Wie das Blinzeln, das Befeuchten seiner Lippen, die seufzenden Geräusche die er von sich gibt, wenn er aufsteht, das Richten seiner Brille, indem er sie schnell mit einem Finger nach oben schiebt. So schnell, dass man es fast nicht bemerkt. Draco bemerkt es.
Es ist Zeit.
Sanft hebt Draco Harrys Kopf von seiner Schulter und bettet ihn auf die Armlehne der alten Couch. Er rutscht langsam von Harry weg, immer ein Stückchen weiter, bis seine Beine den Boden berühren und er sich aufrichten kann. Er sucht seine Kleider zusammen, zieht sich an und lässt sich Zeit dabei. Er zögert es hinaus, mit jeder falschen Bewegung, die er absichtlich tut, wenn er in das blaue Hemd schlüpfen will.
Jetzt steht er da. Er ist angezogen, hat keine Ausrede mehr, einfach zu bleiben, und starrt auf Harry hinab, der eingerollt auf der schmutzigen Couch liegt und leicht fröstelt. Es ist nicht kalt, aber der Entzug der körperlichen Nähe jagt eisige Schauer über seinen Rücken. Draco spürt es auch.
Es ist vorbei. Erstmal.
Sie haben keine Wahl, das wissen sie beide, und trotzdem fühlt es sich an, als zerstörten sie es eigenhändig. Alles was sie hatten, haben und vielleicht hätten haben können.
Sie haben keine Wahl.
Der Krieg verlangt Opfer, auf beiden Seiten. Zwei Seiten, deren Ansichten so unterschiedlich sind, deren Intentionen nicht aufeinander passen wollen, so angestrengt man auch versucht einen Weg zu finden. Vielleicht wenn alles vorbei ist, wenn der Krieg entschieden und zu Ende ist und alle Opfer eingefordert worden sind. Wenn sie endlich einsehen, dass es falsch ist, dass niemand profitieren kann, aus einer Schlacht, die so sinnlos ist, so verzweifelt, so zerstörerisch.
Was bleibt, ist eine kleine Chance auf Liebe. Verschwindend gering, aber existent.
Und bis dahin muss es weiter gehen. Und Draco geht weiter, lässt Harry auf der Couch zurück, sieht sich nicht noch einmal um. Er öffnet die Tür, tritt hinaus in die wärmenden Sonnenstrahlen, vor das Haus, das jetzt als armselige Ruine zu erkennen ist. Er schließt die Tür hinter sich, ohne zu wissen, dass Harry in eben diesem Moment wach wird, und geht mit schweren Schritten davon. Vielleicht für immer.
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Inspiriert durch Bright Eyes - No One Woult Riot For Less. Fantastischer Song, genialer Künstler!
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Meine größte Angst ist es, dass man mich immer mit meiner Rolle identifiziert. Ich möchte noch andere Dinge tun.
Emma Watson