von SynthiaSeverin
Der Türklopfer schepperte unter seinen Händen laut gegen das Metall. Regendunst schlug Severus um die Nase, denn die Dementoren schienen nach einer kurzen Schonfrist von zwei Tagen seit gestern wieder aus ihren Löchern gekrochen zu sein. Fast meinte er schon ihren eisigen Atem im Nacken zu spüren, so tief war ihm das Herz gesunken, während er nach außen hin Ruhe bewahrte. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, öffnete sich mit einem Quietschen die Tür und aus den Schwaden zwischen ihm und dem Türpfosten tauchte ein blasses, spitzes Gesicht auf. Doch es war nicht die Hausherrin, die Severus aufschloss.
„Guten Tag, Draco“, sagte er ruhig und musterte seinen Schüler, der ihn mit einem gewissen, verdächtigen Widerwillen ansah, „Kann ich deine Mutter sprechen?“
„Sie ist nicht zuhause“, sagte Draco kurzangebunden und war schon dabei, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Severus spürte seinen Ärger steigen. Mehr Beweise brauchte es kaum noch. Oh, Narzissa Malfoy war sehr wohl zuhause und gewiss nicht alleine. Die Wut über eine gebrochene Abmachung zügelnd, setzte Severus blitzschnell seinen Fuß zwischen Tür und Angel.
„Warum so abweisend?“, sprach er auf den Jungen auf der anderen Seite ein, „Ich habe ein habe ein wichtiges Präsent für sie und Zeit. Warum bittest du mich nicht herein, um im Haus zu warten, wie es die Sitte ist, wenn Freunde der Familie zu Besuch kommen?“
Noch während er sprach, quetschte er sich an der Tür vorbei in Innere und stand seinem Schüler, der ihm noch immer den Weg versperrte, bald von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Mit der linken Hand schlug Severus hastig die Tür hinter sich zu und sah dem Jungen tief in die zornfunkelnden Augen über dem verkniffenen Mund.
„Draco“, hauchte er, „Ich weiß, was hier vor sich geht. Deine Mutter ist gerade dabei eine Riesendummheit zu begehen. Willst du sie wirklich in ihr Unglücklich laufen lassen?“
Draco zischte ihn an: „Ich wüsste nicht, was Sie das ange-“
Abrupt wurde er von einem heftigen Aufschrei unterbrochen, in das sich das schrille Lachen einer Frau mischte. Es schien aus dem Keller heraufzudringen. Severus beachtete den Jungen nicht mehr. Grob stieß er ihn zur Seite und bahnte sich seinen Weg zur Treppe. Stufen und Gewölbe rauschten an ihm vorüber. Sein Puls schoss in die Höhe, je tiefer er kam. Die Schreie waren markerschütternd. Ein allzu klares Echo der Schmerzen, die derjenige leiden musste, der sie ausstieß. Seine Gefühle und seinen Geist von der letzten Treppenstufe klaubend und in eine Eisenkiste sperrend, hastete Severus den Korridor entlang, immer den stärker werdenden Lärm entgegen. Ein ‚Crucio!‘ in Bellatrix‘ vor Vergnügen bebender Stimme schallte auf den Gang hinaus, gefolgt von einem schmerzverzerrten Gewimmer. ‚Aufhörn! Ich sag ihn, ich sag ihn doch‘, konnte er die andere Frauenstimme, die dunkle, gerade noch verstehen, ehe sie abermals in lautes Schmerzgestöhne ausbrach.
Severus hatte die Tür erreicht. Mit einem beherzten Griff seiner schweißnassen Hände stieß er sie auf und… das Blut in seinen Adern gefror. Es war ein Anblick schlimmer als jeder Albtraum. Es war der reinste Horror.
Vom Folterfluch traktiert, wand sich in grotesken Verrenkungen eine rothaarige Gestalt über den Boden. Das Gesicht vor Qualen zu einer Fratze verzerrt, mit zusammengepressten Augen, aus denen dicke Tränen quollen und einem weit aufgerissenen Mund, der Laute wie ein abgeschlachtetes Vieh ausstieß. Sie schlug sie wild um sich, als ob alle Nerven in ihrem Körper brannten und stieß sich dabei ihre eigenen Glieder blutig. Wer sich dort mit dem Folterfluch abkämpfte, war Sarah Falls. Doch es war nicht Sarah Falls, die Severus in dieser Sekunde sah. Er sah Lily. Gemartert, gepeinigt, auf übelste malträtiert. Und Hass, nichts als reiner, purer Hass, durchströmte ihn und brach wie nichts anderes es vermochte die Mauern seiner Okklumentik entzwei.
