von SaphiraMalfoy
oder
Warum gibt es in Hogwarts kein Soziale-Kompetenzen-Training?
Das dritte Schuljahr zieht genauso belanglos an Cecilia vorbei wie die Jahre zuvor. Die Blätter fallen von den Bäumen wie sterbende Träume, werden von einer dicken Schneeschicht bedeckt und sind auf magische Weise verschwunden, noch bevor das Eis taut und die ersten Strahlen der Frühlingssonne nicht nur die Natur, sondern auch die Schüler aus ihrer Winterstarre erwecken.
Sehr zu Cecilias Bedauern hat ihre kurzweilige Komplizenschaft nichts an Regulus` distanziertem Verhalten ihr gegenüber verändert, ganz im Gegenteil. War er zuvor lediglich offenkundig desinteressiert an der jungen Steel, so scheint er sie nun zu meiden wie die Katze das Wasser. Doch die negative Korrelation zwischen dem Grad der Beachtung, welche er ihr nicht schenkt, und der wachsenden Gewissheit, sich zu dem geheimnisvollen Jungen hingezogen zu fühlen, steigt mit jedem Monat, der ins Land streicht, weiter an.
Noch dazu schwirrt seine Cousine Narzissa unablässig um ihn herum wie eine Motte ums Licht - wenn diese sich nicht gerade von Lucius Malfoy einlullen lässt -, was eine Annäherung ohne Publikum schier unmöglich erscheinen lässt. Sich der Gruppe um ihn herum anzuschließen, ein wenig belangloses Geplauder auszutauschen, liegt nicht in Cecilias begrenztem sozialen Fähigkeitsspektrum, also belässt sie es dabei, ihn aus der Ferne zu beobachten und glaubt tatsächlich, absolut niemand wisse, was in ihr vorgeht. Genau genommen gibt es nur eine Person, die Cecilias Sehnsucht durchschaut, sich allerdings nicht weiter dafür interessiert.
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Ein weiteres Jahr vergeht, in dem sie nur Bella gehört (der ruhige Pol dieses ungleichen Zusammenschlusses zweier freiwilliger Außenseiterinnen ist, den man vielleicht als Freundschaft betiteln kann), keine Ambitionen zeigt, ihren Bekanntschaftshorizont zu erweitern, ehe Cecilia den Mut zusammen nimmt, Regulus Black anzusprechen.
Das aufgeschlagene Zauberkunstlehrbuch auf dem Tisch vor sich ignorierend, sitzt er spät abends alleine an einem der Kamine im Gemeinschaftsraum der Slytherins und starrt mit leerem Blick in die allmählich erlischende Glut, in der zerberstende Holzscheite kleine Aschewolken aushusten wie ein sterbendes Ungeheuer.
„Guten Abend, Regulus“, begrüßt sie den Schwarzhaarigen mit sanfter Stimme, welcher perplex zu ihr aufsieht; die Spiegelung des Feuers lodert noch immer in seinen wässrig-blauen Augen.
Einen Moment lang ist Cecilia von seinem intensiven Blick wie gelähmt, ehe sie tief Luft holt und fragt:
„Du bist doch ziemlich gut in Zauberkunst, nicht wahr?“
Ein sehr zögerliches Schulterzucken ist alles, was sie zur Antwort erhält. Es ist, als habe sich seine Reaktionszeit den beiden Schildkröten angepasst, die er quasi dauerhaft mit sich herumschleppt und von denen eine nun träge über den Tisch tapert, während die andere den Kopf aus seiner Tasche streckt, ohne auch nur den Hauch eines Anzeichens dafür zu geben, daraus hervorkriechen zu wollen.
„Würde es dir etwas ausmachen, mir bei der Hausaufgabe für Flitwick zu helfen? Ich habe einen Absatz in dem Buchkapitel noch nicht richtig verstanden“, lügt sie, weil ihr nichts Besseres einfällt und weil sie schlichtweg nicht weiß, wie man ein unverfängliches Gespräch beginnt.
Misstrauisch hebt Regulus eine Augenbraue und mustert sie eingehend, ehe er tonlos antwortet:
„Ich bin so gut wie durch. Schreib einfach ab.“
Mit diesen Worten kramt er seine Habseligkeiten zusammen, wirft Felder und Lehrbuch in die lederne Schultasche, greift nach seiner Schildkröte und hält Cecilia eine vollgekritzelte Pergamentrolle hin.
Der Stachel der Enttäuschung frisst sich unbarmherzig durch ihr Fleisch, doch das einstudierte Lächeln, welches Cecilia ihm schenkt, verrät nichts von ihren wahren Gefühlen.
