von SynthiaSeverin
Sarah war in einen erlösenden Dämmerschlaf gefallen, als plötzlich ein Lichtschein in die immerwährende Finsternis um sie fiel. Träge blinzelnd sah sie verschwommen, wie die Türe aufging und zuckte unwillkürlich zusammen. Mit dem Erwachen kehrten all die Wahrnehmungen zurück, von denen der Schlaf sie befreit hatte: Die rauen, spröden Lippen; Kehle und Mundhöhle, die vom Scheuern am Stoff ausgetrocknet waren; das Brennen ihrer wunden Handgelenke und der dumpfe Schmerz, der sich überall in ihren Muskeln sammelte. Ihr ganzer Leib war nichts als eine schmerzende, versehrte Masse. Doch so schlimm es um ihn auch stand, übertraf nichts die Angst vor der Erneuerung all dieser Qualen. Sarah überlief es wie ein Guss Wasser. Sofort wich sie zurück, ihrer schmerzenden Beine zum Trotz. Der Fluchtreflex sah ihr fest in den Gliedern, obwohl ihre Gegenwehr allmählich der Lethargie wich. Seit einiger Zeit, Sarah konnte nicht sagen seit wann, war sie dazu übergegangen, nur noch zu ertragen und mit dem Geist ihrem geschundenen Körper zu entfliehen. Sie versuchte, alles auszublenden, als ob sie nicht mehr in dieser sich krampfenden, blutenden, fleischlichen Hülle steckte und bezahlte dafür den Preis des Vergessens. Was sie ihren Peinigern beim letzten Mal zugerufen hatte, konnte sie nicht sagen. In ihren Gliedern brannten Verletzungen, von denen sie nicht wusste, wie alt diese waren. Die Zeit hatte an Konturen verloren. Alles schwamm ineinander. Stunden, Tage, Wochen – sie waren eins. Und tief in sich spürte Sarah, wie der Stein ihres Widerstands sich durch die Tropfen der Folter allmählich zu höhlen begann.
Steif vor Angst, in banger Erwartung des nächsten Crutiatus, kauerte sie in ihrer Ecke und blickte unter ihren schweren Lidern müde zu dem Todesser auf, der sie gleich ohne ihre Gegenwehr abführen würde. Doch wie überrascht sie war, im Schein des eben aufleuchtenden Zauberstabs ausgerechnet jenen Mann zu erblicken, der das letzte Mal so plötzlich vor ihr geflohen war.
„Lumos“
Das Wort verklang noch in der Stille der Kellergänge als das Licht bereits brannte. Der Schein fiel Severus direkt ins Gesicht und er wusste, dass er für die beiden Gefangenen nur allzu sichtbar war, auch wenn er selbst nichts erkennen konnte. Vor ihm lag die Kammer in schattiger Dunkelheit und für einen Augenblick hielt Severus auf der Schwelle inne. Der Keller war so still, dass es ihm fast so vorkam, als wäre er mutterseelenallein hier unten. Diese letzte, einsame Sekunde nutze Severus, um sich noch einmal zu sammeln, jeden Gedanken außer dem an die Kunst der Legilimentik abzustreifen. Dann trat er einen beherzten Schritt nach vorne und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Das Erste, was Severus im Kegel seines fahlen Zauberstablichts zu Gesicht kam war ein Stapel dreckigen und umgestürzten Geschirrs, der achtlos auf dem Boden zurückgelassen worden war. Bald darauf gab die Dunkelheit das blasse, faltige Gesicht des Zauberstabmachers preis, der stumm in seiner Ecke kauerte, Severus für einen Augenblick aus seinen Silberaugen musterte und dann wieder hinab auf seine Hände blickte. Von Falls fehlte zunächst jede Spur. Sie musste sich wohl wie beim letzten Mal wieder in irgendeine dunkle Ecke verdrückt haben, dachte Severus grimmig und war schon gewillt ihr in seiner eingespielten Todesserstimme zu drohen. Da plötzlich streifte sein Zauberstablicht einen roten Haarschopf und er zuckte in Reflex zusammen. Es war wie ein Blitz, der aus heiterem Himmel auf ihn herniederging.
Wie versteinert stand Severus in der Mitte des Raumes, als das Licht Sarah Falls‘ Erscheinung zur Gänze entschleierte und sein Mantra wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Tagelang hatte er sich eingeredet, dass es irgendein ein kleines Detail an Falls gäbe, das sie von der Frau, die er so abgöttisch, so absolut und unsterblich liebte, unterschied und das er im Erschrecken des Wiedererkennens bloß nicht wahrgenommen hatte. Doch was immer Severus sich erhofft hatte – ein Muttermal, eine Narbe, eine höhere Stirn, eine breitere Nase – er fand nichts. Diese Frau war ein exaktes Ebenbild Lilys. Sie glich ihr bis in die Haarspitzen wie die unheimliche, geisterhafte Erscheinung einer vom Tode Auferstandenen.
