von SynthiaSeverin
Dunstschwaden über Dunstschwaden erfüllten den Raum, als der Zeiger der Uhr über dem Kaminsims des angrenzenden Zimmers auf die Zwanzig weiterrückte. Wie viel Zeit verstrichen war, hatte Severus nicht mitbekommen. Tief hatte er seinen Kopf über den brodelnden Kessel gebeugt und atmete den Duft der kochendenden Essenz ein. Seine feine Nase verriet ihm alles, was er wissen musste. Noch ein wenig Baldrianwurzel. Nicht zu viel, ein paar Tropfen des Schlafbohnensafts, zweieinhalb Umdrehungen gegen den Uhrzeigersinn, das Feuer um ein halbes Grad gezügelt. Dann zwei Minuten warten, keine Sekunde länger und der Trank würde fertig sein. Ein zufriedenes Lächeln zog sich über die schmalen Lippen, als er durch seine langen, dünnen Finger die Zutaten in das schäumende, gurgelnde Wasser rieseln ließ und sah, wie die gluckernden Blasen sie verschlangen. Für einen Moment schloss er die Augen und ließ sich den Dunst ins Gesicht schlagen. Ausgezeichnet. Der Trank war perfekt, eine kleine Dosis und jeder würde in einen tiefen Schlaf sinken. Ein paar Tropfen mehr und er würde nie wieder erwachen.
Nie wieder erwachen…
Ein wehmütiges Gefühl zog Severus‘ Brust zusammen. Plötzlich stieg ein Bild aus den Tiefen seiner Erinnerungen empor. Wie oft hatte er so mit Lily über einen Kessel gebeugt in den Kerkern gestanden? Ihr glockenhelles Lachen klang noch in seinen Ohren wie aus weiter Ferne. Geisterhaft hell, gleich purem Lichts, sah er ihr Gesicht vor sich schweben, das dunkelrote Haare und… auf einmal alterte das Gesicht, Dunkelheit umschlug es und die grünen Augen blickten Severus von einer kahlen Wand aus an. Sein Herz setzte für einen Pulsschlag aus. Er riss die Lider auf. Etwas Grünes schien plötzlich im Augenwinkel seinen Blick zu streifen. Fantasierte er wieder einmal ihr Gesicht auf die Wasseroberfläche? Aber der Sud unter ihm war glasklar.
Auf einmal drang ein Knistern wie von verkohlenden Holzscheiten an sein Ohr, gefolgt von einem unüberhörbaren Räuspern. Severus riss den Kopf herum in Richtung Wohnzimmer und…
„Dumbledore!“
In den grünen Flammen des Kamins war das bärtige Gesicht mit der Halbmondbrille erschienen, das Snape, der noch immer über den Kessel gebeugt stand, schelmisch angrinste.
„Guten Abend, Severus. Schwer beschäftigt, wie ich sehe. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen?“, fragte der alte Mann sichtlich amüsiert.
„Oh, gewiss nicht“, höhnte Snape, „Hatten Sie sich angekündigt?“
Dumbledore lachte laut auf.
Doch Snapes Miene blieb ernst.
„Ich bräuchte noch zwei Minuten, Dumbledore“, sagte er leicht gequält, „wenn es Ihnen nichts ausmachen würde…“
Der Mann in den Flammen nickte ihm freundlich lächelnd zu.
„Ich bin nicht in Eile“, sagte er ruhig.
So schnell, wie es ohne Schlamperei nur möglich war, beendete Snape seine Arbeit und ließ die ausgedrückten Schlafbohnen, Affodillschalen und anderen Reste mit einem Evanesco verschwinden. Dann trat er ins Wohnzimmer, die Haare noch immer feucht von den aufsteigenden Dämpfen über dem Zaubertrankkessel. Mit einem flüchtigen Blick auf den Kaminsims erkannte er, wie spät es bereits war.
„Sind wir alleine?“, fragte Dumbledore vorsichtig, als Snape an ihm vorübertrat.
„Pettigrew hat sich seit dem Frühstück nicht mehr blicken lassen, falls sie das meinen“, antwortete Snape in Gedanken und begann sich das Gesicht trocken zu wischen.
Albus schien ihn für einen Moment eindringlich zu mustern.
„Und ich komme wirklich nicht ungelegen, Severus?“, fragte er ernst.
„Nein“, antwortete Snape, „Ich bin gerade mit dem Brauen fertig geworden.“
„Nachschub für den Orden“, fügte er hinzu, als er Dumbledores Miene sah, in der sich eine Mischung aus Neugierde und Skepsis spiegelte.
„Ah… ich wollte schon danach fragen. Nun, dann sind wir ja beim The-“
Plötzlich hob Snape die Hand und gebot ihm zu schweigen.
„-Schscht“
Ein plötzliches Geräusch von einer Art Rascheln drang von der Türe aus ins Wohnzimmer, gefolgt von einem metallischen Klacken. Dumbledore hob erwartungsvoll die Augenbraue, während Severus sich umwandte, um die Ursache zu finden.
„Verflucht, gerade jetzt!“, rief er Sekunden später und drehte sich wieder dem Kamin zu.
Dann verfiel er in einen Flüsterton.
„Ich fürchte, Dumbledore, wir werden belauscht werden, wenn wir weitersprechen. Pettigrew ist soeben zurückgekehrt. Wenn mich nicht alles täuscht, ist er gerade in seiner Animagusgestalt durch den Briefschlitz geklettert und kauert nun vor der Wohnzimmertüre.“
Dumbledore stöhnte leise auf.
