Kapitel 2-Ein neuer Job für Harry
Als er sah, dass Hermine aufgewacht war, hielt Harry vor Schreck glatt den Atem an. Ganze drei Tage lang war sie in todesähnlichen Schlaf versunken gewesen. Zaghaft sah Harry sie mit einem scheuen Lächeln an. Er traute sich nicht, irgendetwas zu tun oder zu ihr zu sagen, bevor er wusste, wie es um sie stand. Bis sich Hermines Mundwinkel schließlich leicht nach oben zogen und sie ein leises, kaum hörbares „Hallo, Süßer.“ hauchte.
„Oh, Hermine!“, brach es aus Harry hervor. Er schaffte es die Tränen der Erleichterung zurückzuhalten und schlang beide Arme um sie. Ungeachtet ihres Gesundheitszustands presste er sie so fest an sich wie er nur konnte. Harry drückte seine Nase gegen ihre Schulter, sog tief ihren Duft ein und war sich sicher, Hermine nie wieder in seinem ganzen Leben loszulassen. Als er dann schließlich doch die Umarmung lockerte, sah er sie mit leuchtenden Augen an.
„Du erkennst mich wirklich!“, stellte er schniefend fest.
„Ja, natürlich. Wieso auch nicht? Wir sind seit zehn Jahren befreundet und schon seit einem Jahr verheiratet, Harry.“, grinste Hermine, das Grinsen verschwand aber ebenso schnell wie es gekommen war. Stattdessen machte es einem panischen, erschrockenen Gesichtsausdruck Platz. Hermine fuhr herum und blickte hinter sich, blickte zur einen Seite, zur anderen und sogar zur Decke und unter ihr Bett. Hektisch suchte sie. Sie machte den Eindruck, als hätte sie das wichtigste in ihrem Leben verloren.
„Wo ist Lily? Was ist mit Lily? Sag mir, was mit Lily ist!“ Sie sprach so schnell hintereinander, dass Harry gar keine Zeit für irgendeine Antwort blieb. Sie packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn.
„Mine, beruhige dich. Lily ist nicht passiert, sie ist unverletzt geblieben.“
„Wo ist sie? Wo ist sie?“
„Lavender kümmert sich um sie. Sie hat angeboten, das...“
„Hol sie! Hol Lily her!“, befahl Hermine mit fester, für sie untypisch harter Stimme. „Ich will meine Tochter selbst sehen. Bring Lily her, Harry.“
„Ja.“, willigte Harry erschrocken ein. „Ja, natürlich, Schatz.“
Doch das erwies sich als unnötig. Harry war gerade erst aufgestanden, da öffnete sich die Tür des Krankenzimmers bereits und Lavender trat herein. Sie schob einen grau-orangen Kinderwagen, in dem Mia selig schlummerte. Und auf dem Arm hielt sie Lily, die neugierig mit großen, grünen Augen in alle Richtungen schaute.
„Hallo, Harry. Hermine, wie geht es...“
„Gib mir Lily!“, fuhr Hermine sie aufgelöst an und streckte begierig die Arme aus. Lavender hob erstaunt die Augenbrauen, trat aber folgsam an das Bett heran und sobald sie in Reichweite gekommen war, packte Hermine Lily und riss sie ihr regelrecht aus den Armen. Hermine drückte ihre Tochter fest an sich, tastete sie ebenso wie Harry überall ab wie um sicherzugehen, dass ihr nichts fehle und dann begann sie zu weinen, während sie Lily schniefend an sich drückte.
„Geht es dir gut, Hermine?“, fragte Harry leise. Unwirsch winkte sie ab.
„Mir fehlt nichts. Oh Lily, ich hab solche Angst um dich gehabt, mein Engel...“, flüsterte sie und verteilte eine ganze Reihe an Küssen auf ihrem Kopf. „Ich hätte nie wieder glücklich werden können, wenn wir dich verloren hätten, Kleines...“ Sie drückte ihren Mund gegen Lilys Nacken und prustete, was diese zum wilden Auflachen brachte. Es war ein traditionelles Zeichen zwischen den beiden und verdeutlichte Lily, dass alles in Ordnung sei. Harry räusperte sich.
„Mine, was ist denn eigentlich passiert?“ Hermine sah von ihrer Tochter auf und blickte wie in Trance zu Harry herüber.
„Harry...Er...ER hat mich angegriffen. In Godrics Hollow. Lily und mich. Er, verstehst du Harry? Er!“
Ein eisiges Frösteln fuhr Harrys Rücken herab.
„Ähm...wer hat euch angegriffen, Schatz?“, fragte er noch einmal mit krächzender Stimme. Sein Hals war knochentrocken und seine Augen brannten.