Alle Gedanken, die Severus so mühsam geordnet hatte, stürzten in seinem Kopf wieder übereinander. Alle Gefühle, die er sorgsam weggeräumt hatte, quollen aus seiner Seelentiefe wieder hervor. Doch bevor dieses bunte Tohuwabohu ihn überschwämmen konnte, presste Severus die Augen zu und riss sich mit aller Macht zusammen. Diese Frau war nicht Lily, so sehr ihm seine Sinne und der Zufall einen Streich spielen mochten. Er hatte den grausamsten aller Beweise in Godric’s Hollow mit eigenen Augen gesehen, in eigenen Händen gehalten. Schweiß perlte Severus von der Stirn, während er seine Gedanken und Gefühle wieder in ihren Ketten zwang. Und erst, als er sich sicher war, wieder die Kontrolle über sich gefunden zu haben, zumindest soweit um seinen Auftrag auszuführen, wagte er es, die Lider wieder aufzuschlagen. Sein Blick fiel in grüne, mandelförmige Augen, die ihn mit einer Spur Überraschung, vor allem aber mit Angst, panischer Angst, ansahen. Sofort war Severus hundeelend zumute. Er war in seiner Tarnung als Todesser hier her gekommen, um sich mit Gewalt Wissen aus diesen Augen, diesem Kopf zu erpressen. Und genau das spiegelte sich in den grünen Mandelaugen. Als ob der Geist dahinter keinen Zweifel hegte, dass er nun die Tat umsetzen würde, die er letztes Mal nur angedroht hatte. Da war er, der Schuldspruch. Der Schuldspruch, der Severus in all seinen Alpträumen verfolgte. Der Cruciatus-Zauberstab, den er in seinem letzten Traum selbst geführt hatte. All das sammelte sich in diesem Raum, in diesen Augen. Er war schuldig, obwohl er es nicht sein wollte. Ein Biest, das Widerwillen den Menschen getötet hatte, für den er sein Leben gegeben hätte. Jemand, der einen Engel verraten hatte. Abschaum und Dreck.
Und es kam noch schlimmer.
Erst auf den zweiten Blick nahm Severus wirklich wahr, in welch erbärmlichen Zustand Lilys Doppelgängerin war. Anders als beim letzten Mal, steckte ihr heute ein Knebel im Mund. Der Stoffballen saß ihr so fest im Rachen, dass sie kaum einen Laut von sich geben konnte. Ihre Lippen waren aufgesprungen, das schweißnasse, rote Haar klebte am kränklich fahlen Gesicht. Ihr Körper sah dürr und ausgemergelt aus, jeder Fleck gezeichnet von der Tortur der Folter. Und ihre Hände waren mit Fesseln verschnürt, sie sich so tief einschürften, dass ihre Haut ganz aufgerieben war und den Stoff ihres Kleides mit Blut besprenkelte. Noch ehe Severus nachgedacht hatte, hielt er schon den Zauberstab in der Hand. Lily, oder auch nur ihr Ebenbild, so leiden zu sehen, zuzusehen, wie diese Fesseln ihr Fleisch zerschnitten, war unerträglich. Es erinnerte Severus an Godric’s Hollow und sein Magen verkrampfte sich.
„Diffindo“, ließ er seine Stimme durch den Raum schallen und aus sah den Augenwinkeln, dass Ollivander wieder zu ihm aufblickte. Doch es war Severus egal. Sarah Falls‘ Körper sank mit dem Lösen ihrer Fesseln zu Boden. Aus ihrem Blick war die Angst gewichen. Jetzt stand nur noch Verwunderung darin geschrieben. Severus beeilte sich, zu ihr zu kommen, ohne den Zauberstab sinken zu lassen. Er hätte Diptam-Essenz gebraucht, doch er hatte keine dabei. Das Einzige, was ihm spontan einfiel, waren die Gegenflüche zu seiner eigenen Jugendsünde. Hoffentlich würde die Heilung des Sectumsempras auch hier helfen. Vorsichtig ergriff Severus die verwundete Hand und murmelte die Sprüche über die Verletzungen der Frau, die unter seinen Griff zum Glück stillhielt. Mit Wohlgefallen sah er, wie die Wunden sich schlossen. Auch wenn es vielleicht nicht lange halten würde: Fürs Erste war sie geheilt.
