von SynthiaSeverin
Untitled
„Gut, dass du gleich kommen konntest“
Narzissas Stimme vibrierte. Sie rieb sich fröstelnd über die lachsfarbenen Ärmel des Seidennachthemds und sah Severus mit aschfahler Mine an, als er aus dem Kamin stieg. Mürrisch erwiderte er ihren Blick. Es war Mitternacht vorbei; er hatte einen stressigen Tag hinter sich, an dem ihn der Dunkle Lord mit Wurmschwanz im Gepäck durch die halbe Weltgeschichte gejagt hatte und durfte eben noch eine Ratte davon abhalten, sich ins Flohfeuer zu stürzen. Severus konnte sich gerade einen schöneren Ort vorstellen - ein warmes Bett vielleicht - und war nicht unbedingt angetan davon, dass Narzissa ihn von dort weggeholt hatte. Doch sie hatte sich ernst angehört, als sie ihn bat, in die Malfoy Manor zu kommen.
„Was gibt es, dass du mich unbedingt um diese Uhrzeit sprechen musstest?“, knurrte Severus ungehalten und sah sich im nächtlichen Salon um. Fast eine Woche war er nicht mehr hier gewesen, weil Aufträge sowohl von guter wie böser Seite ihn zu sehr in Atem gehalten hatten, um sich noch um diesen Fall zu kümmern. Genug Zeit, um die gefährlichen Gefühle und die sonderbaren Schwierigkeiten zu verdrängen, die unter diesem Dach auf ihn lauerten und ihn jetzt aus dem Hinterhalt überfielen. Die Haare in seinem Nacken waren aufgerichtet.
Narzissa zögerte.
„Die Unsägliche“, setzte sie an.
„Was ist mit ihr?“, Severus war ungeduldig.
„Sie ist abgehauen“.
Die Worte schienen am Marmor des Salons widerzuhallen, ehe sie ihren Eingang in Severus` Kopf fanden. Augenblicklich wandte er sich zu Narzissa um, deren Miene nun ein Spiegelbild seiner eigenen Blässe sein musste. Die Überraschung, die seine Brust zusammenpresste und seine Augen übergehen ließ, versagte ihm fast die Worte.
„Was?!?“, keuchte er erstickt.
Narzissa nickte und für einen Moment lang herrschte Stille.
Die neuen Informationen aufnehmend, überschlug Severus, was dies für seine Mission bedeutete. Er hatte mit vielem gerechnet, als Narzissa von einem Notfall sprach. Sogar damit, dass Falls in seiner Abwesenheit unerwartet das Zeitliche gesegnet hatte, ohne einen Tropfen vom Trank der Lebenden Toten. Doch dass sie einen Weg gefunden hatte, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, kam selbst für ihn unerwartet. Für einen Augenblick gab sich Severus der Hoffnung hin, dass sich das Problem damit von selbst gelöst hätte. Bestimmt war Falls längst in ihre eigene Wohnung appariert, gönnte sich ihr erstes Nickerchen in Freiheit und brauchte keinen Doppelagenten, der sie rettete. Er würde sie nie wiedersehen und konnte die ganze Geschichte einfach vergessen. Doch schon in der nächsten Sekunde kamen Severus Zweifel: Nein, so leicht war die Sache gewiss nicht abgehakt. Das Schicksal hasste ihn zu sehr, um ihn einen kampflosen Triumpf zu gönnen.
„Wie ist das passiert?“, fragte Severus um endlich dieses unangenehme Schweigen zu durchbrechen. Ein Hauch von Schamensröte erschien auf Narzissas Wangen.
„Draco“, sagte sie knapp. Severus runzelte die Stirn.
