von SynthiaSeverin
Sarah schlug die Augen auf. Finsternis! Nichts als Finsternis umgab sie! Kein Schein eines erleuchteten Zauberstabs, kein Feuerfunke, nicht einmal ein Glühwürmchen war zu sehen. Selbst das fahltrübe Licht, das einst dort unter dem Türschlitz zum Keller herein gesickert war, wie ein letzter Hoffnungsfunke, dass es hinter diesen Mauern noch eine Welt gab, war erloschen. Sie zitterte, ihr ganzer Körper schien zu Beben von dem Alptraum, der sie verfolgte, jedes Mal, wenn sie die Augen schloss. Totenstille erfüllte die abgelegene Kammer unter dem marmornen Fußboden. Stille, in der Gedanken das Schreien lernten. Stille, die einen in den Wahnsinn trieb. War es Tag oder Nacht? War sie allein? War Ollivander gestorben? Würde sie jemals wieder Licht sehen? War sie noch in dieser Welt?
Sarah wusste es nicht. Nichts wusste sie mehr. Schwer wie Blei drückte sich die Enge des Raumes auf ihre Brust, lähmte ihre Gedanken, ihre Atmung, schleichend, wie ein raffiniertes Gift. Und mit jeder Sekunde schienen die Wände noch näher zu rücken. Näher und näher und näher! Hart presste die Frau ihre Glieder gegen das kalte Mauerwerk in ihrem Rücken, als suche sie einen festen Halt in dieser alles verzehrenden Finsternis, ein Gegengewicht zur drohenden Auflösung im Nichts.
Schmerz durchfuhr ihren Körper wie tausend Nadelstiche. Ein Übrigbleibsel des Folterfluchs. Grausam, unerträglich und doch… ein Zeichen, dass sie noch lebte. Gegen die Krämpfe in ihrem Körper ankämpfend, versuchte Sarah tief einzuatmen. Unmöglich. Die Luft im Kellerraum war stickig, abgestanden. Die Sommerhitze ließ sie zu allem Übel noch schwelen. Es war schwierig, überhaupt genügend Sauerstoff zu finden, nicht das Gefühl zu haben, jeden Augenblick zu ersticken. Schwer, als hätte sie keine Kraft mehr, sie offen zu halten, senkten sich ihre Lider wieder über zwei mandelförmigen, grünen Augen herab. Sie war müde, so müde von den Torturen, der Stille, dem Warten… auf nichts.
Wie lange sie wohl schon hier war? Sie konnte es nicht sagen. Tage, Wochen, vielleicht sogar Monate. Man verlor jedes Zeitgefühl hier unten, eingesperrt in der Dunkelheit. Wenn Ollivander nicht gewesen wäre! Er war ihr Lebenselexier in dieser klammen Ödnis. Nicht alleine sein, eine menschliche Stimme zu hören, Gesellschaft zu haben, zu wissen, dass man noch existierte. Dinge, deren Wert sie außerhalb dieser Mauern kaum zu schätzen wusste, doch die sich nun als unendlich wertvoll, ja essentiell, erwiesen. Ohne ihn hätte sie schon in der ersten Nacht hier unten vergessen, wer sie war, wie sie hieß, und dass sie überhaupt lebte - gepeinigt von der Einsamkeit, zerfressen von der immerwährenden Angst, dass jede Sekunde einer von ihnen den Zauberstab ziehen könnte, den Todesfluch auf sie sprechend…
Die Gespräche halfen ihr sich zu erinnern, ein Bild von sich selbst zu bewahren, nicht zu vergessen, wer sie war. Ihren Namen, ihren Arbeitsplatz, sogar das Gesicht ihrer kleinen, fast elfjährigen Nichte. Ihre Nichte! Wie konnte sie nur so naiv sein, mit Ihrer Dienstkleidung im Gepäck sich auf den Weg zu Ollivanders zu machen, um sich für sie über Zauberstäbe zu erkundigen? Noch immer ärgerte sich Sarah über sich selbst, obwohl ihr der Tag längst vorkam wie eine ferne Vergangenheit.