„Wenn man vom Teufel spricht… Nun, dann wäre es wohl besser, Sie kämen sobald wie möglich nach Hogwarts. Ich schätze in meinem Büro lassen sich die Dinge ohnehin besser besprechen.“
„Das geht nicht“, knirschte Severus, den Blick wachsam auf die Wohnzimmertüre gerichtet, „ich muss den Trank schnellstmöglich abfüllen, sobald er ausgekühlt ist. Und Wurmschwanz würde wer weiß was in den Sinn kommen, wenn er die Küche unbewacht so vorfindet wie jetzt.“
„Ich sagte sobald möglich, Severus, nicht sofort“, antwortete Dumbledore sanft, „Wie sieht es mit halb zwölf aus?“
Snape wandte das Gesicht dem Kamin zu, blickte ihn für eine Sekunde lang irritiert an. Dann nickte er knapp.
Dumbledore lächelte, erwiderte es und sein Bild war nur noch Rauch und Asche.
Snape blickte wieder zur Türe, gerade noch rechtzeitig, um einen kleinen Schatten am Schlitz vorbeihuschen zu sehen. Auf leisen Sohlen trat Severus unauffällig vom Kamin fort zur Türe zwischen den Bücherregalen, gerade so, als wolle er den Raum verlassen. Kaum hatten die Schatten des Regals seinen schwarzen Umhang verschlungen, drückte er sich dicht an die Wand, die Augen wachsam auf dem Raum gerichtet und wartete.
Es dauerte nur Sekunden, bis die Klinke der Türe leise nach unten fuhr und Pettigrew sich auf Zehenspitzen vom Vorzimmer in den Wohnraum stahl. Er hielt zielstrebig auf den Kamin zu, blickte gierig in das Dunkel und fuhr mit dem Finger über den Ruß. Gerade schien es so, als wollte er sich wieder in eine Ratte verwandeln, da sprach ihn Severus aus dem Schatten an.
„Guten Abend, Wurmschwanz. Wie ich sehe, hast du dich doch noch daran erinnert, wo du wohnst. Fast hatte ich ja schon befürchtet, jemand hätte dir irgendwo da draußen einen Obliviate verpasst. Aber wie ich sehe, waren meine Sorgen völlig unbegründet“
Pettigrew zuckte zusammen und wandte ihm langsam den Kopf zu,
„Oh äh, guten Abend Snape… wie schön, wie schön…“, quieckte er, „ich habe ja gar nicht gewusst, dass Du schon zuhause bist.“
„Wirklich?“, hauchte Severus, „Dann gehört es wohl zu deinen üblichen Gewohnheiten, dein Zuhause durch den Briefschlitz zu betreten und vor der Türe auf und ab zu tippeln. Wahrlich interessant!“
Pettigrew erbleichte. Mit seinen wässrigen Augen, in denen sich Angst spiegelte, schaute er sich nervös im Zimmer um.
Snape in seiner dunklen Ecke lachte stumm in sich hinein.
Dann plötzlich blickte Wurmschwanz‘ auf die offene Türe zur Küche und damit zum dampfenden Kessel. Und er schien darin etwas gefunden zu haben, auf das er das Gespräch richten und von sich ablenken könnte.
„Oh, du hast wieder gebraut. Für den Dunklen Lord nehme ich an. Vortrefflich, vortrefflich. Was ist es denn?“
Severus ließ sich nicht beeindrucken.
„Ich weiß nicht“, flüsterte er bedrohlich, während er leise aus dem Schatten hervortrat und Schritt für Schritt auf Wurmschwanz zuging, „Vielleicht magst du ja in die Küche gehen und ein Tässchen voll davon probieren, um es herauszufinden?“
Pettigrew blickte ihn an, schaute auf seine Lippen, die Severus zu einem hämischen Grinsen verzog, schaute in seine Augen, die vor Mordlust funkeln mussten. Und eine nicht ganz unbegründete Todesangst flackerte plötzlich im Gesicht des untersetzen Mannes auf.
„Geh auf dein Zimmer, Wurmschwanz“, hauchte Severus ihm zu, „ich will heute nichts mehr von dir hören, geschweige denn dich sehen. Außer vielleicht um mir Abendessen zu machen, wenn ich dich rufe.“
Für einen Moment starrten sie einander noch an, dann huschte plötzlich in Windeseile der Schatten eines kleinen Tieres die Treppe zum ersten Stock hinauf und verschwand.
Snape warf ihm einen finsteren Blick hinterher. Wo hatte sich die Ratte wohl nur den ganzen Tag herumgetrieben? Er würde es nur zu gerne wissen. Eigentlich konnte er doch immer darauf wetten, dass Wurmschwanz in Spinner’s End irgendwo um ihn herumstrich. Und nun war es bereits acht Uhr abends. Doch Severus war zu erschöpft, um lange darüber nachzudenken. Der Tag hatte ihm mehr als genug Nerven gekostet und er sollte noch immer nicht zu Ende sein. Im Wasserdampf über dem Kessel, der langsam auskühlte, sah er verschwommen noch immer Lilys Gesicht. Oder war es gar nicht Ihres? Er wusste es selbst nicht. Noch immer war er verwirrt und das Brauen schob nur einen dünnen Schleier zwischen ihm und seinen Gedanken. Langsam machte Severus sich daran, den Zaubertrank abzufüllen. Er würde ihn gleich nach Hogwarts mitnehmen. In Dumbledores Händen wäre er bis zur Überführung ins Hauptquartier des Phönixordens besser aufgehoben als hier, wo das Ungeziefer des Feindes herumschnüffelte.…
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel