von HannaLuisa
Die Nacht war bereits hereingebrochen, als die drei Grangers erschöpft doch zufrieden zuhause eintrafen. Aufgeregt sprang Hermine den Eltern voraus in den Garten, blieb ungeduldig im Tor stehen und beobachtete die Rücklichter von Mrs Ports Wagen, die gerade in der nächsten Seitenstraße verschwanden.
„Gib es zu“, rief Mr Granger und lachte, „du hast mich nur gebeten, mitzukommen, um beim Schleppen zu helfen.“ Einen Karton unter den Arm geklemmt und vier weitere Tüten in den Händen, hatte er sichtlich Mühe, den kurzen Weg zu bewältigen. Mrs Granger lächelte verschmitzt, warf ihrem Mann eine Kusshand zu und hakte sich bei Hermine unter.
Vielleicht lerne ich mal, die Sachen schweben zu lassen, grübelte Hermine, zog ihrer Mutter die Schlüssel aus dem Mantel und öffnete die Haustür. Schnaufend trat Mr Granger ein, stellte Tüten und Päckchen erleichert ab und warf sich wohlig seufzend auf das Sofa.
„Viel besser“, brummte er. Mrs Granger öffnete eine Flasche Wein, doch Hermine indess stieg unruhig von einem Bein auf das andere, begehrliche Blicke zwischen dem Eingekauften und ihren Eltern werfend.
„Lauf schon.“ Mrs Granger lachte. „Du kannst es ja doch nicht erwarten.“ Das musste sie nicht zweimal sagen. Hermine umarmte ihre Eltern, nahm sich das Schwerste der Päckchen und eilte so schnell ihre Füße sie trugen ins Kinderzimmer. Ohne viel Federlesen nahm sie das Mathe-, Sachkunde-, und Geographiebuch aus dem Regel, legte es in die unterste Schublade des Schreibtischs und füllte die Reihe mit den vielen Büchern, zu deren Kauf sie ihre Eltern überedet hatte. „Schließlich muss ich doch wissen, wie diese Welt so ist“, rief sie stets, was sie in den Besitz von Quidditch im Wandel der Zeiten, eine Geschichte von Hogwarts und drei anderen Büchern gebracht hatte, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Unterricht standen. Zärtlich strich sie über den Einband von Zaubertränke und Zauberbräue, legte sich aufs Bett und begann zu lesen.
„Na du Nachteule, bist du noch immer nicht müde?“ In seinem gestreiften Schlafanzug, die Brille bereits abgezogen, spähte Mr Granger mit leicht zusammengekniffenen Augen zu Hermine.
„Hmm“, brummte diese.
„Hast du schon deine Zähne geputzt?“
„Jjj… ein.“
Mr Granger kam zu ihr, streckte den Arm aus und rief energisch: „Abmarsch!“
„Daddy“, Hermine sah ihren Vater mit großen Augen an, „wusstest du, dass die Zauberer ein Mittel herstellen können, mit dem man wieder nüchtern wird?“
„Nein, und ich möchte, dass du jetzt die Zähne putzt.“ Eifrig blätterte Hermine weiter.
„Oder dass sie einen Sud brauen, der als „Trank der Lebenden Toten“ bezeichnet wird?“
„Wirklich?“ Nun hatte sie das Interesse ihres Vaters doch geweckt, er setzt sich auf ihr Bett und beugte sich über das Buch.
„Beeindruckend“, murmelte er begeistert, „was ich da alles an Anästhetika sparen könnte...“ Er nahm das Buch auf den Schoß und begann zu lesen. Hermine grinste.
„Nur die Zutaten“, murmelte er nach einer Weile, „kannst du sowas herstellen?“
„Klar, sonst stünde es doch nicht im Schulbuch“, erwiderte sie selbstbewusst.
„Schatz, wo bleibst du denn?“ Schuldbewusst erwiderte Mr Granger den Blick seiner Frau, die sie beide mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.
„Hermine, deine Zahnbürste ist noch trocken, ab jetzt.“
„Sage ich doch die ganze Zeit“, bekräftigte ihr Mann und schwer seufzend kroch Hermine aus dem gemütlichen, warmen Bett und tappste ins Badezimmer.