Severus hatte sein mildtätiges Werk kaum vollbracht, als er sich seiner eigentlichen Aufgabe wieder entsann. Noch während er sich wieder aufrichtete, löste Falls sich von ihrem Knebel und spuckte ihn zu Boden. Dann sah sie ihn an. Ihre Lippen zitterten, als ob sie etwas sagen wollte. Doch noch ehe ein Ton ihre Zunge verließ, kam Severus ihr zuvor.
„Nun“, sprach er so leise und bedrohlich auf sie sein als stände Quirrell vor ihm, „Da Sie wieder hergestellt sind, denke ich, ist es an der Zeit, sich ein wenig zu unterhalten. Keine Sorge, ihnen wird nichts geschehen, vorausgesetzt sie zeigen sich kooperativ. Andernfalls allerdings-“
Er beendete seine Rede nicht, sondern ließ nur scheinbar beiläufig den Zauberstab durch seine Finger gleiten und schenkte der Frau, die zu seinen Füßen kauerte ein kaltes, vielsagendes Lächeln. Sein Schauspiel zeigte Wirkung. Falls sah mit nahezu gefroren starren Blick zu ihm auf. Furcht schimmerte in ihren Pupillen. Wie eine Steinfigur hockte sie vor ihm und nichts als ihr flaches Atmen durchschnitt die Stille zwischen ihnen. Langsam hob Severus den Zauberstab, suchte Falls‘ Augen im Halbdunkel. Der Stab war mit ihrer Nase auf einer Höhe, als die Pupillen sich weiteten, der Blick von Furcht in grausame Gewissheit und dann in verzweifeltes Flehen überging. Ein Schüttelfrost packte den gemarterten Körper, trieb Strähnen roten Haars vor die Mandelaugen. Und Severus zuckte mit einem Mal zusammen, als hätte ihm jemand einen Pflock ins Herz gerammt.
Diese Augen! Dieses Haar! Dieses Gesicht! Für einen Augenblick war er herausgerissen aus dem Jetzt und Hier, zurückgeschleudert in seinen Alptraum. Natürlich hatte er nicht vor, Falls zu foltern. Es ging nur um Legilimentik. Doch war das nicht gleichgültig, wenn sein Gegenüber vor Angst wie Espenlaub zitterte? Er brachte es nicht über sich, diese eigentlich einfache Tat auszuführen. Nicht so. Es war als würde er Lily Gewalt antun. Als würde er sie gegen ihren Willen in sein Bett zerren und ohne Rücksicht auf ihr Schlagen und Treten brachial in sie eindringen. Dabei konnte er seinerzeit noch nicht einmal eine ihrer Strähnen streifen ohne unter Erschauern schwache Knie zu bekommen. Ihr auch nur ein Haar zu krümmen war ein Ding völliger Unmöglichkeit. Verflucht, verflucht sei er, hier zu stehen und etwas zu tun, wozu er nicht fähig war.
„Zum Bowtruckle! Halten Sie still! Ich hab nicht vor, Sie zu foltern, aber Sie zwingen mich bald dazu!“, zischte er die verängstige Frau an, obwohl sein tiefster, ureigenster Reflex eigentlich ein anderer war. Eine Stimme tief in ihm, drängte ihn dazu, dieses Abbild einer völlig verstörten Lily Evans beruhigend in seine Arme zu schließen. Schwer durchatmend kniff Severus abermals die Augen zusammen und riss sich hart am Riemen. Dann, als er die Fassung wiedergewann, dimmte er das Licht seines Zauberstabs so sehr, dass er von Falls gesamter Erscheinung nur noch vage ihre Augen ausmachen konnte. Es war das Minimum an Sichtkontakt, das er für seine Legilimentik brauchte. Zweifellos nicht optimal, doch Severus hatte es schon einmal geschafft, in diese Augen einzudringen. In seinem eigenen Kerker in Hogwarts, als er diesem Bengel von Potter Okklumentik beibringen sollte. Also würde es auch dieses Mal funktionieren.
