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Fanfiction

Bruised and Broken - Teil VIII - Falling Free

von solvej

I was alone, falling free
Trying my best not to forget
What happened to us, what happened to me
What happened as I let it slip


[Placebo – Meds]

~oOo~


Regungslos verharrte er einige Herzschläge lang auf der Stelle, wagte es kaum, zu atmen. Dann erst begann sich unendlich langsam die Anspannung in seinem Körper zu lösen. Die Schultern sanken herab, die Lider fielen ihm zu und die angehaltene Luft entwich mit einem leisen Geräusch seinen Lungen. Er wirkte wie jemand, der sich nach langem Kampf die Niederlage eingestehen musste, oder eher noch: jemand, der letztendlich doch das verloren hatte, was er so dringend zum Überleben brauchte.

Dracos Blick hatte ihn irritiert, ihm beinahe Angst gemacht. Diese Kälte, die in diesem Sekundenbruchteil, in dem Draco über die Schulter zu ihm, Harry, zurückgeblickt hatte, in seinen Augen gelegen hatte, ließ ihm jetzt noch einen leichten Schauer über den Rücken laufen. Harry konnte nicht genau sagen, ob es wirklich nur eine Maske gewesen war, die Draco aufgesetzt hatte – er selbst hätte so einen Ausdruck zumindest nie willentlich zu Stande gebracht. Aber Draco war in dieser Hinsicht – und nicht nur in dieser – immer schon anders gewesen. Andererseits...

Harry fühlte sich verunsichert. Auf dem fruchtbaren Boden der Verwirrung sprossen auf einmal Zweifel, deren Saat schon lange in ihm geruht hatte, bisher aber noch von einem allzu vergänglichen Taumel des Glücks am Aufgehen gehindert worden war. Eigentlich hätte er es von Anfang an wissen müssen – vorsichtiger sein müssen. In den letzten Tagen hatte er sich auf viel zu dünnes Eis gewagt und seine vermeintlichen Sicherheiten waren nichts weiter als bloße Spekulation, gepaart mit einer großen Portion Leichtsinnigkeit. Nie war ihm das klarer gewesen als jetzt, in genau diesem Augenblick: genaugenommen war er nichts weiter als ein gutgläubiger Irrer.

Dabei hatte er wirklich an Dracos Ehrlichkeit geglaubt, ein paar unvorstellbare Momente lang. Momente, die jetzt wie aus dem Zusammenhang gerissene Bilder an ihm vorbeischwebten, nicht mehr greifbar und unwiederbringlich aus dem Gefüge seiner Erlebnisse herausgerissen.

Harry war sich nicht sicher, ob er vielleicht zu viel in etwas hineininterpretierte, das möglicherweise gar nichts zu sagen hatte. Aber Tatsache war nun einmal, dass dieser einzelne Blick ihn völlig aus dem Konzept gebracht hatte. Und konnte man etwas, das sich schon so einfach in seinen Grundfesten erschüttern ließ, überhaupt irgendeinen Wert zusprechen? Wobei – welches Konzept eigentlich? Wusste er denn, wo er mit dieser ganzen – was war es überhaupt? Eine Beziehung? Niemals! – Sache eigentlich hin wollte? Wohin sollte das noch führen? Wohin? Wie Draco sagte, in ein Versteck, in dem sie sich gemeinsam verbarrikadierten?

Harry schüttelte leicht den Kopf und straffte seine Haltung wieder. Er rieb sich mit den Fingerspitzen leicht die Schläfen; hinter seiner Stirn hatte es in den vergangenen Minuten seit Dracos Verlassen dumpf zu pulsieren begonnen. Um dem unangenehmen Gefühl ein wenig Einhalt zu gebieten, atmete Harry ein paar Mal tief durch. Als das aber nichts half, nahm er noch einen weiteren tiefen Zug aus der Whiskeyflasche und begann dann langsam, geradezu bedächtig, im Wohnzimmer Ordnung zu schaffen.

Er bemühte sich, jegliche Spur von seiner und insbesondere Dracos Anwesenheit hier auszulöschen. Er strich den Bezug des Sofas glatt, wischte die Whiskeytropfen vom Tisch, richtete sogar die Fasern des zottigen Teppichs wieder auf, wo einer von ihnen darauf getreten war. Danach sah das Zimmer noch unbewohnter aus als zuvor.

Zögernd wandte sich Harry der Treppe zu und warf einen flüchtigen Blick nach oben. Er war sich nicht sicher, ob er jetzt wirklich jenes Zimmer betreten wollte, in dem er noch kurz zuvor mit Draco zusammen gewesen war. Nicht jetzt, wo all diese Gedanken in seinem Kopf herumspukten. Ob Draco ihn belogen haben könnte. Ob er ihn in eine Falle locken wollte. Ob er ihn gar nicht wollte.

Schließlich gab Harry sich einen Ruck und ging zielstrebig nach oben, um auch dort alles zu beseitigen, was darauf hindeuten könnte, dass jemand hier gewesen war. Als erstes versteckte er die Schachtel mit den Briefen wieder – ihr Inhalt verstörte Harry immer noch. Obwohl die Neugierde in seinen Eingeweiden wie Feuer brannte, brachte er es noch nicht über sich, ihnen genauere Aufmerksamkeit zu widmen. Momentan war er einfach nicht in der richtigen geistigen Verfassung dazu. Deswegen verschloss er die Kiste schweren Herzens wieder in Seidenschnabels Zimmer, um die Briefe zu einem geeigneteren Zeitpunkt ausführlich zu studieren. Obwohl er sich einen Moment lang fragte, ob dieser Zeitpunkt je kommen würde.

Dann kehrte er ins Zimmer zurück, entfernte Flecken und Leintücher, versetzte alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand. Er verließ den Raum und drückte mit einem leisen Klicken die Tür ins Schloss. Wie in Trance stieg er die Stufen hinab, griff sich vom unteren Treppengeländer seinen Umhang und verließ das Haus am Grimmauldplatz ohne sich noch einmal umzusehen.

Die sommerlich warme abendliche Brise strich ihm sanft über die Haut und ließ Erinnerungen an zärtliche Berührungen in ihm aufsteigen. Die aber, wie er sich jetzt wieder sagte, möglicherweise auf nichts weiter als einer Farce beruhten. Eine einzige große Täuschung, um ihn – aller Wahrscheinlichkeit nach – umzubringen.

