von Xaveria
Als es passierte, passierte alles ziemlich schnell. Hermine saß zusammen mit Ron im Gemeinschaftsraum, welcher sich über Quidditch ausließ. Seine erst kürzlich erworbenen sportlichen Fähigkeiten schienen ihm über den Kopf zu wachsen. Oder vielleicht musste er sich auch einfach von der Tatsache ablenken, dass sein bester Freund jetzt mit seiner Schwester ausging. Hermine schielte kurz zu ihm hinüber. Er schien es ganz gut aufzunehmen, aber man konnte schließlich nie wissen …
Ihre Gedanken jedoch verharrten nicht lang bei Ron. Sie hatte bereits seit Tagen das Gefühl, als ob sie unter körperlichen Schmerzen leiden würde und es war eine Langlebigkeit, nachdem sie ihre Beziehung zu Snape ruiniert hatte, das sie schmerzte. Sie zog ihre Beine noch fester in den weichen Stuhl, auf den sie sich gerollt hatte. Sie dachte, wenn sie ihre Beine nicht fest an sich gedrückt hielt, sie sie einfach verlieren würde. Sie wollte schluchzen, schreien, hinunter in den Kerker rennen und ihn dazu zwingen sich ihre Entschuldigung anzuhören, aber sie wagte es nicht, als ob sie wissen würde, dass seine Worte mehr als nur verdient waren. Sie war ein Dummkopf, ein kindlicher Dummkopf und sie hatte ihn gefährdet und … oh Gott. Ihre Brust schmerzte. Wie sollte sie nur mit dem Wissen, dass er sich in ihr geirrt hatte – dass es falsch war ihr zu vertrauen, sich um sie zu sorgen – weiteratmen? Geirrt.
Als der Ring brannte, schien das Adrenalin, welches durch ihren Körper schoss, sie wie mit einem Stromschlag hinzurichten. Snape!, schrie ihr Verstand und das Herz, welches sie den Abend über verflucht hatte, pochte und flatterte.
„Ron ... ich ... merk dir, wo du stehen geblieben bist“, stammelte sie und rannte die Treppe hinauf.
Im Treppenhaus riss sie den Ring von dem Finger. „Lumos“, flüsterte sie und hielt den Ring in das Licht des Zauberstabes.
Es ist soweit.
Es ist soweit? Wa—Grundgütiger Merlin. Soweit. Es ist so weit. Für einen Moment stand sie dumm da. Was sollte sie jetzt machen? Und auch wenn sie es niemals, absolut niemals, gegenüber irgendwem zugeben würde, war ihr erster Gedanke absolute Erleichterung, dass er doch noch mit ihr sprach, dass er sein Versprechen gehalten und sie warnen würde, wenn er das Schloss verließ.
Aber plötzlich konnte sie Harry aus dem Gemeinschaftsraum ihren Namen schreien hören und sie drehte sich um, um wieder zurück zu rennen, nicht wissend, was sie hören würde, aber doch wissend, dass, was auch immer es war, es mit Snapes Tun zu tun hatte. Was man von ihm verlangt hatte zu tun, berichtigte ihr Verstand. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie, als ob das Hinauszögern ihres Wissens ihn irgendwie aufhalten konnte, ihn davon abhalten würde zu verschwinden, bevor sie überhaupt die Möglichkeit gehabt hatte, sich bei ihm zu entschuldigen.
„Hermine!“, rief Harry erneut und sie stolperte die Stufen hinunter.
„Was ist?“, keuchte sie.
„Es ist Malfoy! Er feiert im Raum der Wünsche – was auch immer er versucht hat zu reparieren – ich sage euch, er hat es repariert. Hört mal— ich muss mich beeilen. Dumbledore denkt, dass ich nur meinen Tarnumhang hole. Wir werden—nun, er hat einen Horkrux gefunden und wir holen ihn uns. Also müsst ihr beiden euch um Snape und Malfoy kümmern. Ruft den Rest der DA--“
Er rannte die Treppen zum Schlafraum der Jungen hinauf. Schnell blickte Hermine zu Ron, dessen Gesichtsausdruck entschlossen war. „Hermine, was auch immer du jetzt denkst, was auch immer du glauben magst – denke ich, sollten wir heute Abend Malfoy beobachten. Wenn er etwas plant … etwas für Voldemort … und Dumbledore nicht da ist--“
„Ich weiß“, sagte sie, auch wenn es in ihrem Inneren elendig aussah. Wie war Harry in den Raum der Wünsche gekommen? Oh, Snape würde sie umbringen. Umbringen!