„Draco?!?“
„Ich wollte mir nur ein Glas Wasser holen“, erklärte Narzissa und holte tief Luft, „Da erwischte ich sie grade mit der zerbrochenen Flohpulverdose hier im Salon. Sie rannte zu schnell davon, um sie noch aufzuhalten. Ich bin sofort runter in die Kammer und konnte gerade noch Ollivander aufhalten im Flur zu disapparieren. Dann fand ich ihn bewusstlos auf dem Fußboden. Er erzählte mir später, dass er versucht habe, Legilimentik bei ihr anzuwenden, so wie er es sich von Bellatrix abgeschaut hatte. Offensichtlich muss sie ihn dabei irgendwie überwältigt und geschockt haben.“
Severus biss grimmig die Zähne aufeinander und warf einen Seitenblick auf ein brandneues Exemplar von ?Im Angesicht des Gesichtslosen`, das auf einem der Samtsessel lag. Keine Plage war schlimmer als Schüler, die ihre Fähigkeiten überschätzten. Zumindest seinem Lieblingsschüler hätte er bisschen mehr Gripps zugetraut statt als Anfänger seine Kräfte mit einer erfahrenen Okklumentikerin zu messen. Er hatte sich geirrt.
„Und wo ist er jetzt, dein Wunderknabe?“, schnaubte Severus ohne sich die Mühe zu machen, seinen Ärger über Dracos Hybris zu verbergen.
„Im Wald“, antwortete Narzissa knapp und fuhr erst nach einem weiteren Stirnrunzeln seinerseits fort, „Ich hab ihn mit den Carrows losgeschickt, sie zu suchen. Sie kann nicht weit sein. In ihrem geschwächten Zustand glaube ich kaum, dass sie versucht hat, zu apparieren.“
Severus lauschte aufmerksam, dann fiel ihm etwas ein.
„Du hast die Carrows gerufen und deine Schwester?“
„Bellatrix ist nicht hier. Ich hab sie nicht mehr gesehen seit eurem Streit. Das Letzte, das ich von ihr gehört habe, ist, dass sie für IHN einen größeren Auftrag erledigen soll.“
Severus nickte steif und behielt sein Gegenüber weiterhin im Auge.
„Und warum hast du mich gerufen? Soll ich dir etwa Gesellschaft leisten und Beruhigungstee kochen, während wir auf deinen Waldtrupp warten?“
Jetzt endlich zeigte Narzissa einen Anflug von Schwäche. Mit einem schweren Seufzen ließ sie sich in einen der Samtsessel sinken und schlug sich die Hand vors Gesicht. Das Licht der Gaslampen verharrte eine ganze Weile auf ihrer reglosen Gestalt, bis sie endlich zu sprechen begann.
„Severus, ich weiß nicht, was ich tun soll“, keuchte sie.
„Nun, dich auf ein Geschwader Auroren einstellen, das jede Sekunde an deiner Haustür klopfen kann, wäre eine Möglichkeit“, erwiderte er barsch, „Ich sagte euch gleich, dass ich diese Entführung für keine gute Idee hielt.“
Narzissa schien seine Worte zu ignorieren. Die Hände inzwischen gegen die Schläfen gepresst, den Blick auf den Boden gerichtet, schüttelte sie nur den Kopf.
„Ich dachte immer, dass unsere Geheimkammer der sicherste Ort wäre, um Gefangene zu verstecken. Aber jetzt?“
Ihre Worte verklangen in dem großen, stillen Raum wie die letzten Klänge eines Klaviers in einem leeren Konzertsaal. Sie hatte zu sich selbst gesprochen. Doch auch Severus hatte jedes Wort aufgenommen wie ein Schwamm. Narzissas Zweifel stießen etwas in ihm an. Etwas, das er noch nicht ganz greifen konnte, doch das in seinem Kopf zu reifen begann. Seine Gedanken wanderten unwillkürlich zurück zu einer Tafel, um die sich Mitglieder des Phönixordens scharten. ? Natürlich sollten wir einen günstigen Zeitpunkt abpassen`, sprach Albus Dumbledore.
Und plötzlich fühlte Severus sich wie vom Blitz getroffen. Das war er! Jetzt, hier! Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte. Flüchtig musterte er Narzissa, die noch immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um ihm etwas anzumerken. Eine vage Idee begann in seinem Kopf zu reifen.