Falls schien sich allmählich zu beruhigen oder zumindest ebenfalls zusammenzureißen. Jedenfalls brachte sie ihr Zittern unter Kontrolle. Für einen Moment herrschte völlige Stille in der Kammer. Alles schien zur Ruhe zu kommen und zu seiner Ordnung zurückzufinden. Falls rappelte sich auf, ohne den Blick von Severus abzuwenden und in ihren Augen lag ein gewisses, störrisches Funkeln. Doch ansonsten schien sie schicksalsergeben genug, um sich zumindest oberflächlich seinen Anweisungen zu beugen. Mit einem letzten Durchatmen hob Severus den Zauberstab und sprach das hart erkämpfte Wort: „Legilimens!“
Es brauchte nicht viel, um zu erkennen, dass sein jetziges Gegenüber Okklumentik besser beherrschte als Potter seinerzeit. Sofort stieß er auf eine beachtliche Gegenwehr, die auf einen geschulten Geist hinwies. Es wunderte ihn wenig. Die Arbeit der Mysteriumsabteilung unterlag strenger Geheimhaltung. Naheliegend, dass Unsägliche wohl auch in der Kunst, ihren Geist zu verschließen, ausgebildet wurden. Und Falls verstand zweifelsohne ihr Handwerk. Kaum hatte Severus ihren Geist betreten, rauschte er mit voller Wucht gegen eine Wand aus Widerstand, die ihn fast aus diesem Gehirn herausgeworfen hätte. Allmählich verstand er, warum Bellatrix sich an dieser Frau die Zähne ausgebissen hatte. Doch hätte sie kaum zugelassen, dass ihre Schwester ihn zu Hilfe holte, wenn auch er nicht noch ein Ass im Ärmel hätte. Falls Okklumentik war stark, doch nicht stark genug, um einem Severus Snape zu trotzen. Was er brauchte, um ihren Geist mürbe zu machen, war der Schlüssel einer heftigen Emotion. Und er hatte auch eine Idee. Die Ähnlichkeit zu Lily in der Anstrengung völlig vergessend, gedachte Severus sich jener Waffen zu bedienen, die Bellatrix naturgegeben nicht zur Verfügung stand. Es war ein übler Schachzug und ihm wäre es weiß Gott lieber gewesen, seine Maske abzunehmen und seinem Gegenüber die Wahrheit zu verraten. Doch dies war noch riskanter für ihrer beiden Leib und Leben, solange vielleicht noch andere in Falls‘ Geist herumstöbern würden. Krieg war leider ein dreckiges Geschäft, das mit schmutzigen Regeln gespielt wurde. Also setzte Severus ein lüsternes Lächeln auf, hauchte ein paar zweideutige Worte in die Kerkerstille und brannte Falls genau jenen Gedanken ein, vor dem selbst Minuten zuvor noch schauernd vor Ekel zurückgewichen war. Es wirkte. Die Frau, die Lily so ähnlich sah, zuckte vor Angst zusammen und bedeckte wie im Reflex ihre Brüste. Dieser kleine Moment der Unachtsamkeit reichte aus. Sofort ließ Severus seine Waffe fallen, packte den losen Stein in der gedanklichen Mauer und brach durch die Abwehr hindurch.
Für einen Augenblick lag Falls‘ Geist wie ein offenes Buch vor ihm, auch wenn Severus wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Schon spürte er, wie die Frau ihre Gefühle wieder zügelte, ihm ihre Gedanken zu entreißen versuchte. Verbissen wie ein Hund in ein Stück Fleisch glitt er durch ihre Erinnerungen an die vergangene Folter in der Malfoy Manor. Er musste herausfinden, wie viel Bellatrix schon aus ihr herausgepresst hatte. Zum Glück fand er in den vorbeirasenden Fragmenten keinen Hinweis darauf, dass die Unsägliche irgendetwas Entscheidendes preisgegeben hatte. Nur Flehen, Klagen und ein scheinbares Einknicken, das im nächsten Moment doch wieder zurückgezogen wurde. Auch wenn Severus mit einiger Beunruhigung feststellte, dass die Gefangene wohl in letzter Zeit die Peinigungen immer willenloser über sich ergehen ließ. Ein Zeichen bröckelnden Widerstands, der seiner eigenen Mission eine neue Schwierigkeit hinzufügte. Doch darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Er musste noch etwas Zweites herausfinden: Gab es tatsächlich etwas, das Sarah Falls geheim hielt? Noch tiefer, noch energischer drang Severus in diesen gemarterten Geist vor, durchforschte wie ein Wahnsinniger sämtliche Erinnerungen, die, wie vage auch immer, Sarah Falls zum eingegebenen Stichwort ‚Prophezeiung‘ assoziierte. Und dann plötzlich geschah es. Wieder krachte Severus gegen einen Wall aus Widerstand. Einen Wall, der schon vielfach geschliffen schien, doch noch immer wie eine Trutzburg jedem Eindringen standhielt. Krampfhaft schien Sarah Falls, die Unsägliche, diesen einen Gedanken festzuhalten, mit aller Kraft ihres Willens vor ihm fernhalten zu wollen. Jedes Mal, wenn er sich diesem Bild näherte, es heranzuziehen versuchte, schob sich eine andere, förmlich aufgedrängte Erinnerung dazwischen. Mit einem zufriedenen Lächeln beschloss er, dem zermürbten Geist die wohlverdiente Ruhe zu gönnen. Er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte und seine Antwort erhalten.