Harry kehrte zurück und stieß Ron ein paar dreckige Socken in seine Hände. „Nimm die hier“, sagte sie und reichte Hermine die Karte der Rumtreiber. „Und nehmt das hier auch.“
„Danke“, sagte Ron. „Ähm ... wozu brauche ich Socken?“
„Du brauchst das, was da drin eingewickelt ist, das Felix Felicis. Teilt es euch und gebt auch Ginny was davon. Grüß sie von mir. Ich muss mich beeilen, Dumbledore wartet--“
„Nein!“, sagte Hermine, während Ron mit ehrfurchtsvoller Miene das Fläschchen mit dem goldenen Zaubertrank auswickelte. „Wir wollen es nicht, nimm du es, wer weiß, was dich erwartet!“ Selbst als sie protestierte, begann sich bereits im Hintergrund ein Plan zu formen. Es gab vielleicht einen Weg … eine Möglichkeit Snape zu beschützen, ihren Schaden, den sie verursacht hatte, wieder rückgängig zu machen, um sicherzugehen, dass Ron ihn nicht aufhielt ...
„Mir wird schon nichts passieren. Dumbledore ist ja bei mir“, sagte Harry und verschwand durch die Porträtöffnung.
„Los, hol Ginny“, befahl Ron ihr.
Hermine schoss die Treppen hinauf und ohne weiter darüber nachzudenken, rannte sie an dem Schlafsaal der Fünftklässler vorbei in ihr eigenes Zimmer. Sie brach durch die Tür – das Zimmer war glücklicherweise leer - und schnappte sich ihre verzauberte Münze von ihrem Nachttisch, welcher dort das ganze Jahr über verlassen gelegen hatte. Sie berührte die Münze mit ihrem Zauberstab. Gryffindor -Gemeinschaftsraum. Dann schmiss sie ihren Zauberstab auf ihr Bett und flog hinunter zu Ginnys Raum, hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. „Ginny! Ginny, komm schnell!“
Sie und Ginny stolperten fast übereinander, als sie die Treppe hinunter rannten und Hermine eilig erklärte, wo Harry hingegangen war und was sie tun mussten. Als sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatten, traf auch Neville ein und sie konnte Luna von draußen schreien hören. Ron öffnete die Porträtöffnung und sie kletterte hinein.
„Okay“, sagte Ron. „Neville, Ginny und ich nehmen die Karte und überwachen den Raum der Wünsche. Luna, du und Hermine, ihr beobachtet Snapes Büro.“
Hermine hatte den flüchtigen Gedanken, dass Ron viel besser unter Stress war, als sie erwartet hatte.
„Also, wir werden alle einen Schluck von dem Felix nehmen – nicht allzu viel – sodass es für uns alle reicht.“
Hermine ließ das Fläschchen herumreichen, bis es schließlich bei ihr landete. Sie nahm es an sich.
„Wartet! Mein Zauberstab! Er ist oben”, zischte sie. „Geht … GEHT! Ich komme nach!“
Sie drückte ihren Daumen fest über die Flaschenöffnung und rannte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Sich ihren Zauberstab schnappend, eilte sie zu dem Kamin und schmiss Flohpuder in die Flammen. „Professor Snapes Büro“, sagte sie deutlich und schritt in das Feuer.
Als sie in Snapes Büro ankam, stopfte er einige Dinge in eine Tasche, die der, die sie in ihrem Winterprojekt erstellt hatte, nicht unähnlich war. Sie beobachtete, wie er seine Todesserrobe und die Maske, wie weitere Kleidung und Sachen hineinstieß. Dann drehte er sich um und sah sie.
