von Xaveria
Hermine stand in der Küche von Spinners End und starrte in die aufgezogene Schublade vor sich. Ordentliche Ansammlungen von Gabeln und Löffeln trafen ihren Blick, ein Stapel von Messern und doch hatte sie keine Ahnung, warum sie die Schublade aufgezogen hatte, jetzt oder die drei Male zuvor, wo sie es bereits getan hatte. Es klebte leicht und sie lauschte dem Widerstand des innen liegenden Silberbestecks. Es ist sehr muggel, dachte sie, Silberbesteck in einer Schublade. Was sinnlos war, da Zauberer genauso wie jeder andere auch Besteck benutzte. Und doch konnte sie sich erinnern, es jemals als bei sich zu Hause auf diese Art angeordnet gesehen zu haben â ein Plastikbehälter, der alles schön aufgeteilt hatte. Sie schloss die Schublade wieder.
Sie hatte die Nacht zuvor nicht wirklich geschlafen. Sie hatte Severus Atmung gelauscht; sie hatten den festen Druck seiner Brust gespürt, leicht feucht an der Stelle, wo ihre Wange gegengedrückt gewesen war, sich hebend und senkend. Sie wusste, dass er auch nicht geschlafen hatte, da sie nie gespürt hatte, wie er in der Matratze versunken war, noch hatte sie gehört, wie seine Atmung tief und flach wurde. Aber es war genug, wie der Rest der Nacht zu schnell und gedankenlos verstrichen war, nur um sie gnadenlos ins Morgengrauen fallen zu lassen, wieder einmal überfallen von ihrem steigenden Herzschlag und dem Wissen, dass sie heute das Urteil hören würden.
Sie öffnete die Schublade. Da war etwas, was sie wollte, aber sie konnte einfach nicht ihre Gedanken ordnen.
Sie konnte Severus hören, wie seine nackten Füße auf das Holz traten und sie stellte sich seine langen und schlanken Füße vor, die stumpfen Kanten seiner Fußnägel, das spärliche schwarze Haar, welches gegen seine blasse Haut hervorstach. Sie konnte seinen Blick auf sich spüren, aber sie konnte seinen Blick nicht treffen.
Er griff vor ihr und schloss die Schublade. âIssâ, sagte er und sie bemerkte, dass dort auf der Anrichte eine Scheibe Toast lag, was vermutlich auch die Schublade erklärte. Sie hatte vorgehabt, die Scheibe durchzuschneiden.
Sie nahm die ganze Scheibe in die Hand und biss hinein, um irgendwas zu tun. Krümel fielen auf die Fläche.
Er nahm die übrig gebliebene verkohlte Scheibe auf und betrachtete sie zweifelnd. âDu konntest es nicht zu Ende führen und das ganze Haus abfackeln lassen?â, sagte er belustigt.
âEs â Es tut mir leid. Ich wollte nicht-â
âIch habe dich nicht wegen deiner Hausfraueneigenschaften geheiratetâ, sagte er mit dem Hauch eines Lächelns, als er seine Teetasse (mit Sicherheit jetzt auch schon kalt) aufnahm, sich umdrehte und wieder zurück zu den Treppen ging.
Nein. Nein ganz sicher nicht, dachte sie reumütig. Und obwohl er es nicht beabsichtigt hatte, darunter hörte sie den Grund, warum er sie geheiratet hatte. Sie sollte ihn aus diesem Schlamassel herausholen. Sie hatte es ihm versprochen. Sie hatte es versprochen und sie konnte ihm noch nicht einmal ein vernünftiges Frühstück zubereiten.
***
Kingsleys Gesicht war unleserlich. Er wusste es. Sie wusste, dass er es wusste, da war sie sich absolut sicher und doch war da nichts, kein Hinweis, wie er seinen Mund verzogen hatte oder in seinen Augen, was ihr sagte, was sie wissen musste. Er schüttelte ihre Hand mit demselben warmen Druck, wie er es immer getan hatte und sie verspürte wieder irgendeine Eile noch einen Widerwillen, als er nach Snapes Arm griff und ihn zum Ministerium apparierte.
Hermines Wahrnehmung schien eine plötzliche, unnatürliche Frische zu haben: Die Steinwände des Korridors waren einzigartig narbig und irgendwie unlöschbar auf ihrer Netzhaut eingebrannt. Der abgetragene Teppich auf den Boden verdiente ebenfalls ihre Aufmerksamkeit â die Art, wie das Rot in ein Rosa verblich, an der Stelle in der Mitte, wo bereits Tausende von Zauberer drauf getreten hatten. Und doch, in der Zeit, in der sie alles in sich aufnahm, sah sie nichts und sie zuckte leicht überrascht auf ihren Platz zusammen, als Kingsley den Saal bereits darum bat, zur Ruhe zu kommen.
