Wo auch immer du bist - Wo auch immer du bist
von Jessica21
Liebste Emily, dir wünsche ich einen allerwunderschönsten Geburtstag, Zeit, ihn zu genießen, und vielleicht auch ein bisschen Freude an meinem Geschenk ...
25. Dezember 1997, vier Uhr morgens
Ron,
ich weiß nicht, warum ich diesen Brief schreibe, wirklich nicht. Er wird dich ohnehin nie erreichen. Dafür werde ich Sorge tragen.
Und dennoch, ich habe das Gefühl, ihn schreiben zu müssen. Schon alleine, um mir über ein paar Dinge klar zu werden, aber auch, um mich etwas besser zu fühlen – falls das überhaupt geht.
Irgendwo ganz unten in meiner Handtasche habe ich ein winziges Stück Papier gefunden, knittrig, fleckig und zerrissen, aber es reicht. Der Füller steckte in meiner Jackentasche, ich wusste gar nicht, dass er da ist, und es hat ein bisschen gedauert, bis er wieder brauchbar war, aber das war es mir wert. Ich frage mich gerade, warum ich das überhaupt aufschreibe. Ich finde einfach, dass dieser Brief schöneres Papier verdient hätte und einen Füller, der nicht bei jedem zweiten Wort anfängt zu kratzen.
Das Zelt ist so einsam ohne dich, sogar noch einsamer, als es ohnehin schon ist. Ein paar deiner losen Sprüche, so albern und unpassend sie auch sein mögen, hätten schon geholfen. Harry und ich reden kaum noch miteinander; als gäbe es einfach nichts mehr zu sagen. Es ist so still hier.
Doch noch schlimmer als das Schweigen ist das Grau. Es ist entsetzlich grau hier. Du warst einer der wenigen Menschen, die wenigstens ein bisschen Farbe in unser Leben bringen konnten. Und jetzt scheint es, als wäre selbst das letzte bisschen Farbe endgültig von der Welt verschwunden. Nicht, dass es vorher nicht so gewesen wäre, aber es war leichter zu ertragen, als wir noch zu dritt waren.
Du hast keine Ahnung, wie schrecklich es ist, wenn man morgens aufwacht und das Erste, was man sieht, dein leeres Bett ist. Eigentlich fehlst du überall. Ich wünschte, ich müsste die ständige Sehnsucht nach dir nicht ertragen müssen, ich wünschte, ich müsste mich nicht bei jedem Schritt, den ich höre, umdrehen müssen in der Erwartung, du wärst zurück.
Wir teilen uns die Wachschichten und das Medaillon. Um überhaupt irgendetwas außer dir dafür verantwortlich machen zu können, dass du uns alleine gelassen hast, versuche ich mir einzureden, dass an allem nur das Medaillon schuld sein kann. Ich hätte es gar nicht erwartet, aber es klappt tatsächlich. Vielleicht ist es ja so. Ich glaube nicht, dass du all das wirklich gesagt hättest, wenn du das verdammte Ding nicht genau wie wir ständig hättest tragen müssen. Wir wissen beide, was es bewirkt.
Ich weiß nicht, wie Harry darüber denkt, weil wir kaum reden, und wenn doch, dann wärst du wohl die allerletzte Person, über die wir sprechen wollen würden. Es tut schon mehr als genug weh, nur an dich zu denken. Ich hoffe nur, dass all seine Verschlossenheit und dieses andauernde Schweigen ein Teil seiner Wut auf dich ist. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals so wütend erlebt habe. Du kannst es dir nicht vorstellen. Auch, wenn er es sich nicht anmerken lässt, sickert es immer wieder durch … schlussendlich wird er dich wohl genauso sehr vermissen wie ich.
Ich wünschte, ich könnte auch wütend sein, aber ich bin nur traurig. Vielleicht würde Wut die Sache leichter machen. Ich weiß es nicht; ich wünschte, ich wüsste es.
Stundenlang brüte ich über solchen Sachen, auch wenn ich versuche, es nicht zu tun, und ich komme trotzdem zu keinem Ergebnis. Es dreht sich alles im Kreis. Und auf irgendeine abstrakte Weise bist du der der Mittelpunkt.
Weißt du, ich dachte immer, dass Liebe und Hass einander ausschließen. Und nun … nun ist genau das Gegenteil der Fall. Ich hasse dich. Zumindest versuche ich mir das einzureden, damit ich dich wenigstens nicht mehr so schrecklich vermissen muss. Ich hasse dich für das, was du uns antust, dass du einfach gegangen bist, dass du uns alleine gelassen hast …
Und ich liebe dich. Verdammt.