Langsam hatte er das Gefühl, die vielen Gedanken würden seinen Kopf bald zum Zerspringen bringen. Jetzt wäre wohl es an der Zeit, jemandem von der Sache zu erzählen. Dass er Draco begegnet war, und sie miteinander gesprochen hatten. Die pikanteren Details konnte man ja ganz dezent verschweigen. Harry rechnete zwar damit, dass Ron und Hermine es ihm nicht unbedingt einfach machen würden – sie waren zu voreingenommen, würden nicht verstehen, warum er überhaupt mit Malfoy – Draco – geredet hatte, und, wenn doch, sich fragen, warum er es ihnen bisher verschwiegen hatte – aber er musste mit ihnen reden, er hatte keine Wahl. Sich zumindest ihre Meinung dazu anhören, ob seine Sorgen berechtigt waren. Nein, natürlich waren sie berechtigt! Trotzdem musste er wissen, wie sie als Unbeteiligte die Situation einschätzten, denn – so viel war sicher – sonst würde über kurz oder lang sein Kopf platzen.

Plötzlich fiel es ihm siedend heiß wieder ein. Er konnte Ron und Hermine nichts davon erzählen, genaugenommen konnte er niemandem etwas davon erzählen. Das Versprechen. Draco hatte dieses verfluchte Zugeständnis aus ihm herausgelockt und nun bekam Harry die Rechnung dafür präsentiert, noch früher als er befürchtet hatte. Diese verdammte Unvorsichtigkeit! Solch eine Hinterhältigkeit war auch nur einem Malfoy zuzutrauen.

Andererseits – was hatte Harry ihm schon versprochen? Ihn nicht zu verraten, was hieß das schon? Reine Auslegungssache. Ihn nicht verraten. Wenn man es so sehen wollte, dann hieße das möglicherweise auch, dass er kein einziges Wort über ihn verlieren durfte. Was, verflucht, was hatte Draco mit diesem Versprechen bezwecken wollen? Vielleicht Harrys völlige Verwirrung, was ihm in diesem Fall auch vorbildlich geglückt war.

Wenn Harry nicht schon tausend andere Wege gefunden, und den Großteil davon auch bereits mit vorbildlicher Präzision angewandt hätte, das Verhältnis zwischen ihm und Draco nachhaltig zu schädigen, so wäre spätestens diese Analyse für sich das tödlichste Gift für ihre ohnehin schon auf allzu wackeligen Beinen stehende Beziehung gewesen.

***


Als er endlich, blass und verstört, wieder im Fuchsbau auftauchte, fragte schon keiner mehr, wo er eigentlich gewesen war. Ohne groß Worte zu verlieren verschwand er in seinem Bett, und als Ron irgendwann den Raum betrat, tat er so, als ob er schon schliefe. Bis er aber tatsächlich in einen sehr unruhigen und keineswegs entspannenden Schlaf verfiel, dauerte es noch die halbe Nacht.

Am nächsten Morgen erwachte er spät, die Sonne stand schon hoch am Himmel und hatte Rons kleine Dachkammer schon fast in eine Sauna verwandelt. Als er eine halbe Stunde später in die Küche kam, trug Mrs. Weasley gerade das Mittagessen auf und begrüßte ihn mit einem herzlichen, aber doch etwas gezwungenen „Hallo, Harry!“

Er nickte knapp und schenkte ihr etwas, das andeutungsweise als ein Lächeln zu interpretieren war, ließ sich dann in der hintersten und schattigsten Ecke der Tischbank nieder und stocherte stumm in seiner Portion Gemüse herum. Umso überraschter waren seine beiden besten Freunde dann, als er nach allgemeiner Beendigung der Mahlzeit demonstrativ in der geselligen Runde sitzen blieb, die sich gewöhnlich nach dem Essen dort versammelte und noch ein wenig plauderte, wie um das seichte Gefühl von Normalität zu vermitteln.

An diesem Nachmittag allerdings löste besagte Runde sich schneller auf als gewöhnlich, und Harry hatte das untrügliche Gefühl, dass dieser Umstand durch seine Anwesenheit begründet war. Man warf ihm die altbekannten Blicke von der Seite zu, immer wenn man dachte, er sähe gerade nicht hin. Außerdem war der Bogen, der um gewisse Themen gemacht wurde, einfach zu groß, um zufällig zu sein. Die betont freundliche und dadurch umso mehr gekünstelt wirkende Atmosphäre trieb die meisten bald in die Abgeschiedenheit ihrer Zimmer.

Am Schluss blieb er nur mit Ron und Hermine zurück, die merklich zögerten, ihn alleine in der Küche sitzen zu lassen. Harry spürte, wie Hermine Ron unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein gab und Ron darauf wild mit den Augen rollte und die Achseln zuckte. Offenbar, so mutmaßte Harry, wollte er damit seine Hilflosigkeit angesichts der Situation zum Ausdruck bringen.

Hermine warf Ron einen flüchtigen strengen Blick zu, wahrscheinlich um ihm damit noch einmal den Ernst der Lage klar zu machen, dann wandte sie sich endlich dem Objekt ihrer Neugier zu: „Harry, ist alles in –“

„Lasst uns eine Runde durch den Garten gehen“, unterbrach Harry, ohne sie anzusehen, und stand ruckartig auf. Ohne zurück zu blicken verschwand er durch die Hintertür in den Hof und hörte im nächsten Moment, wie zögernde Schritte ihm nach draußen folgten. Jeder seiner Fußtritte knirschte leise im Kies, als er langsam und mit gesenktem Kopf seinen Freunden voraus in Richtung Gartenzaun schritt.

Trotz seiner anfänglichen Zweifel hatte Harry sich nun einen Ruck gegeben und beschlossen, mit seinen Freunden über sein – nun ja – kleines Problem zu sprechen. Wenn schon nicht direkt, dann wenigstens in Andeutungen. Zumindest Hermine würde ihn schon verstehen.

Er war am Zaun stehen geblieben, die Unterarme darauf abgestützt, und starrte mit einem leichten Stirnrunzeln auf den Horizont, dessen Konturen sich in einem weit entfernten Tannenwald auflösten. Die Sonne war heute leicht verhangen, über dem Land lag ausnahmsweise nicht die träge Hitze der vergangenen Tage. Wolkenfetzen huschten vom Wind getrieben über das trübe Grau. Das Gras raschelte zu ihren Füßen, als Hermine und Ron wortlos neben ihn traten.

„Ich fürchte“, begann er, heiser vor Nervosität, so dass er sich zuerst räuspern und dann husten musste, bevor er noch einmal, mit klarerer Stimme ansetzte. „Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht.“ Er vermied es sorgfältig, einem seiner Freunde in die Augen zu sehen.

Keiner der beiden sagte etwas, sie warteten darauf, dass er von selbst erzählte. Nicht einmal ein erstauntes Luftschnappen war einem von ihnen entfahren; wahrscheinlich hatten sie mit so etwas schon fast gerechnet.

Harry holte tief Luft, bevor er stockend fortfuhr; seine Worte mehr an den hässlichen, kleinen Gartengnom gerichtet, der im Gemüsebeet nach Würmern suchte, als an seine eigentlichen Ansprechpartner. „Ich bin … jemandem begegnet. Ich kann nicht sagen… wem.“ Irritiert hielt er inne, weil er nicht wusste, wie er von dieser Stelle aus weiterkommen sollte. Was erwartete er sich überhaupt von diesem Gespräch?