„AUFHÖREN! SOFORT AUFHÖREN!“, brüllte Severus und stürzte, die Hand schon am Zauberstab, mitten in die Szenerie. Bellatrix, überrumpelt von dieser unerwarteten Störung ließ augenblicklich von ihrem Opfer ab. Mit einem tiefen Aufstöhnen blieb Sarah Falls für einige Sekunden starr am Boden liegen, während Severus auf ihre Peinigerin zuhielt, um ihr eine gehörige Standpauke zu halten. Da bemerkte er aus dem Augenwinkel plötzlich, dass die Gefangene, noch immer zittrig, versuchte, sich vom Boden aufzurappeln. Blitzschnell fuhr er zu ihr um. Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde, als Sarah es geschafft hatte, aufzustehen. In ihren grünen Mandelaugen leuchtete etwas auf, das Severus nicht einordnen konnte. Doch es war weder Angst noch Hass. Ihre Lippen bebten, als ob sie etwas zu ihm sagen wolle. Doch ehe sie auch nur ein Wort hervorbrachte, fielen ihr die Lider über die Augen und sie sackte schwer wie ein Mehlsack in sich zusammen, den Severus gerade noch auffangen konnte.
Behutsam ließ er den Körper auf den Boden gleiten, schlug der Frau den Blusenärmel zurück und maß ihren Puls. Zum Glück war Sarah Falls nur ohnmächtig.
„Hol Draco, er soll sie zurück in die Kammer bringen, bis sie wieder zu sich kommt“, rief Severus Narzissa zu, die alles wie versteinert in einer Ecke des Weinkellers stehend beobachtet hatte. Ohne ein Wort löste sie sich von der Mauer und trat zur Türe. Doch im gleichen Augenblick passierte noch jemand die Schwelle.
„Ich wüsste nicht, dass mir in meinem Haus meine Lehrer was zu sagen hätten“, erklärte Draco Malfoy hochnäsig und wandte sich, gerade als Severus sich zu ihm umdrehte, seiner Mutter zu, „Dad wäre stolz auf mich, dass ich das Dunkle Mal bekommen habe. Er hätte mir eine würdige Aufgabe gelassen. Nicht so einen Handlangerjob wie Schmiere stehen oder Krankentransporte.“
„Draco…“, flüsterte Narzissa scharf. Doch ihr Sohn schnaubte nur, trat an ihr vorbei auf die Ohnmächtige zu und zog den Zauberstab.
„Mobilcorpus“, sagte er und die bewusstlose Sarah wurde in die Senkrechte gehoben. Auf der Schwelle drehte Draco sich mit einem finsteren Blick ein letztes Mal zu seiner Mutter um.
„Zumindest weiß der Dunkle Lord meine Fähigkeiten zu schätzen“, erklärte er zornig ehe er verschwand.
Ein leises Kichern ertönte, das eindeutig aus Bellatrix‘ Richtung kam. Dann herrschte Stille, bis irgendwo im Kellerflur eine Tür ging. Es war Severus, der, das Schweigen brach, nachdem er mit einem stummen Colluportus die Tür hinter sich und den beiden Frauen geschlossen hatte.
„Was ist eigentlich in euch gefahren!“, stellte er Narzissa und Bellatrix zur Rede und schlug dabei mit der Hand auf das Weinfass, auf dem eine Öllampe stand, „Man könnte meinen, nachdem ich mein Leben riskiere, um euren Sohn und Neffen zu schützen und euch auch noch in dieser Sache helfe, hätte mein Wort in diesem Haus ein wenig mehr Respekt verdient. Aber wie es aussieht, habe ich mich da getäuscht. Kein Ehrenwort zählt mehr bei den altwürdigen Familien Black und Malfoy.“
Einzig Narzissa senkte beschämt etwas den Kopf, Bellatrix dagegen spielte belustigt pfeifend an ihrem Zauberstab herum und würdigte Severus keines Blickes. Doch da keine der beiden Schwestern etwas sagte, fuhr er fort.
„Es ist nicht das erste Mal, nicht wahr? Ihr habt unsere Vereinbarung schon einmal gebrochen, kurz bevor ich am Mittwoch zu Besuch kam. Und dein Neffe hat deine Spuren verwischt, als ich gekommen bin, oder Bellatrix? Was habt ihr da rausgefunden?“
Die Angesprochene ließ den Zauberstab noch zwei Mal durch ihre Finger gleiten, dann stöhnte sie auf und blickte Severus endlich an.
„Nichts!“, zischte sie, „Die Kleine ist wie eben in Ohnmacht gefallen, gerade nachdem sie erklärt hatte, dass sie uns alles berichten wolle.“
Das erklärte Einiges. Severus hatte sich den ganzen Weg von den Brombeersträuchen zur Manor hinauf den Kopf darüber zerbrochen, wie ihm das erneute Verhör Sarah Falls bei seinem Rundgang durch deren Erinnerungen entgangen sein konnte. Vermutlich hatte er die Bewusstlosigkeit einem älteren Datum zugeordnet. Doch das war jetzt nicht weiter von Belang.
„Und du willst mir sagen, Bellatrix, dass du Schwierigkeiten hattest, in den Geist einer Ohnmächtigen einzudringen? Einem Gehirn, das dir quasi auf dem Silbertablett präsentiert wird?!?“
Bellatrix schnaubte wie ein Stier, „Sie hatte die Augen geschlossen, du Schlaumeier. Sie hatte sie geschlossen und weder Magie noch pure Gewalt konnte ihr die Lider aufreißen. Ich denke, du weißt, dass Legilimentik Sichtkontakt braucht!“
Severus lächelte.