„Was in Merlins Namen denken Sie--“
„Ich—Professor--“, stockte sie. „Harry weiß Bescheid. Er ist mit Dumbledore verschwunden, aber er weiß, dass Draco feiert. Er weiß, dass was auch immer es ist, heute Abend passieren wird.“
„Potter ist bei Dumbledore?“
„Ja—sie sind … irgendwo hin. Ich—ich sollte nicht mehr sagen. Aber, Sir, ich wollte mich nur vergewissern, dass--“
„Hermine, jetzt ist wohl kaum die Zeit dafür.“
Hermine! Er hat ‚Hermine‘ gesagt! Sie verfluchte ihr törichtes Herz für seinen Hüpfer und Geplapper.
„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur – Hören Sie, ich wollte es wieder gut machen, und-“
„Das ist nicht nötig.“
„Doch! Ist es! Harry hat Ron und den Rest von uns darauf angesetzt Draco … und Sie aufzuhalten. Neville und Luna und Ginny sind dort draußen – sie gehen zum Raum der Wünsche … und ich habe … ich habe Felix Felicis, Sir. Sorgen Sie dafür, dass was auch immer Sie tun müssen … es Ihnen gelingt.“
„Felix Felicis? Wo haben Sie es nur--? Nein, das spielt keine Rolle. Ich kann es nicht nehmen.“
„Warum nicht?“
„Weil Sie es nehmen müssen. Heute Abend wird das Schloss in Gefahr sein, und wenn Sie mitten drin sein sollten, dann muss ich darauf bestehen, dass Sie es nehmen. Es wird …“, er hielt inne und schien abzuwägen, ob es bereits zu spät war, noch mehr zu verheimlichen. „Der Tod wird heute hier sein. Nehmen Sie den Trank.“
„Das werde ich nicht“, sagte sie dickköpfig, auch wenn sie wusste, dass sie sich in seinen Ohren wie ein Kind anhören musste. Sie stieß das Fläschchen in seine Hand.
Er schien sie für eine ganze Weile anzustarren, abwägend und dann schien er nachzugeben und nahm das Fläschchen aus ihren Fingern, hob es in das Licht und schwankte leicht. „Ich nehme an von Slughorn?“, fragte er.
„Ja. Harry hat es in diesem Jahr gewonnen. Es ist nicht vergiftet, Sir. Harry hat schon was davon genommen – und heute Abend die anderen auch. Ich habe meinen Schluck für Sie aufgehoben. Aber ich muss mich beeilen – sie warten schon auf mich.“
„Ich habe nicht angenommen, dass Sie mich vergiften würden“, flüsterte er und setzte das Fläschchen an seine Lippen. Dann, ganz plötzlich, war sein Mund auf dem ihren, stieß ihren mit seiner Zunge auf. Der Trank floss von seinem Mund in den ihren. Es war cremig, süß, dick … und irgendwie sprudelnd. Sie konzentrierte sich darauf, es nicht zu schlucken, den Trank mit ihrer Zunge in seinen Mund zurückzudrängen. Er bekämpfte sie; es gab einen wilden Kampf der Willen und sein Mund war gegen den ihren gepresst. Aber ein Teil des Trankes hatte sie trotz ihrer Weigerung zu schlucken bereits erreicht und als sie sich küssten, verspürte er ein merkwürdiges Gefühl von Bestimmung und Leichtigkeit. Dieser Kuss – er war völlig nötig, vollkommen richtig. Dieser Kuss war ihr Weg sich zu verabschieden, auch wenn sie das bereits irgendwie getan hatten, und mit diesem Kuss machte sie ihr letztes Versprechen zu glauben. Snape würde es gut gehen. Er würde das, was auch immer er tun musste, überleben; er würde nicht geschnappt werden und ihr Opfer würde nicht umsonst gewesen sein. Snape schien ebenfalls die Auswirkungen des Trankes zu spüren, da er alle vollkommen geschluckt hatte und sie spürte die Vergebung von ihm ausstrahlen, genauso wie andere Versprechen, die sie nicht benennen konnte, also ob seinen Teil der Unterhaltung beanspruchen würde. Sie verspürte von ihm eine Art verzweifelte Entschuldigung, als er den restlichen Trank in ihren Mund zwang und sich von ihr losriss.
