
von Nerventod
Severus lief durch die Gänge des schlafenden Schlosses. Seine Glieder waren schwer aber seine Gedanken waren noch viel schwerer. Die Sonne würde bald aufgehen. Er hatte die ganze Nacht unsichtbar bei den Dursleys verbracht und die Erinnerungen des Hauses in sich aufgesogen. Es war ihm nur möglich gewesen die niederschmetternde Version von Harrys Erfahrungen in diesem Haus bis zu dessen elften Lebensjahr zu sehen als er bemerkte, dass er das Haus verlassen musste, wenn er noch ein wenig Schlaf bekommen wollte, bevor der Unterricht begann.
Um ehrlich zu sein, war Severus sehr dankbar für die Pause. Er war entsetzt über das, was er gesehen hatte: einen fetten und verhätschelten, immer gewalttätiger werdenden Cousin, eine psychotische Tante und einen psychotischen Onkel und einen sanftmütigen, kleinen Harry Potter. Einen Potter, der hungerte, der bei den schwierigsten Aufgaben bis zum umfallen arbeitete und der in Dunkelheit lebte, in einen insektenverseuchten Schrank. Er konnte es nicht glauben. Harry gehörte wirklich nach Slytherin dafür, dass er so lange in der Lage war seinen wahren geistigen Zustand durch und durch zu verbergen.
Aber Dumbledore hatte auch Recht. Potter war stark. Trotz den Jahren des Missbrauchs und dem Glauben daran, dass er nichts weiter als Müll war, spielte und lächelte Harry noch immer in seinem Schrank. Er hatte es in jungen Jahren aufgegeben seiner Familie zu gefallen und wollte nichts tun, für das sie ihm Anerkennung schenken würden. Harry hatte es irgendwie geschafft sein Herz freundlich und ehrlich für sich zu erhalten.
Severus seufzte und betrat die Krankenstation. Poppy schlief in ihrem BĂĽro. Er hasste es sie zu wecken, aber Potters Bett war leer und er musste den Jungen sehen. Sie sagte ihm, dass Albus ihn in einen Schlafraum gebracht hatte, den er mit einer GeheimtĂĽr hinter ihrem Buchregal verbunden hatte. Sie klopfte an drei BĂĽcher, die er sich merkte, und es schwang beiseite.
Der Raum war klein und gemütlich. Er hatte ein großes Himmelbett mit blauen Bezügen und weißen Vorhängen. Harry lag klein und zerbrechlich darin und Severus setzte sich für eine Weile zu ihm. Er sprach nicht mit dem Gryffindor oder berührte ihn. Er hatte nur das Gefühl bei ihm seien zu müssen, nachdem er all das gesehen hatte. Poppy sagte nichts dazu und flößte dem Jungen die Heiltränke ein und erneuerte die Heilzauber. Severus versprach ihr mehr Heil- und Nährstofftränke. Sie dankte ihm und er machte sich auf den Weg in sein Bett um für eine Stunde zu schlafen.
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„Was ist los, Onkel Severus?“, fragte Draco sanft als er diesem in die Große Halle zum Frühstück folgte, nachdem er das müde und angespannte Gesicht des Mannes gesehen hatte.
„Lass es gut sein, Draco.“, sagte Snape genauso leise. Draco tat ihm den Gefallen. Er verlangsamte seine Schritte, damit der Zaubertränkemeister die Halle vor ihm betreten konnte und folgte ihm dann.
Seine Gedanken drifteten zu seinen Hauskameraden. Viele von ihnen hatten nicht gewusst, wie sie mit ihm umgehen sollten. Die, die er fĂĽr seine Freunde erachtete, stellten ihm Fragen, wenn auch nur sehr vage. Er wartete geduldig. Er tat seine Ăśberzeugungen kund, wenn danach gefragt wurde und setzte damit ein Exempel, aber er stellte seine neue Ăśberzeugung nicht zur Schau. Er hoffte nur, dass sich nicht alle aus seinem Haus gegen ihn stellten, wenn sie realisierten, was er tat.
Er setzte sich zwischen Pansy und Blaise. Das Mädchen sah ihn überrascht an aber Blaise aß ohne seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen weiter. Draco nahm sich einen Toast und nippte an seinem heißen Tee. Seine Augen durchsuchten die Halle. Der Gryffindor-Tisch wirkte bedrückt. Weasley und Granger saßen alleine dort, ohne den Goldjungen. Beide wirkten ziemlich niedergeschlagen. Seine Augen flogen zu seinem Patenonkel, aber Severus schaute ihn nicht an. Er aß unbeirrt weiter.
„Das Jahr hat noch nicht einmal angefangen und er ist schon wieder auf einem Abenteuer.“, schnarrte Draco.
„Wer?“, fragte Pansy.
„Potter.“, antwortete Vince und jeder richtete überrascht seine Augen auf ihn. Viele dachten, dass er und Greg dumm wären, weil sie so selten sprachen, aber die Slytherins wussten, dass das nicht stimmte. Und trotzdem. Normalerweise dauerte ein paar Minuten, bis die anderen mit Dracos Gedankengängen mitkamen. Aber das Vincent es schaffte, war um ehrlich zu sein beeindruckend. Es sei denn, er wusste etwas, was die anderen nicht wussten.
„Was weißt Du?“, fragte Draco gleichgültig.
„Potter ist dieses Jahr angeblich nicht nach Hogwarts gekommen. Zumindest noch nicht. Er erhält ein Spezialtraining.“
„Interessant.“, murmelte Blaise und schaute nun zu den Gryffindors hinüber. „Aber seht ihr, was ich sehe?“
„Sie sehen enttäuscht aus. Aber die, die Potter am besten kennen sind mehr als das.“, sagte Pansy, während ihre Blicke weiter auf dem anderen Haus ruhten.
„Sie sind traurig und bestürzt.“, stimmte Draco zu.