Aus den Augenwinkeln musterte er zuerst Ron, der so aussah, als würde er an der Frage „Warum nicht?“ ersticken, wenn er sie nicht gleich ausspucken durfte, dann Hermine, die ihn nachdenklich betrachtete. Harry seufzte tief auf, nahm seine Brille ab und begann dann, sich mit zusammengekniffenen Augen die Nasenwurzel zu massieren. Es war der reinste Albtraum. Zu allem Übel jetzt auch noch diese unangenehme Beichtsituation! Zwar war ihm von Anfang an klar gewesen, dass es nicht leicht sein würde, nach diesem Versteckspiel mit der Sprache herauszurücken, aber die Realität stellte sich noch als um einiges unangenehmer heraus, als er zu fürchten gewagt hatte.

„Harry?“, fragte Hermine vorsichtig, worauf er als Reaktion nur in seiner Bewegung inne hielt, und stattdessen die Augen mit der Hand verdeckte. „Du musst das nicht tun, ja? Wenn du uns… diese Sache nicht erzählen willst, sind wir nicht böse“, fuhr sie leise fort, und Harry war einerseits dankbar für ihr Verständnis, andererseits hätte er sie gerade für ihre Übelkeit erregende Freundlichkeit verfluchen können.

„Doch“, würgte er hervor, und dann, plötzlich wieder gefasst, begannen die Worte hastig aus seinem Mund herauszustolpern, als hätten sie selbst den Entschluss gefasst, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. „Ich habe mit dieser Person gesprochen und möglicherweise – nein, ganz sicher – falsches Vertrauen zu ihr gefasst. Ich hab Fehler gemacht; keine, die nicht wieder gut zu machen wären, aber eben doch Fehler. Insgesamt gesehen ist die ganze Episode eigentlich nicht so tragisch, außer dass ich mich sehr leichtsinnig der Gefahr ausgesetzt habe, aber nachdem ich unbeschadet vor euch stehe, ist das wohl im Endeffekt egal. Was mir dabei zusetzt ist etwas anderes…“ An dieser Stelle zögerte er noch einmal, bevor er seine Erklärung fortsetzte. „Ich hasse mich dafür, dass ich so dumm war, so naiv, so leichtfertig, so gutgläubig, so vollkommen und abgrundtief dämlich, so -“

„Das reicht, Harry!“, unterbrach ihn Hermine, besonnen wie immer, und hielt sein Handgelenk fest, um ihn davon abzuhalten, sich weiter mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen.

Dann überraschte Ron mit einem Ausbruch von Scharfsinnigkeit, mit dem Harry in diesem Moment am allerwenigsten gerechnet hätte. „Wenn du sagst, ‚es wäre nichts, was nicht wieder gut zu machen wäre‘, dann mach’s doch einfach wieder gut, und die Sache hat sich.“

Verblüfft fuhr Harrys Kopf zu ihm herum und er starrte ihn einige Sekunden an, bevor sich langsam so etwas Ähnliches wie Genugtuung auf seinem Gesicht auszubreiten schien. Dann stieß er ein leises „Ha!“ aus und schlug Ron übermütig, wie er es schon lange nicht mehr gewesen war, auf den Rücken. „Danke, Mann“, sagte er voll Überzeugung und hastete dann zurück Richtung Haus. Ron und Hermine hatten sich, verwirrt wie sie waren, nicht vom Fleck gerührt und tauschten alarmierte Blicke.

***


Harry hörte leise Geräusche hinter der Tür, vor der er nun schon seit geschlagenen elf Minuten stand und wartete. Worauf er wartete wusste er selbst nicht so genau, eine plötzliche Eingebung vielleicht, was er sagen sollte, wenn er es endlich über sich bringen würde, zu klopfen.

Rons Vorschlag war genau das gewesen, was er gebraucht hatte, ein winziger Schubs in die richtige Richtung, die er alleine nicht gefunden hätte. Jetzt war er endlich auf dem ihm bestimmten Weg, er musste ihn nur noch gehen. Alleine. Das war nun einmal sein Schicksal, so gehörte es sich, so musste es sein. Sein Herz raste, und einen kurzen Moment lang drohte es auszusetzen, als er endlich, planlos, seine Hand hob und anklopfte.

„Ja?“, kam Ginnys Stimme von drinnen und Harry drückte, ohne groß darüber nachzudenken, die Klinke herunter und trat ein. Ginny hob kritisch die Augenbrauen. Kein Wunder, dass sie nicht allzu begeistert von seinem Anblick war, bei ihrer letzten Begegnung unter vier Augen hatte er schließlich nicht gerade einen auf englischer Gentleman gemacht. Er schenkte ihr ein verlegenes Grinsen, worauf sie, den Kopf zur Seite geneigt, skeptisch fragte: „Was ist denn?“

„Ehm“, sagte Harry und Ginny verdrehte die Augen. Na toll. Alle mussten sie immerzu darauf herumhacken, dass er nicht unbedingt redegewandt war. Nicht jeder wurde mit solch einer natürlichen Eloquenz geboren wie Dra-
Egal.

„Ich wollte mich entschuldigen“, murmelte Harry reumütig. „Für … alles. Was in den letzten Wochen passiert ist. Ich fürchte, ich war unausstehlich.“

„Das warst du allerdings!“, sagte Ginny, die Augenbrauen immer noch hochgezogen, im Tonfall aber schon weitaus versöhnlicher.

Treuherzig blinzelte Harry sie mit gesenktem Kopf an. Sein Herz raste und er deutete das als gutes Zeichen, weil es darauf schließen ließ, dass er immer noch in Ginny verliebt war, und das mit … diese andere Sache nichts weiter gewesen war, als ein Zustand kurzzeitiger geistiger Verwirrung. „Ja“, bestätigte er sich selbst, „und ich – es tut mir leid.“

Ginny erhob sich langsam von ihrem Platz am Schreibtisch, um sich dann gegen die Tischkante zu lehnen. Dabei seufzte sie, wie jemand, der etwas wider besseren Wissens tat, obwohl es nur zu einer Katastrophe führen konnte. „Oh Harry…“, sagte sie, ein Hauch von Traurigkeit in ihrer Stimme, „warum weiß ich bei dir bloß nie, woran ich bin?“

„Ich bin hier“, sagte Harry, die Unschuld in Person, „das sagt doch alles!“ Und als er merkte, dass seine Worte noch nicht ganz ausreichten, fügte er noch hinzu: „Und ich will es wieder gutmachen.“

„Du machst es dir wirklich einfach, weißt du?“ Eine Spur Ungeduld lag in diesem letzten Satz und Ginny verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ehm … ja?“, sagte Harry und grinste sie vorsichtig an.