***
„Können Sie es fühlen?“, fragte sie. Und was er fühlte, war dermaßen außerhalb von beschreibenden Worten, das er fast nicht antworten konnte. Er war sich sicher, dass er nichts von dem Trank geschluckt hatte, aber trotz seines besten Bemühens, schien es ihn erreicht zu haben. Er fühlte sich … leicht … leichter als je zuvor und war sich seines ausführendes Planes absolut sicher. Er versuchte den Schrecken zu spüren, dass er ihr erlaubt hatte, ihm zu helfen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie sich morgen … selbst in ein paar Stunden fühlen würde … aber er konnte nicht ganz die Selbsterniedrigung erreichen, die er suchte. Es war so, als ob er sich von seinem Kopf gelöst hatte und endlich … endlich frei sein konnte, zumindest bis die Wirkung des Trankes nachließ. Seine Gliedmaßen waren wie losgelöst, schon fast vor Bestimmung und Klarheit kribbelnd.
„Ich fühle es“, sagte er, nicht in der Lage noch mehr zu sagen.
Sie lächelte ihn an, was als absolut richtig erschien und seine Mundwinkel zuckten antwortend. Entfernt hörte er seine eigene Stimme knurren: Hier herumstehen, und wie ein verdammter Idiot zu grinsen—Geh! Geh! Er würde diese Stimme augenblicklich beachten, aber ein viel mächtiger Teil seines Kopfes beharrte darauf, dass es noch Dinge gab, die er zuerst erledigen musste.
„Tarnen Sie sich“, sagte er und sie nickte, als sie ohne zu zögern den Zauber ausführte. „Und werfen Sie Protego Horribilis. Der Trank und das Schild sollten Sie sichern. Ihre Zauber sind ausgezeichnet, Hermine, aber sie werden in keinerlei Hinsicht der Macht der Todesser gewachsen sein. Ich würde den Zauber persönlich auf Sie legen, aber wenn Sie gefangen genommen werden, will ich nicht, dass sich Spuren meiner Magie auf Ihnen befindet.“
„Richtig“, sagte sie. Und nach einer Pause. „Ich denke, da kommt jemand.“
„Ja, geradewegs hierhin“, stimmte er ihr zu. Er starrte in die Leere, wo sie stehen sollte. Auch wenn er wusste, dass es lächerlich war, spürte er schon fast, wie sie dort stand mit ihren vom Trank beruhigten braunen Augen. Plötzlich war ihre Hand in der seinen.
„Sei vorsichtig, Severus“, flüsterte sie.
Bevor er antworten konnte, wurde die Tür aufgestoßen und Flitwick flog mit wehendem, rosa Gewand hindurch. „Severus!“, schrie er. „Todesser sind im Schloss – Beeilen Sie sich – im zweiten Stock!“
Snape zögerte nicht, sondern richtete seinen Zauberstab träge auf den winzigen Zauberer. „Stupor!“, sagte er laut, damit Hermine wissen würde, wie sie seinem Kollegen, nachdem er verschwunden war, helfen könnte. Er eilte durch die Tür und Miss Lovegood davor herumschleichend sehend, schrie er: „Flitwick ist zusammengebrochen – helfen Sie ihm!“ und rannte den entgegen gelegenen Korridor hinunter, irgendwie wissend, dass Hermine ihm auf den Fersen war. Er hielt abrupt an, als sie außer Reichweite seines Büros waren, und entfernte den Tarnzauber. Sein Herz pochte schmerzend in seiner Brust und er wollte hier für immer stehen und sich jede ihrer Locken in seine Erinnerung einbrennen, aber seine Füße schienen ihn den Flur hinunter zu ziehen, fort von ihr. „Glaube“, flüsterte und rannte einen Treppenabsatz hinunter, die sich gerade dorthin gedreht hatte, also ob er sie gerufen hätte.
Snape kam am Absatz an und eine ganze Menge von duellierenden Zauberern schien sich vor ihm zu teilen. Er sah Yaxley mit dem Weasley Mädchen kämpfen; Gibbon brach zusammen; Remus und Nymphadora tauschten mit zwei Todessern, die er nicht sehen konnte, Flüche aus. Beide Seiten traten zurück, die Todesser im sicheren Glauben, dass er sich ihnen anschließen würde und der Orden aus demselben Grund. Fast als ob es einstudiert war, tat sich ein klarer Weg für ihn zwischen den wild kämpfenden Zauberer auf und er konnte sehen, wie Longbottom am anderen Ende des Raumes die Treppe zum Astronomieturm hinauf rannte. Er wurde zurückgestoßen, segelte die Treppen hinunter und Snape schaffte es gerade einen wortlosen Polsterungszauber auf den Boden zu werfen, bevor der Junge aufprallte. Dennoch landete er lauthals auf den Boden und rutschte den Korridor hinunter. Snape rannte an ihm vorbei, nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Sobald er den Jungen auf der Treppe gesehen hatte, war es für ihn klar, dass der Astronomieturm, der Ort war, an dem er sein musste. Er konnte die Schwelle, die Longbottom zurückgeworfen hatte, nicht sehen, aber er wusste instinktiv, dass er sie durchschreiten konnte, und zögerte nicht, als er die Treppe hinaufschlitterte.