„Es sieht wohl so aus, als wäre der Goldjungen zu nah an die Sonne geflogen.“, grinste Blaise.
Draco sah erneut zum Lehrertisch und sah in das müde Gesicht seines Paten. Er kannte diesen Ausdruck. Er war sehr besorgt. Draco fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog und seine Augen erhärteten. Er schaute zurück zu seinen besten Freunden und bemerkte, dass er ihre Aufmerksamkeit hatte. Einige waren wachsam, andere neugierig. Er schaute in ihre Augen, um sie abzuschätzen, während er sich leise fragte, ob er ihnen vertrauen konnte ihm zu folgen, ohne ihn zu verraten.
„Ich denke, irgendetwas stimmt da nicht.“, sagte er schließlich.
„Sollen wir ein wenig herumschnüffeln?“, fragte Greg.
Er nickte. Sie beendeten ihr Frühstück während sie planten, wie sie vorgehen konnten, ohne erwischt zu werden. Snape kam zu ihrem Tisch. Er sagte sehr wenig. Als er an Draco vorbei ging, vermied er es, in die Augen des Jungen zu schauen. Blaise verdeckte ihre Absicht, indem er laut über ihre erste Stunde redete. Pansy folgte seinem Beispiel. Severus entspannte sich und ging weiter, sich darüber bewusst, dass ihm Dracos Augen immer noch folgten.
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„Wo ist denn unser kleiner Held?“, fragte Pansy, als sie in Fortgeschrittene Zaubertränke auf Hermin traf.
Die Gryffindor sah anders aus. Sie war über den Sommer gewachsen. Ihr Haar war nicht länger buschig sondern fiel stattdessen glänzend und lockig über ihre Schultern. Ihre Brüste waren voller geworden und ihre Hüfte ein wenig fraulicher. Pansy hoffte nur, dass sie sich nicht auch innerlich geändert hatte. Ansonsten würde ihre Taktik nicht funktionieren. Hermine blinzelte die Blonde an und drehte sich von ihr weg.
„Mach Dir keine Sorgen, Liebes.“, sagte Pansy so spöttisch, wie sie konnte. „Ich bin mir sicher, dass er zu Dir zurückkommt.“ Hermines Augen verengten sich und Pansy fuhr fort. Sie brauchte eine deutlichere Reaktion um mehr herauszufinden. „Vielleicht kommt er ja mit mehr Verstand zurück und lässt Dich und das Wiesel stehen, so, wie er es schon längst hätte tun sollen.“
Hermines braune Augen weiteten sich und sie brach in Tränen aus. Pansy sah ihr nach, als sie davonrauschte und versuchte ihre Überraschung zu verbergen. Nun, das war eine Reaktion, wenn auch eine total unerwartete. Snape betrat den Raum. Seine Blicke folgten der weinenden Sechstklässlerin, als sie an ihm vorbeistürmte. Der Professor drehte sich mit einem Grinsen zurück zu Klasse.
„Zehn Punkte von Gryffindor. Schlagen Sie Ihre Bücher auf.“
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Hermine und Ron verließen frühzeitig das Abendessen und machten sich mit Neville und Ginny zusammen auf in Richtung der Krankenstation. Die vier waren vorsichtig, um sicher zu gehen, dass ihnen keiner folgte und eilten in Madame Pomfreys Büro. Die Krankenschwester tippte an die Bücher, ohne ein Wort zu verlieren und ließ sie eintreten. Sie warnte sie, dass, obwohl es Harry besser ging, er immer noch ein paar Wunden hätte und fest schlief. Die Freunde interessierte das nicht. Sie gingen auf Harrys Bett zu. Neville und Ginny staunten, als Ron und Hermine zu gegenüberliegenden Seiten des Bettes gingen und jeder eine von Harrys Händen in ihre eigenen nahmen.
„Wird er wieder in Ordnung kommen?“, fragte Ginny leise.
„Sie wissen es nicht.“, sagte Ron kopfschüttelnd. „Snape versucht herauszufinden, was genau passiert ist und wenn sie es wissen werden sie ihn therapieren oder so ähnlich.“
„Ich kann einfach nicht verstehen, wie das passiert ist.“, sagte Neville.
„Ich auch nicht.“, entgegnete Hermine. „Ich habe ein wenig in der Bibliothek darüber gelesen. Es gibt dort nicht viel über geistige und emotionale Heilung. Aber ich habe ein gutes Buch gefunden über Sprüche, die den geistigen Zustand feststellen können. Vielleicht könnten die Snape dabei helfen herauszufinden, wie man ihm am Besten helfen kann.“
„Was denkt Ihr, was die Dursleys ihm angetan haben?“, fragte Ginny, während sie Nevilles Hand fest umschlossen hielt.
„Richtig schlimm zusammengeschlagen.“, sagte Ron widerstrebend. „Ich weiß nicht, was noch, abgesehen davon, dass sie ihn beschimpft und ihm erzählt haben, dass er ein wertloser Freak ist.“
„Das kann er doch nicht geglaubt haben!“, keuchte Neville erschrocken.
„Von allen Menschen solltest gerade Du verstehen, dass er es konnte.“, sagte Hermine sanft. Neville errötete und Tränen schossen ihm in die Augen.
„Was können wir tun?“, fragte Ginny. „Ich möchte helfen.“
„Ihr könntet mir helfen die Bibliothek nach allem zu durchsuchen, was mit Psychologie zu tun hat.“, bot Hermine an.