Der Gerichtssaal war bis unters Dach gefüllt. Mehr als zweimal so viele Hexen und Zauberer waren heute erschienen, wie zu den Verhandlungstagen und die Presse schwirrte am Ausgang herum, schoss Fotos von denen, die eintraten. Hermine sah die gesamte Belegschaft von Hogwarts, Molly Weasley, wie sie den gesamten Weasley Clan einpferchte, Neville Longbottom und seine Großmutter, Andromeda Tonks mit dem kleinen Teddy auf ihren Schoß. Sie konnte das nagende Gefühl, dass die ganzen Leute nur hier waren, um sie scheitern zu sehen, dass sie sich in Snapes Niederlage weideten, nicht abschütteln.
Während sich die Menge in den Reihen setzte, rollte Kingsley Stimme wieder durch den Gerichtssaal.
âErster August neunzehnhundertachtundneunzig. Das Zaubereiministerium gegen Severus Snape. Ich möchte dem Gericht für ihre vorsichtige Betrachtung in diesem doch sehr komplizierten Fall und denen, die dem Gericht ihre Zeit und Aussagen gegeben haben, danken. Das Zaubergamot hat seine Entscheidung getroffen.â
Das letzte Flüstern starb. Hermine schaute in die Gesichter pflaumenfarbig gekleideten Hexen und Zauberer des Zaubergamot, suchte nach irgendeinem Zeichen von dem was kommen würde, aber ihre Gesichter waren bedächtig und leer und sie hielten ihre Blicke starr auf die Steinwand des Gerichtssaales gerichtet.
âZu der Anklage, Mitgliedschaft in einer Terroristenorganisation, befindet das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig.
âZu der Anklage des Hochverrats findet das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig.
âZu der Anklage, Beihilfe zur Entführung, befindet das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig.â
Die Anklagepunkte schienen vorbei zu rauschen und Hermine schnappte immer wieder nach Luft. Harry umklammerte ihre linke Hand so fest, dass sie sich flüchtig fragte, ob ihre Knochen brechen würden und doch war der Schmerz nicht genug, sie zur Konzentration zu bewegen.
âZu der Anklage des Spionieren⊠Beihilfe und Anstiftung zur Nutzung von Unverzeihlichen Flüchen⊠Ausübung von Magie in Anwesenheit von Muggels⊠zur Verschwörung zum Mord, befindet das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig.â
Verschwörung zum Mord, Verschwörung zum Mord. Sie versuchte diese Worte zu fassen, als sie durch ihren Kopf schossen. Aber das muss doch heißen---
âZu der Anklage, Mord durch einen Unverzeihlichen, befindet das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig.â
Harry rüttelte sie stark. Der Gerichtssaal war erfüllt mit Geflüster, sie hörte, wie die Presse sich auf den Boden anrempelte. Hermines Blick hatte Kingsleys Gesicht nicht verlassen. Sie waren noch nicht fertig.
âZu der Anklage, Zerstörung von Eigentum und nicht autorisierte Nutzung eines Erinnerungszaubers, befindet das Gericht den Angeklagten für schuldig.â
Die Luft stieß aus ihren Lungen und sie lehnte sich mit einem Male auf ihren Platz zurück. Harry hat sein freudiges Zerren an ihrer Hand nicht aufgegeben. âEs ist nur Zerstörung von Eigentum, Hermine und Erinnerungszauber â das ist nichts! Sie werden ihn um Gottes Willen schon nicht wegen einem Erinnerungszauber nach Askaban schicken! Du hast gewonnen!â
Das hatte sie. Sie hatte da gewonnen, wo es zählte und doch hatte Severus am Ende recht behalten. Sie würden ihm nicht erlauben den Gerichtssaal ohne ihren Stempel auf ihn zu verlassen. Es sah so aus, als ob sie nicht eindeutig sagen würden, dass er recht gehabt hatte. Zerstörung von Eigentum und Erinnerungszauber â sie würden ihm vom Mord freisprechen, aber nicht wegen ein paar Erinnerungszauber?
âIch will Ruhe in diesem Gerichtssaal! Ich werde nicht zögern jeden herauszuschmeißen, der nicht hören kann â nicht einmal die Mitglieder des Zaubergamotâ, brüllte Kingsley und warf einen Blick über seine Schulter.
Als eine vorläufige Ruhe eingekehrt war, sagte er: âDas Gericht verurteilt Severus Snape zu neunhundert Stunden unbezahlter Zwangsarbeit, in dem er für das St. Mungos Krankenhaus, Abteilung für Magische Krankheiten und Verletzungen Zaubertränke braut. Das Gericht ist vertagt.â
Ihr Blick flog zu dem Porträt, aber Dumbledore war bereits verschwunden.
Kingsley begann das Podium hinabzugehen und die Menge schien sich wie ein riesiger Körper zu erheben, aber Hermine saß wie erstarrt auf der Bank, bis Harry sie auf die Füße zog. Er hatte einen Arm um sie geschlungen und versuchte in Richtung der Weasleys zu ziehen, welche sich an der Hinterseite des Gerichtssaals versammelt hatte, aber sie schüttelte ihn ab, gelähmt von dem, was sich in der Mitte des Raumes abspielte.
Hexen und Zauberer schwirrten durch den runden Raum und doch ließen sie einen großen Kreis um Snape und dem Minister, als ob jetzt, wo die Show vorbei war, lieber niemand etwas mit den Darstellern zu tun haben wollte.
Kingsley erreichte Snape letztendlich und löste die Ketten von dem Stuhl. Hermine sah, ihr Mund stand leicht geöffnet, als er mit seinem Zauberstab das Armband um Snapes Handgelenk berührte und es ungeschickt auffing, als es abfiel. Sie zuckte unbewusst mit ihren eigenen Fingern. Langsam stand Snape auf und schüttelte die Hand, die Kingsely ihm entgegenstreckte und sie konnte es beinahe in sich selbe spüren. Durch den Lärm hörte sie die Worte, als ob man sie in ihr Ohr flüstern würde.
â⊠nur noch den Papierkram erledigen. Die Zaubertränke werden direkt nach St. Mungoâs geschickt- sie erwarten einmal die Woche eine Lieferung. Ich habe eine Liste ihrer Wünsche. Nichts allzu Kompliziertes, natürlich, nicht das SieâŠ.â Kingsley verstummte. âBesitzen Sie, wo Sie leben, ausreichend Möglichkeiten? Oder beabsichtigen Sie irgendwo anders-â
âNein, mein Elternhaus ist ausreichend.â
âSehr gut. Ich gehe davon aus, dass Sie fürs Erste unter dem Schutzzauber bleiben wollen?â
âDurchaus.â
âAlso dann, denke ich, ist das dann alles. Wenn Sie noch so freundlich wären und vor Ihrer Heimkehr bei mir im Büro vorbeisehen würden. Oh! Merlin, beinahe hätte ich es vergessen. Ihr Zauberstabâ, sagte Kingsley und zog ihn aus seiner Tasche.
Sie bewegte sich den Moment, in dem sich Snapes Finger um seinen Zauberstab legten. Da war ein kurzes goldenes Leuchten â es war beinahe wie eine magische Erlösung auf beiden Seiten bei ihrer Wiedervereinigung.
âDankeâ, sagte Snape und sie wusste noch, ob er Kingsley für seinen Zauberstab dankte oder für etwas vollkommen anderes, aber Kingsley ignorierte es und legte einen Schildzauber auf Snape, als er sich zurückzog.
Als sie den Boden des Gerichtssaals betrat, drehte sich Snape zu ihr um und sie kämpfte damit, ihr Gesicht absolut neutral zu halten. Sie würde ihm sagen lassen, wie sie darauf reagieren sollte. Sie würde wüten, wenn es Wut war, was er brauchte oder sie würde ihr Scheitern mit stiller Erhabenheit erdulden. Bitterkeit, Wut, Akzeptanz, Ruhe â um was auch immer er bat.
Er hob seinen Zauberstab und sie zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, aber dann fuhr damit über seinen Körper und sie hörte ihn âProtego Horribilisâ, sagen. Ihre eigenen Worte, gesprochen vor fast zwei Jahren, kamen zu ihr zurück: Also kann ich Sie berühren, weil ich Ihnen nichts Böses will?
Er hatte sie in den Zauber gelassen.
Als sie auf ihn zuging, kämpfte sie mit ihrem Gesicht, welches Widerwillen zu zerfallen begann. Sie wandte sich leicht ab, um ihre Tränen zu verstecken, aber er fasste sie bei ihrer Schulter und plötzlich war sie in seinen Armen, ihre Hände umklammerten seine Robe auf seinen Rücken und lauschte seiner Atmung in ihren Haaren. Sie konnte die Magie durch ihn pulsieren spüren, wie sie durch sein Blut loderte und unter ihren Hände fühlte es sich so an, als ob er körperlich größer wurde. Sie klammerte sich an ihn, teilweise in einen dürftigen Versuch das zu fassen, was gerade passierte und dann, weil sie befürchtete, dass ihre Knie, falls sie loslassen sollte, unter ihr nachgeben würden. Unter ihrem Schrecken, unter ihrer Wut, lag etwas Wildes und Helles, was ihr Herz bedrohte. Es war nicht gestorben. Er fühlte sie und sie fühlte ihn.
Blitzlichtgewitter brach um sie herum aus.
***
August war der schwierigste Monat.
Snape war mit einem schon fast wahnsinnigen Bedürfnis sofort anzufangen nach Spinnerâs End zurückgekehrt. Für ihn war es deutlich gewesen, als er in Shacklebolts Büro die Papiere unterzeichnet hatte, während er den albernen Entschuldigungen des Ministers lauschte, dass nein, sie nicht die Grangers gefunden hatten und nein, Snape konnte nicht das Land verlassen, bis er seine Auflagen erfüllt hatte, dass der einzige Weg nach vorne, hindurch war.
Bis zur zweiten Woche, in der er einen antiallergischen Trank und eine Aknecreme braute â Schachteln von lächerlichen Zaubertränken, die er bereits als Zweiklässler hätte herstellen können - ist es ihm nicht in den Sinn gekommen, dass Shacklebolt ihm einen Gefallen getan hatte.
Seine geschützten Hände fuhren leicht über die Bubotubler, er benutzte die Fläche des Messers, um sie zu melken und sammelte den weißen Eiter mit seinem Zauberstab in Phiolen. Schneiden, drücken, entleeren. Man hat ihn Arbeit gegeben, etwas zu tun, um ihn daran zu erinnern, wer er vielleicht hätte sein können, wenn nichts von dem passiert wäre, etwas, um seine Gedanken davon abzulenken, was passiert war. Und auch, dachte Snape, würde es seine Zaubertränke sicher machen. Krankenhäuser würden sie benutzen. Wenn das hier vorbei war, gab es eine bessere Chance, dass er vielleicht wieder Arbeit finden konnte.
Er schloss seine Augen und versuchte den schrecklichen Gedanken zu verinnerlichen, dass er vermutlich in Shacklebolts Schuld stand.
Er hörte, wie sich Hermine oben bewegte. Er mochte ihren neuerlichen Blick nicht. Vor der Verhandlung, wenn sie ihn da angesehen hatte, war es ein wachsamer, vorsichtiger Blick gewesen. Hatte er gegessen, würde er ins Bett kommen, würde er in die Luft gehen, wenn sie die graue Weste vorschlug? Diese Art von Blick. Jetzt blickte sie ihn an, als ob sie auf irgendwas wartete, auf irgendeine Nachricht wartete, von der er nicht wusste, wie er sie versenden sollte. Nachts lag sie ruhig in seine Armen, aber sie schlief nicht. Er hatte gedacht, wenn es einmal alles vorbei war, dass sie sich dann erholen, dass sie die Last von ihm ablegte und zu heilen beginnen würde, aber manchmal dachte er, dass sie schlechter wie noch vor einen Monat aussah. Dünner, angespannter. Verzweifelter. Sie sank.
Er wusste es. Er konnte sich noch gut an dieses vertraute Gefühl erinnern, seine ersten Wochen nach dem der Dunkle Lord zum ersten Mal gefallen war, in Hogwarts. Dumbledore wollte ihn in seiner Nähe wissen, wollte ihn innerhalb der Grenzen Hogwarts halten, aber es waren noch keine Kinder da gewesen, keine Pflichten und alles, was er bis dahin gehabt hatte, waren Pflichten gewesen. Aufgaben. Er war nervös gewesen und er war wie etwas Eingesperrtes in seinen Gemächern auf und ab gelaufen, bis es die erste Belegschaftsversammlung gegeben hatte, wo er dem Rest wie ein besonders gefährliches Kind betrachtet worden war.
Ein besonders gefährliches Kind. Er vermutete, dass es das war, was die anderen Leute in ihr sahen, wenn sie raus ging. Aber innen war nicht besser als draußen, denn drinnen gab es nichts zu tun, nichts womit man seinen ruhelosen Verstand beschäftigen konnte. Er wusste es und doch hatte er keine Ahnung wie er ihr helfen sollte nach vorne zu gehen, wie er ihr helfen sollte, sich zu entscheiden, sich zu entscheiden, wer sie sein sollte, wenn schon keine Schülerin, keine Muggel, keine Kriegerin mehr.
Die Tage verstrichen, häuften sich etwas, was so wie Routine aussah. Wenn er mindestens sieben Stunden am Tag braute, dann brauchte er neunzehn Wochen, um seine verbindliche Arbeit zu erledigen. Januar. Er konnte im Januar verreisen. Jeden Morgen wachte er auf, duschte, verwendete den jetzt magischen Toaster und ging dann weiter in den Keller, wo er die Stasezauber aufheben und die Kessel anzünden würde. Er arbeitete bis vormittags, wo er dann eine Teepause einlegte und im Haus nach Hermine suchte. Er würde Tee zubereiten und sie würden ihn zusammen ruhig am Küchentisch sitzend, trinken. Das war der beste Teil seines Tages, auch wenn er sich dadurch, dass er es zugab, sich klein und minderwertig vorkam. Anschließend würde er arbeiten, bis er ausgehungert war oder die Schachteln voll genug aussahen, dass man es schon als peinlich bezeichnen konnte.
Weil es keine Rolle spielte, dass er dankbar für die Arbeit war. Er würde sie so oder so in Verlegenheit bringen.
***
September war nur mäßig besser. Sie ging manchmal aus, zum Fuchsbau, sagte sie oder sie besuchte Potter, der jetzt im Grimmauldplatz wohnte. Manchmal ging sie zum Tee zu Minerva. Einmal hatte sie sogar ganz schüchtern das Lovegood-Mädchen mit nach Spinnerâs End gebracht, aber sie waren weniger als eine Stunde geblieben, bevor Hermine bereits den Tränen nahe gewesen war und sie waren wieder davon appariert. Er wollte ihr sagen, dass es in Ordnung sei, dass er sie nicht hier wie eine Gefangene halten wollte, aber anschließend war sie für eine Woche ruhig und launisch gewesen.
Er hatte die quietschenden Stufen repariert, weil er es genoss zu wissen, wann sie kam, ohne, dass er sie hören musste. Es war eine seltsame Freude, weil sie fast wie Schmerz in seinem Herzen brannte und jedes Mal, wenn er aufblickte und sie wirklich dort stehen sah, fühlte er sich mit etwas, was er nur als Dankbarkeit bezeichnen konnte, erstochen. Er hatte noch nicht gelernt das panische Gefühl, wenn sie raus ging, abzustellen, selbst wenn er sich jedes Mal scharf sagte, dass er sich lächerlich machte. Wenn sie ihn verlassen wollte, dann hätte sie Shacklebolts großzügiges Angebot die Ehe annullieren zu lassen, genutzt.
Er genoss die Arbeit, gestand er sich selbst ein, und nicht nur weil er wieder etwas Magisches tat, fest verankert im Leben, welches er gewählt hatte. Es war bereits Jahre her, dass er darum gebeten worden war, etwas zu brauen und er genoss die Genauigkeit eines Messers durch den Inhaltsstoff, den Nervenkitzel wieder bei etwas Besonderes zu sein, selbst wenn es etwas so Durchschnittliches wie Zaubertränke für Krankenhäuser war. Er hatte sich durch die âAâsâ gearbeitet â durch die Anästhetika und Antipilzsalben für die Quidditchspieler, durch die Antivenin â füllte Schachtel nach Schachtel, bis sie sich manchmal unsicher bis unter die Deckel stapelten, bevor sie nach St. Mungos geliefert werden konnten. Er hätte sie verwandeln können, aber er genoss es das Ergebnis seiner Arbeit zu sehen, genoss es sich die Heiler vorzustellen, die seine Sendung am Montag erhalten würden, der Schlüsselbund, der sich plötzlich in riesige, prall gefüllte Schachteln mit Zaubertränken verwandelte.
Er zermalmte Stachelschweinpastillen gegen einen Stein für einen Trank zur Heilung von Furunkeln, als er sich bewusst wurde, dass sie beobachtend in der Tür stand. Er würdigte sie nicht sofort, sondern zermalmte zuerst noch die Pastillen und strich das Pulver vorsichtig in die Mitte des Kessels.
âWenn du schon den ganzen Tag dort stehen und mich anstarren musst, dann kannst du dich auch nützlich machenâ, sagte er und schob ihr den Mahlstein über den Arbeitstisch zu.
Sie zögerte, bevor sie einen Säuberungszauber auf ihre Hände legte und zum Tisch ging. âWie viele?â, fragte sie.
âMach sie alle. Als Ganzes haben sie keinen Nutzen und Pulver hält sich langeâ, sagte er. Er betrachtete sie vorsichtig, versuchte ihre Stimmung abzuschätzen. âUnd ich beabsichtige mehr Tränk für Heilung von Furunkeln für St. Mungoâs herzustellen, als sie lagern können. Neunhundert Stunden für diese Liste? Ich könnte ganz England beliefern.â
Sie lächelte schnell, ein angespanntes Lächeln und nahm eine Pastille auf, schlief sie in langen Zügen über den Stein. âDas erklärt dann die Schachtelnâ, sagte sie und er dachte, dass da etwas⊠etwas Lebendiges in ihrem Blick war.
Er trat hinter sie und legte seine rechte Hand über ihre. âBeobachteâ, sagte er und begann die Pastille in einem schnellen, kreisenden Muster gegen den Stein zu mahlen. Das Pulver rieselte unter ihren Händen.
âViel schnellerâ, sagte sie.
âIn der Tat.â
Er stand noch einen Moment länger hinter ihr, genoss ihre Nähe und den Duft ihres Haares, bevor er von ihr lies und sich daran begab, eine obszöne Anzahl von gehörnten Schnecken zu zerschneiden. Die Arbeit war beruhigend und er hoffte, es würde sie ebenfalls beruhigen, dass sie etwas Frieden in der Wiederholung oder einfach in der Erschaffung von etwas, fand.
Er beobachtete sie bei der Arbeit mit einer Zufriedenheit, mit der er es sich als ihr Lehrer niemals erlaubt hätte, selbst als er ihr Mann und Lehrer gleichzeitig gewesen war. Eine tiefe Falte zeichnete sich zwischen ihren Augenbrauen ab, und doch zogen sich ihre Mundwinkel hoch und sie errötete bei der Bemühung, die Dinge perfekt zu machen. Sie war ein seltenes Individuum, entschied er. Sie arbeitete genauso verbissen daran die Stachelschweinpastillen zu zermalmen, wie sie die Welt gerettet hatte. Er fragte sich, ob es falsch war sie zu lieben, wenn sie solche Schmerzen hatte.
âGenugâ, sagte er letztendlich, als ihre Seite des Tisches unter weißem Pulver vergraben war. âKomm und hilf mir mit diesen Schnecken.â
Er reichte ihr ein dünnes Silbermesser und sie entwickelten eine Routine, in der sie die Schnecke halbieren und dann an ihm weiter reichen würde, damit er sie würfeln konnte. Anfangs arbeiten sie langsam, ohne einen richtigen Rhythmus, und dann wurde es zu einem Spiel, in welchen sie versuchte einen Haufen zu bilden und er würfelte so schnell er konnte, damit er ihr immer einen Schritt voraus war. Sie arbeiteten, bis das Muster in sich zusammenfiel und ihre Hände immer öfters aneinanderstießen. Am Ende schnappte er ihr Handgelenk und drückte es für einen Moment feste zwischen seinen Fingern.
âJetzt rührst duâ, sagte er.
Sie nahm den Rührstab auf und begann die erste Mischung gegen den Uhrzeigersinn zu rühren. Als der Trank zu einem blassen, buttrigen Gel wurde, zog sie schnell den Stab heraus und trocknete ihn mit einem Zauber. Er füllte den Mittelteil in Fläschchen, beschriftete sie und stellte sie in einer Schachtel zu den anderen. Er konnte ihr das hier geben, dachte er. Er konnte das hier mit ihr teilen, wenn sie es brauchte. Flüchtig fragte er sich, ob es das war, was eine Ehe ausmachte, den jeweils anderen einfach immer und immer wieder zu retten.
âDer Rest kann wartenâ, sagte er und legte einen Stasezauber auf die anderen beiden Kessel. âMöchtest du â das heißt, hast du Hunger?â
âHunger?â, fragte sie verwirrt, als ob sie aus einem Traum aufwachen würde. âVermutlich.â
***
Als er die Liste bis zum Stärkungstrank abgearbeitet hatte, traf ihn Hermine jeden Morgen im Keller, ihre Ärmel hochgekrempelt und ihr Haar in einen dicken Zopf gebunden. Sie begann nie ohne ihn, sondern wartete darauf, dass er sie anwies und an diesem Morgen gab er ihr Ingwerwurzeln zum Schälen und Schneiden und die Granatäpfel zum Auspressen und er widmete sich den Käferaugen, als er sich an den Unterricht erinnerte, wo sie immer ihr Gesicht verzogen hatte, als sie sie ausgepuhlt hatte.
Sie arbeitete ruhig, wie sie es immer tat, schnitt vorsichtig den Ingwer papierdünn und durchsichtig. Er puhlte und trennte, puhlte und trennte, benutzte die Fläche seines Messers, um die feuchten schwarzen Augen über den Tisch zu streichen. Plötzlich hatte er eine seltsame Eingebung. Er sah sie abschätzend an. Und dann schnippte er ein Auge in ihre Richtung.
Sie schrie und wischte es aus ihrem Gesicht, herumspringend und wirbelte mit ihrer Hand in der Luft herum, als ob es irgendwie kontaminiert sei, aber sie lächelte ihn an und genauso schnell wie er entschieden hatte es zu tun, schien sie selbst eine Entscheidung getroffen zu haben. Sie nahm einen Granatapfel und warf ihn ungeschickt nach ihm. Er traf den Tisch mit einem matschigen Schlag und Saft flog in den Kessel und auf sein Hemd. Der Kessel begann augenblicklich zu brodeln und ein süßer, rosa Dampf stieg auf, aber er ignorierte es. Der Trank war ruiniert, aber der Dampf war nicht gefährlich. Er griff hinter sich und schnappte sich eine Handvoll Mondsteine und begann einen nach den anderen nach ihr zu werfen. Sie tanzte und duckte sich, ihr Lachen hallte durch den geschlossenen Keller und sie traf ihn mit einem Ingwerstück mitten ins Gesicht.
âSeverus! Severus! Das ist nicht fair! Keine Augen mehr!â, schrie sie und kroch einen Moment unter den Tisch. Darunter musste sie den Behälter mit Flubberwürmern gefunden haben, denn plötzlich flogen zwei davon durch die Luft und ihr Gesicht war vor Ekel verzogen, als sie wieder auftauchte, selbst wenn ihre Augen siegreich strahlten.
Sie lachte hysterisch, als er einen von den Kreaturen von seinen Schultern zog und ihn in den Behälter zurücklegte.
âIch hätte gedacht du seist erhaben darüber lebende Tiere zu benutzenâ, sagte er steif, aber er konnte das Lächeln nicht aus seinem Blick verbannen und sie umklammerte die Tischkante, als sie sich vor Gelächter vornüberbeugte.
âOh Gott. Oh Gott, Severus, du hättest den Blick in deinen Augen sehen sollen, als dieses-â Weiter kam sie nicht, als sie schnaufend nach Luft schnappte. Endlich nach einigen Minuten richtete sie sich wieder auf. âWir haben den Zaubertrank ruiniertâ, sagte sie ernsthaft, das Lächeln lungerte noch immer um ihren Mund.
âEntschuldigungâ, sagte Snape, âaber ich glaube, du hast den Trank ruiniert.â
âWas? Und ich vermute, ich habe dieses Käferauge auch nach mir selbst geworfen?â, sagte sie.
âEs ist gefallenâ, sagte er. âIch bin für dieses Durcheinander nicht verantwortlich. Obwohl ich zu behaupten wage, dass St. Mungoâs eine Kiste weniger von Stärkungstrank verkraften wird.â
âDas ist gemein, was du da tust, weißt du das? Diese armen Menschen, die es nehmen müssenâ, sagte sie mit funkelnden Augen.
âIch weiß nicht, wovon du redest. St. Mungos verlangt Zaubertränke. Ich beliefere sie bloß.â
âDa ist nichts âbloßâ an dem, was du tustâ, sagte sie, aber da war keine Zurechtweisung in ihrer Stimme und sie nahm seine Hand und führte ihn zum Tee die Treppen hinauf. Als sie in der Küche auftauchten, erlaubte er sich selbst die Hoffnung, dass sie wieder zu ihm zurückkam, dass das, was er ihr gab, vielleicht genug war.
***
An einem Morgen im November, den Tag, an dem sie den Erinnerungstrank fertiggestellt hatten, saßen sie nebeneinander auf der Couch im Wohnzimmer. Sie waren bereits spät dran, aber es war Samstag und warum das von Bedeutung war, wenn jeder Tag gleich war, wusste er nicht, aber aus irgendeinem Grund hielt er es für akzeptabel, wenn sie am Wochenende mehr Zeit mit dem Frühstück verbrachten. Sie konnten die fehlende Stunde immer noch nach dem Abendessen dranhängen.
Er hatte seine Füße auf den Kaffeetisch liegen und eine Teetasse balancierte auf der Couchlehne und müßig sah er auf die Seiten eines Buches, welches er nicht wirklich las. Er war zufrieden hier mit ihr zu sitzen, dabei zuzuhören, wie sie die Seiten des Tagespropheten, aus dem sie glücklicherweise fehlten, umblätterte. Hermine hatte ihn überredet Anlieferung frei Haus zu akzeptieren, und selbst wenn jemand die Beharrlichkeit besaß, herauszufinden, welche Eule ihre Lieferung enthielt und sie bis nach Manchester verfolgte, würden sie noch immer nicht in der Lage sein das Haus zu finden und aus irgendwelchen Gründen machte es sie glücklich, also hatte er nachgegeben. Jetzt belästigte sie ihn damit den Kamin an das Flohnetzwerk anzuschließen, was für ihn eine komplett andere Geschichte war, aber sie beharrte weiterhin, dass es gefährlich war, ihre Eule mit immer größeren Schlüsselbunden nach St. Mungoâs zu schicken.
âWas, wenn sie sich in der Luft verwandelten?â, fragte sie ihn jedes Mal. âBarney könnte sterben!â
Er verdrehte seine Augen. Warum er ihr erlaubt hatte diesen lächerlichen Vogel Barney zu nennen, wusste er nicht. Das einzig Positive den Kamin wieder am Flohneztwerk anzuschließen war seiner Ansicht nach, dass sie dann nicht mehr länger seine Vorräte von der Apotheke abholen musste. Es amüsierte ihn, dass St. Mungoâs für den gewaltigen Anteil an Inhaltsstoffen, die er brauchte, aufkam und doch mochte er es nicht, Hermine fast täglich hinauszuschicken, um sie abzuholen.
âWeshalb verdrehst du jetzt schon wieder deine Augen?â, sagte sie lächelnd. âIch habe heute doch noch gar nichts angestellt.â
âAh, aber der Tag ist noch jungâ, sagte er, lehnte seinen Kopf zurück und sah sie an.
Sie stieß ihn mit ihrem Fuß an. âWas das angehtâ, sagte sie. âIch habe nachgedacht. Lass uns heute blaumachen. Lass uns⊠ich weiß auch nicht. Lass uns nach Florish & Blotts gehen.â
Er spannte sich leicht an. âHermine, das Haus ist voll mit Büchern und es ist nicht so, als ob einer von uns ein Gehalt hätte.â
âWir müssen auch nichts kaufen. Wir können nur gucken. Oder wir könnten nur in einen Park gehen â einen Muggel-Park, Severus, keinen Park in der Zauberwelt â wir könnten einfach nur herumlaufen, mal etwas aus dem Haus kommen.â
âFalls es dir nicht aufgefallen ist, es ist November. Draußen ist es kalt.â
âAlso, dann könnten wir auch zum Grimmauldplatz gehen. Es steht noch immer unter dem Zauber. Harry würde sich freuen dich zu sehen; die Menschen würden sich freuen dich zu sehen, Severus. Wir könnten Minerva eine Eule schicken; sie könnte sich mit uns treffen-â
âHermineâ, sagte er mit einer leichten Warnung in seiner Stimme.
Sie sah ihn lange an und stand dann auf und brachte ihre Tasse in die Küche. âEs war nur ein Gedankeâ, sagte sie und ging die Stufen hinauf.
Er seufzte. Er wusste, was sie wollte; er wusste, dass sie sich danach sehnte, wieder normal zu sein und er wusste nicht, wie er ihr sagen sollte, dass dies das einzige Mal in seinem Leben ist, dass er sich normal fühlte. Es war nicht so, als ob er irgendwelche schrecklichen Einwände hätte, das Haus zu verlassen. Nicht ganz. Es war nur, dass hier, manchmal, an einigen Tagen, wenn sie so zwanglos zusammenarbeiteten, wenn der Staub leise und schwer im Wohnzimmer fiel und das Feuer loderte und sie lachte⊠manchmal konnte er dann vergessen, wie ihn die Leute draußen ansahen, vergessen, wie es sich angefühlt hatte gefesselt an einen Stuhl zu sitzen, während er von Hunderten von Augen angestarrt wurde. Hier, in diesem Haus, hatte er die zaghaften Regungen von Glück erkannt und er fürchtete sich davor die Grenzen von irgendetwas zu reißen, aus Angst, irgendein kostbares Gleichgewicht durcheinanderzubringen und dann zerstört vorzufinden.
Aber viel mehr als das, war da die Sache mit dem Januar. Während des langen, schweigsamen Augustes hatte er sich geschworen, dass er jeden einzelnen Tag arbeiten, dass er sich nicht ablenken lassen würde. Er hatte ihr schweigend versprochen, die neunhundert Stunden so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Er konnte ihr das Meiste von dem, was ihr genommen wurde nicht mehr zurückgeben, aber er würde ihr geben, was er konnte und das bedeutete, dass er arbeiten musste.
Er legte das Buch auf den Kaffeetisch und verschwand im Keller.
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