„Danke, das ist sehr nett“, haucht sie und nimmt den Aufsatz an sich, obwohl sie gerade aus der Bibliothek kommt, wo sie ihren eigenen längst vervollständigt hat. Doch sich noch lächerlicher zu machen, indem sie dies zugibt, steht außer Frage.
Zwei Tage später lässt sie ihm seine Aufzeichnungen per Eule wieder zukommen, traut sich nicht, ihn noch einmal zu behelligen, doch fügt eine Notiz bei, in welcher sie ihm herzlichst dankt und anmerkt, ihn zur Entschädigung gerne am nächsten Hogsmeade-Wochenende auf einen Kaffee einladen zu wollen.
Eine Reaktion bleibt er ihr schuldig. Und so gibt Cecilia auf. Legt das obsessive Schmachten für diesen Jungen, in das sie sich viel zu lange schon hereingesteigert hat, ad acta. Vorläufig.
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Mit mäßigem Erfolg versucht Cecilia die ihr widerfahrene Kränkung von sich zu schieben, indem sie sich bewusst macht, dass Regulus Black zwar zahlreiche lockere Bekanntschaften pflegt, doch niemanden wahrhaftig an sich heranlässt. Der Umgang zu den Mitschülern ihres Hauses bewegt sich auf einem seichten Spektrum zwischen höflicher Neutralität und spöttischen Witzeleien; einzig seine Cousine Narzissa scheint eine engere Bindung zu ihm zu genießen und ein paar Monate lang ist unverkennbar, wie hoffnungslos Regulus Narzissa hinterhersabbert. Mit ihrer natürlichen Leichtigkeit und diesem unbefangenen Frohmut verdreht die Blondine den Kerlen reihenweise den Kopf, was ihr Dank ihrer Naivität selbst jedoch vollkommen entgeht. Tatsächlich durchschaut sie nicht, dass die meisten nichts anderes im Sinn haben, als ihr süßliches Lächeln in eine lustvoll verzerrte Miene zu verwandeln, ihr nur an die Wäsche wollen.
Theoretisch tangiert Cecilia dieser Umstand peripher, doch die Erkenntnis, dass selbst Regulus auf diese widerwärtige Jedermanns-Liebling-Masche anspringt, verabscheut sie zutiefst.
In Narzissa Blacks Universum hingegen ist nur ein einziger junger Mann von Bedeutung. Lucius Malfoy hat die Kleine in der Hand; die Verlobung gleicht nur mehr einer Formalität, welche in nicht allzu ferner Zukunft sicherlich in abscheulichem Kitsch gebührend zelebriert werden wird.
Als Cecilia zu einem Abendspaziergang aufbrechen, die milde Frühlingsluft auf ihrem Gesicht spüren und endlich mal wieder vor die Tore des Schlosses kommen möchte, stolpert sie fast in die beiden Turteltauben hinein, die am Fuße der Treppe zu den Mädchenschlafsälen leise miteinander tuscheln und sich in fast schon niedlicher Unschuld mit züchtigem Händchenhalten und tiefen Blicken begnügen, anstatt in wilder Leidenschaft zu zergehen.
Ohne dem weitere Beachtung zu schenken bewegt sich Cecilia auf den Ausgang zu, indes ihr Blick auf Regulus fällt, der auf der Kante eines Sessel ganz in der Nähe hockt und seine Aufmerksamkeit nicht von dem Liebespärchen abwenden kann. Etwas sehr Düsteres funkelt in seinen Augen, für das Cecilia nicht einmal ein Wort findet. Hass wäre nicht genug. Wut klingt so banal. Es hat etwas Beängstigendes an sich, lässt sie innehalten und ihren Plan vergessen.
Mit bebenden Händen massiert der Schwarzhaarige seine Schläfen, scheint einen erbitterten Kampf mit sich selbst auszufechten und Cecilia hält es nicht für unwahrscheinlich, dass er jeden Moment aufspringen und Lucius an die Gurgel gehen könne … Wie er es mit Sirius getan hat. Damals. Als sie für ihn gelogen hat. Was war der Dank? Nein, er hatte sie nicht darum gebeten, sie hatte es freiwillig getan. Er ist ihr nichts schuldig. Oder doch?
Verwirrt blinzelt sie, als Regulus tatsächlich hochschnellt, doch nicht wie erwartet auf Malfoy losstürmt, sondern raschen Schrittes, fast rennend den Raum verlässt.
Jäh erinnert Cecilia sich daran, dass sie selbst frische Luft hatte schnappen wollen, hält nun jedoch nicht mehr an ihrem Vorhaben fest, verwirft den Plan, will nicht den Verdacht erwecken, Regulus nachzustellen.
Seufzend wendet sie sich um und geht zurück in den Schlafsaal, im Stillen verärgert, sich noch immer derart von Regulus Black beeinflussen zu lassen.