Ginny zögerte den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie ihrer inneren Versuchung nachgab und lachte. Es war ein leises, amüsiertes Lachen, in dem ein Hauch von Spott mitschwang und das gleichzeitig sagte, dass sie gewillt war, alles zu vergessen. Kurz trafen sich ihre Blicke, braune Augen versuchten in grünen Augen nur den geringsten Anklang von Unaufrichtigkeit zu finden, aber Harry hielt stand. Dann schlich sich ein hinterhältiges kleines Lächeln auf Ginnys geschwungene Lippen. „Und wie genau … willst du das jetzt alles wieder gut machen?“

Harry brauchte einige Augenblicke, bis er begriff. „Oh!“, hauchte er, überwältigt davon, wie einfach sein Plan aufzugehen schien. Er beeilte sich, die wenigen Schritte auf sie zu zu machen, ungeschickt vor nervöser Erregung, um sie dann sanft an der Hüfte zu nehmen und an sich zu ziehen. Ginny schenkte ihm ihr umwerfendstes Lächeln und flüsterte ihm ins Ohr: „Und du hast einiges abzubüßen…“

Harry blinzelte sie an und ließ dabei gedankenverloren seine Hand durch ihr langes Haar gleiten. Es war weich, kräftig und voll, und es fühlte sich ganz anders unter seinen Fingern an als –
Als Hermines. Obwohl er Hermines Haar natürlich nie bewusst angefasst hatte. Aber mit wessen Haar sollte er Ginnys Haar auch sonst vergleichen?

Ginny roch gut, das hatte sie immer schon getan. Ihr angenehmer Geruch war eines der ersten Dinge, die Harry bewusst an ihr wahrgenommen hatte, während sie als Person an der Oberfläche seines Bewusstseins noch niemand anderes gewesen war, als die Schwester seines besten Freundes. Jetzt drückte Harry sich noch näher an sie und versuchte, ihren Duft in sich aufzunehmen, ihn einzuatmen und sich von innen damit ausfüllen zu lassen.

Aber das angenehme Prickeln, das er sonst immer dabei verspürt hatte, blieb aus. Einen Augenblick lang krampfte sich in Harrys Magen etwas zusammen – nicht auf die angenehme Verliebtheits-Schmetterlinge-im-Bauch-Art-und-Weise, sondern auf die Übelkeits erregende ich-hab-einen-verfluchten-Fehler-gemacht-und-muss-jetzt-dafür-büßen-Weise.

‚Übertreib’ nicht‘, sagte sich Harry resolut im Geiste vor, ‚das ist nur die Aufregung!‘

Er legte eine Hand in Ginnys Nacken und lächelte sie an (Wie tat dieses Lächeln weh! Wie verlogen, wie falsch fühlte es sich vor seinem Hintergrund an…), bevor er seine Lippen auf ihre senkte und sie küsste.

Seine Lider waren geschlossen, doch vor den Bildern, die an seinem geistigen Auge vorbeihuschten, gab es kein Entfliehen. Sie waren da, ob er wollte, oder nicht. Er wollte sie nicht wollen, aber er tat es trotzdem. Er kniff die Augen zusammen, so fest er konnte, wollte sie wegwischen, nur irgendwie loswerden, aber es ging nicht. Er war da, Draco war da. Dieser verfluchte … als er ihn in Godric’s Hollow überfallen hatte. Zwei Jungen in einer Hölle aus Schutt und Asche, die sich küssten, als gäbe es kein Morgen.

Abrupt stieß er Ginny von sich, wich langsam Schritt für Schritt vor ihr zurück, während er sie ansah, als wäre sie eine Bestie, die es nur auf ihn abgesehen hätte. Als wäre das alles ihre Schuld. Aber eigentlich wich er vor sich selbst zurück, sah sich wie durch einen Spiegel, der ihm zeigte, dass die Bestie ein Stück von ihm war. Unvermittelt drehte er sich um und rannte aus dem Zimmer, als hinge sein Leben davon ab, gab der verblüfften und schockierten Ginny keine Zeit, ihm angemessene Beleidigungen an den Kopf zu werfen.

Er wusste nicht wohin, stürzte nur die Treppe hinunter und nach draußen, übersah Ron und Hermine, lief einfach weiter, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Das Laufen, das heftige Atmen, der Schmerz, den er schon bald in seinen Seiten und seinen Füßen verspürte, hielten ihn davon ab, zu denken. Er hasste Malfoy, weil er ein verfluchter Todesser und trotzdem so unwiderstehlich war, er hasste sich selbst noch mehr, weil er ihm nicht widerstehen konnte und er hasste Ginny, als hätte sie es mit Absicht so eingerichtet, dass sie gegen Draco nicht gewinnen konnte.

Harry lief und lief und litt und hasste Malfoy mit jedem Schritt mehr. Nicht nur weil er Malfoy, Voldemorts Handlanger war, ihn wahrscheinlich umbringen wollte, ihn verführt hatte, um ihn in eine Falle zu locken und versucht hatte, Dumbledore zu töten, sondern – und das eigentlich an erster Stelle – weil Draco ihn für alles andere verdorben hatte. Plötzlich fühlte es sich falsch an, Ginny zu küssen, was doch einmal die Nummer zwei, gleich nach Quidditch, in der Hitliste von Harrys Lieblingsbeschäftigungen gewesen war! Es war nun nichts mehr, außer einer hohlen, leeren Geste, die nichts bedeutete und nicht das Geringste mehr in ihm auszulösen vermochte. Harry verabscheute sich selbst dafür und verfluchte Draco, den Verräter. Es war seine Schuld, nur seine!

Irgendwann konnte er nicht mehr. Er trottete noch ein paar müde Schritte weiter, blieb dann endlich stehen, um sich mit beiden Händen auf seinen Knien abzustützen und keuchend nach Atem zu ringen. Abwechselnd presste er seine Hände gegen die schmerzenden Seiten und versuchte, sich Luft zuzufächern, was sich als relativ sinnloses Unterfangen herausstellte.

Einige Minuten stand er so da und tat nichts weiter, als ein lächerliches Bild abzugeben, während langsam die Dämmerung hereinbrach und die Grillen zu vielstimmigem Zirpen ansetzten. Dann erst wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wo er war. Um ihn herum Felder, in der Ferne die Silhouette eines Wäldchens vor dem samtigen Dunkelblau des Horizonts. Nicht, das diese Tatsache an sich irgendwie besorgniserregend gewesen wäre – immerhin konnte er innerhalb eines Sekundenbruchteils zurück zum Fuchsbau apparieren – aber dass er so völlig die Kontrolle über sich verloren hatte, war durchaus bedenklich.