Er fegte auf den Turm und nahm Dracos blasses, verkniffenes Gesicht auf; der lauernde Werwolf Greyback; und die lächerlichen Carrows, die unwirksam herumhüpften. Er wusste, dass er sich ängstigen sollte – er war zu spät – Draco hatte den Schulleiter bereits entwaffnet; ihr Plan war fast gescheitert und doch schien es so, dass er genau in dem richtigen Moment aufgetaucht war, die Szene stand und es war offensichtlich, dass Draco der Aufgabe nicht gewachsen war.
„Draco, tu es, oder geh beiseite, damit einer von uns--“, kreischte Alecto Carrow, als ihr Bruder Snape ruhig in der Tür stehen sah.
„Wir haben ein Problem, Snape“, sagte Amycus. „Der Junge ist offenbar nicht fähig--“
Dumbledore lag gekrümmt gegen den Befestigungswall. Zum ersten Mal seit fast dreißig Jahren, in denen Snape ihn gekannt hatte, sah er wirklich alt aus, wirklich verängstigt. Vielleicht war es die Macht des alten Mannes, die ihn so lebendig hielt und es war deutlich, dass seine Macht ihn verlassen hatte. Als Snape auf ihn hinunter blickte, schien er seine letzte Kraft zu sammeln und flüsterte: „Severus …“
Seit Monaten hatte er nachts wach gelegen, sich den Moment vorgestellt, absolut nicht in der Lage an irgendwelche Gründe, irgendwelche Motivationen zu denken, die ihm die Kraft, die Absicht gaben, die nötig waren, um den Todesfluch auszuführen. Aber der Felix brodelte warm in seinem Blut und plötzlich war die Antwort einfach da.
„Severus …bitte …“
Er rief in seinem Kopf den Abend herbei, an dem Dumbledore von dem Ring verflucht wurde und hörte die Stimme des alten Zauberers hallen. Ich erkenne keinen besonderen Nutzen darin Miss Granger genau diesen Teil des Planes zu erzählen … die geeigneteren Hexen sind tot … Es erschien so, als er diese Gedanken aufrief, dass sich die Erinnerungen stapeln würden, ihn mit ihrer Klarheit angriffen, als ob er derjenige war, der am Rande des Todes wandelte, als ob er sein Leben noch einmal Revue passieren lassen würde. Sie widern mich an … Gewiss können Sie sich an die genaue Form und Farbe von Lilys Augen erinnern? Schicken Sie Hermine sofort auf ihr Zimmer zurück … Sicherlich nicht –Sie müssen mich töten … Ich will nicht, dass Sie eine Zuneigung entwickeln, die Ihrer Loyalität in den Weg kommen könnte. Ihre Pflicht gilt Lily Potters Sohn … Es war nur ein Bruchstück seiner Gefühle für den Zauberer, der jetzt zu seinen Füßen lag, aber er konnte es benutzen.
Keine weiteren Meister, dachte er. „Avada Kedavra!“
Grünes Licht schoss aus seinem Zauberstab und traf Dumbledore direkt auf die Brust. Dann kam es ihm so vor, dass noch nicht einmal der Felix seinen Hass und Abscheu in Schach halten konnte. Den Moment, als der Fluch den alten Zauberer traf und ihn über die Brüstung stieß, kämpfte Snape gegen das Verlangen an, hinterher zu springen.
„Raus hier, schnell“, rief er, hoffend, dass das Sprechen seine Übelkeit unter Kontrolle hielt. Er schnappte nach Malfoy und trug schon fast den Jungen die Stufen hinunter, der leblos in seinem Griff hing.