Die anderen nickten ihr zu und setzten sich dann zu Harry, um ihm von ihrem Tag zu erzählen. Sie wussten, dass er sie nicht hören konnte, aber sie hofften, er könne ihre Sorge und ihre Unterstützung spüren. Es half ihnen mit ihm zusammen zu sein. Trotzdem konnten sie nicht lange bleiben, den Madame Pomfrey scheuchte sie aus dem Zimmer zurück in ihren Gemeinschaftsraum. Bevor sie gingen bat Hermine Madame Pomfrey, Snape auszurichten, dass er sie möglichst bald kontaktieren sollte. Madame Pomfrey versprach es. Sie wusste, wie schwer das alles für sie sein musste. Für sie war es genauso schwer.
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Die Slytherins saßen in dem Jungeschlafsaal der Sechstklässler. Draco hatte Theodore Nott (der ein Todesser werden wollte), mit dem Versprechen, dass es nicht lange dauern würde, aus dem Zimmer geworfen. Dann hatte er den stärksten Stillezauber auf das Zimmer gelegt, den er kannte. Die anderen hatten ihre eigenen hinzugefügt, um die Schutzvorkehrungen zu verstärken. Als sie damit fertig waren wirbelte Pansy herum. Ihre Hände hatte sie in ihre Seiten gestützt.
„In Ordnung Draco. Was geht hier vor?“
„Wie Ihr wisst, bin ich Lord Malfoy. Aber ich habe von meinem Vater nicht alles übernommen. Ich lehne Voldemort ab und unterstütze die weiße Seite in diesem Krieg.“, sagte Draco geradeheraus. Im Raum wurde es still. Als er sich sicher war, dass sie ihn nicht unterbrechen würden, fuhr er weiter mit fester Stimme fort. „Wir sind nicht länger Kinder, die Spiele spielen. Ich kann es mir nicht leisten, die Konsequenzen, die meine Taten nach sich ziehen, zu ignorieren. Als mein Vater weg war, war ich gezwungen zu sehen, wie genau diese Konsequenzen aussehen.“
Und er erzählte ihnen in kurzen Sätzen, was passiert war, was er mit seinen eigenen Augen gesehen hatte. Er erzählte ihnen nicht, wie er sich dabei gefühlt hatte, wie schwer es für ihn gewesen war oder wie er sich dabei gefühlt hatte, Entscheidungen zu treffen, nachdem, was ihm alles gezeigt wurde. Aber er redete mit den Slytherins. Den Menschen, die er für seine Freunde hielt. Er brauchte nicht von solchen Dingen zu reden. Sie konnten es in seiner Haltung und seinen Augen sehen. Er erzählte ihnen, dass er zu der Überzeugung gekommen war, dass es einen besseren Weg geben müsste, als den von einer Seite eingenommen zu werden und dass er entschlossen war, eine Gruppe zu gründen, die in der Mitte stand, sofern so eine nicht bereits existierte.
„Lösch mir das Gedächtnis.“, sagte Blaise, als Draco fertig war und auf die Reaktionen der anderen wartete.
„Was?“, fragte Pansy erschrocken.
„Ich werde das Mal annehmen und ich werde loyal sein, denn ich muss es tun.“, antwortete Blaise leise. „Ich kann Euch nicht helfen. Lasst mich an nichts teilhaben.“
„Warum?“, verlangte Greg zu wissen.
„Devon.“, erwiderte Blaise schlicht und die anderen verstanden. Devon war Blaises älterer Bruder. Blaise wollte an seiner Seite bleiben und das bedeutete, dass er ein Todesser werden würde.
„In Ordnung.“, sagte Draco traurig und schwang seinen Zauberstab.
„Viel Glück.“, sagte Blaise leise, bevor er einen Lichtblitz sah und von Dracos Zauberspruch getroffen wurde.
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„Was hast Du gesehen?“, fragte Poppy, als sie sich neben Severus setzte.
Sie saßen beide auf Polsterstühlen neben Harrys Bett. Der Zaubertränkelehrer sah aschfahl aus. Sie hatte ihm einen Tee gemacht und der schien zu helfen, wenn auch nur ein wenig. Severus seufzte in den Tee und lehnte seinen Kopf zurück. Er konnte spüren, dass die Sonne aufging. Er sollte von hier fort. Er sollte versuchen noch etwas Schlaf zu bekommen, ganz gleich, ob er wusste, dass er es nicht schaffen würde.
„Severus?“ Poppy legte eine Hand auf seinen Arm.
„Ich hatte nicht die Chance zu sehen, was in diesem Sommer passiert ist. Aber ich habe die vier Sommer davor gesehen, die er in einem Raum eingesperrt war. Da waren Gitter vor dem Fenster und ein einzelnes Bett, mit einer dünnen Decke. Essen wurde ihm durch eine Klappe in der Tür gereicht. Sie hätten ihn lieber wieder in den Schrank unter der Treppe gesteckt, wo er gelebt hatte, bevor er nach Hogwarts kam, aber sie hatten Angst, dass Zauberer kommen könnten um sie zu bestrafen.
Sie haben Harry aus dem Raum herausgelassen, wenn er ins Bad musste, aber manchmal haben sie es vergessen. Manchmal haben sie vergessen, ihm etwas zu essen zu geben. Manchmal haben sie ihm absichtlich nichts zu essen gegeben. Wenn er etwas zu Essen bekam, hat er das meiste davon seiner Eule gegeben. Er ist wie ein Tier behandelt worden. Bevor er nach Hogwarts ging, durfte er sich im Haus frei bewegen, um seine Aufgaben zu erledigen, aber Hogwarts hatte ihm ein wenig Lebensfreude wiedergegeben und sich wollten das nicht in seinen Augen sehen. Deshalb haben sie ihn einfach weggesperrt. Sie haben Angst vor ihm.“
Poppy schwieg ein paar Minuten, während sie versuchte ihre Tränen nieder zu kämpfen. Als sie sich sicher war, dass sie nicht weinen würde, richtete sie ihren Blick wieder zu ihrem Kollegen. „Kannst Du ihm helfen?“
Severus schaute auf den im Bett liegenden Jungen. Wie gebrochen war er? Könnte er Harry da durch helfen? Würde Harry seine Hilfe akzeptieren? Er stand auf, ohne der Frau zu antworten. Er gab ihr die Tasse zurück und dankte ihr dafür, bevor er den Raum verließ und sich in seinen Kerker begab. Poppy verstand, dass er ihr keine Antwort geben konnte und fragte deshalb nicht noch einmal nach. Sie ließ ihn gehen. Sie umklammerte die Tasse in ihren Händen und weinte um den Jungen, den sie alle im Stich gelassen hatten.