Die Kerze, die neben mir steht und mir ein bisschen Licht spendet, ist schon fast ganz heruntergebrannt. Ich weiß nicht, ob sie noch lange durchhält. Zur Not schreibe ich den Brief im Dunkeln fertig, aber wenn ich ihn heute nicht beende, werde ich es niemals tun. Ich werde nur den verzweifelten Gedanken nicht los, dass dieses Kerzenlicht irgendwann einfach verlöschen wird, genau wie du. Aber der Rauch einer ausgeblasenen Kerze verflüchtigt sich wenigstens mit der Zeit. Du bist immer noch hier, obwohl du es doch nicht bist.
Ich weiß nicht, ob es etwas bringt, dass ich das hier aufschreibe. Aber wir waren heute Nacht in Godric's Hollow, und wir haben nichts erreicht. Buchstäblich gar nichts. Und so ist es die ganzen letzten Wochen gewesen. Wache halten, essen, schlafen, und über den potenziellen Hinweisen brüten, die sich irgendwo versteckt haben könnten, auch wenn wir wissen, dass sie da nicht sind. Und dann weiterziehen, irgendwohin. Immer wieder. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt eine Chance haben, dass hier zu überleben. Ob das alles überhaupt Sinn macht.
Dennoch, ich ertappe mich immer wieder, obwohl ich versuche, es sein zu lassen, bei dem Gedanken, was wohl wäre, wenn ich dich doch irgendwann wiedersehen würde. Wenn wir uns in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren zufällig auf der Straße treffen, irgendwann, wenn Frieden ist. Es ist unsinnig, sich so etwas vorzustellen, wo wir doch nicht einmal wissen, ob wir den nächsten Tag erleben.
Aber ich weiß es. Ich weiß einfach, dass ich dich noch einmal sehen will, bevor ich sterbe, wann auch immer das sein wird. Ich will nur noch einmal deine Stimme hören und dein Gesicht sehen können. Nur noch ein einziges Mal das Gefühl haben, dass du wirklich da bist.
Eigentlich wollte ich dir nur frohe Weihnachten wünschen, obwohl es in Anbetracht der Situation furchtbar ironisch klingt. Und dir sagen, dass ich hoffe, dass es dir gut geht.
Wo auch immer du bist,
Hermine
London, 24. Dezember 2054
Zum dritten Mal hatte er den alten Brief nun schon durchgelesen, und immer noch hatte er nicht wirklich begriffen, was er da in den Händen hielt. Seine faltigen, zerfurchten Finger zeichneten unkontrolliert die Linien ihrer durch die vielen Jahre verblassten Unterschrift nach, mit der sie vor so langer Zeit einen Brief beendet hatte, einen Brief an ihn, Ron, einen Brief, den er eigentlich niemals hätte lesen sollen.
Ungeduldig rieb er sich über die Augen und las sich das Schriftstück noch ein viertes Mal durch. Es fiel ihm zunehmend schwer, ihre Schrift im trüben Licht der Glühbirne zu entziffern, nicht zuletzt auch, weil die Tinte an vielen Stellen verschmiert war oder so blass, dass sie sich kaum noch von dem gewölbten, leicht gelblich verfärbten Papier abhob. Sie hatte schon des Öfteren versucht, ihn endlich von der Tatsache zu überzeugen, dass es allmählich Zeit für eine Brille wurde („Du wirst nun mal auch nicht jünger, das ist doch nun wirklich nicht so tragisch … “), doch bisher hatte er sich erfolgreich dagegen wehren können.
Nachdenklich sah sich auf dem staubigen Dachboden um. Eigentlich war er hier her gekommen auf der Suche nach nichts weiter als ein paar alten Chudley-Cannons-Postern, die zweifellos in irgendeiner der vielen Kisten voller Gerümpel und seit Jahrzehnten unbenutzten, wenn nicht gänzlich vergessenen Artefakten verpackt sein mussten; nur leider hatte er dabei seinen Rücken vergessen, der ihn in annähernder Perfektion darin hinderte, die Kartons auch nur hochzuheben, geschweige denn zu tragen, und dann war er beim Durchsuchen einer alten Reisetasche auf jenen uralten, staubigen Brief gestoßen, der es ihm unmöglich gemacht hatte, mit seinem ursprünglichen Unternehmen fortzufahren.
Es war, als hätte man ihn rücklings und ohne jede Vorwarnung in die Vergangenheit katapultiert, eine Vergangenheit, die nun so weit zurück lag und die doch beim Lesen ihrer Worte frisch und klar in seinem Gedächtnis erschien, als wären nur wenige Stunden vergangen, seit sie sie verfasst hatte. Und nun, da mit voller Wucht all diese Erinnerungen in ihm hoch schossen wie glühende Lava bei einem Vulkanausbruch, konnte er nicht begreifen, wie lange das her zu sein schien und dass es trotzdem noch gegenwärtig war, aufbewahrt in den Worten, die sie in ihrer Verzweiflung an ihn gerichtet hatte, obwohl es wie das Rennen gegen eine Mauer erschien.
Vorsichtig schob er das ergraute, brüchige Papier in die Tasche seines Hemdes und begann unterdrückt ächzend den Abstieg, wobei er drei mal die nächste Stufe verfehlte, weil er, versunken in den eigenen Gedanken, nicht auf sie geachtet hatte (oder sie schlichtweg nicht rechtzeitig sah). Nachdem er den Abstieg wie durch ein kleines Wunder ohne Absturz und etliche gebrochene Knochen überstanden hatte, hörte er aus dem unteren Stockwerk eine Stimme seinen Namen rufen.
Sie stellte gerade die Einkaufstüte auf den Tisch, als er in die Küche trat, und drehte sich lächelnd zu ihm um, als sie die Schritte hinter sich hörte.
„Na, war deine Suche erfolgreich?“, fragte sie und stellte die Milchtüten in den Kühlschrank.
„Was?“, fragte er verdattert.
Sie seufzte. „Ron, allmählich wirst du senil. Rose kommt doch heute mit den Kindern zum Abendessen, und du hattest ihnen doch versprochen, deine alten Quidditch-Poster herauszusuchen, hast du das schon vergessen?“
„Ach ja – nein, die hab' ich nicht gefunden.“ Die Poster hatte er völlig vergessen.
Sie schloss den Kühlschrank wieder und blinzelte ihm amüsiert zu. „Du hast gar nicht gesucht, oder?“
„Doch!“, protestierte er sofort. Er spürte den Brief in seiner Tasche. „Ich – ich habe was … was anderes gefunden.“
Sie räumte Brot und Tomaten in den Schrank und drehte sich fragend zu ihm um. „Ja? Was denn?“
Nervös zog er das Papier aus der Tasche, sorgsam darauf bedacht, es nicht zu beschädigen, und reichte es ihr zögerlich. Ihre Finger zitterten verdächtig, als sie es entgegen nahm; stumm faltete sie es auf und überflog ein paar Zeilen.
Wahrscheinlich hätte schon alleine das Datum genügt, ihr zu sagen, worum es sich handelte, doch sie las sich schweigend den gesamten Brief durch. Er beobachtete sie dabei und kam sich mehr und mehr wie ein Schuljunge vor, der eine wichtige Regel gebrochen hatte und der nun auf seine Strafe wartete.
Irgendwann hob sie den Kopf und ihre von Lachfältchen umgebenen Augen fingen seinen Blick auf.
„Ich wollte nicht, dass du den liest.“
„Jaah – das – “ Er trat nervös von einem Bein aufs andere, auch wenn sein Rücken davon zu schmerzen begann. „Das ist mir beim Lesen auch klar geworden, aber – na ja, da war es dann zu spät. Tut mir leid, wirklich“, setzte er hinzu.
Sie schüttelte nur nachdenklich den Kopf. „Das muss es nicht … ich wusste gar nicht, dass der auf dem Dachboden liegt.“
„Ich auch nicht“, erwiderte er und registrierte im selben Moment, wie blödsinnig diese Antwort doch war in Anbetracht der Tatsache, dass er vor einer halben Stunde nicht einmal von der Existenz des Briefes gewusst hatte.
Sie schien ihm die Bemerkung jedoch gar nicht weiter übel zu nehmen. Im Gegenteil, als sie wieder zu ihm aufsah, lächelte sie. „Ich hätte nie gedacht, dass der noch existiert.“
„Ja, kaum zu glauben, wie lange das her ist“, murmelte er und konnte kaum die Erleichterung verbergen, die sich in ihm ausbreitete, nur, weil sie ihm nicht böse war.
Sie nickte gedankenverloren. „Diese Weihnachten fünfundsiebzig Jahre, nicht?“
„Ist das dein Ernst?“ Er lachte laut auf und zog sie in seine Arme. „Merlin, sind wir alt geworden.“
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Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Wir haben immer schon gespürt, dass sich zwischen Ron und Hermine etwas entwickelt, obwohl ich und Emma uns dessen nicht bewusst waren. Doch in diesem Film gestehen beide sich das ein. Als Hermine mit Viktor Krum auf dem Weihnachtsball erscheint, kapiert Ron endlich, dass er etwas für sie empfindet.
Rupert Grint