In den nächsten Tagen bekamen ihre Eltern Hermine kaum noch zu sehen. Ein Machtwort ihrer Mutter war nötig, damit Hermine wenigstens zu den Mahlzeiten die Bücher beiseite legte, ansonsten verbrachte sie einen Großteil des Tages auf dem Liegestuhl neben dem Froschteich, links und rechts einen Bücherstapel.
„Lies doch ein Buch nach dem Anderen“, schlug Mrs Granger vor, als sie Hermine eine Limonade brachte.
„Es wird hin und wieder auf andere Bücher verwiesen“, erklärte die Zehnjährige ernst. „Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, ist es ganz praktisch, direkt nachlesen zu können.“ Sanft strich die Mutter ihr über das Haar. „Wie dein Vater“, meinte sie und zog einen Mundwinkel nach oben. „Der war auch so ein Bücherwurm… Nein, ist. Vielleicht nicht mehr ganz so wie früher.“ Verträumt glitt ihr Blick zu den Brombeersträuchern, Hermine legte das Buch beiseite und sah ihre Mutter neugierig an.
„Ich wünschte, ich dürfte jetzt schon Zaubern“, brach es dann aus ihr. „Ich meine so richtig, mit Zauberstab. Aber der liegt nur auf dem Regal und es dauert noch sooo lange.“
„Wozu? Du brauchst den Stab doch nicht mal. Heute morgen mit der Marmelade, das warst doch du.“ Hermine kicherte zögernd.
„Aber noch bekomme ich dafür keinen Ärger. Das sind dann die letzten Ferien, wo sie es noch durchgehen lassen.“
„Praktisch ist es ja“, räumte Mrs Granger ein, „sonst hätte ich heute noch ein Glas kaufen müssen. Dein Vater lässt ja nichts anderes als Kirschmarmelade auf sein Brot und ich hätte schwören können, dass im Vorratsschrank noch ein Glas steht. Wie auch immer“, sie sah auf die Uhr, „in einer halben Stunde gibt es Abendessen.“
Mrs Granger erhob sich, Hermine sprang ihr hinterher. „Es gibt eine Sportart auf Besen. Quidditch heißt die“, erzählte sie begeistert. Ihre Mutter nickte abwesend.
„Da gibt es sogar fliegende Bälle, die Spieler abschießen.“
Mrs Granger lächelte ihr traurig zu.
„Was ist denn?“
Ratlos hob die Mutter ihre Schultern. „Ich habe mir vieles anders vorgestellt, Minnie. Dass du irgendwann, in frühestens acht Jahren ausziehst. Jetzt verändert sich von Heute auf Morgen unser ganzes Leben. Alles wird auf den Kopf gestellt. Du sollst plötzlich auf ein Internat gehen, wo wir dich gerade einmal in den Ferien sehen.“ Sie setzte sich auf die Eckbank und stützte das Gesicht mit beiden Händen ab.
„Ich verstehe deine Vorfreude, aber… Ich werde dich so vermissen.“ Bedrückt biss sich Hermine auf die Lippe. „Es gibt zwei Welten, die uns trennen, egal, wie man es betrachtet“, murmelte die Mutter. Ihre Stimme verlor sich und Hermines Augen begannen zu brennen.
„Meinst du, ich soll nicht nach Hogwarts?“, fragte sie zaghaft. Die Mutter schüttelte den Kopf.
„Nein“, antwortete sie mit fester Stimme. „Ich habe lange mit Mrs Port gesprochen… Sie sagt, du würdest hier nicht glücklich. Und sie denkt über ein Projekt nach, indem sich wir Muggel-Eltern...“ Hermine kicherte, „...austauschen können. So wie mir geht es ja scheinbar recht vielen.“ Sie klang schon wieder munter und Hermine nickte erleichtert.
In dieser Nacht fand Hermine lange keinen Schlaf. Die Worte der Mutter, die Gewissheit, in ein Internat zu ziehen, welches sich noch dazu in einer völlig fremden Welt befand, beschäftigten sie.
Doch der Gedanke an die vielen Bücher, die heimlichen kleinen Zaubereien, die Vorstellung, echte Freunde zu haben, ließ ihr Herz vor Freude schneller schlagen. Sie zog die Beine an den Bauch und schloss die Augen. Freunde. Was für ein wunderbares Wort, das wie Musik in den Ohren klang.
Selig lächelnd schlief Hermine ein.
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Anhören könnt ihr euch das Kapitel hier:
https://www.youtube.com/watch?v=9N0WkuiT6Mc
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