Kaum eine Minute später, sein Atem hatte sich gerade wieder beruhigt, stand er schon wieder vor dem Weasley’schen Heim, das still und einsam vor ihm lag, aus einzelnen Fenstern quoll ein gedämpfter Lichtschein. Er schlich hinein, bemüht, möglichst nicht durch Lärm auf sich aufmerksam zu machen, um so schnell es ging in seinem Bett Deckung zu beziehen und Malfoy von dort im Stillen zu hassen.

Obwohl es noch früh war, schienen sich alle Weasleys - entgegengesetzt zu ihrem üblichen Verhalten - schon in ihre Zimmer zurückgezogen haben. Nichts zeugte von dem regen Treiben, das hier für gewöhnlich herrschte. Auf seinem Weg in die Kammer unter dem Dach begegnete Harry niemandem, was ihn nicht sonderlich störte. Es überraschte ihn auch nicht weiter, dass das Zimmer noch leer war. Er setzte sich vorsichtig auf sein Bett – eigentlich hätte er sich lieber stilgerecht darauf fallen gelassen, aber er war immer noch darauf bedacht, unnötigen Lärm zu vermeiden, und die Federn des alten Feldbettes quietschten erbärmlich – und sank dann mit einem stummen Seufzen auf sein Kissen zurück. Die Welt war wie immer gegen ihn. Scheiß Malfoy.

Die sich in schäumenden Wogen vor ihm auftürmenden Wellen des Selbstmitleids waren gerade im Begriff, über Harrys Kopf zusammen zu schlagen, als jemand leise an die Fensterscheibe klopfte. Harry hatte sich schon längst abgewöhnt, jedes Mal erschrocken zusammenzuzucken, wenn so etwas passierte, selbst wenn er sich zum augenblicklichen Zeitpunkt im vierten Stock befand.

Eher milde interessiert als wirklich neugierig erhob er sich von seiner Matratze, sogar einigermaßen erfreut über die kurzzeitige Ablenkung, und ließ Hedwig herein. Mit zwei kurzen, kräftigen Flügelschlägen war sie im Zimmer und landete auf Harrys Schulter, wobei sich einen Moment lang ihre Krallen schmerzhaft in seine Haut bohrten. Er biss die Zähne zusammen – das waren eben die Dinge, mit denen man rechnen musste, wenn man eine Eule besaß. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war der Brief, der an dem Lederbändchen an ihrem linken Fuß baumelte. Harry ahnte Übles.

Mit zitternden Fingern löste er den Knoten; so ungeschickt, dass ihm die Pergamentrolle dabei entglitt und mit einem leisen Rascheln zu Boden fiel. Während er sie aufhob, rauschte Hedwig bereits wieder mit einem leisen Abschiedsgruß durch das geöffnete Fenster davon. Vielleicht wollte sie Harry seine Privatsphäre lassen. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nur Hunger und wollte jagen gehen.

Harry zögerte ein wenig, bevor er den Bogen Pergament entrollte. Alle Personen, die ihm normalerweise Briefe schrieben, befanden sich entweder in diesem Haus, oder waren Hagrid, der seine eigenen Eulen hatte. Lupin durfte nicht schreiben, Dumbledore würde nie wieder etwas schreiben, ein förmlicher Hogwartsbrief würde anders aussehen. Also konnte dieser Brief gar nichts Gutes bedeuten.

Harry fühlte sich nur allzu bald in dieser Vermutung bestätigt, als er den Pergamentfetzen – denn mehr war es im Grunde nicht – entrollte und sein unsteter Blick über die hastige, schlanke Handschrift huschte. Die Notiz war nicht unterschrieben, aber das war auch überflüssig. Denn wer sollte ihm sonst schreiben außer –

„Malfoy. Verfluchter Dreckskerl, warum verkriecht er sich nicht einfach in ein Loch und stirbt?“, murmelte Harry. Und wie er überhaupt an Hedwig gekommen war, wusste er auch nicht. Wahrscheinlich hatte es diese verflixte Eule wieder einmal zu gut mit ihm gemeint. Manchmal war ihr Übereifer fast lästig.

„Triff mich dort, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Jetzt!“, stand da, die Tinte verschmiert und ein geronnener Fleck am Rand, als wäre die Nachricht in großer Eile verfasst worden. Er ließ den Zettel fallen, als hätte er sich daran verbrannt.

Malfoy hatte es natürlich nicht nötig, wie ein normaler Mensch um ein Treffen zu bitten – er befahl. Dachte er denn, alles würde nach seinem Kommando laufen? Da hatte er sich diesmal aber geschnitten, denn Harry würde einen Dreck tun und dorthin gehen – welchen Ort auch immer Malfoy mit seiner kryptischen Botschaft gemeint hatte.

Trotzig verschränkte Harry die Arme und setzte sich aufs Bett. Eine Sekunde später stand er wieder auf, nahm den Brief an sich und ließ sich wieder nieder. Harry starrte ihn an, als wäre er giftig, konnte aber seinen Blick nicht davon abwenden. Er ertappte sich dabei, wie er mit den Augen der Linie folgte, die die Feder gezeichnet hatte; wo sie verweilt hatte und wo sich ihre Spur fast im Nichts verlor, bis sie erneut ansetzte, um eine neue Kurve zu beschreiben. Nervös schüttelte er den Kopf um sich von den hypnotischen Federstrichen loszureißen und zerknüllte es mit einer ärgerlichen Bewegung. Schon im nächsten Moment strich er es mit beiden Händen auf seinem Oberschenkel wieder glatt, um es dann schmetterlingsförmig zusammenzudrehen.

Gedankenverloren zupfte er an den unregelmäßigen Rändern, während er angestrengt darüber nachdachte, welchen Ort Draco in seiner Botschaft gemeint haben könnte. Nicht, dass es irgendeinen Unterschied gemacht hätte, denn Harry würde sowieso nicht hingehen, aber die Tatsache das Malfoy sozusagen einen Wissensvorsprung hatte, machte ihm zu schaffen. Es war, als hätte man ihm ein Rätsel aufgegeben, das der Fragesteller selbst mühelos gelöst hatte. Er wollte sich ihm gegenüber nicht abwerten.

Als erstes hatte Harry an Godrics Hollow gedacht. Hier waren sie sich zumindest das erste Mal begegnet. Aber das konnte Draco – Malfoy, Malfoy, Malfoy! – nicht gemeint haben, nachdem er ihm selbst davon abgeraten hatte, wieder dorthin zu gehen, solange der Feind dort positioniert war.

Kennengelernt hatten sie sich ursprünglich in Hogwarts – aber das war wohl auszuschließen. Kennengelernt dagegen hatten sie sich erst im Laufe der letzten Woche im Black-Haus am Grimmauldplatz. Aber warum dann die Geheimniskrämerei? Was war überhaupt passiert, dass Malfoy glaubte, in Rätseln schreiben zu müssen? Die einzig logische Erklärung, die Harry dazu einfiel, war jene, dass Malfoy nun endlich die richtige Zeit gekommen sah, ihn hinterrücks zu ermorden. Das war allerdings auch eine etwas komische Methode, jemanden aus dem Hinterhalt zu überraschen, indem man einen fixen Treffpunkt mit ihm ausmachte – und dann nicht einmal sicherstellte, dass die betreffende Person dort auch auftauchte, weil sie möglicherweise zu dämlich war, die verschlüsselte Botschaft richtig zu interpretieren.

Dieser letzte Schluss gefiel Harry ganz und gar nicht – es war eine Sache, von Hermine gesagt zu bekommen, dass er manchmal, gelinde gesagt, ein wenig langsam im Denken war, aber es selbst aus den eigenen Überlegungen zu folgern, war doch ein kleiner Schock. Blöder Malfoy. Auch seine Schuld.

Jedenfalls bedeutete das wiederum, dass Malfoy möglicherweise doch andere Intentionen gehabt hatte, als er jene Nachricht verfasst hatte. Und warum sollte er sie überhaupt verschlüsseln, wenn er nicht Angst gehabt hätte, irgendjemand könnte sie abfangen, woraus wiederum Probleme resultieren könnten? Wenn Malfoy Gefahr witterte, dann war das definitiv kein gutes Zeichen, und außerdem noch ein Argument, warum Harry ihn erst Recht nicht treffen sollte. Und einmal ganz davon abgesehen wüsste er nicht, wo.

Zum allerersten Mal gesehen hatten sie sich bei Madam Malkins. Harry erinnerte sich noch gut an das arrogante kleine Frettchengesicht, das ihn vom ersten Moment an abgestoßen hatte. Eins musste man Draco lassen – er hatte sich während der letzten Jahre zum Positiven entwickelt. Also, nicht dass er nicht immer noch ein arrogantes Frettchengesicht wäre, und wahrscheinlich war er gemeiner, zügelloser und überheblicher denn je, aber –

Moment. Eigentlich war er nach wie vor ein Arschloch. Mittlerweile sogar ein Masken tragendes, das in größenwahnsinniger Manier mit seinem Zauberstab in der Luft herumfuchtelte und Menschenleben zerstörte. Jippie. (1)

Madam Malkins konnte er jedenfalls streichen, nicht einmal Malfoy könnte von ihm erwarten, mitten in der Nacht in ein Bekleidungsgeschäft in der beliebtesten Geschäftsstraße diesseits des Ärmelkanals einzubrechen, um dort ein heimliches Rendezvous mit ihm zu feiern. Aber was blieb dann noch übrig? Das nächste Mal hatten sie sich erst im Hogwarts Express gesehen, und wo der während der Ferienzeit war, das wusste Merlin. Vielleicht meinte er einfach den Bahnhof Kings Cross. Aber auf diesen traf weder das Attribut „begegnet“ noch das des „ersten Mals“ zu, insofern war diese Möglichkeit auch einigermaßen unwahrscheinlich. Nur – sonst blieb nichts mehr übrig.

Alle Optionen schieden aus dem einen oder anderen Grund aus, offenbar gab es keinen Ort in ganz Großbritannien, an dem sich ein Draco Malfoy und ein Harry Potter in Ruhe treffen und… reden konnten. Aber nicht einmal das wollte Harry. Nie mehr! Das nächste Mal, wenn er Draco begegnete, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach auf einem ausgebrannten Schlachtfeld. Harry würde ihm in die Augen sehen, in denen der Kampfgeist loderte, als hätte es die vergangen Tage nie gegeben; geblendet von richtungsloser Wut würde er sich auf ihn stürzen, und Harry würde es ihm gleich tun. Es war Krieg, und im Krieg nahm man keine Rücksicht.

Harry stellte sich eine sehr epische Szene vor, in der er und Draco sich duellierten, umgeben von grauem Dunst, der sich aus vom Kampf aufgewirbeltem Staub und Nebel zusammensetzte, in dem sich das Licht brach und ihrer beiden Gesichter geisterhaft und blass erscheinen ließ. Im Hintergrund tobte geräuschvoll eine Schlacht, von der man nichts sah, außer schemenhafter Gestalten und fehlgeleiteter Flüche, die sirrend die Luft zwischen ihnen zerschnitten. Sie atmeten schwer und umkreisten sich langsam, wie zwei Raubtiere, die darauf warteten, dass der Gegenüber einen Schwachpunkt offenbarte. Und dann, blitzschnell und in einer einzigen, fließenden Bewegung schlug einer von ihnen beiden zu – wahrscheinlich war es Draco. Harry konnte fast sehen, wie er selbst sich instinktiv auf die Seite warf, um dem heranrasenden Fluch eine schlechtere Angriffsfläche zu bieten.

Er riss sich von dem Bild los, unangenehm berührt von der Art, wie sich seine Vorstellung ohne sein Zutun weiter entwickelt hatte. Sein Hals fühlte sich an, als wäre eine Kartoffel auf halbem Weg in den Magen darin stecken geblieben und versperrte jetzt nachhaltig den Weg nach unten. Er schluckte heftig und musste fast gewaltvoll nach Atem ringen, um seine Lungen wieder mit Luft zu füllen. Irgendwie – so ganz nachvollziehen konnte er es nicht – hatte er gleichzeitig das Bild des bösartigen Raubtier-Malfoys am Schlachtfeld und das des gebrochenen Godrics-Hollow-Dracos im Kopf. Seine Augen brannten und ihm wurde langsam schlecht.

Er musste einfach… es ging nicht anders! Er musste herausfinden, was Draco wollte. Das Geheimnis lüften, welche der beiden Versionen nun der Realität entsprach – oder sich ihr zumindest mehr annäherte. Einen heiseren Schrei (ein eindeutiges Indiz, dass er kurz davor war, die Nerven zu verlieren!) dämpfte Harry mit einem Kissen, das er sich vor sein Gesicht presste. Es war ein einziger, verdammter Albtraum! Langsam und mit zitternden Händen ließ er das Kissen wieder sinken und zwang sich, ein paar Mal tief durchzuatmen. Dann zählte er in Gedanken bis hundert. Er hatte davon gehört, das Leute bis zehn zählten, um sich zu beherrschen, aber das schien ihm in seinem Fall zu niedrig gegriffen.

Mit einem Ruck erhob er sich endlich vom Bett. „Falls ich nicht bis Mitternacht zurück bin, sucht mich in London.“, kritzelte er auf einen Zettel und legte diesen gut sichtbar auf Rons Kopfkissen. Blieb nur zu hoffen, dass der heute Nacht auch noch in sein Bett zurückkehren würde. Harry hielt sich nicht damit auf, zu überlegen, wo Ron eigentlich gerade steckte, und bemühte sich stattdessen, möglichst leise das Haus zu verlassen. Das Glück war auf seiner Seite und er schaffte er unbemerkt bis auf den Hof, wo ihn niemand störte, außer einem einsamen Huhn, das auf einem umgedrehten Blumentopf hockte und schlief.