Und er brauchte noch nicht einmal den Trank der Lebenden Toten, er musste nur Narzissas Zweifel ein wenig schüren. Doch… Nein, dieser Plan war zu waghalsig. Er setzte seine eigene Sicherheit aufs Spiel. Aber wenn er diese Gelegenheit nicht am Schopfe packe, würde er noch einmal eine solche Chance bekommen, die Gefangene hinaus zu schleusen? Würde sich nochmal ein solches Tor auftun? Andererseits, warum sollte er für irgendeine daher gelaufene Ministeriumshexe, die so dumm war, den Todessern ins Netz zu gehen, ein solches Risiko eingehen? Warum sollte mehr Finger krumm machen als notwendig?
Wie zur Antwort blitzte vor Severus` geistigem Auge das Bild einer rothaarigen Frau auf, deren grüne Augen vor Schmerzen tränten. Wie eine Drohung brannte sich das Bild in seinen Kopf, eine Mahnung an seine Schuld. Für eine Sekunde kämpfte Severus mit sich seinem Gewissen. Dann schob sich wieder Narzissa, die Löcher in die Luft starrte, in sein Bewusstsein und er hatte den Kampf verloren.
„Vielleicht“, setzte Severus an und wollte sich gerade den zweiten Samtsessel zurrechtrücken, als von der Eingangshalle her plötzlich Lärm in den Salon drang. Blitzschnell fuhren er und Narzissa auf und stürmten hinaus. Durch die Haustüre schob sich soeben Draco mit einer Laterne in der Hand, dicht gefolgt von den Carrows, die mit ihren Zauberstäben ein fest verschnürtes, menschliches Bündel herein dirigierten, das sich in der Luft um die eigene Achse warf.
„Haben sie vom Waldboden gepflückt, hielt uns für ein paar Nachtwanderer“, lachte Amycus dreckig und seine Schwester kicherte debil. Doch Severus hatte nur Augen für die Frau, die als groteske Figur in der Luft schwebte. Der Anblick traf ihn wie ein Pfeil und ging ihm durch Mark und Bein. Nie hatte er Sarah Falls so klar gesehen wie im warmen Licht der Gaslichter, die sie jetzt beschienen. Nie war sie so sehr Lily wie jetzt. Lily, die gekidnappt und drangsaliert wurde. Für einen Moment konnte Severus sich weder rühren noch denken. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn und Herz schlug Kapriolen. Sarah Falls hingegen sah sich panisch um und als ihre Augen dabei die seinen fanden, begann sie sich in ihren Fesseln noch heftiger zu winden und wie wild um sich zu treten, als rufe sie ihn um Hilfe. Severus spürte, wie ihm kalt und kälter wurde. Wie er begann, an diesem Fleck zur Eisstatue zu erstarren.
„Bringt sie runter!“, rauschte Narzissas Stimme wie ein unwirkliches Echo an ihm vorüber und Sarah Falls` Körper verschwand aus seinem Blickfeld. Das Letzte, was er von ihr sah, war der Schimmer der Verzweiflung in ihren Augen, die sich langsam entfernten.
Für einen Moment stand Severus noch wie angewurzelt auf der Stelle und wartete, bis sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte. Dann schimpfte er sich selbst Feigling, Schwächling und Weichei und presste mit aller Macht seine Gefühle und Gedanken in Eisenketten, ehe er Narzissa und der Gruppe in die Kellerdunkelheit folgte.
Rücksichtslos ließen die Carrows ihre Beute am Ziel wie einen Mehlsack auf den Steinboden fallen.
„So, das wäre geschafft“, keuchte Amycus und rieb sich die Hände, „Hoffe das gibt etwas Extralohn?“
Narzissa nickte knapp und trat ohne ein Wort zu verlieren zur Seite, um die Tür freizugeben. Severus versuchte an Amycus` Schultern vorbei einen Blick in die Kammer zu erhaschen. Doch in dem kleinen Raum war es so düster, dass er nichts von der Gefangenen ausmachen konnte. Erst als Draco Alecto Platz machte und dabei das Licht seiner Laterne in die Kammer fiel, fand er sie wieder. Falls kauerte benommen in einer Ecke und versuchte gerade sich wieder aufzurappeln. Zeitgleich ertönte neben Severus Alectos Stimme.