Der Trank lungerte noch immer in seinem Blut – viel war nicht mehr übrig, aber genug, um zu sehen, dass sich die Zauberer vor ihm wieder teilten und er war in der Lage mit Draco unverletzt durch das Gefecht zu schreiten. Er erhaschte kurz einen Blick auf Hermine, bevor er schrie: „Es ist vorbei. Zeit zu gehen!“ und verschwand in die Nacht.
***
Hermine sah Snape, als sich vor ihm die Menge teilte, um ihn durchzulassen. Er hielt Draco an seinen Kragen und schien ihn zur Tür zu befördern. Dracos Augen hatten den Blick verloren, den sie im Raum der Wünsche gesehen hatte; er sah nicht länger wie ein Todesser aus, sondern wie ein verwirrtes und verängstigtes Kind. Als sie Draco beobachtete, rollte Dracos Kopf zurück und sein Blick suchte flehend Snapes. Ohne Gnade schob Snape ihn voran. „Es ist vorbei. Zeit zu gehen!”, rief er und zuerst dachte sie, dass er ihr sagen wollte, dass der Plan ausgeführt war, bis sie sah, dass alle Todesser ihren Kampf einstellten und ihm nacheilten.
Durch das Gedränge von maskierten Personen, die aus dem Schloss eilten, erhaschte Hermine Harry, was ihr Herz in ihrer Brust stolpern ließ. Harry war hier? Wann war er zurückgekehrt? Er rannte die Treppen des Astronomieturms hinunter, dieselbe Treppe, von der Snape gerade getreten war. Das machte sie neugierig - was war nur auf dem Astronomieturm los? Aber dann schrie er über all den Lärm: „Haltet sie auf! Snape! Malfoy! Haltet sie auf!” und das war der Moment, wo die Dinge etwas unklar wurden.
Sie rannte, so viel wusste sie noch, rannte mit den anderen hinaus auf das Gelände. Harry eilte an ihr vorbei – Hagrids Hütte stand in Flammen – aber es schien so, dass sie bereits wusste, dass die Jagd sinnlos war. Die Todesser hatten einen zu großen Vorsprung; offen gesagt war sie – waren sie alle – ein wenig froh darüber, dass sie sich umgedreht und weggerannt waren. Die Dinge sind drinnen nicht besonders gut gelaufen. Die Anzahl war gleich, aber sie wusste, dass der Orden auf die Unbarmherzigkeit der Todesser nicht vorbereitet gewesen war. Sie und Luna hatten gegen einen riesigen, blonden Todesser gekämpft, der mit so einer Schnelle Unverzeihliche auf sie schoss, dass sie das Gefühl hatte, wild zu tanzen.
Sie fiel fast augenblicklich, als die kalte Nachtluft ihr Gesicht traf, zurück; ihre Schritte wurden langsamer und hielten schließlich an und sie blickte hinauf in den klaren Sternenhimmel. Was für eine schöne Nacht; es erschien undenkbar, dass sich im Inneren die Beweise des Krieges befanden, Blut und Körper und verfilztes Fell – sie war sich fast sicher gesehen zu haben, wie Bill Weasley unter Greybacks Attacke gefallen war, aber rasch verdrängte sie diesen Gedanken.
Sie konnte Harrys Schreie in der Entfernung hören, aber da waren keine Todesser – sie schienen einmal, da Snape sie zurückgerufen hatte, kein Interesse mehr am Kampf zu haben und waren schnell zum Apparationspunkt geflüchtet und verschwunden. Lupin näherte sich ihr von hinten und berührte ihre Schulter, löste sie aus ihrer Unbeweglichkeit.
„Krankenflügel“, flüsterte er. „Befehl von McGonagall.“
„Aber ich bin nicht verletzt“, sagte sie benommen.
„Ist egal. Es ist vorbei. Wir treffen uns alle dort. Ron ist schon auf den Weg … und Tonks, Moody, Luna …“
Sie drehte sich um und folgte ihm schweigend, bis sie die Treppe erreichten. Plötzlich hielt sie an und griff nach seinen Ärmeln. „Harry! Ich habe Harry dort hinten gesehen!”