Ein leises „Plopp“ und Harry war verschwunden.

***


Er hatte den Bahnhof Kings Cross bis zum letzten Winkel durchsucht, sogar einen äußerst mutigen Blick in die öffentliche Damentoilette hatte er geworfen. Zwar hätte er sich enorm gewundert, Draco wirklich ausgerechnet dort zu finden, aber man sollte ja nichts unversucht lassen, oder?

Als erstes war er natürlich am Gleis 9 ¾ gewesen, aber es hatte so ausgestorben vor ihm gelegen, als hätte nie eine Menschenseele diesen Bahnsteig betreten. Außer einer altmodischen Uhr auf einem laternenartigen Pfosten und ein paar Parkbänken, die aussahen, wie frisch aus dem Stadtpark einer verschlafenen Gemeinde im Süden von Somerset entwendet, war da nichts. Wenn Draco hier gewesen wäre, hätte er ihn gesehen. Also hatte Harry weitergesucht und dabei den Bahnhof Kings Cross genauer kennengelernt, als er sich je gewünscht hatte. Draco jedoch war unauffindbar geblieben.

Langsam musste Harry sich mit der Tatsache abfinden, dass er womöglich einer Einbildung hinterher gejagt hatte, offenbar hatte Draco doch etwas anderes gemeint. Wütend und frierend trat er ins Freie, um sich eine zum Disapparieren geeignete Seitengasse zu suchen. Wenn das so weiterging, dann würde er um Mitternacht selbst noch herumrennen und Draco suchen, während am anderen Ende von London schon der halbe Orden des Phönix auf den Beinen war, um ihn aufzuspüren. Grandios.

Er fand eine schmale Straße, die von den Hauptverkehrswegen wegführte und allmählich düsterer wurde; dunkel genug, um sich wieder in seinen Umhang zu wickeln, dessen er sich am Bahnhof, um nicht aufzufallen, entledigt hatte. (Was ihm übrigens spektakulär missglückt war. Ein spärlich bekleideter Jugendlicher, der heimliche Blicke ins Damenklo warf, fiel immer auf, das war fast wie ein Naturgesetz.)

Ein paar Ecken weiter und Harry fand sich in fast völliger Dunkelheit wieder. Rechter Hand ragte die Rückseite einer massiven Wand aus Altbauten auf, durchbrochen nur von einigen Hintertüren, neben denen überquellende Müllcontainer standen, links wurde die kopfsteingepflasterte Straße von einer einfachen Betonmauer abgeschlossen.

Mit einer halben Drehung, die jedem Balletttänzer alle Ehre gemacht hätte, war er, ungesehen, auf der Stelle verschwunden und tauchte kaum eine Sekunde später auf einer anderen Straße mit Kopfsteinpflaster wieder auf.

Die Winkelgasse wirkte ungewohnt, so ausgestorben, wie sie jetzt vor ihm lag. Schon bei seinem letzten Besuch hier hatte sie nicht mehr das übliche Bild des bunten, chaotischen Treibens geboten, das Harry seit seinem elften Geburtstag kennen und lieben gelernt hatte, sondern hatte sich in ein düsteres Zerrbild ihrer selbst verwandelt. Gehetzte Gestalten waren in dicht gedrängten Gruppen von einem Geschäft zum nächsten gehuscht und die einladenden Schaufenster waren von Ministeriumsplakaten verdeckt worden. An dieser Atmosphäre hatte sich nicht viel geändert, außer dass sie bei Nacht noch eine Spur trostloser wirkte.

Ohne unnötig Zeit zu verschwenden zog sich Harry sofort in den Schatten nahe der Häuserzeile zurück, wo er sich einige Atemzüge lang mit dem Rücken an die Wand presste und sich gehetzt nach allen Seiten umsah. Nichts als Stille umgab ihn.

Er schlich weiter, indem er jeweils ein paar schnelle Schritte von einer dunklen Nische zur nächsten lief und sich dabei die nicht ungünstigen Gegebenheiten, genauer die namensgebende winkelartige Bauweise der Gasse, zu Nutze machte. Hauseingänge, Mauervorsprünge und winzige Seitengassen machten es ihm leicht, sich von unerwünschten Beobachtern zu verbergen. Allerdings war es dadurch natürlich für andere genauso leicht, sich vor ihm zu verbergen, was wiederum einigermaßen besorgniserregend auf Harry wirkte.

Sein Herz klopfte und die Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt, als er angestrengt lauschte, um den Mangel an optischen Wahrnehmungen ein wenig durch das Erforschen der Geräuschkulisse auszugleichen. Es kam ihm fast unnatürlich still dafür vor, dass er sich unter freiem Himmel befand. Windstille und völlige Trockenheit verbreiteten statt Sommergefühl ein bitteres Aroma, das nach Angst und Misstrauen schmeckte. Harrys Atem ging flach.

Ziellos kämpfte er sich weiter die Winkelgasse entlang, Madam Malkins hatte er längst passiert und befand sich nun auf der Höhe von Flourish und Blotts. Es war ihm, als hörte er die Bücher hinter den dicken Scheiben und den verschlossenen Türen flüstern. Aber vielleicht war es nichts weiter als Einbildung.

Oder jemand anderes flüsterte, jemand war hier. Vergeblich suchten Harrys Augen in der Dunkelheit nach Spuren, die von der Anwesenheit eines anderen menschlichen Wesens zeugten.

Nichts. Stille.

Trotz der Vorsicht, mit der jeder einzelne gesetzt wurde, klangen Harrys Schritte merkwürdig laut und wurden als hohles Echo von der leeren Straße zurückgeworfen. Harry hatte das Gefühl, selbst wenn er unsichtbar gewesen wäre, würde man ihn auf meilenweite Entfernung registrieren können. Trotzdem erfüllte ihn der Gedanke an seinen Tarnumhang mit Wehmut; nicht nur, weil er ihm noch großem Nutzen hätte sein können, sondern schon allein wegen der Tatsache, dass er ein Erbstück seines Vaters gewesen war.

Mittlerweile verfluchte er seinen Leichtsinn, ihn in jener Nacht einfach am Turm zurückgelassen zu haben. Wahrscheinlich hätte er sich danach darum bemühen sollen – McGonagall danach fragen, zum Beispiel, oder womöglich sogar Filch. Aber seit er in London den Hogwarts Express verlassen hatte, war er von einer geradezu lähmenden Lethargie überkommen worden, die ihn daran hinderte, sich auch nur zur geringsten Tätigkeit aufzuraffen. Er hatte geschlafen, aus dem Fenster gestarrt und die immer gleichen Gedanken hin und her gewälzt. Manchmal hatte er sich gezwungen, etwas zu essen, weil er wusste, dass er sich irgendwie bei Kräften erhalten musste – denn die Dursleys hätten ihn sicherlich nicht davon abgehalten, sich in seinem Zimmer zu Tode zu hungern. Diese innere Regungslosigkeit, die über Wochen auf ihm gelegen war, hatte sich erst an seinem Geburtstag langsam wieder zu heben begonnen. Und seitdem… war er abgelenkt gewesen.

Versunken in Gedanken achtete Harry nur einen winzigen Moment lang nicht auf die schattenhafte Bewegung in der keinen Meter breiten Schlucht aus groben Kalksteinwänden, die wahrscheinlich in einen verlassenen Hinterhof führte. Er machte noch einen Schritt, schon fast vorbei an dem klaffenden Maul aus Schwärze, als er am Arm zurückgerissen wurde, dann aufgrund des Schwungs eine halbe Drehung nach hinten vollführte und sich im nächsten Augenblick mit beiden Oberarmen gegen die Mauer gepresst wiederfand.

„Scheiße, Potter, wo warst du so lange, du Idiot?“, zischte Draco unter der dunklen, tief in die Stirn gezogenen Kapuze hervor und drückte Harry mit seinem ganzen Körper dabei noch etwas fester gegen den kalten Stein.

Dieser wand sich energisch aus dem festen Griff frei und machte einen Schritt zur Seite, um Draco auszuweichen und ein bisschen Bewegungsfreiheit zurückzugewinnen. „Sei froh, dass ich überhaupt gekommen bin. Bist du allein?“

„Natürlich, was hast du erwartet? Ein Empfangskomitee, das mit Konfetti wirft? Ehrlich, Potter, manchmal frage ich mich wirklich –“

„Lass das Gerede und komm zur Sache. Was willst du?“, unterbrach Harry schroff, wobei er einen im Schatten unter Dracos Kapuze liegenden Punkt fixierte, an dem er dessen Nasenwurzel vermutete. Er war erleichtert, ihm nicht direkt in die Augen sehen zu müssen.

So blieb allerdings auch Dracos Reaktion für ihn weitgehend im Unklaren. Harry glaubte ein leichtes Schwanken aus der bemüht ruhigen Stimme herauszuhören, als Draco antwortete: „Potter? Irgendwas nicht in Ordnung? Also… irgendwas abgesehen von dem Üblichen.“

„Das musst du auch noch fragen? Nichts ist verdammt noch mal in Ordnung, und das solltest du eigentlich am besten wissen! Was soll das alles, warum willst du, dass ich hier her komme und hast dann nichts Besseres zu tun, als mir bescheuerte Fragen an den Kopf zu werfen?“, redete sich Harry in Rage und wurde dabei unwillkürlich immer lauter.

„Leise, du kleiner Psychopath, oder willst du uns beide umbringen?“, giftete Draco so gedämpft wie möglich zurück. Dann wischte er sich mit einer lässigen Handbewegung die Kapuze vom Kopf, um Harry in den vollen Genuss seines erprobten Malfoy-Todesblicks kommen zu lassen. Seine grauen Augen sprühten Funken des Ärgers und des Unverständnisses. Er griff Harry, der im Begriff war, vor ihm zurückzuweichen, am Handgelenk und hielt ihn fest, um ihm einen drängenden Kuss auf die Lippen zu pressen.

Kurz wirkte es, als wäre Harrys Widerstand gebrochen, doch dann riss er sich los und machte automatisch einen halben Schritt zurück. Kies knirschten unter seinen Füßen und er fuhr erschrocken herum, nur um festzustellen, dass sich hinter ihm außer seinem Schatten nichts bewegte. Fast verlegen wandte er sich wieder an Malfoy. „Sag mir einfach, was du wolltest.“

Leichte Verunsicherung zeichnete sich auf Dracos Gesicht ab, als er feststellen musste, dass er Harrys Verhalten einfach nicht interpretieren konnte, so sehr er sich auch anstrengte. Das war ihm bisher noch selten passiert, und vielleicht lag es unter anderem auch daran, dass Harry sich selbst über so manches nicht im Klaren war.

„Ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal sehen können“, setzte er trotzdem zu seiner Erklärung an. „Wurmschwanz ist ein Problem, ich habe zwar sein Gedächtnis manipuliert, aber dem Dunklen Lord wird es ein Leichtes sein, den Zauber zu brechen, wenn er erst einmal misstrauisch wird. Und falls das geschehen sollte, wäre ich … wären wir beide geliefert. Deswegen muss ich unauffällig bleiben, und…“ Er brach ab, sah kurz nach oben und blinzelte auffällig, bevor er Harry mit scharfem Blick fixierte.

Harry wich ihm aus und zuckte mit den Achseln. „Was mit dir passiert, ist dein Problem, Malfoy“, sagte er tonlos, obwohl ihm dabei der Mund trocken wurde und die Augen wieder zu brennen begannen. „Ich hab dir schon viel zu weit vertraut, ich kann nicht zulassen, dass du mich noch mehr in Gefahr bringst. Du bist nichts weiter als ein Risikofaktor. Und womöglich ein Mörder.“

Dracos Unterkiefer klappte auf höchst unmalfoyhafte Weise herunter und er starrte Harry einfach nur ungläubig an. Dann wurde sein Ausdruck mit einem Schlag hart. „Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest!“ Er spuckte die Worte aus, wie etwas Giftiges, und versperrte Harry plötzlich den Weg, den Zauberstab in seiner Hand drohend auf ihn gerichtet. Dracos Augen hatten sich wie die einer wütenden Katze zu Schlitzen verengt, aus denen er seinen unerwarteten Gegner abschätzend musterte.

Das geistige Bild von Draco als Raubtier auf dem Schlachtfeld krachte so schwer auf Harry nieder, wie ein Gabelstapler auf ein rohes Ei. Wie geblendet riss Harry seinen eigenen Zauberstab in die Höhe, nicht gewillt, sich eine Schwäche zu geben und feuerte ohne zu zögern einen Reductor-Fluch auf Draco ab. Der parierte ihn, so gut er konnte, taumelte nur ein paar Schritte nach hinten, die allerdings ausreichten, um den Weg auf die Winkelgasse wieder freizugeben.

Harry nutzte die Gelegenheit und rannte los, stieß Draco dabei grob mit der Schulter zur Seite, stürzte auf die Gasse hinaus und war im nächsten Augenblick verschwunden.
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(1) Falls an dieser Stelle der Einwand kommen sollte, Draco hätte doch (noch) niemanden umgebracht – Menschenleben kann man auch auf andere Weise zerstören... *sfz*


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