„Gewiss und unser Vögelchen auch. Sie ist okklumentisch geschult. Ich schätze, sie wird die automatisierte Selbstanwendung eines Liderkrampffluchs in ihrer Ausbildung gelernt haben. Ich sagte euch bereits, Gift muss man taktisch und dosiert einsetzen, damit es wirkt. Mit roher Gewalt werdet ihr hier nichts erreichen.“
Zu seiner Überraschung lachte Bellatrix plötzlich auf.
„Oh, das haben wir bereits. Das Goldkehlchen hat nämlich gezwitschert, bevor du uns die Tour vermasselt hast. Hat uns gerade verraten, dass es unter den Zuständigen für die Halle der Prophezeiungen jemanden gibt, der über alle Vorhersagen Bescheid weiß und wenn überhaupt jemand wüsste, wie man Prophezeiungen rekonstruiert, dann er. Uns fehlte nur noch der Name.“
Der Schreck ließ Severus für einen Augenblick erschauern. Doch in Sekundenschnelle hatte er sich wieder gefangen. Er konnte nicht mehr verhindern, dass Bellatrix mit ihrer Folter Falls nun doch noch die Zunge gelockert hatte. Doch das wichtigste Puzzleteil fehlte noch und solange er verhinderte, dass es ihr in die Hände fiel, war der Kampf noch nicht entschieden.
„Und zu welchem Preis?“, entgegnete er kalt, „Wäre euer Gast vorhin nur ein wenig unglücklicher gefallen, hätte sie sich leicht das Genick an einem der Fässer brechen können. Und du weißt wie ich, Bellatrix, dass ein großes Maß an Cruciatusflüchen durchaus genug Schaden anrichten kann, um einen Menschen das Lebenslicht auszupusten. Wollt ihr erreichen, dass eure Informantin stirbt, ehe sie euch noch das letzte Stück verraten konnte?“
Bellatrix schwieg und bedachte ihn mit zornesfunkelnden Blicken. Unter ihrer Nase und der Narzissas, die inzwischen recht bleich geworden war, zog er die Phiole mit dem gestreckten Trunk des Friedens hervor.
„Dieses Fläschchen“, erklärte er und hielt es schüttelnd im Kerzenlicht hoch, so dass beide ihr Blicke darauf fixieren konnten, „enthält ein viel effektiveres Mittelchen, um unseren Gast all seine Geheimnisse zu entziehen, ohne seine Kräfte vor der Zeit zu verbrauchen. Ich hatte eigentlich vor, es euch nach eurer Bitte darum, heute in treue Hände zu übergeben, da ich morgen durch einen kurzfristigen Termin leider verhindert bin. Doch nach den jüngsten Ereignissen sollte ich es vielleicht besser selbst verwahren. Ihr scheint den Umgang mit derlei Medizin noch nicht zu beherrschen.“
Vor den sehnsüchtigen Blicken der beiden Schwestern, stopfte er die Phiole blitzschnell in seinen Umhang zurück und schürzte mit einem süffisanten Grinsen die Lippen.
„Nun, wenn ihr mich dann für heute entschuldigen würdet. Ich habe noch einer Patienten einen Besuch abzustatten und ihr ein ganz besonderes Medikament zu verabreichen“. Er ließ noch einen triumphieren Blick über die verdutzten Gesichter gleiten. Dann wirbelte er herum zur Türe.
„Man könnte fast meinen, du stehst auf die Kleine, so sehr wie dir ihr Heil am Herzen liegt“, rief Bellatrix ihm höhnisch hinterher, „Hier reinplatzen und unsere Arbeit stören!“
Severus, der schon die Schwelle erreicht hatte, wandte sich um. Sein Mund klappte unwillkürlich auf. Was zum Teufel….Gerade war er drauf und dran, Bellatrix vehement zu widersprechen. Doch in der letzten Sekunde bremste er sich ab, als sein Verstand wieder die Kontrolle übernahm. Es war zu spät. Falls! Falls und die verfluchte Ähnlichkeit hatten ihn abermals in die Falle gelockt. Bellatrix ahnte all seiner Okklumentik zum Trotz schon zu viel. Er hatte sich durch seinen Auftritt vorhin verraten und würde sie nur wie einen Bluthund anlocken, wenn er jetzt leugnen würde.
„Nun, sie ist nicht unattraktiv“, spielte er seine Gefühle stattdessen herunter, „Vielleicht hab ich nochmal meinen Spaß mit ihr, ehe sie nutzlos für uns wird. Aber in erster Linie, liebe Bellatrix, liegt mir am Herzen, dass der Dunkle Lord seine Prophezeiung erhält, die ich ihm seinerzeit zu meinem Bedauern nur unvollständig übermitteln konnte. Und ich hoffe doch, dass wir uns in dieser Hinsicht einig sind.“
Er schenkte ihr ein hämisches Lächeln, das auch ihm selbst ganz nützlich war, seine Gefühle zu verbergen. Dann wandte er sich um und rauschte den Flur hinab, aus dem ihm soeben Draco mit mürrischem Gesicht entgegenkam.
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