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Während der letzten Stunde ihres Vormittagsunterrichts wurden Hermine, Ron, Ginny und Neville zum Krankenflügel geschickt. Jeder Lehrer hatte behauptet, dass Madame Pomfrey Hilfe dabei bräuchte, die Tränke zu sortieren und nachzusehen, dass keiner verfallen war. Sie verhielten sich so normal wie möglich, aber als sie in den Gängen aufeinander trafen, beschleunigten sie ihre Schritte. War irgendetwas passiert? Madame Pomfrey versicherte ihnen, dass sich Harrys Zustand nicht verschlechtert hatte, er aber aufgeweckt werden müsse, um etwas zu essen. Sie hatte sich gedacht, dass es besser für ihn war, wenn die vier bei ihm wären.
„Hey, Harry.“, sagte Ron mit einem leichten Lächeln, als Harry die Augen aufschlug und sich aufsetzte.
„Hast Du Hunger?“, fragte Ginny, als sie sich zu seinem Krankenbett begaben.
Harry sah zu jedem, der ihn ansprach, aber er antwortete oder reagierte nicht zu dem, was ihm gesagt wurde. Alle vier liefen hin und her und versuchten in dazu zu bringen etwas zu sagen oder zu lächeln. Alles. Aber ihr Freund sah sie nur mit blinzelnden Augen an. Niemand versuchte ihn anzufassen. Madame Pomfrey trat eine halbe Stunde später mit einem Tablett voll Essen in den Raum. Sie stellte es auf Harrys Schoß, aber der Junge begann nicht zu essen.
„Nimm einen Bissen, Harry.“, sagte Hermine und Harry tat es.
Ginny begann zu weinen und Neville nahm sie daraufhin in den Arm. Hermine sah so aus, als würde sie es Ginny gleich tun, aber sie tat es nicht. Sie sprach die ganze Zeit sanft mit Harry, damit dieser aufaß, während Ron ruhig da saß. Harry braucht zweimal so lange wie normalerweise um mit dem essen fertig zu werden, aber sie waren alle geduldig. Als er fertig gegessen hatte, sagte ihm Madame Pomfrey, er solle ins Bad gehen. Als er fertig war, legte er sich, so wie es ihm gesagt wurde, wieder ins Bett. Danach hexte sie ihn wieder schlafend.
„Danke, dass Sie gekommen sind. Es war hilfreich.“
„Glauben Sie das wirklich?“, fragte Ginny hoffnungsvoll.
„Ja.“, versicherte ihr Madame Pomfrey lächelnd. „Gehen sie jetzt zurück zu ihrem Unterricht. Sie dürfen nicht zu spät kommen. Und Kopf hoch. Harry wird es bald wieder besser gehen. Wir müssen ihm nur etwas Zeit geben, sich zu sammeln.“
„Sie haben Recht.“, lächelte Neville sie an.
„Es ist Harry.“, stimmte Ron zu und lachte schwach.
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Harry wischte die Küche. Es war das erste Mal, dass er aus seinem Zimmer heraus gelassen wurde und sobald er fertig würde, würden sie ihn wieder dahin zurück stecken. Seine Bewegungen waren langsam und rhythmisch und eine tiefe Trauer befiel ihn. Seine Körpersprache zeigte, dass er sein Elend akzeptierte. Er war tieftraurig.
Er sah schrecklich aus. Seine Kleidung war zerschlissener, als der Lappen, den er zum Wischen benutzte. Er war blass und viel zu dĂĽnn. Er hatte dunkle Augenringe und sah im Grund genommen aus, wie das Opfer eines Dementors. Ein Kalender an der Wand zeigte, dass die Schule erst seit zweieinhalb Wochen zu Ende war.
Laute Schritte näherten sich dem Jungen, doch Harry hörte sie nicht. Ein fetter Mann in einem Anzug kam durch die Tür. Seine Augen waren hasserfüllt. Er begann den Jungen anzuschreien und zu beschimpfen, weil er so langsam arbeitete. Beleidigungen vervollständigten die hasserfüllten Worte. Harry biss sich auf die Lippe und entschuldigte sich sanftmütig. Das Gesicht des Mannes wechselte von rot zu violett und er trat vor. Seine fleischige Faust traf das gesenkte Haupt des Jungen und schleuderte ihn gegen die Küchentheke. Harry stürzte zu Boden und starrte seinen Onkel an, während Tränen in die überraschten smaragdgrünen Augen traten.
Vernon stand wie angewurzelt da. Man konnte an seiner Haltung erkennen, dass er Angst hatte. Es war offensichtlich, dass er irgendeine Reaktion auf seine Tat erwartete. Er erwartete, dass ihn zur Verteidigung ein Zauber treffen wĂĽrde. Das war der Grund, warum sie Harry bisher nur verbal fertig gemacht hatten. Harrys Magie war immer aufgetaucht, wenn sie die Linie zum physischen Missbrauch ĂĽberschritten hatten. Aber es geschah nichts und langsam verschwand Vernons Angst. Sein Gesicht zeigte auf einmal Freude und ein sadistisches Grinsen.
