
von Assur-bani-apli
Ich sagte damals aus tiefster Seele Ja vor dem Standesamt und später in der Kirche und nahm sie mit mir in die Abgeschiedenheit eines kleinen Fischerdorfes an die Ostsee, in dem wir uns mit nichts weiter als einem abgeknickten Stab in der einen und einer beim Bäcker nebenan besorgten Hochzeitstorte in der anderen, ein gemeinsames Leben aufbauten. Den Stab schmissen wir nach einer Weile weg. Weder meine Frau noch ich wussten, wie und wo wir ihn erhalten hatten. Er sah kümmerlich aus, gerade wie ein dürrer Zweig, der sich noch nicht einmal in einer Vase wohlfühlen wollte, geschweige denn in unseren Händen. Es ist bisweilen seltsam, was man auf seiner Reise so alles mitschleppt. Wie viel Ballast, wie viel Unrat, von dem man im ersten Moment überzeugt ist, man bräuchte ich noch. Aber wozu sollte uns dieser abgeknickte und vollkommen abgegriffene Stab nützen? Meine Frau und ich hatten viel Freude aneinander und genossen unsere Zweisamkeit, wie es eben zwei sich Liebende zu tun pflegen. Das Leben schien uns gewogen.
Und die Träume, aus denen ich bisweilen des Nachts vom Schweiße durchnässt gleich einem jungen Athleten hochsprang und noch während des Erwachens das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, konnte ich stets mit einem kühlen Schluck klaren, kalten Wassers hinwegspülen, um mich dann, nach einiger Zeit des Auf- und Abgehend wieder neben meine engelsgleich schlummernde Frau zu betten.
Wurde es mir in meinem Inneren doch einmal zu laut – ich würde lügen. Sagte ich, dass dies nicht auf jeden Menschen hin und wieder zutrifft – stellte ich die Musik in meiner Umwelt umso lauter:
Am Anfang, kurz nach unserem Zuzug, gingen wir auf Dorfparties, hörten längst vergessene Schlager und Hits, tanzten dazu auf den Tischen, kurz, ließen unsere Jugend sprechen. Und, auch wenn ich nicht mehr der Jüngste bin, so kann ich doch sagen, dass ich mit meiner Frau mithalten kann. Und das muss ein Mann können, wenn er sich eine über 20 Jahre jüngere Frau aussucht und ehelicht. Später nahmen wir von diesen Parties Abstand und fanden uns als gute Christenmenschen des Sonntags um 10 und während der Ferien um 11 Uhr in der Katholischen Kirche unseres Dorfes wieder. Ich begann mich in der Gemeindearbeit zu engagieren – zuerst als Glöckner und an Feierabend im Posaunenchor. Hierfür hatte ich mir eigens eine kleine exquisite D-Trompete anfertigen lassen, die, da ich schnelle Fortschritte machte, mit ihrem klaren Klang bald jedermanns Sinne betörte, gerade, als wäre ich ein Magier. Bach hatte mir sprichwörtlich die Hand gereicht und mich gefragt, ob ich nicht gewillt sei, die Trompeten-Soli in seinem imposanten und über die Grenzen des Landes hinaus bekannten Weihnachtsoratoriums zu spielen. Leider lebt Bach nicht mehr. Wir hätten unsere Freude aneinander gehabt.
Bisweilen schrieb ich einige Zeilen in mein Tagebuch, übte mich auch im Schreiben von Geschichten, kam jedoch über den Anfang nie hinaus, da sich mir die Charaktere immer dann entzogen, wenn ich sie richtig fordern wollte.
Meine liebliche Frau hütete derweil das Haus, putzte die Fenster, kochte das feinste Essen und kümmerte sich aufopferungsvoll um unseren mit Obstbäumen reich bepflanzten Garten, der uns an lauschigen Sommerabenden einen träumerischen Blick auf die spiegelglatte Ostsee gewährte.
Wenn man uns fragte, warum wir hierher gekommen seien, da das Land nur im Sommer schön und paradiesisch, die Mehrheit des Jahres jedoch äußerst karg und auf das Gemüt drückend, die Winter entsetzlich lang, kalt und finster, die See überaus unberechenbar und rau sei, erwiderten wir, gerade deshalb, weil das den Zauber dieser Insel ausmache und wir hier unser gemeinsames Leben beginnen wollten.