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Das vierte Schuljahr Cecilias neigt sich dem Ende zu und somit brechen auch die letzten Hogwarts-Wochen ihrer einzigen Bezugsperson Bellatrix an, die immer weniger Parallelen zu ihr aufweist (als wären sie sich jemals in irgendeiner Weise ähnlich gewesen …), sich nun vollständig der Gruppe von Schülern zugetan hat, die den berüchtigten dunklen Magier, dessen Popularität von Tag zu Tag zunimmt, wie eine Götzenfigur verehren.
Cecilia schert sich nicht darum, teilt die Ideale, doch nicht den Fanatismus, und verspürt kein Verlangen, es der einst stetigen Gefährtin gleichzutun.
Sich auf ihre Lektüre zu konzentrieren erscheint im überfüllten Gemeinschaftsraum unmöglich, dennoch versteckt sie sich hinter dem schweren Wälzer, während sie das Gespräch zwischen Regulus und Narzissa belauscht - nicht, weil es sie interessiert, sondern weil sie keine andere Wahl hat, so laut wie Narzissa ihrem Cousin ihr Herzeleid klagt.
„Ich liebe ihn wirklich sehr, aber manchmal … Ich weiß auch nicht so recht, manchmal werde ich unsicher, frage mich, ob ich das Richtige tue. Es ist töricht, nicht? Ich habe überhaupt keinen Grund zu zweifeln, und doch …“, plappert Narzissa in einem fort und gibt sich damit zufrieden, dass Regulus keine Stellung bezieht, ihr Gejammer lediglich neutral abnickt. Seine glühende Begeisterung für Narzissa scheint rapide nachgelassen zu haben, wie Cecilia erheitert feststellt, obgleich sie beschlossen hat, keine emotionale Energie mehr auf den Jüngsten der Blacks zu verschwenden.
„Ich weiß, ich weiß, die meisten normalen Mädchen würden ihr Augenlicht dafür geben, einmal Malfoy Manor zu sehen, doch ich zweifle daran, ob ich Lucius wirklich heiraten und Herrin dieses unglaublichen Anwesens werden soll?“
„Ich denke, das wäre der Sache nicht sehr dienlich“, erwidert Cecilia trocken und ohne den Blick von ihrem Buch zu heben.
„Bitte?“, stößt Narzissa spitz aus und mustert Cecilia entgeistert, die für gewöhnlich kein Wort mit ihr spricht.
„Sein Augenlicht herzugeben, um etwas zu sehen ist … nun ja, sagen wir: kontraproduktiv“, erklärt Cecilia mit schleppender Stimme und verdreht die Augen.
Regulus, der den Einwurf auch ohne nähere Erläuterung verstanden hat, grinst schief und nickt amüsiert. Für die Dauer eines Herzschlags treffen sich ihre Blicke, ehe Regulus die Schultern zuckt und seine Gesichtszüge entspannt, keinerlei Gefühlsregung mehr preisgibt.
„Das ist nicht komisch, Reggie“, rügt Narzissa ihren Cousin mit vorwurfsvoller Miene, doch dieser scheint ihr nicht zuzuhören, starrt plötzlich ausdruckslos ins Leere, ohne irgendetwas um sich herum wahrzunehmen. Kein weiteres Wort verlierend lässt Cecilia die beiden alleine und Narzissa plaudert weiter, als habe diese Unterbrechung nie stattgefunden.
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Je näher der Sommer rückt, desto heftiger sprudeln die Hormone der jungen Magier über. Schrilles Gelächter schallt über die Flure, und einige besonders schamlos gewordene Mädchen springen sogar vor den lüsternen Augen ihrer männlichen Mitschüler halbnackt in den Schwarzen See. Manchmal nimmt Cecilia Anstoß am freimütigen, wilden Gebaren einiger Reinblüterinnen, doch zumeist lässt sie all dies kalt. Nichts berührt sie, nichts weckt ihre Sinne außer dem Gedanken an Regulus, dabei ist und bleibt dieses Gefühl von höchst merkwürdiger Natur. Unbestreitbar hegt sie eine latente Obsession für ihn, doch sind ihre Gefühle mehr hypothetischer Art.
Noch sehnt Cecilia sich danach, ihr Herz zu verlieren (oder wenigstens ansatzweise nachvollziehen zu können, was ihre Mitschülerinnen derart aus der Rolle wohlerzogener, sittsamer Töchter fallen lässt). Dass sie recht bald in eine Liebschaft hineingezogen werden soll, welche eine weitaus größere kognitive Dissonanz bezüglich ihrer moralischen Wertvorstellungen auslösen wird, ahnt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
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