Hinter der Überraschung geschlagen worden zu sein, war in Harrys Augen auch eine Art Akzeptanz zu sehen, die durch den Tod seines Paten verursacht wurde und nur Severus trainiertem Auge war es möglich die Dankbarkeit dahinter zu sehen. Harry dachte nicht nur, dass er die Schmerzen für seine Verbrechen verdiente, er war letztendlich zu der Überzeugung gelangt, dass er es verdiente geschlagen zu werden. Vernon schimpfte und schrie gemeine Worte, während er den Jungen schlug. Lediglich die Tatsache, dass dieser fette Bastard so schnell ermüdete, rettete Harry davor totgeschlagen zu werden.
Ein Dutzend mehr solcher Szenen füllten Severus Geist. Wieder und wieder attackierte Vernon Harry mit Fäusten, Füßen und Worten. Severus sah sogar, wie er einige Male einen Gürtel benutzte. Und nicht einmal rührte sich Harrys Magie, um ihn zu beschützen, so wie sie es eigentlich sollte. Er bestrafte sich selbst. Zuerst nahm Harry die Schläge schweigend hin, doch nach mehreren Tagen begann er zu wimmern und zu schreien.
Jedes Schlagen führte ihn weiter, denn diese Erinnerungen waren ziemlich neu. Es erforderte eine Menge an Konzentration schnell durch die Stunden zu gehen, in denen nichts passiert war, während die vorhergehenden Sommer und die Erinnerungen der Zeit vor Hogwarts nur in kurzen Höhepunkten bestimmter Momente zu sehen waren, Momenten, die so einschneidend waren, dass sie in den Wänden des Hauses eingefroren wurde. Sie anzusehen hatte Severus nicht so geschafft, aber die Erinnerungen dieses Sommers waren anders und viel kräftezehrender, denn sie waren grauenvoller.
Für Kinder von Zauberern war ein Missbrauch solchen Ausmaßes selten. Alle Jahre mal geschlagen zu werden und mal einen Klaps zu bekommen war verbreitet, aber fortgesetztes gewalttätiges Schlagen war ausgeschlossen. Nicht nur, weil sie eine magische Attacke ihrer Kinder zu befürchten hatten, sondern auch weil sie ihr Kind traumatisieren könnten. Durch das Schlagen würden sie riskieren, dass ihre Kinder ihre Magie fürchteten oder unterdrückten, weil diese letztendlich ihre Eltern oder ihren Vormund wehtun würden, wenn sie sich verteidigten.
Und Zauberer schätzten die Magie ihrer Kinder mehr als alles andere. Sie taten nichts, um diese zu bedrohen. Die Zauberer griffen auf andere Dinge zurück, um ihre Kinder zu bestrafen. Sie nutzten Hausarrest, Verbote, psychologischen Missbrauch oder sie verhexten ihre Kinder, aber fortgeführter physischer Schaden war zu riskant.
Doch Severus wusste, wie man jemandem begegnen musste, der in solch einer Art und Weise misshandelt worden war. Es gab ein paar Fälle in der Zaubererwelt, in denen so etwas schon einmal vorgekommen war. Und er hatte eine Menge über physisch Missbrauchte Muggelkinder gelesen. Er hatte sein Wissen genutzt, um Opfern zu Helfen, die von Todessern geschlagenen und gefolterten worden waren. Er war sich sicher, dass es Hoffnung für Harry gab, wenn dies alles war, was er erdulden musste.
Dankbarer Weise fĂĽhlte er, dass die Erinnerungen sich langsam dem Ende neigten, aber bevor er alles sehen konnte, war er gezwungen sich von dort zurĂĽckzuziehen. Er brauchte etwas Schlaf oder wĂĽrde furchtbar zu jedem sein.
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„Albus!“
Dumbledores Kopf ruckte von dem Papier, das er gelesen hatte. Er stand schnell auf und begab sich zu dem Feuer. „Was ist los, Madame Pomfrey?“
„Es ist Harry! Er ist wach und ansprechbar.“
Der Direktor deutete ihr zurĂĽckzugehen und flohte dann zu ihrem Kamin. Ihr Zimmer war abgesperrt und gesichert. Zufrieden, dass es keiner sehen konnte, ging er zu dem BĂĽcherregal und tippte in der richtigen Reihefolge an die BĂĽcher. Er glitt in den Raum und erkannte Harry.
Der Junge saĂź in seinem Bett. Er trug frische Sachen und aĂź ohne Hilfe einen Eintopf. Seine grĂĽnen Augen schauten auf, als der Direktor eintrat und Dumbledore hatte das GefĂĽhl vor Erleichterung weinen zu mĂĽssen. Sie waren um einige Nuancen dunkler, als sie gewesen waren, als er zur Schule zurĂĽckgekehrt war. Trotzdem waren sie noch immer glasig und schmerzerfĂĽllt.
„Hallo Harry! Wie fühlst Du Dich?“
„Gut, Direktor.“, antwortete Harry, beugte sich aber weiter über seinen Suppenteller und ließ sich sein Pony ins Gesicht fallen, damit er dem älteren nicht in die Augen sehen musste.
Madame Pomfrey kam zu dem Bett und deutete auf die Schüssel, „Bist Du fertig, Harry?“
„Ja.“ Harry gab der Hexe die leere Schüssel und sie nahm sie mit, während sie allein den Raum verließ.
Dumbledore nahm in dem Stuhl neben Harrys Bett platz. Der Junge schaute wieder nicht auf. Stattdessen starrte er auf seine Hände. Dumbledore wollte ihn um Vergebung bitten, glaubte aber nicht, dass es das war, was hier gebraucht wurde. Er hätte Severus rufen sollen, ihn aus seinem Unterricht hier her holen sollen. Er hätte nicht herkommen dürfen. Was, wenn er es schlimmer machte? Aber es gab ein paar Dinge, die gesagt werden mussten. Von ihm. Zu Harry.
„Harry. Ich werde alt. Ich bin nicht unfehlbar. Ich habe Fehler gemacht. Und ich habe einen Fahler mit Dir gemacht. Einen ernsten Fehler, einen, den ich wirklich wieder gut zu machen versuche.“
Harry hob seinen Kopf ein wenig und sah seinen Direktor durch seinen Pony überrascht an. Dumbledore lächelte. Er streckte eine Hand nach Harry, zog sie aber wieder weg, als der Junge von dieser zurückwich.
„Es tut mir leid, Harry. Ich werde Dich nicht anfassen und du hast jedes Recht Dich so zu fühlen, wie Du es gerade tust. Jedes Recht. Es tut mir leid, dass ich Dir nicht zugehört habe. Ich war arrogant und habe geglaubt, dass ich es besser wüsste als Du, weil ich älter bin und mehr gesehen habe. Aber ich hatte Unrecht, Harry. Verstehst Du mich?“
„Ja.“, sagte Harry zögernd und unsicher.
„Was habe ich gesagt?“, fragte Dumbledore aufmunternd.
„Das Sie Unrecht hatten?“, zweifelte Harry. Er sah verängstig aus, eine falsche Antwort zu geben und Dumbledore wollte sich diesem Kind zu Füßen werfen.
„Genau, Harry.“, lächelte Dumbledore, während ihm Tränen aus den Augen traten. „Glaubst Du mir?“
„Über das Unrecht haben?“ Harry zitterte jetzt.
„Ja. Glaubst Du, dass ich Unrecht haben könnte?“
Harry antwortete nicht. Seinen Kopf hatte er nun ganz erhoben und seine Augen waren groß und voller Angst. Dumbledore wartete geduldig, still sitzend. Langsam löste sich die Anspannung von Harry. Er sah müde aus. Sein Gesicht war blass und seine Augen schwer. Dumbledore sah, wie Harry vor sich hin starrte, während er über das eben gesagte nachdachte. Seine langfingrigen Hände waren mit der Decke auf seinem Schoß verflochten.
„Ja. Ich denke, Sie können Unrecht haben.“, brachte Harry leise hervor, wobei seine Augen zu Dumbledore schnellten und er einen Schlag erwartete. Schnell fügte er hinzu: „Aber nicht sehr oft.“
„Oft genug.“, gluckste Dumbledore. „Hör mir zu, Harry. Hörst Du mir zu?“
„Ja, Sir.“
„Gut.“ Dumbledore holte tief Luft. „Es gibt eine Sache, von der ich ohne Zweifel weiß, dass ich Unrecht hatte; Madame Pomfrey weiß es auch, genauso, wie Hermine, Ron und Professor Snape. Und das bist Du.“
Harry Atem beschleunigte sich und er sah so aus, als würde ihn Dumbledore jeden Moment zu Azkaban verurteilen. Dumbledore zögerte fortzufahren, aber er war schon zu weit gegangen, um jetzt noch aufhören zu können. Er senkte seinen Kopf, damit Harry sich nicht durch den Blickkontakt bedroht fühlte.
„Harry. Ich hatte Unrecht, Dich bei den Dursleys zu lassen. Ich hätte Dir zuhören müssen. Du warst im Recht, mich darum zu bitten, nicht wieder dorthin zu müssen. Ich hatte Unrecht. Ich liebe Dich und ich habe Dir wehgetan und das war sehr, sehr falsch. Du verletzt nie die Menschen, die Du liebst. Hermine und Ron lieben Dich auch und sie möchten, dass es Dir wieder besser geht. Sie möchten Dir helfen. Sie sind sehr böse auf mich, dass ich Dich dort gelassen habe. Ich bin böse auf mich.
Verstehst Du? Was Dir passiert ist, war Unrecht. Es hätte nicht passieren dürfen. Du hättest beschütz und umsorgt werden müssen, von denen die Dich lieben und wir haben Dich fallen lassen. Aber wir werden alles versuchen, dass das nie wieder passiert. Ist das Okay, Harry? Wirst Du uns das für Dich tun lassen?“ Dumbledore schaute auf. Sein Herz sank in seinen Magen und schließlich liefen ihm die Tränen.
Harry saß da und weinte still in seine Hände. Harrys Schultern zuckten und Tränen liefen durch seine Finger, aber er machte keinen Laut. Es war das herzzerreißenste, was Dumbledore je gesehen hatte. Mehr als alles andere wollte er den Jungen in seine Arme nehmen, aber er wusste, dass das unerwünscht war. Auf der anderen Seite konnte er jetzt nicht gehen. Er hatte gerade gesagt, dass sie von jetzt an für ihn da sein wollten. Er konnte Harry jetzt nicht allein lassen. So lehnte sich Dumbledore zurück in seinen Stuhl und bot ihm leise seine Hilfe und das bisschen Trost, was er dem gebrochen Jungen geben konnte, an.
Harry weinte für etwas mehr als eine Stunde. Als er aufgehört hatte, legte er sich hin, rollte sich zu einer Kugel zusammen und schlief, ohne ein Wort zu sagen, ein. Dumbledore blieb, bis er sich sicher war, das Harry tief schlief. Er stand auf und gab ihm einen Kuss auf sein unordentliches, schwarzes Haar, bevor er ging, um dem Jungen ausruhen zu lassen. Madam Pomfrey war nicht in ihrem Büro. Sie kümmerte sich um einen Erstklässler, der sich wohl sein Knie aufgeschlagen hatte, als er eine Treppe hinuntergefallen war. Dumbledore sprach einen Unsichtbarkeitszauber und verließ die Krankenstation, ohne dass ihn jemand sah.