„Ich habe Ginny losgeschickt, um ihn zu holen.“
Sie nickte und ging ohne ein weiteres Wort weiter zum Krankenflügel. Als sie eintraten, wurden Hermines Sinne von einer Mischung aus Angst, Zaubertränke, Blut und Schweiß angegriffen. Ron sprang von seinem Stuhl auf und stürmte auf sie zu, nahm ihre Arme in seine Hände. „Hermine—danke Gott. Ich habe dich nicht mehr gesehen, nachdem er ... nachdem sie ...“
„Mir geht’s gut, Ron… was ist mit Bill?“
„Greyback hat ihn angegriffen. Madam Pomfrey sagt … sie glaubt …“ Er schien nicht fortfahren zu können.
Lupin eilte zu dem Bett, in dem Bill regungslos lag. Sein Gesicht war fast bis zur Unkenntlichkeit verwildert. Madam Pomfrey schmierte eine dicke, ölige Salbe auf Bills Wunden.
„Und Sie können nicht … Sie können sie nicht mit einem Zauber heilen?“, fragte Hermine die Heilerin, dessen Gesicht vor Sorge verzogen war.
„Bei denen hier hilft kein Zauber“, sagte Madam Pomfrey. „Ich habe alles ausprobiert, was ich kenne, aber für Werwolfbisse gibt es keine Heilung.“
„Aber er wurde nicht bei Vollmond gebissen“, sagte Ron. „Greyback war nicht verwandelt, also wird Bill bestimmt kein – kein richtiger--?“
Gerade in dem Moment betraten Harry und Ginny den Raum. Luna sprang auf ihre Füße und Tonks und Lupin schienen einen Schritt zurückzugehen, um sie in die Menge aufzunehmen.
„Nein, ich glaube nicht, dass Bill ein echter Werwolf wird“, sagte Lupin, „doch das heißt nicht, dass es nicht zu einer Vergiftung kommt. Auf diesen Wunden hier liegt ein Fluch.“
„Aber vielleicht weiß Dumbledore etwas, das wirkt“, sagte Ron. „Wo ist er? Bill hat auf Dumbledores Befehl gegen diese Wahnsinnigen gekämpft. Dumbledore sollte ihm dankbar sein, er kann ihn nicht in diesem Zustand lassen--“
„Ron – Dumbledore ist tot“, sagte Ginny.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Hermine das Gefühl, das sie wusste, was Muggel meinten, wenn sie sagten, dass ihre Beine zu Pudding wurden. Sie war nicht ohnmächtig geworden, aber sie war weit davon entfernt noch klar denken zu können und es sah ganz danach aus, als ob sich ihre Beine weigerten, sie noch weiter zu halten. Haltlos sank sie auf den Stuhl. Dumbledore tot? Unmöglich – seine Pläne – es gab noch so viel zu tun, so viel, was sie noch nicht wussten. Sie hatte gedacht, dass Snape Dumbledores Plan ausführte, aber wie konnte er ihre Pläne ausführen, wenn Dumbledore tot war? Es musste passiert sein, als Harry mit ihm nach dem Horkrux gesucht hatte, erkannte sie. Aber – er war noch nicht damit fertig gewesen, Harry alles von ihnen zu erzählen! Woher sollen sie denn jetzt wissen, was sie tun sollten? Dumbledore konnte nicht tot sein. Ginny musste sich irren.
„Wie ist er gestorben?“, flüsterte Tonks. „Wie ist es geschehen?“
„Snape hat ihn getötet“, sagte Harry. „Ich war dabei, ich habe es gesehen.“
Dunkelheit schien sie zu erfassen, zu umschlingen, alle Geräusche und Sinne zu vertreiben. Zischende, wirbelnde Dunkelheit füllten ihre Augen und Ohren. Der Raum erschien zu eng und zu heiß. Ihr Herz schlug seltsam doppel- und dreifach, so als ob sich seinen Weg durch ihren Brustkorb boxen wollte. Nicht sehend starrte sie auf Bill, auf sein groteskes, entstelltes Gesicht. Da waren keine Gedanken, keine Tränen; ihre Augen waren so trocken wie Staub. Ihr Hals schien auf ein Nadelöhr geschrumpft zu sein und sie begann pfeifend ein und auszuatmen.
„Der Avada Kedavra“, sagte Harry und endlich und glücklicherweise verlor sie das Bewusstsein.