Nie würde sie die vermummten, schwarzen Gestalten vergessen, die plötzlich den Laden stürmten. Und das erbleichte Gesicht Ollivanders, der sich sofort ergab, obwohl er in einem Meer von Zauberstäben stand, mit denen er sich hätte wehren können. Ein Auror hätte ihn vielleicht feige genannt. Doch Sarah konnte ihm keinen Vorwurf machen. Sie hatte sich selbst nicht gewehrt. Zu schnell war alles gegangen, zu überrascht war sie gewesen und als sie nach dem ersten Schrecken begriff, was sie eigentlich zu tun hätte, warf die Ganzkörperklammer sie bereits zu Boden.
Und doch, war nicht genau dieser Fehler der Grund, warum sie dem Tod entgangen war? Der Gedanke, dass ihr die Tatenlosigkeit und der blaue Umhang in ihrer Tasche vielleicht das Leben gerettet hatten, stimmte sie mulmig. Sie brachten sie nicht um, weil sie sie für nützlich hielten. Das war der einzige Grund. Die Folter, die Flüche, die Schmerzen, die nie enden wollten. Sie alle dienten dazu, ihr Schweigen zu brechen. Doch Sarah würde ihr Wissen nicht offenbaren. Pflicht war Pflicht, koste es, was es wolle. Imperius oder Cruciatus, vielleicht sogar den Tod.
In der Schwüle, die sich ihr glitschig entgegen drückte, strich sich Sarah eine Strähne aus dem schweißnassen Gesicht. Fetttriefend hing sie zwischen ihren Fingern. Sie hatte schon so lange nicht mehr geduscht, sich nicht mehr die Haare waschen können. So schmutzig hatte sie sich nie zuvor in ihrem Leben gefühlt. Als wäre sie Morast, weggekehrt in einen dunklen Container. Auf der Toilette, auf die sie ihre Entführer einmal am Tag nach der Folter hinausließen, gab noch nicht mal ein richtiges Klosett, nur einen alten, schmutzigen Nachttopf, in dem sie beide ihre Notdurft verrichten mussten. Wie sehr sehnte sich Sarah danach, einmal, nur noch einmal die oberen Stockwerke betreten zu dürfen. Eine große weite Halle, mit einem riesigen Spiegel, umgeben von dunklem Marmor. Und draußen vor der Türe: weiße Pfauen, die an frischer Luft ohne Fesseln und Schmerzen ihre Räder schlagen durften. Wie gerne würde Sarah mit ihnen tauschen. Dass es in einem solch edlen Anwesen so enge, schmutzige, stickige, Räume gab, war schon schlimm genug. Doch noch schlimmer war es, in ihnen gefangen zu sein.
Allmählich verebbten die Gespräche. Sie und Ollivander hatten einander ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. Nicht einmal - unzählige Male. Und bald hatten sie einander nichts mehr zu sagen. Es war, als senkte sich das Schweigen langsam wie ein Leichentuch auf sie hinab, hier unten in diesem finsteren Raum, der einem Mausoleum glich. Nur von Zeit zu Zeit rauschten dumpfe Schritte über ihre Köpfe hinweg, drang das Gerede von Stimmen aus den oberen Stockwerken in die Tiefen ihres Gefängnisses hinab. Sie würden sterben hier unten. Wenn Ollivander nicht schon tot war…
Das monotone Geräusch tiefen Schnarchens riss Sarah aus den Gedanken. Er lebte also - und war eingeschlafen. Sarah atmete aus. Obwohl sie in der Finsternis nichts sehen konnte, sagte ihr die Richtung, aus der das Schnarchen kam, dass der Mann wohl auf dem Boden kauern musste. Für einen Moment tat er ihr leid. Sie hätte ihm ein ordentliches Bett gegönnt, genau wie sich selbst oder auch nur einen Schlafsack. Doch in diesem Raum gab es nichts als kalte, kahle Wände. Müde wandte sie ihren Kopf ab und versuchte, es ihm gleich zu tun. Vielleicht, auch wenn die Chance noch so klein war, würde sie Tageslicht sehen, wenn sie die Augen wieder öffnete…
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