Bruised and Broken - Teil V - By Coincidence Or By Design
von solvej
I just gotta get off my chest
That I think youâre divine
Youâre always ahead of the rest
While I drag behind
[Placebo â Drag]
~oOo~
âGeht weg.â
âNimm ihm das Kissen weg.â
âEr hĂ€ltâs aber fest.â
âWie alt bist du, Ron? FĂŒnf? Nimmâs ihm weg!â
âGeht weg!â
âHarry, sei nicht albern! - Die Decke auch, Ron.â
âWas, wenn er drunter nackt ist?â
âWarum sollte er drunter nackt sein? Harry, bist du drunter nackt?â
âGeht ihr weg, wenn ich ja sage?â
âWir gehen nicht weg!â
âAlso ich wĂŒrde!â
âAch, halt den Mund, Ron.â
Harry seufzte resigniert und schlug die Decke zurĂŒck, unter der er sich bis eben noch verschanzt hatte. Er war nicht nackt.
âNa alsoâ, sagte Hermine in triumphierendem Tonfall und setzte sich auf Rons Bett, wĂ€hrend dieser unsicher stehen blieb, auf den FuĂballen wippte und auf den Boden starrte. Offenbar war er alles andere als glĂŒcklich mit Hermines Entscheidung, Harry zum Reden zu zwingen, der Wutanfall vom Vormittag war ihm in allzu lebhafter Erinnerung geblieben.
Harry lag rĂŒcklings auf dem Bett und starrte an die Decke, oder eher auf ein Cannons-Poster an der DachschrĂ€ge. Es zeigte deren Sucher, wie er gerade eine beeindruckende Bruchlandung hinlegte. Sah ziemlich schmerzhaft aus.
âAlso, was ist los mit dir?â, fragte Hermine in betont sanftem Tonfall.
Ein paar lange Sekunden starrte Harry weiter auf das Poster, als lĂ€ge dort die Antwort auf alle Fragen versteckt (Vielleicht war sie das ja sogar. Wenn er sich bei einem Sturz vom Besen einfach den Hals brechen wĂŒrde, hĂ€tten sich damit die meisten seiner Probleme gelöst!), bevor er endlich antwortete: âNichts.â
âSei nicht albern. Was ist in Godricâs Hollow passiert?â, bohrte sie hartnĂ€ckig weiter nach.
Er wendete ihr langsam den Kopf zu, nicht wirklich aus Interesse, sonder mehr, weil ihm das pausenlose Kamikaze-Schauspiel an der Decke schon ein wenig auf die Nerven ging. âNichtsâ, gab er schleppend von sich.
âNa schön. Ron, geh mal weg.â
âWarum?â, fragte Ron beleidigt und sah Hermine grimmig an.
âWeil du mich mit deiner Zappelei wahnsinnig machst und du ohnehin nicht hier sein willst.â
âMit Letzterem könntest du recht habenâ, gab Ron patzig zurĂŒck und war schon verschwunden, bevor Hermine auch nur eine Erwiderung eingefallen wĂ€re.
Harry starrte ihm etwas verwirrt hinterher. âBin ich wirklich so schlimm?â, fragte er zweifelnd und lieĂ seinen Blick nur flĂŒchtig ĂŒber Hermine gleiten, die sich nach vorne gelehnt und mit beiden Ellbogen auf ihren Knien abgestĂŒtzt hatte. âNein, warte, ich willâs gar nicht wissen.â
Hermine nickte. âDas macht es leichter.â
âStell dir vorâ, begann Harry langsam, den Blick ins Leere gerichtet, âich wĂ€re der Sohn eines Todessers. WĂŒrde ich dann auf der anderen Seite stehen?â
âDas wĂ€re unmöglich, die Prophezei-â
âVergiss die verdammte Prophezeiung mal fĂŒr einen Moment!â, unterbrach Harry. âWenn es keine Prophezeiung gĂ€be und meine Eltern wĂ€ren Todesser. Dann ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass ich auch einer wĂ€re, oder?â
âAlso... neinâ, sagte Hermine bestimmt, nachdem sie kurz ĂŒberlegt hatte. âWenn wir davon ausgehen, du wĂ€rst trotzdem du, hĂ€ttest den selben Charakter, dann wĂŒrdest du dich niemals fĂŒr die dunkle Seite entscheiden. Das sollte dir doch klar sein?â
Harry wusste kurz nicht, was er sagen wollte. Hermine stellte das so dar, als bestĂŒnden daran ĂŒberhaupt keine Zweifel. Aber angenommen er hĂ€tte so einen Vater wie Malfoy ihn hatte, hĂ€tte er sich da trotzdem gleich entschieden? Welche Rolle spielte eigentlich die Erziehung? Irgendwie war das alles viel komplexer, als er sich das momentan ausmalen konnte. Hermine hĂ€tte vermutlich die geistige KapazitĂ€t fĂŒr solche Ăberlegungen eher aufbringen können, aber er wusste nicht, wie er sich ihr verstĂ€ndlich machen sollte.
Er versuchte es umgekehrt. âNa schön, dann so: Stell dir vor, Malfoy wĂ€re nicht Malfoys Vater gewesen. Also sein Vater. Malfoys. Ich meine...â Harry verzweifelte fast, er schien schon an einfachen Satzstrukturen zu scheitern, wie sollte er es da schaffen, Hermine seine komplexen GedankengĂ€nge â die, nebenbei bemerkt, auch eher âwirrâ als âkomplexâ zu nennen waren â zu erlĂ€utern? âEhm... Verstehst du das?â
âUm ehrlich zu sein, neinâ, meinte Hermine und legte die Stirn in Falten. âIch glaube, du willst darauf hinaus, was wĂ€re, wenn Draco Malfoy andere Eltern gehabt hĂ€tte? Oder anders erzogen worden wĂ€re?â
Harry nickte begeistert und sah sie erwartungsvoll an. Hermine hatte ihm wieder einmal bewiesen, wie klug sie war und das Thema genau getroffen, obwohl sein Gestammel sicherlich nicht sehr hilfreich gewesen war.
âIch denke, er wĂ€re trotzdem ein Arsch.â
Nur schien sie dabei zu einem anderen Ergebnis zu kommen.
âEs sind die Entscheidungen, die uns zu dem machen, was wir sind. Nicht wo wir herkommen oder wer unsere Eltern sind.â Sie sah ihn ernst und gleichzeitig irgendwie mitleidig an. âGerade du solltest das doch wissen. Du bist von den Dursleys erzogen worden und sie haben mit allen Mitteln versucht, dir die Magie auszutreiben. Aber du hast dich gegen ihren Weg entschieden.â
âAber...â, begann Harry, unschlĂŒssig was er eigentlich dagegen einwenden wollte, denn seine Freundin hatte eigentlich vollkommen Recht. Also brach er ab und hörte still weiter zu, wĂ€hrend er schuldbewusst auf seine ineinander verkrampften HĂ€nde starrte.
âWenn Malfoy einen andere Weg als seine Eltern hĂ€tte gehen wollen, dann hĂ€tte er das auch tun könnenâ, redete Hermine weiter eindringlich auf ihn ein. Noch einmal schien sie seine Gedanken zu erraten, indem sie hinzufĂŒgte: âUnd nur, dass er nicht fĂ€hig ist, jemanden umzubringen, bedeutet nicht, dass er sich seiner Zugehörigkeit auf einmal nicht mehr sicher ist!â
âIch...â, begann Harry noch einmal schwach, und fand wieder nicht die Kraft, den Satz weiterzufĂŒhren.
Wenn er es nicht besser gewusst hĂ€tte, dann wĂ€re er der Meinung gewesen, Hermine benutzte Leglimentik, mit solcher PrĂ€zision erriet sie, was Harry beschĂ€ftigte. âDu bist genauso wenig ein Opfer der UmstĂ€nde, wie Malfoy es ist. Du hast dich selbst fĂŒr alles entschieden!â
âIch habâ mich nicht fĂŒr die Prophezeiung entschiedenâ, protestierte Harry halbherzig.
âIn gewisser Hinsicht schonâ, erklĂ€rte Hermine. Harry ging es langsam ein wenig auf die Nerven, dass sie offenbar auf alles eine Antwort wusste. âDu hast dich entschieden, den Kampf gegen Voldemort aufzunehmen, statt wegzulaufen und dich zu verstecken.â
Harry biss sich mit grimmigem Blick auf die Unterlippe. âWas hĂ€tte ich denn sonst tun sollen, immerhin ist das unsere einzige Chanceâ, murmelte er missmutig.
Auf Hermines Gesicht breitete sich dagegen ein strahlendes LĂ€cheln aus, das Harry in diesem Moment als Ă€uĂerst unpassend erschien. âSiehst du, genau das ist es!â, erklĂ€rte sie ihm begeistert. âDu wĂŒrdest nie jemanden im Stich lassen. Malfoy hĂ€tte in so einer Situation allem den RĂŒcken gekehrt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.â
Harry wusste, sie wollte jetzt ein Wort der BestĂ€tigung hören. Etwas, das ihr zeigte, er hĂ€tte verstanden. Aber er wollte ihr nichts zeigen, obwohl er nur zu gut verstanden hatte. Und er wusste jetzt auch â die winzig kleine Chance, die bestanden hatte, dass er ihr von den VorfĂ€llen der letzten NĂ€chte erzĂ€hlte, war jetzt ausradiert. Nichts konnte ihn mehr dazu bringen.
Eigentlich, das war ihm klar, waren Hermines ErklĂ€rungen einleuchtend und ihre Sicht, die bis vor kurzem auch seine eigene gewesen war, durchaus nachvollziehbar, aber genau deswegen konnte Harry sich jetzt nicht mehr damit abfinden. Es lief nun einmal nicht immer alles so logisch und eindeutig. Zwischen Gut und Böse lag eine noch viel gröĂere Grauzone, in der alles verschwimmen und sich vermischen konnte, aber das sah Hermine nicht. Vielleicht war es nur der Trotz, der das bewirkte, aber mittlerweile glaubte er wirklich an diese Grauzone. Und an das, was sie ihm eröffnete.
âHarry?â
âHm?â
âDas siehst du doch ein, oder?â
âSicher.â
Eine ganze Weile verging, ehe Hermine sich erhob und wortlos das Zimmer verlieĂ.
***
Wieder einmal tigerte Harry unruhig auf und ab. Er hatte es vorher mit Stillsitzen versucht, aber war nach kaum einer Minute wieder aufgesprungen, ohne wirklich darĂŒber nachzudenken. Seine FĂŒĂe trugen ihn einfach immer in die eine Richtung, dann wieder die andere, er konnte gar nichts dagegen machen. Es beruhigte ihn sogar ein wenig. Bewegegliche Ziele waren nicht so leicht zu treffen, wie solche, die fest an einem Platz zu lokalisieren waren.
âKannst du nicht ⊠wĂŒrdest du ⊠Hör auf damit!â
Harry hielt kurz inne und sah Draco, der vornĂŒbergebeugt auf dem Sofa saĂ und ihn wĂŒtend anstarrte, verwundert an. Aber sofort nahm er seinen ziellosen Marsch wieder auf, fest entschlossen kein leichtes Ziel zu sein.
Er hatte Draco die Sache mit der Grauzone erklĂ€rt. Sehr ausfĂŒhrlich. Und je genauer er in seinen ErlĂ€uterungen geworden war, desto weniger schien Draco zu verstehen, worauf er eigentlich hinaus wollte. Nicht, dass Harry das selbst gewusst hĂ€tte, oder auch nur, warum er so viel Wert darauf legte, dass Draco verstand, was er verstand. Wahrscheinlich wollte er damit nur Zeit gewinnen.
Es war ein unbestimmte GefĂŒhl gewesen, das ihn veranlasst hatte, den Fuchsbau bei DĂ€mmerung zu verlassen und sich ein weiteres Mal nach London davonzustehlen. Offensichtlich hatte es ihn nicht getrĂŒbt, denn als er das halbdunkle Wohnzimmer betreten hatte, wĂ€re er fast eines verfrĂŒhten Herztodes gestorben, als er sah, dass dort schon jemand war. Was hĂ€tte man von Malfoy auch anderes erwarten sollen? Und Einbruch war ja noch eins der weniger schwerwiegenden Delikte, die auf sein Konto gingen.
âHast du ĂŒberhaupt einen guten Grund, hier zu sein?â, fragte Harry nach einer Weile genervt, als Draco keine Anstalten machte, auf seine GrauzonenerklĂ€rung einzugehen.
âNeinâ, antwortete Draco patzig.
âUnd warum bist du dann da?â
âVielleicht habâ ich ja einen schlechten Grund.â
âNĂ€mlich?â
âWas gehtâs dich an?â
âWeiĂt du, du bist echt ein beschissener GesprĂ€chspartner.â
âIch habâ ja auch nicht um ein GesprĂ€ch gebeten.â
âDu bist in mein Haus eingebrochen!â
âDas heiĂt noch lange nicht, dass ich mit dir reden will.â
Harry gab ein unwirsches Brummen von sich, dann schwiegen sie beide eine Zeit lang. Irgendwann stand Draco auf und verschwand. Harry fragte sich, wo er wohl hingegangen sein mochte, und ob er nicht eigentlich etwas dagegen haben sollte, dass der andere in seinem Haus ein und aus ging als wÀre es sein eigenes. Aber er konnte kein gutes Argument dagegen finden, im Gegenteil schien Draco sogar besser hier her zu passen als Harry selbst, oder irgendjemand sonst, den er hier schon erlebt hatte. Im Grunde war das ja auch nahe liegend. Schwarzmagier. Alle gleich.
Nach ein paar Minuten kam Draco zurĂŒck, mit einem groĂen Teller in der Hand.
âDu hast Marmeladenbrote gemacht?â, sagte Harry unglĂ€ubig, als Draco den Teller auf dem kleinen Tisch abstellte und sich wieder aufs Sofa fallen lieĂ. Er zuckte wortlos mit den Schultern. Harry zögerte kaum einen Sekundenbruchteil, bevor er mit unverhohlener Gier zugriff und das erste Brot in ungesunder Geschwindigkeit in sich hinein schlang. Dann erst sah er mit zweifelndem Blick auf und fragte: âVergiftest du mich gerade?â
Draco schĂŒttelte stumm den Kopf.
âNa dann isâ ja gut...â, meinte Harry trotzdem leicht verunsichert und aĂ auch alle anderen Brote auf.
Das hatte wirklich gut getan, er hatte gar nicht gemerkt, wie viel Hunger er gehabt hatte. Jetzt, wo er satt war, fĂŒhlte Harry sich wieder eher dazu im Stande, ein sinnvolles GesprĂ€ch zu fĂŒhren. Doch kaum hatte er den Mund aufgemacht und zum ersten Wort angesetzt, fuhr ihm Draco auch schon dazwischen.
âKannst du nicht einmal den Mund halten, Potter? Da warst du ja sogar betrunken noch leichter zu ertragen...â
Harry machte den Mund wieder zu und Ă€rgerte sich ein weiteres Mal darĂŒber, dass ihm meistens keine geistreiche Entgegnung auf Malfoys Beleidigungen einfiel. âHey, wenn du nur hier bist um blöde Kommentare abzugeben, kannst du genauso gut wieder verschwindenâ, stellte er schlieĂlich grimmig fest.
Draco grinste breit. âZwing mich doch.â
Harry wusste genau, dass Draco, dieses arrogante GroĂmaul, ihn bloĂ provozieren wollte und er Ă€rgerte sich, dass diese Strategie trotzdem so gut aufging. Vergessen waren die Marmeladenbrote, vergessen der Wunsch, Malfoy wieder zu treffen, den er noch vor gar nicht allzu langer Zeit gehegt hatte. Harry sprang auf und zĂŒckte seinen Zauberstab, aber Malfoy zog nur eine Grimasse des falschen Bedauerns und erklĂ€rte seelenruhig: âDas wĂŒrde ich nicht tun. Sonst ist dieses Haus schneller von Todessern umstellt als du bis drei zĂ€hlen kannst. Falls du das kannst.â
Der Zauberstab fiel klappernd zu Boden und rollte unter den Tisch.
âStehst du irgendwie auf Schmerzen, Malfoy, oder warum bist du so scharf drauf, dass ich dich verprĂŒgle?â, fragte Harry in leichtem Unglauben, obwohl sein Gesicht lĂ€ngst eine Ă€rgerliche RotfĂ€rbung angenommen hatte und seine HĂ€nde sich zu FĂ€usten ballten.
âOder aberâ, sagte Draco und klang dabei irgendwie begeistert, âich versuche eigentlich mit dir zu flirten, weil du aber nun mal leider ein primitiver Vollidiot bist, verstehst du meine feinsinnigen Anspielungen einfach nicht.â
Harry musste nicht mehr viel dazu tun, abgesehen davon, den Schlag ein wenig in die richtige Richtung zu lenken, denn seine Faust war von ganz allein vorgeschossen um Dracos hĂŒbscher Nase möglichst groĂen Schaden zuzufĂŒgen. Aber Draco hatte blitzartig reagiert, war unter der Faust weg getaucht und hatte Harry gleichzeitig einen heftigen Hieb in die Magengrube verpasst. Einen Augenblick lang nahm Harry das den Atem und er krĂŒmmte sich schmerzerfĂŒllt zusammen. Aber er nĂŒtzte die Sicherheit, in der sich Draco durch diesen Treffer wiegte, gleich darauf aus und trat ihm so heftig gegen sein Schienbein, dass Draco das Gleichgewicht verlor und rĂŒckwĂ€rts ĂŒber den staubigen Teppich stolperte. Er schnappte ĂŒberrascht nach Luft, als er rĂŒcklings auf dem Boden landete.
Mit einem triumphierenden âHA!â stĂŒrzte Harry sich auf ihn und versuchte, seinen Hals zu fassen zu bekommen, aber Draco wehrte sich recht effektiv. Minutenlang wĂ€lzten sie sich lautlos und erbittert kĂ€mpfend auf dem Teppich, ohne dass einer von beiden wirklich die Oberhand gewinnen konnte, mal war dieser, mal jener stĂ€rker. Harry brauchte jetzt nicht mehr nachzudenken, denn alles was zĂ€hlte war âMalfoy Schmerzen zufĂŒgenâ.
Langsam wurden ihre Bewegungen trĂ€ger, die SchlĂ€ge mĂŒder und kraftloser. Erschöpfung machte sich breit, aber keiner wollte es sich so recht eingestehen. Harrys Lippe war aufgeplatzt und Malfoy blutete â Harry hatte es doch noch geschafft, sie zu treffen â aus der Nase. Mit einem heftigen Ruck, der ihn wahrscheinlich alle noch verbleibende Energie kostete, rollte Draco sie beide noch einmal herum, und nagelte Harry damit am Boden fest. Er packte den ihn an den Handgelenken und drĂŒckte sie ĂŒber seinem Kopf fest auf den Teppich. Heftig atmend senkte er sein Gesicht so nah an Harrys Ohr, dass er nur noch zu flĂŒstern brauchte, damit Harry ihn verstand.
âSoll ich -â, keuchte er, â- dir etwas verraten?â
Harry, der sich in dieser Lage mehr als unwohl fĂŒhlte, wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er hatte lĂ€ngst zu schwitzen begonnen, sei es aufgrund der Anstrengung, oder wegen des eigentĂŒmlichen Zustandes in dem er sich befand, irgendwo auf halbem Weg zwischen Wut und Erregung. Starr sah er Malfoy in die Augen. Es war das selbe Spiel, wie bei einem Hund: Nicht den Blickkontakt abbrechen, nur keine Angst zeigen. Nervös leckte Harry sich das Blut von der Unterlippe.
Malfoy fĂŒhlte sich allem Anschein nach seiner Sache sehr sicher. âDu bist so leicht zu durchschauen, Potterâ, raunte er und grinste noch breiter. âWenn das mal nicht die BerĂŒhrungsĂ€ngste gesenkt hatâŠâ
Einen Augenblick lang verschlug es Harry die Sprache, dann fand er sie aber umso lauter wieder. âDu berechnendes, kleines ⊠ngh!â Er wand sich und versuchte mit aller Kraft, sich aus Dracos Griff zu befreien, aber auĂer dass er vor Anstrengung dunkelrot anlief, passierte nichts.
Draco kicherte unglaublich albern und beugte sich dann nach vorn, um Harry einen Kuss auf den ein klein wenig blutverschmierten Mund zu hauchen, womit dieser allerdings weniger einverstanden war. Er schnappte mit den ZĂ€hnen nach Dracos Lippen, verfehlte sie allerdings, so dass seine Kiefer mit einem unangenehmen Knirschen aufeinander schlugen.
âIch bring dichâŠâ, wĂŒrgte Harry planlos hervor. HĂ€tte er darĂŒber nachgedacht, so wĂ€re er sicherlich zu dem Schluss gekommen, dass es keineswegs ein ausreichender Grund war, jemanden umzubringen, weil er zur ĂberbrĂŒckung der körperlichen Entfernung eine PrĂŒgelei anfing. Aber die Ăberlegung war sowieso hinfĂ€llig, nachdem Harry gerade nicht dazu in der Lage war, Malfoy umzubringen. Oder ihm ĂŒberhaupt etwas zu tun, abgesehen davon, ihm böse Blicke zuzuwerfen.
Draco schien begeistert. Erst als Harry merkte, dass vielleicht genau das â er selbst, erregt und verschwitzt und vollkommen ausgeliefert, am RĂŒcken unter ihm liegend â Dracos Ziel gewesen war, versuchte er, sich wieder etwas zu beruhigen. Sein Atem ging immer noch heftig und sein Herz raste, das T-Shirt klebte unangenehm an seinem Oberkörper.
In einem neuerlichen VorstoĂ leckte Draco sanft ĂŒber Harrys Lippen, welche dieser daraufhin nur noch fester zusammenpresste. Draco schien das aber nicht im Geringsten zu verunsichern. Er fuhr mit der Zungenspitze ĂŒber Harrys salzige Haut nach unten bis zum SchlĂŒsselbein, und Harry hasste die Art, wie er dabei gĂ€nsehautverursachend gegen seinen Hals atmete. So fest er konnte biss er sich auf die blutende Unterlippe, um sich von dem viel zu angenehmen GefĂŒhl abzulenken.
Langsam senkte Draco seinen Körper herab, bis er ganz auf Harry zum Liegen kam. Dieser zuckte verĂ€rgert mit den HĂŒften um den anderen abzuschĂŒtteln, aber der einzige Effekt, den das mit sich brachte war, dass Harry fast zu Tode erschrak, weil Dracos Erektion sich dabei hart gegen seine eigene presste, von der er vorher nicht einmal gewusst hatte, dass sie da war.
âOho!â, flĂŒsterte Draco mit einem dreckigen Grinsen um die Mundwinkel.
âBildâ dir bloĂ nichts drauf einâ, keuchte Harry mĂŒhsam durch zusammengebissene ZĂ€hne und versuchte ihn stattdessen erfolglos mit dem Knie von sich zu schubsen. Er hatte etwas Schwierigkeiten mit dem Atmen, weil Draco auf seiner Brust lag. Der Teil von Harrys widersprĂŒchlichen Empfindungen, der mit Wut, Hass und Meuchelmord zu tun hatte, war lĂ€ngst verflogen. Aber er wollte zumindest noch den Schein aufrecht erhalten, man konnte ja nie wissen. Und Malfoy schien es ja ohnehin richtig SpaĂ zu machen.
Draco machte eine Hand frei, indem er Harrys Unterarme mit der anderen umklammerte und gegen den Boden presste. Harry versuchte erneut, sich aus seinem festen Griff zu entwinden, aber er blieb erfolglos. Mit der freien Hand fasste Draco nach unten und Harry schnappte entsetzt nach Luft, als er realisierte, was er mit ihm vor hatte. Aber er gab es auf, sich zu wehren. Er schloss stattdessen die Augen und tat wieder so, als wÀre er nicht Harry.
Dracos Hand fand schnell, was sie suchte. Mit nur wenigern Handgriffen hatte er Harrys Hose geöffnet und jede einzelne darauf folgende BerĂŒhrung, jede Bewegung kam Harry furchtbar routiniert vor, wie schon tausend Mal durchgefĂŒhrt und zur Perfektion gebracht. Mit vagem Erstaunen registrierte er dabei den kleinen Stich der unbestimmten Eifersucht, den dieser Gedanke in ihm verursachte. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, die Situation in gewissem MaĂe zu genieĂen und kĂŒsste dieses Mal enthusiastisch zurĂŒck, als Dracos es wieder versuchte.
Endlich lieĂ Draco auch Harrys Arme frei, aber jetzt wusste Harry einen Augenblick lang nicht, was er damit anfangen sollte. Dann beschloss er, einfach das selbe zu tun wie Draco, das konnte ja nicht so falsch sein. Harry versuchte, sich in dem, was er jetzt vorhatte, genauso routiniert und erfahren zu geben, aber er hatte das GefĂŒhl, dabei klĂ€glich zu scheitern. Trotzdem drĂ€ngte Draco sich ihm weiter entgegen und das verlieh Harry wieder Mut.
Der Kuss war lĂ€ngst abgerissen. Zu viel Konzentration erforderte jede einzelne Handbewegung und der Versuch, die beiden fast vollstĂ€ndig bekleideten Körper an so vielen Stellen wie möglich miteinander in BerĂŒhrung zu bringen. Die beiden Jungen waren zu einer einzigen Menge aus Fleisch und heiĂem Atem und ungeordneten Empfindungen geworden. Sie arbeiteten fast gegeneinander, noch verbissener als wĂ€hrend des kurzen Kampfes vorher, aber trotzdem in stummem EinverstĂ€ndnis.
Harry atmete schwer. Gedanken hatten lĂ€ngst keinen Platz mehr in seinem Kopf, seine Welt bestand nur noch aus chaotischen SinneseindrĂŒcken: Draco unter seinen Fingern, und dessen HĂ€nde auf seinem eigenen Körper. Die Umgebung verschwamm um ihn.
WĂ€hrend seine Muskeln sich immer mehr verspannten, nahm er am Rande wahr, wie Draco sein Gesicht in der Beuge zwischen Harrys Hals und Schulter vergrub und mit einem erstickten Laut kam, kurz bevor Harrys eigener Orgasmus ihn ĂŒberrollte und er fiel, fiel ⊠fiel.
Draco sackte auf ihm zusammen.
Einige Minuten verbrachten sie in Schweigen, versuchten nur, ihre erschöpften Körper wieder unter Kontrolle zu bringen und die Gedanken in klare Bahnen zu lenken. Zumindest war es das, was Harry tat. Er nahm einfach an, dass es bei Draco genauso aussah wie bei ihm selbst.
Irgendwann hob Draco den Kopf von Harrys Schulter und sah ihn mit einem merkwĂŒrdigen Ausdruck an. âPotterâ, sagte er, und es klang wie eine Feststellung.
âMalfoyâ, sagte Harry in, wie er hoffte, dem selben Tonfall. Keinesfalls wollte er nach dem, was eben geschehen war irgendeine SchwĂ€che zeigen. Das letzte Mal war Alkohol im Spiel gewesen. Was fĂŒr eine Ausrede hatte er diesmal?
Draco rollte von ihm herunter und blieb neben ihm am Boden liegen. Ohne das Gewicht auf seiner Brust fĂŒhlte Harry sich auf einmal so leicht, dass er befĂŒrchtete, er könnte jeden Moment davon schweben.
Dann tastete Draco, immer noch auf dem RĂŒcken liegend, nach irgendwas. SchlieĂlich bekam er seinen Zauberstab zu fassen und entfernte mit einem nachlĂ€ssigen Schlenker die Ăberbleibsel ihres gemeinsamen ⊠Erlebnisses. Harry bewunderte insgeheim seine Geistesgegenwart.
Die Szenerie kam ihm plötzlich sehr lĂ€cherlich vor, so wie sie hier beide in dem kalten Zimmer auf dem Boden lagen und an die Decke starrten. Mit einem Mal spĂŒrte er den unbĂ€ndigen Drang, Dracos Hand zu nehmen und festzuhalten, so als ob das etwas von der LĂ€cherlichkeit genommen hĂ€tte. Harry kĂ€mpfte mit aller Macht dagegen an, um nicht unbewusst etwas Dummes anzustellen.
âPotter?â
âHm?â
Schweigen. Harry hörte nur Dracos leise AtemzĂŒge.
âWas ist?â, fragte er nach.
âNichts.â
Harry drehte den Kopf zur Seite, nur um zu sehen, dass Draco immer noch in der genau gleichen Position am RĂŒcken lag, ohne sich zu rĂŒhren. Sein Haar fiel zerzaust nach hinten, nur ein paar dĂŒnne StrĂ€hnen klebten an der verschwitzten Stirn und SchlĂ€fe. Harry ertappte sich dabei, wie er sie ihm aus dem Gesicht streichen wollte, konnte sich aber noch rechtzeitig zurĂŒckhalten. Zur Sicherheit verschrĂ€nkte er seine HĂ€nde hinter dem Kopf.
Draco wirkte in diesem Augenblick gleichzeitig zerbrechlicher und â liebenswerter â denn je, aber andererseits so unnahbar wie selten zuvor. Und das mochte etwas heiĂen, nachdem sein Verhalten ja prinzipiell frostiger als jede TiefkĂŒhltruhe war. Harry hatte einfach keine Ahnung was er mit Draco anfangen, oder eher, wo er ihn einordnen sollte. Vielleicht machte er sich auch einfach zu viele Gedanken.
SchlieĂlich stand Harry auf und stellte dabei fest, dass seine Beine ein wenig zitterten. Nein, nicht seine Beine, eigentlich der ganze Körper. Warum bloĂ? Gerade noch rechtzeitig griff er nach seiner Hose, bevor sie ihm herunterrutschte; sie war immer noch offen. Verlegen wandte er den Blick ab als er sie zuknöpfte, und beeilte sich dann, in die KĂŒche zu verschwinden.
Ein paar feuchte Flecken auf dem Boden zeugten noch von seinem eigenartigen Verhalten am Vormittag, das war alles. Harry wusste nicht mehr, was er sich dabei gedacht hatte. Die Zeit, die seither vergangen war, kam ihm viel lĂ€nger vor, als nur ein paar Stunden. Genausogut hĂ€tten ein paar Tage oder Wochen zwischen dem Harry von heute morgen und dem Harry, der jetzt hier stand, liegen können. Seine Kehle fĂŒhlte sich an wie ausgetrocknet. Er griff sich ein Glas, fĂŒllte es mit kaltem Wasser und trank es in langen, gierigen ZĂŒgen aus. Noch einmal lieĂ er das Glas voll Wasser laufen und ging dann damit zurĂŒck ins Wohnzimmer.
Draco kauerte am Boden, den RĂŒcken ans Sofa gelehnt und die Beine so nah es ging an den Körper gezogen. Er sah Harry nicht an, als er wieder hereinkam, sondern starrte ausdruckslos in den leeren, kalten Kamin.
âHierâ, sagte Harry ĂŒberflĂŒssigerweise und stellte das Glas Wasser vor ihn auf den Boden. Dann lieĂ er sich selbst neben Draco nieder.
Das ewige Anschweigen ging ihm langsam auf die Nerven. Fragen ĂŒber Fragen, die er seit Tagen in seinem Kopf herumgewendet und von diversen Standpunkten aus zu betrachten versucht hatte, warteten nur darauf, gestellt zu werden und brannten ihm beinahe ein Loch in die Zunge. Dinge, ĂŒber die er mit sonst niemandem sprechen konnte.
Merlin, warum musste das auch alles so kompliziert sein? Wenn er schon unbedingt eine homosexuelle AffĂ€re hatte eingehen mĂŒssen, warum dann ausgerechnet mit Malfoy? Bisher hatte er ja noch nicht einmal gewusst, dass er die Neigung zu so etwas hatte. Möglicherweise lag es aber auch bloĂ daran, dass Malfoy so feminin wirkte. Oder aber er hatte ihm irgendwas untergeschoben, etwas unter die Marmeladenbrote gemischt. FĂŒr ZaubertrĂ€nke hatte er ja immer schon ein Talent besessen. Oder er hatte so ein Mittelchen bei den Weasley-Zwillingen gekauft. Vielleicht hatte es dafĂŒr ja ein Sonderangebot zusammen mit dem Peruanischen Instant-Finsternispulver gegeben.
âDarf ich mal was ausprobieren?â, fragte Draco plötzlich, wĂ€hrend er das halb-leere Glas zwischen seinen HandflĂ€chen hin und her rollte.
âSeit wann fragst du wegen sowas?â, gab Harry mĂŒde zurĂŒck.
Draco zuckte mit den Schultern. Er starrte auf den FuĂboden, seine Knie, irgendwohin, vermied nur mit Nachdruck Harrys Blick, als er ohne Regung in der Stimme sagte: âHarry.â
âHm?â, brummte der und hob fragend die Augenbrauen.
âNichts, das warâs schon.â
âAch so.â
âIch denke, ich bleibâ bei âPotterâ.â
âFein. Und ich bleibâ bei âMalfoyâ.â
âDu hast mich nie anders genannt.â
âNa ja, âFrettchenâ manchmal.â
Draco sagte nichts und Harry hatte den leisen Eindruck, er wÀre irgendwie beleidigt wegen der Bemerkung. Trotzdem hatte er nicht vor, etwas dagegen zu unternehmen. Immerhin hatte sich ihre Kommunikation sechs Jahre lang auf nichts anderes als gegenseitige Beleidigungen beschrÀnkt, da sollte man annehmen, er könnte mit so etwas umgehen.
âWo wohnst du jetzt eigentlich, Malfoy?â, fragte Harry nach einigen Minuten, in denen Draco stumm geschmollt hatte.
Draco verzog das Gesicht zu etwas, das einem verwunderten Ausdruck nahe kam, gewĂŒrzt allerdings mit ein bisschen Verachtung und einem Hauch Panik. âDarauf kannst du nicht wirklich eine Antwort erwarten, oder?â
Harry sagte nichts dazu, sondern Àrgerte sich bloà still.
âDu hast doch eine erwartet. Wie kann man bloĂ so naiv sein?â Melodramatisch seufzte Draco auf und lieĂ den Kopf nach hinten aufs Sofa sinken. HĂ€tte er eine Zigarette gehabt, dann hĂ€tte er sicherlich Rauchkringel in die Luft geblasen.
âEs wirkt tuntig, wenn du melodramatisch bist, Malfoyâ, dachte Harry, fĂŒhlte sich aber nicht fĂ€hig, es laut auszusprechen.
Malfoy war unausstehlich. Mittlerweile hĂ€tte Harry sich dafĂŒr ohrfeigen können, dass er fast schon so weit gewesen war, ihm Sympathie entgegen zu bringen. Am liebsten hĂ€tte er etwas ebenso Gemeines zurĂŒckgegeben, aber es wollte ihm einfach nichts Passendes einfallen. Das Einzige, das irgendwie in Frage kam ⊠es war allerdings heikel ⊠damit wĂŒrde er sich selbst auf dĂŒnnes Eis wagen.
Wieder einmal rutschte es einfach aus ihm heraus, bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. âDu bist schwul.â
âOh verflucht.â Das war ein Fehler gewesen, ein groĂer Fehler! Dieser Satz hatte ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge gebrannt und mit aller Kraft hatte Harry versucht, das Thema zu vermeiden, weil er wusste, es konnte kein gutes Ende nehmen. Und an dem Blick, mit dem Malfoy ihn in diesem Augenblick bedachte, erkannte er, dass er damit auch Recht behalten wĂŒrde.
âBin ich nichtâ, sagte Draco trotzig.
âNatĂŒrlichâ, entgegnete Harry sarkastisch. âUnd weswegen bist du dann in Godricâs Hollow ĂŒber mich hergefallen?â Jetzt wo des Thema schon einmal auf dem Tisch war, konnte man es schlieĂlich auch ausfĂŒhrlich diskutieren.
âIch bin nicht ĂŒber dich hergefallen!â Er klang ein wenig Ă€rgerlich, aber trotzdem fiel Harry auf, dass Draco den direkten Blickkontakt mied. Aber das tat er eigentlich die ganze Zeit.
âAber klar, du bist gestolpert und dabei ist deine Zunge einfach in meinen Mund gerutschtâ, setzte Harry noch einen drauf. âUnd das ganze drei Mal!â
Draco sah ihn jetzt doch mit zusammengekniffenen Augen an. âDu hast dich nicht gewehrt, wenn ich mich richtig erinnere...â, meinte er gedehnt.
âIch hab dabei an Ginny gedacht!â, platzte Harry ohne nachzudenken hervor. Das entsprach zwar nicht direkt der Wahrheit, aber ⊠aber was?
Zumindest verschlug es Draco fĂŒr einen Augenblick die Sprache. Harry sah sich zum ersten Mal dem Malfoyâschen Pendant zum stummen Entsetzen gegenĂŒber. Wo anderen Menschen die Kinnlade heruntergefallen wĂ€re, weiteten sich nur fĂŒr einen Augenblick seine Augen und seinem Gesicht entwich auch das letzte bisschen Farbe, so dass es jetzt eher gelblich als weiĂ wirkte. Dieses Schauspiel dauerte allerdings nur eine Sekunde, ehe er sich wieder in den Griff bekam.