Gesichter waren dicht über ihr gebeugt – zu nahe – als sie wieder aufwachte und sie schmeckte etwas Heißes und Würziges in ihrem Mund. Und dennoch schien es nicht der Trank gewesen zu sein, der sie geweckt hatte, sondern ein Geräusch so anders als alles, was sie bisher gehört hatte, ein Geräusch, das in jeder ihrer Zellen widerzuhallen und ihren Herzschlag zu beruhigen schien. Einer nach den anderen schien es jetzt auch zu hören und jeder erstarrte, vollkommen erstarrt von der quälenden, schrecklichen Schönheit.
„Es ist Fawkes“, hauchte Ginny.
Professor McGonagall war zu ihnen gestoßen, auch wenn sich Hermine nicht an ihre Ankunft erinnern konnte. Sie hielt, genau wie die anderen, inne mit ihrem Taschentuch auf halben Weg zu ihren tränennassen Augen, ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
„Es ist alles meine Schuld“, sagte sie plötzlich und brach den Zauber. „Meine Schuld. Ich habe heute Nacht Filius geschickt, um Snape zu holen, ich habe ihn tatsächlich holen lassen, damit er uns hilft!“
Es ertönte ein Chor aus Protesten, aber Hermines Stimme fiel nicht in die Aufruhr mit ein, da sie selbst an ihren eigenen Protest erstickte. Es war nicht Professor McGonagalls Schuld. Es war ihre. Sie hatte ihm den Felix gegeben – sie hatte sichergestellt, dass er seinen Plan … vollenden konnte. Sie hatte es direkt in seine Hände gespielt.
Die anderen erzählten von ihren Eindrücken des Abends, setzten das zusammen, was möglich war, wenn nicht sogar glaubwürdig, aber Hermine saß so ruhig dar, als ob sie versteinert worden war.
„Und während Ron mit Ginny und Neville den Raum der Wünsche überwacht hat“, sagte Harry und wandte sich an Hermine, „warst du--?“
„Draußen vor Snapes Büro, ja“, sagte sie, ihre Stimme kaum hörbar. „Es war fast Mitternacht, als Professor Flitwick in die Kerker heruntergeeilt kam. Er schrie etwas von wegen, Todesser seien im Schloss … und-“
„Was?“, drängte Harry.
Luna ging dazwischen. „Professor Flitwick platzte in Snapes Büro und dann kam Snape heraus gerannt. Er hat gesagt, dass Flitwick zusammengebrochen war, auch wenn ich denke, dass er ihn mit einem Schockzauber belegt hat – Hermine hatte ihm sofort helfen können – und dann kam er raus gerannt und sagte, dass er beim Kampf gegen die Todesser helfen müsse--“
„Ich war so dumm, Harry“, flüsterte Hermine aufgebracht. „Ich habe nichts gemerkt, Harry, ich habe nichts gemerkt, wir haben Snape einfach gehen lassen!“
„Es ist nicht deine Schuld“, wandte Lupin entschieden ein. „Hermine, wenn ihr Snape nicht gehorcht hättet und nicht aus dem Weg gegangen wärt, dann hätte er dich und Luna wahrscheinlich getötet.“
Hermine sah ihn ausdruckslos an, sich wünschend, dass sie Trost in seinen Worten finden konnte. Aber das konnte sie nicht, da alles, was sie gesagt hatte eine Lüge war, genau wie Snape es ihr beigebracht hatte, zwischen der Wahrheit zu lügen …
In dem Augenblick streifte Moody an Lupin vorbei und nahm Hermines Hände in seine, groben, ledrigen. „Es ist nicht Ihre Schuld“, wiederholte er und Hermine wandte ihren Blick ab, lehnte jeden weiteren Trost ab. „Miss Granger“, sagte er scharf und sie blickte zu ihm auf, als er Snapes Name sagte. Er schien genau zu wissen, wie er ihre Aufmerksamkeit bekam. „Sie haben genau das getan, was der Schulleiter von Ihnen verlangt hatte.“
Sowohl sein magisches als auch sein normales Auge waren auf sie gerichtet und sie sah ihn fragend an.
„Genau, was der Schulleiter gewollt hatte“, wiederholte er, während Fawkes Totenklage geradewegs durchstieß.
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