Das Misstrauen gegenüber Fremden – zumal wir auf einer kleinen, westlich von Rügen liegenden Insel lebten und also in eine, den natürlichen Grenzen geschuldete, bisher von jeglichen Fremdeinflüssen weitestgehend verschonte und abgeschiedene Gemeinschaft eintraten – wurde durch das wachsende Vertrauen in unsere Beteiligung am Inselalltag und schließlich in unsere Arbeit wieder wettgemacht. Ich stelle jedoch fest, dass diese Leute nicht sehr großzügig, eher verschlossen und distanziert waren. Sie gaben nicht gerne, schon gar nicht, wenn der Bittende nichts als Gegenleistung bereit hielt. In der christlichen Gemeinschaft aber zeigten sie sich etwas freundlicher und öffneten sich, da sie es als ihre Pflicht ansahen. Hinzu kam unser ehrliches, höfliches und obendrein offenes Auftreten. Beides verhinderte, dass wir mit dem Stigma des andersartigen Fremden versehen wurden. Außerdem besitze ich einige Kenntnisse im Bereich Heilkunde, da ich mir, meinem Wissensdurst geschuldet, zahlreiche Bücher über die Wirkung von Kräutern und deren Anwendung durchgelesen hatte und hochwirksame Tees zu kredenzen vermochte. Sie stehen alle fein säuberlich nebeneinander in einem der Regale meiner Bibliothek und dienen mir noch immer, da ich mich nun als einen, man mag mir meinen Freude und meinen Stolz nicht als Überheblichkeit auslegen, den fähigsten Heiler dieser Insel nennen darf. In Zeiten der zunehmenden Industrialisierung, der damit einhergehenden Bedrohung des Menschen durch die Umweltverschmutzung einerseits und dem wachsenden Missbrauch von chemisch hergestellten Medikamenten und Präparaten andererseits, bestand ein großer Bedarf an homöopathischen Behandlungsmaßnahmen. Dadurch kamen wir den hiesigen Menschen näher und betraten allmählich einer aus christlichen Mythen und Mädchen bestehende Welt, die auch unser Denken mehr und mehr durchdrang. Da ich schnell lernte, wusste ich, dass der katholischen Lehre folgend, Maria als himmlische Königin, die der irdischen Gewalt wegen blutige Tränen vergoss, verehrt wurde. Ihre Tränen besaßen heilende, wenn nicht sogar segnende und schützende Kräfte.
Viele meiner Patienten betrachteten mich bald als Freunde. Eines Tages wurde ich sogar für den Gemeindekirchenrat vorgeschlagen. Ich befürchtete jedoch, dass dieses Ansinnen auf das Konto einiges älterer Frauen, die dieser Versammlung schon einige Jahre lang beiwohnten, ging, denn während des Gottesdienstes, speziell beim Abendmahl vor dem Altar hatte ich bemerkt, dass sie ein allzu verträumtes Auge auf mich warfen. Um zu verhindern, dass sie sich, ihre christliche Anmut vollkommen vergessend, selbst bloßstellten, lehnte ich das unsere vollständige Integration bezeugende Angebot mit dem Verweis auf meine mangelhaften Deutschkenntnisse freundlich, aber bestimmt ab. Fernerhin deutete ich an, dass ich Gott auch in anderen Kreisen, wie etwa dem Posaunenchor, dienen könne. Über meine Demut hoch erfreut, ernannte mich der Priester zum Ehrenmitglied des Ältestenrates. So kam ich vom Regen in die Traufe.
Jeden ersten Donnerstag des Monats ab 19 Uhr musste ich nun, in manches Mal mehrstündigen Sitzungen bis dato unbekannte Scherze und Neckereien ältlicher Jungfern über mich ergehen lassen, während der Priester wohlgemut über Glaubensfragen referierte und von all diesen, sich meist unter dem Tisch abspielenden, Szenen natürlich nie etwas mitbekam.
Bisweilen, das sei meinem unbändigen Forschergeist und meiner Philanthropie geschuldet, reagierte ich auf ihre, wenn auch stummen, Bitten und erntete dafür ein überaus schnurrendes Seufzen aus alternden Kehlen, das dem betagten Priester nunmehr als Ausdruck höchster Frömmigkeit galt, da er – wie er mir einmal mit einem Augenzwinkern auf seine Frauen erklärte – annahm, sie würden, seit ich erschienen sei, selbst hier, im Gemeindehaus Jesu Hilfe zum Wohle der Kirche erflehen. Dadurch ließen sie ihm ein wenig Zeit, sich um gravierendere Probleme in der kleinen Gemeinde zu kümmern. Selbstredend saßen sie jeden Sonntag fein herausgeputzt vor der Kanzel und widmeten sich den Jesu preisenden Worten des Priesters mit einer allzu großen Hingabe, dass sie die Predigt im Nachgespräch nicht fähig waren zu diskutieren. Stattdessen fanden sich vor des Priesters Nase einige süße Leckereien, die dieser mit solch einer Hingabe genoss, dass er der fleischlichen Versuchung, die ihm in Form überaus üppiger und tiefausgeschnittener Dekolletés darbot, nicht mehr bedurfte. Und ich verstand nun vollends, dass auch er diesem Wunsche, mich in den Gemeindekirchenrat zu berufen, angehangen hatte, denn alsbald nach meinem Erscheinen war ich es, dem Köstlichkeiten wie einem Kultbilde dargebracht wurden.
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