âDas hast du nicht!â, fuhr er Harry giftig an.
âHab ich dochâ, erwiderte der fröhlich. âStörtâs dich denn?â
âTrĂ€um weiter, Potter.â Draco stand auf und machte einen unschlĂŒssigen Schritt Richtung TĂŒr.
Harry wusste, dass er genau jetzt etwas sagen musste, wenn er nicht zusehen wollte, wie Draco spurlos wieder verschwand. âVielleicht tuâ ich das jaâ, sagte er also, nicht sehr geistreich, nicht sehr aussagekrĂ€ftig, aber es reichte, um Draco dazu zu bringen stehen zu bleiben und ihn nachdenklich anzusehen. Dann hob Harry den Kopf und fixierte ihn mit einem eindringlichen Blick. âEin ziemlich absurder Traum, findest du nicht?â, fragte er, zum ersten Mal sehr ernst wĂ€hrend dieser Unterhaltung.
âAbsurd, jaâ, sagte Draco langsam. âAberâŠâ
âAber was?â, fragte Harry und stand ebenfalls auf. Er trat auf Draco zu, so nahe, dass sie sich beinahe berĂŒhrten. Nur beinahe, aber diese Nicht-BerĂŒhrung löste in Harry ein stĂ€rkeres GefĂŒhl aus, als es ein wirklicher Körperkontakt in diesem Moment vielleicht getan hĂ€tte.
âNichtsâ, sagte Draco. Harry glaubte, seinen Atem auf dem Gesicht zu spĂŒren, aber wahrscheinlich war das nichts als eine romantische Einbildung. Er schluckte. âAber ⊠Potterâ, fuhr Draco fort, ohne dass sich dabei eine Regung auf seinem Gesicht abgezeichnet hĂ€tte, âwo wir gerade von Godricâs Hollow sprechen. Du weiĂt noch, was ich dir dort gesagt habe?â
âWas jetzt?â, fragte Harry verwirrt. âDa war so einiges.â
âWeswegen ich dort war.â
âJa.â
âIch bin nicht der Einzige. Geh dort nicht mehr hin. Zumindest nicht in nĂ€herer Zukunft. Auch nicht zum Friedhof.â Er sprach schnell und angehackt. Als hĂ€tte er Angst, dass die SĂ€tze steckenbleiben könnten, wĂŒrde er auch nur einen Moment zu lang zögern.
Harrys Kopf fĂŒhlte sich auf einmal so schwer an, als wĂ€re er mit Blei gefĂŒllt und er hĂ€tte ihn an liebsten irgendwo abgelegt. Zum Beispiel auf Dracos Schulter, aber das war undenkbar. Stattdessen machte er einen Schritt nach hinten und sah sich unschlĂŒssig um. Da er aber nirgendwo eine angemessene Antwort herumliegen sah, musste er sich zwangslĂ€ufig selbst eine ĂŒberlegen. Tausend Dinge schossen ihm durch den Kopf, aber nichts davon schien sich den Weg durch seine Nervenbahnen zu seinen StimmbĂ€ndern bahnen zu könne, also schĂŒttelte er einfach den Kopf.
âPotter?â
Harry starrte Draco mit aufgerissenen Augen an. âWas um alles in der Welt soll das? Du kannst nicht einfach hier auftauchen, einbrechen und alles â aber auch wirklich ALLES auf den Kopf stellen! Erst machst du â naja â das mit mir, und dann auch noch einen auf guten Samariter? Ist dir eigentlich klar, dass du mein gesamtes Weltbild zerstört hast, du⊠du⊠Slytherin?â
In Ermangelung eines besseren Schimpfwortes hatte Harry wohl oder ĂŒbel darauf zurĂŒckgreifen mĂŒssen. Kurz war ihm auch âHalunkeâ in den Sinn gekommen, aber das war nun wirklich zu albern und entsprach nicht einmal ansatzweise dem Ernst der Lage.
âDas ist ja wieder einmal so typisch!â, brauste Draco auf. âWie kann man nur â dermaĂen â egomanisch â sein?â Ărgerlich zog er die Augenbrauen zusammen, so dass sich eine dĂŒnne, senkrechte Falte auf seiner Stirn bildete.
âIch, egomanisch? PAH!â, giftete Harry zurĂŒck. Der Zauberstab, der fast von allein in seine Hand gerutscht war, bebte vor Anspannung. âDu bist auf der anderen Seite! Dir kann man nicht trauen! Du könntest mich verraten!â
âDas selbe könnte ich von dir behaupten, aber habâ ich dir auch nur einmal unterstellt dergleichen zu tun?â Draco hatte sich ihm gegenĂŒber aufgebaut, den Zauberstab schon in der fest geballten Hand, und wenn Blicke töten könnten, dann wĂ€re Harry zumindest schon in Ohnmacht gefallen.
âAlso... neinâ, stammelte Harry, ein wenig aus dem Konzept gebracht. âAber deine Seite ist auch die böse Seite!â Hatte er nicht vor nicht allzu langer Zeit noch sehr ausfĂŒhrlich von einer Grauzone berichtet? Davon war jetzt plötzlich nicht mehr die Rede.
âWas ist das denn fĂŒr eine abgedroschene Klassifizierung? Das klingt ja wie aus einem Kinderbuchâ, schnappte Draco und machte dabei eine wegwerfende Handbewegung, die Harry ein bisschen lĂ€cherlich fand. Ihm huschte dabei ein kleines Grinsen ĂŒbers Gesicht, und Draco starrte aufgrund des belustigten Blicks einen Sekundenbruchteil verdattert zurĂŒck, ehe er hinzusetzte: âAber wenn wir diese Ausdrucksweise einmal beibehalten wollen â wĂŒrde nicht immer automatisch die Gegenseite das sogenannte âBöseâ verkörpern?â Mit einer lĂ€ssigen Bewegung lieĂ er seinen Zauberstab wieder in der Tasche verschwinden.
âSorry, Malfoy, aber können wir die existenzialistischen Grundsatzdiskussionen nicht auf einen geeigneteren Zeitpunkt verschieben?â, fragte Harry leicht irritiert.