„Dürfen wir sie für den kleinen Ausflug ein bisschen bestrafen, wenn wir schon die Gelegenheit haben?“, fragte sie mit unverhohlener Gier.
„Meinetwegen. Macht mit ihr was immer ihr wollt“, erwiderte Narzissa kühl, „Aber lasst sie am Leben“.
Und auf dem Steinboden erklang das Klackern ihrer Absätze.
Alecto und Amycus drängten sich an Severus vorbei zurück in die Kammer. Und in diesem Moment trafen sich sein und Falls` Blick erneut. Abermals glühte ein letzter Funke von Hoffnung, ein verzweifeltes Flehen in den grünen Augen auf. Doch Severus verzog keine Miene. Angestrengt hielt er jede Geste seines Körpers, die Mitleid andeutete, zurück; verengte die Augen, bis er kaum noch etwas sah und schnaubte nur kurz verächtlich auf, um den Aufwall seines Ekels und seiner Wut auf die Carrows zu besiegen. In Falls` Augen spiegelte sich eine Mischung aus Ungläubigkeit und panischer Angst, als hätte sie soeben begriffen, was ihr unweigerlich bevorstand und ihr niemand helfen würde. Am liebsten hätte Severus es verhindert. Doch jeder Eingriff hätte in der gegenwärtigen Situation seine Chance auf die Umsetzung seines Plans gemindert. Er konnte nur abwarten und zusehen, bis die Tür vor ihm ins Schloss fiel. Dann kniff er die Augen zu, biss die Zähne zusammen und atmete einmal tief durch.
„Komm, wir gehen!“, rief er Draco zu und machte auf der Stelle kehrt.
Hinter der Tür in der Kammer blieb Sarah zurück und sah fassungslos in Richtung der beiden Geschwister, die bereits ihre Zauberstäbe zogen. Doch es waren nicht sie, auf die ihr Blick gerichtet war. Sie starrte auf die Tür, auf die Schwelle, auf der eben noch ihr Retter, ihre letzte Hoffnung, gestanden hatte - und sie im Stich gelassen hatte. Die Verachtung in seiner Miene, die Kälte in seinen Augen stach ihr ins Herz wie ein Dolch. Es war, als bräche in ihr eine Welt wie ein Kartenhaus zusammen. Und mit einer schauerlichen Gewissheit, wusste Sarah, womit sie diese Ignoranz verdient hatte. Es war ihre Schuld, allein ihre Schuld. „Ich vertraue auf ihre Vernunft und Ihr Erinnerungsvermögen an meine Worte“, hörte sie die ölige Stimme in ihren Gedanken sagen und, „wenn Sie sich willig und kooperativ zeigen, haben Sie nichts vor mir zu befürchten“. Er hatte ihr vertraut und sie hatte ihn hintergangen. Sie hatte eigenmächtig gehandelt, ihr Schicksal in eigene Hände genommen. Für einen Augenblick blitze vor Sarah ihr Vater auf, wie er sie ausschimpfte, als sie mit dreizehn gewagt hatte, gegen seinen Willen Wahrsagen zu belegen. „Du bist meine Tochter! Du tust, was ich dir sage!“, schnauzte er sie an. Sie war unartig gewesen, damals wie heute. Sie war unartig gewesen und nun hatte sie den Preis zu zahlen. Jetzt folgte die Nemesis auf ihre Hybris, zu glauben, sie könne den Todessern entkommen.
Schlotternd vor Angst blickte Sarah auf. Die Zauberstäbe fuhren durch die Luft. Ihr blieb kaum Zeit zu atmen. Sie riss die Augen auf - und ein unerträglicher Schmerz peitschte durch ihren Körper.
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