Doch Severus kam nicht dazu, den geordneten Rückzug anzutreten. Plötzlich riss ihn ein schauerliches Geräusch schneller als geplant in die Kerkerwirklichkeit hinaus. Falls, an deren verbrauchten Kräfte er durch die Legilimentik noch mehr gezehrt hatte, war auf dem Boden zusammengesackt. Und eine Salve heiseren Hustens ließ ihren Körper erneut erbeben. Wie von Lungenschmerzen gepeinigt schlug sie sich gegen die Brust und brachte damit seine Konzentration abermals aus dem Gleichgewicht. Auf einmal glich sie wieder Lily, die vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Eine Schrecksekunde lang starrte Severus sie an, dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Der Knebel! Ihr Hals musste gewiss völlig ausgetrocknet sein und der Kampf gegen die Okklumentik hatte sein Übriges getan. Wenn er nicht für Abhilfe sorgte, würde sie vor seinen Augen vielleicht noch ersticken. In aufkeimender Sorge fuhr Severus um, ignorierte Ollivanders Zwischenrufe und fischte ein Glas aus dem Wust schmutzigen Geschirrs auf dem Boden. Sogleich füllte er es durch einen Aquamenti mit Wasser und hielt es Falls unter die Nase.
„Hier“, sagte er, sanfter und wärmer als er beabsichtigt hatte. Falls Finger tasteten zittrig danach und als sie dabei versehentlich die seinen streiften, durchrauschte Severus das Feuer der Liebe zu einer anderen Frau. Verwirrt von sich selbst und entsetzt von der plötzlich Gefühlsaufwallung stellte er das Glas grob auf dem Boden und entwand sich Falls‘ Fingern. Sie hob es nicht auf, starrte nur die Wasseroberfläche an und sah dann völlig perplex zu Severus auf. Doch hatte wohl der Anblick der Flüssigkeit schon gereicht, ihren Hustenanfall für einen Moment verstummen zu lassen.
„Danke“, hauchte Falls heiser in einer tiefen, rauen Stimme.
Eine Stimme, die für Severus‘ Ohren wie ein furchtbarer Misston klang, der die ganze Harmonie ihrer Erscheinung zerstörte. Als ob jemand ein Bild in zarten Pastelltönen mit einem Eimer Giftgrün besprenkelt hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde biss Severus die Zähne zusammen und ballte unwillkürlich die Faust. Da hatte er es, das kleine Indiz, das den Unterschied der beiden Frauen markierte. Lilys Stimme war immer glockenhell und melodisch gewesen. Doch was er vor so kurzer Zeit noch so verbissen zu finden gehofft hatte, fühlte sich jetzt an wie ein Schlag in den Magen. Und Severus wusste nicht einmal wieso er so emotional auf eine solche Nichtigkeit reagierte. Alles, was er wusste, war, dass er sich keine Sekunde länger in diesem Raum aufhalten konnte, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, seinen Verstand einzubüßen.
Ohne ein weiteres Wort erhob er sich und eilte zur Tür. Nur fort von Sarah Falls, die nach einer weiteren Welle Hustenreiz doch noch ihre schlabbrige Zunge im Glas versenkt hatte und wie ein Schluckspecht soff. Erst auf der Schwelle wagte Severus es, sich noch einmal umzudrehen.
„Wir sehen uns“, hauchte er in seiner Rolle als Todesser bedrohlich. Da richtete Falls sich auf und sah ihn ein letztes Mal an. Aus grünen, mandelförmigen Augen. Augen, die ihn anzuflehen schienen, fast so als ob sie ihn um etwas bitten würden. Und mit einem Mal packte Severus wieder eine unerklärliche Wut. Was glaubte diese Frau eigentlich? Dass er sie mitnehmen, dass er sie freilassen würde?!? Nun, dann hatte sie sich geschnitten. Mit einem energischen Griff packte er den Knauf der Kellertüre und stieß sie zu. Seine Wut verrauchte augenblicklich zu einer ebenso unerklärlichen Leere, die ihm noch immer nachhing, als er wenig später vom Anwesen disapparierte. Im Keller der Malfoy Manor atmete jemand röchelnd aus.
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