Skeptisch zog Draco eine Augenbrauche hoch. âDu hast damit angefangen, wenn ich dich daran erinnern darf.â
Harry entwich ein beschĂ€mtes âOh!â und er fuhr sich in einer unbewussten Geste der Verlegenheit mit einer Hand durchs Nackenhaar. Um zu retten was noch zu retten war, oder wenigstens um noch irgendetwas VernĂŒnftiges zu sagen, ĂŒberlegte Harry dann laut: âDu könntest die Seiten wechseln...â
Seine Finger spielten unruhig mit dem Saum seines T-Shirts. âDu bist weder ĂŒberzeugt von dem was du tust, noch glĂŒcklich damit.â Draco wollte ihn unterbrechen, aber Harry redete ungerĂŒhrt weiter. âDas hast du am Turm zu Dumbledore gesagt und zur Maulenden Myrthe!â
Draco klappte den Mund zu einer Entgegnung auf und klappte ihn dann aber ohne etwas herausgebracht zu haben wieder zu. Mit einem bösartigen Funkeln in den Augen trat er nah an Harry heran und zischte mit einer Stimme, die Snapes wĂŒrdig gewesen wĂ€re: âDu wirst diesen Vorfall nie â nie â wieder erwĂ€hnen, verstanden?â Dabei stieĂ er Harry drohend mit dem ausgestreckten Zeigefinger gegen die Stirn.
In Harry rang der unbĂ€ndige Drang laut aufzulachen mit dem blanken Erstaunen. Mit eiserner Selbstbeherrschung kĂ€mpfte er aber das GelĂ€chter nieder, das sich schon seinen Weg in die Freiheit bahnen wollte, und zwang sich selbst zu einem ernsthaften Ausdruck â Malfoy sah so aus, als wĂŒrde er ihm sonst einen widerlichen Fluch auf den Hals jagen. Harry hatte wenig Lust, nur deswegen verfrĂŒht als GrillspieĂchen zu enden, weil er es nicht geschafft haben sollte, seine unterstrapazierten Lachmuskeln in Zaum zu halten.
âAber um zum eigentlichen Thema zurĂŒckzukehrenâ, lenkte er ab und wich sicherheitshalber noch ein paar Schritte vor Draco zurĂŒck. âDu könntest die Seiten wechseln.â Dass sein aktuelles Verhalten ziemlich im Widerspruch zur eben getroffenen Aussage stand, fiel ihm gar nicht erst auf. Sein Ausdruck hatte beinahe etwas geschĂ€ftsmĂ€Ăiges angenommen.
âSei nicht albern, Potter.â Resignation machte sich auf Dracos Gesicht breit, als hĂ€tte er stundenlang versucht einem kleinen Kind einzublĂ€uen, dass Herdplatten gefĂ€hrlich sind, nur um danach mit ansehen zu mĂŒssen, wie es trotzdem drauf fasst. Obwohl Draco sich wahrscheinlich nie mit so etwas abgegeben hĂ€tte.
Um so schlimmer war es nun, dass er sich mit Harry herumschlagen musste.
Eine weitere ErklĂ€rung schien er fĂŒr ĂŒberflĂŒssig zu halten, und wenn Harry ehrlich war, musste er sich auch eingestehen, dass dieses ganze GesprĂ€ch nichts weiter, als eine lĂ€cherliche Scharade war. Er hatte nie wirklich angenommen, dass er Draco zu seinem Standpunkt bekehren könnte. Aber es widersprach nun mal seiner Natur, die Sache einfach unangetastet lassen und es nicht wenigstens zu versuchen. Er seufzte.
In der momentan herrschenden depressiven AtmosphĂ€re der Hoffnungslosigkeit wussten beide nicht genau, was sie mit sich anfangen sollten. In einer automatisierten Geste rĂŒckte Harry sich die Brille zurecht, wĂ€hrend Draco seine HĂ€nde in die Taschen stemmte und in den Kamin starrte. Kalt stand das Schweigen zwischen ihnen und drĂŒckte ihre Stimmung nieder.
âIch sollte jetzt gehenâ, stellte Draco schlieĂlich fest und griff nach seinem Umhang, der ĂŒber einer Sessellehne hing.
âHmâ, machte Harry. Davor hatte er Angst gehabt. Nicht davor, dass Draco wegging, mehr vor dem Abschied selbst. Eigentlich auch davor nicht, sondern eher, dass dann womöglich irgendetwas Emotionales von ihm erwartet werden könnte. Er strengte sich an, aber er konnte sich wirklich nichts LĂ€cherlicheres vorstellen, als Draco an der TĂŒrschwelle einen Abschiedskuss zu geben. Trotzdem war da unbedingt noch diese eine Sache zu klĂ€ren.
âHast du demnĂ€chst wieder irgendwann vor, unbefugt in mein Haus einzudringen?â, fragte er möglichst beilĂ€ufig.
âMöglichâ, sagte Draco und zuckte nachlĂ€ssig mit den Schultern, wĂ€hrend er in seinen schwarzen Umhang schlĂŒpfte und die Vorderseite sorgsam glatt strich.
âAh.â Was geistreiche Erwiderungen anging, war heute wirklich nicht Harrys Tag.
Mehrere Minuten widmete Draco nur der Entfernung von ein paar Fusseln von seinem Umhang, von denen sich Harry nicht einmal sicher war, ob sie wirklich existierten. Möglicherweise zupfte Draco nur an sich herum, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht wartete er ja auf etwas, oder er erwartete etwas. Harry fĂŒhlte leichte Panik in sich aufsteigen und rĂŒhrte sich keinen Millimeter vom Fleck.
Irgendwann war Draco doch fertig und wandte sich zum Gehen. âMorgen Abend vielleichtâ, warf er noch halblaut ĂŒber die Schulter zurĂŒck, schon fast aus dem Zimmer hinaus. Er sah sich noch einmal kurz um, wie zur BestĂ€tigung, dass Harry verstanden hatte, aber der mied seinen Blick.
Harry verharrte reglos an der Stelle, bis er hörte, wie die EingangstĂŒr sich öffnete und wieder schloss. Dann wartete noch ein paar Minuten bis er sicher gehen konnte, dass Draco wirklich weg war, um darauf selbst das Haus am Grimmauldplatz zu verlassen.
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King's Cross ist fĂŒr mich ein ganz romantischer Ort, vielleicht der romantischste Bahnhof ĂŒberhaupt, weil meine Eltern sich hier kennen gelernt haben.
Joanne K. Rowling