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Gute drei Stunden später waren Ron und Hermine auf dem Weg zu Krankenstation, statt sich zum Mittagessen in die Große Halle zu begeben. Als sie die Tür öffnete wurden sie von einer breitlächelnden Madame Pomfrey empfangen. Die beiden Gryffindors blicken sie erst verwirrt an, ehe sich ihr Blick in einen hoffnungsvollen wandelte. Madame Pomfreys Lächeln wurde noch breiter und sie nickte. Hermine und Ron tauschten einen Blick, ehe sie in ihr Büro und dort zu dem Bücherregal eilten, hinter dem Harrys Raum versteckt lag. Sie warteten ungeduldig, bis sich die Tür öffnete und rauschten in den Raum. Harry blinzelte. Kurz war Angst in seinen Augen zu sehen, ehe er errötete und schüchtern lächelte.
„Hallo, Ihr beiden.“, sagte er leise.
„Harry!“, schrie Hermine glücklich und rauschte auf ihn zu, während Ron, die Tür schloss. Als sie die Angst in Harrys Augen sah, stoppte sie wohlweislich an dem Stuhl vor seinem Bett und machte keine Anstalten ihn zu berühren. „Ich bin so froh, dass Du wach bist! Du hast einigen großartigen Unterricht verpasst.“
Ron rollte hinter Hermines Rücken mit seinen Augen und Harry lächelte. Ron grinste zurück. „Wie geht’s Dir, Kumpel.“
„Gut. Ich war nur ein wenig krank.“ Hermine und Ron wussten es besser, als ihm zu widersprechen. „Also, was habt ihr gelernt? Nicht zu lustiges, hoffe ich doch?“
„Nein.“, versicherte ihm Ron. „Dasselbe, wie immer. Aber da war dieser eine Zauber. Der war cool. Wir haben ihn heute gelernt.“
„Ja, das war lustig.“, stimmte Hermine zu. „Es spielt den persönlichen Song eines Menschen. Er wird sich nur dann ändern, wenn irgendetwas geschieht, was deine Persönlichkeit verändert, aber er verrät Dir wirklich viel über die Person.“
„Also, ich weiß ja nicht.“, grummelte Ron. „Es erscheint mir ein wenig willkürlich.“
„Du schämst Dich ja nur.“, lachte Hermine und knuffte ihn in die Schulter.
„Ja. Ich habe diesen Song noch niemals gehört.“
„Es ist ein Muggelsong. Aber ich finde, er passt zu Dir.“, grinste Hermine.
„Was für eins war es?“, fragte Harry neugierig. Zum ersten Mal, seit er aufgewacht war, fiel die Spannung von ihm ab.
„Erzähl es nicht!“, flehte Ron eine Freundin auf Knien an.
„Er wird es noch früh genug erfahren. Also kann er es auch heute hören.“, lachte sie und drehte sich mit funkelnden Augen zu Harry. Sie hob ihre Hände an ihre Wangen, so als würde sie ein Geheimnis erzählen und sprach dann in voller Lautstärke: „Es war ‚Pretty Fly for a White Guy’.“
Harry begann zu lachen. Hermine grinste stolz über ihre Vorstellung. Ron grinste sie ebenso aufgeregt an. Aber als er aufstand, sah er sie spöttisch an.
„Ooooh. Das bedeutet Krieg. Möchtest Du ihr’s hören?“, fragte Ron, woraufhin Harry nickte. „Es war so ein albernes Liebeslied. Ich weiß nicht, von wem es war, aber es hat sich irgendwie so angehört“ Ron räusperte sich und hielt sich eine Hand an den Hals, ehe er so hoch wie möglich sang: „In the arms of an angel, far away from here, from this star cold confusion and these endless nights that you fear. You were pulled from the wreckage of your silent reverie. In the arms of an angel, may you find some comfort here.”
Hermine verschränkte ihre Arme vor der Brust und warf ihren Kopf hochnäsig in die Luft. „Es war sehr schön. Hör nicht auf ihn, Harry. Mit seiner Stimme klingt jeder Song schrecklich.“
„Tritt nicht auf meinen Träumen herum, Miene.“, heuchelte Ron schmerzlich. „Du weißt doch, dass ich immer ein Rockstar werden wollte!“
Harry lachte ĂĽber die beiden. Er spĂĽrte, dass seine Vergangenheit und der schwere Nebel aus Angst und Verzweiflung nur noch leicht da war. Er war sich nicht sicher, wo er war, aber es interessierte ihn nicht, solange seine Freunde hier waren. Er war sich nicht mal sicher, welcher Tag heute war, oder wie er hier her gekommen war. Er konnte sich nicht mehr an viel aus diesem Sommer erinnern, abgesehen von diesem fruchtbaren Tag. Die Gryffindors sahen, Harrys langes Gesicht und versuchten ihren Freund von was auch immer es war abzulenken.
„Warum versuchen wir es nicht bei Dir?“, fragte Hermine und die grünen Augen sahen sie wieder an.
„Ich wette, es wird einer von diesen fantastischen Rocksongs, oder so was ähnliches.“, blinzelte ihn Ron spielerisch zu.
„Was auch immer.“, schüttelte Harry seinen Kopf.
„Ernsthaft.“, ermutigte ihn Hermine. „Es ist wirklich lustig.“
„Möchtest Du Malfoys Song hören?“, unterbrach Ron.
„Was?“, fragte Harry lächelnd. Er konnte jetzt schon sagen, dass es sich um etwas Lustiges handelte, wenn er von dem Gesicht seines Freundes ausging.
„Lass mich! Ich habe es nur einmal gehört. Es kann also sein, dass ich ein wenig vergessen habe.“, grinste Hermine und sang dann. Ihre Stimme war nicht perfekt, aber sie war um vieles besser, als Rons. „Winter winds have gone and faded…… I told the skies of thoughts of gray…... Tears upon my pillow laying, a child lost to pain…... I pray.. for better days…… Lift me up, lead me from this place… Let your love be a blessing on my face.” Hermine grinste und fuhr fort. “I’m rising up. I changed before your eyes. How does darkness –irgendwas- in the light?... ... Heaven hope come and change me... Out of ashes make me whole… Lift me up and recreate me.. and help me overcome.. myself… Lead me from hell...”
Harrys Lächeln schrumpfte, aber er sah verzaubert aus. Er fühlte sich, als war irgendetwas wichtiges passiert. Als würde sie ihm etwas Dringendes erzählen. Nein. Nicht Hermine. Es war, als würde Malfoy etwas sagen, wie, dass er das Geheimnis des Universums herausgefunden hätte und legte es nun in diesen Song, den Hermine sang.
Seine Augen wurden größer und sein Mund klappte auf, als Hermine sang. Die Wörter drangen in seinen Kopf. Ron machte im Hintergrund Musik und wurde schneller. Hermines Worte nahmen den Rhythmus auf und gab ihnen so mehr Gewicht.
“I’m rising up. I’m moving on… Give me strength to carry on… I feel the light upon my face…I hear the angel’s words of grace… My broken wings were meant to fly… You lift me up and justify… I’m standing up. I’m standing out… I feel the walls come crashing down…”
„Das war lustig.“, lachte Ron. „Du hättest sein Gesicht sehen müssen, als sein Song von einer süßen, weiblichen Stimme gesungen wurde.“
„An was denkst Du?“, fragte Hermine vorsichtig. Sie verstand nicht den Ausdruck in Harrys Gesicht.
„An nichts.“, schüttelten Harry seinen Kopf. „Du hast eine schöne Stimme.“
Hermine wurde rot und Ron kicherte. Sie schlug ihn auf den Arm und drehte sich zurück zu Harry. „Was denkst Du nun? Willst Du es versuchen?“
„Ich weiß nicht.“, Harry spielte nervös mit seiner Decke.
„Komm schon, Har.“, flehte Ron. „Es kann nicht schlimmer sein als meins.“
„Nur, wenn Du möchtest.“, versicherte ihm Hermine.
„Okay.“, gab Harry sich geschlagen, als Ron einen Hundeblick aufsetzte.
Hermine grinste und zog ihren Zauberstab. „Okay, Musica Anima.“
Der Zauber traf ihren Freund, aber ihr Lächeln erstarb beinahe sofort. Harrys Augen drehten sich in seinen Kopf und weißes Licht pulsierte um ihn herum, schlängelte und wand sich, wurde stärker und heller mit jeder Sekunde. Hermine keuchte und trat zurück, als Harry vom Bett abhob und etwa dreißig Zentimeter über dem Bett schwebte. Licht brach aus seiner Brust hervor und erhellte den Raum, wie ein großes Flutlicht und zur selben Zeit drang Musik aus ihm, laut und kraftvoll. Sie durchdrang das ganze Schloss und jeder in Hogwarts konnte sie hören.
Beinahe tausend Menschen erstarrten, als die Musik eines Klaviers ihre Aufmerksamkeit erregte. Da war kein anderes Instrument und da war auch keine Notwendigkeit für ein anderes. Es spielte langsam und elegant, floss wie Wasser dahin, war kraftvoll. Die Worte wurden von einem Engel gesungen. Sie klang dunkel und rau und irgendwie stieg sie gleichzeitig in die höheren Bereiche auf. Sie verschmolz mit dem Klavier, drang mit der tiefen Sehnsucht und dem schönen Schmerz, die die süße Stimme in ihren Tiefen verbarg, in die Herzen aller.
“I’ve been looking in the mirror for so long… But I’ve come to believe my soul’s on the other side… All the little pieces falling,.. shattered… Shards of me too sharp to put back together.. Too small to matter, but big enough to cut me into so many little pieces.. if I try to touch him. And I bleed…… I bleed…… And I breathe…… I breathe.. no more...”
Die Stimme flaute ab, und nahm jedes Herz mit sich, während das Klavier weiter spielte. Dumbledore sah sich in der Großen Halle um und sah einige Erstklässler, die an den Schultern der anderen weinen. Die älteren Schüler saßen mit geschlossenen Augen da, als der Song sie davontrug. Er fühlte jemandes Blick auf sich und schaute nach rechts, von wo aus ihn Severus anstarrte. Seine dunklen Augen zeigten ihm die Antwort. Oh, Merlin. Harrys Freunde mussten bei ihm den Zauberspruch angewendet haben, den sie an diesem Morgen gelernt hatten.
“Take a breath and I try to draw from that spirit’s mouth.. and yet again he refuses to drink like a stubborn child... Lie to me.. Convince me that I’ve been sick forever. And all of this will make sense when I get better… But I know the difference between myself and my reflection.. I just can’t help but to wonder… Which of us do you love?”
Die schallende Stimme verklang erneut und ließ das Klavier aufsteigen; ergreifend und schmerzhaft. Draco sah nicht länger die Große Halle. Er konnte nicht die Bank unter sich fühlen oder die hundert anderen um ihn herum hören. Alles, was er wahr nahm, waren die Worte, die seine Haut durchdrangen und durch ihn flossen, wie dunkles neues Blut.
Pansy hielt Gregs Hand fest umschlossen. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Vince umklammerte den Tisch so fest, das kleine Splitter unter seine Fingernägel und in seine Finger drangen. Er spürte es nicht. Blaise umklammerte die Brust über seinem Herzen. Ginny und Neville klammerten sich aneinander und wiegten sanft hin und her. Sie wussten, wessen Herz sie zuhörten und es tat ihnen weh. Oh, ihr armer, gebrochener Harry.
“So I bleed…… I bleed…… And I breathe…… I breathe no…Bleed… I bleed… And I breathe… I breathe… I breathe… I breathe… no more...”
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Rons Song: “Pretty Fly” von Off Spring / Hermines Song: “In the Arms of an Angel” von Sarah Mclaghrin / Dracos Song: “In the Light” von Full Blown Rose / Harrys Song: “Breathe No More” von Evanescence.
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