„Er!“, wiederholte Hermine eindringlich. „V...Vo...Du-weißt-schon-wer.“, schloss sie mit leiser, fast flüsternder Stimme. Lavender stieß einen spitzen Schrei aus und hätte dabei beinah den Kinderwagen umgeworfen. Harry schaute starr in das angstverzerrte Gesicht seiner Frau hinab. Sein Gesicht blieb undeutbar. Die Neuigkeit, dass Voldemort zurückgekehrt sei, worauf Dumbledore ihn immerhin bereits vor zwei Jahren vorbereitet hatte, schreckte ihn nicht halb so sehr wie der Zustand von Hermine. Der Angriff schien sie sehr verändert zu haben. Fast immer war sie die starke, selbstbewusste Frau an seiner Seite gewesen, die im Zweifelsfall mit ihrem Wissen, ihrem Können und ihrem Talent eine Lösung herbeizaubern konnte. Als sie damals von Harry gehört hatte, dass er und Voldemort unweigerlich gegeneinander würden kämpfen müssen, war sie zwar berührt von seinem Schicksal, hatte aber noch überheblich gelacht und gemeint, dass Harry und sie das schon schaffen würden. Jetzt, das konnte Harry deutlich spüren, war Hermine verängstigt, unsicher und verzweifelt, und all das auf einmal gerade bei Hermine zu sehen, war ein schmerzhafter Schlag für ihn. Auch war ihm nicht entgangen, dass Hermine Voldemorts Namen nicht mehr über die Lippen brachte, obwohl sie das seit ihrem fünften Schuljahr getan hatte und damit neben Dumbledore, Lupin, Sirius und Harry selbst zu einer nur sehr geringen Anzahl gehörte, die sich das trauten. Jetzt aber schien sie völlig mutlos zu sein. Sie drückte Lily zwar immer noch fest und liebevoll an sich, ließ aber deprimiert die Schultern hängen.
„Schöner Schlamassel.“, murmelte Hermine niedergeschlagen.
„Aber warum?“, polterte Lavender plötzlich wütend los, so lautstark, dass Mia vor Schreck zu weinen anfing, doch ihrer Mutter war das in diesem Moment schnuppe. „Ihr habt ihn doch kaltgemacht, oder nicht? Er war doch tot, oder?“
Harry sah fragend zu Hermine herüber und sie nickte ihm zu. Also räusperte er sich, rückte noch einmal seine Brille gerade und begann mit schwerer Stimme zu erklären.
„Lavender, laut einer Prophezeiung sollte Voldemort (sowohl Lavender als auch Hermine schreckten zusammen, als sein Name genannt wurde) ein weiteres Mal zurückkehren. Du weißt, dass es damals meine Aufgabe war, ihn zu vernichten?“ Lavender schluckte und nickte knapp. „So, aber es gab einen weiteren Teil der Prophezeiung. Sie besagte, dass ich Voldemort nur dann ein zweites Mal aufhalten könne, wenn ich bis dahin meine wahre Liebe gefunden habe. Und das habe ich...“, fuhr er lächelnd mit einem kleinen Blick zu Hermine fort, „...zu meinem Glück auch getan. Aber Hermine hat mir geholfen, Voldemort das zweite Mal zu besiegen. Die Prophezeiung sagt nun, dass Voldemort ein weiteres Mal zurückkehrt und wir ihn ein drittes Mal besiegen müssen. Mit „wir“ meine ich Hermine und mich, denn weil sie mir damals beigestanden hat, gilt die Prophezeiung jetzt auch für sie.“
„Aber wieso kann der Kerl dauernd wieder zurückkehren, wenn er doch tot war?“, fragte Lavender mit verzweifelt fuchtelnden Armen, wodurch Mia sich wieder etwas beruhigte. Der Anblick ihrer wild gestikulierenden Mutter war für sie äußerst unterhaltsam. „Wie funktioniert das?“
„Das kann ich dir leider auch nicht sagen.“, gab Harry zu. „Ich hab keinen Schimmer, wie Voldemort diese Angriffe zweimal überleben konnte. Ich weiß auch nicht, wie er diesmal zurückgekehrt ist. Damals wurde er in einem seltsamen, schwarzmagischen Ritual wieder belebt.“
„Das war kurz nach dem trimagischen Turnier, oder?“
„Ja.“, nickte Harry.
„Also...also beginnt es von Neuem?“, fragte Lavender. Ihre Finger klammerten sich so fest um den Griff von Mias Kinderwagen, dass ihre Hände alle Farbe verloren.
„Das wird es wohl...“, meinte Harry tonlos.
„Okay, dann...“, und Lavender hob mit nervös blinzelnden Augen, aber trotzdem auf irgendeine Art und Weise trotzig, den Kopf. „...dann werden wir ihn halt noch mal fertig machen. Ihr könnt auf Chris und mich zählen.“ Harry lächelte.
„Danke, Lavender.“
„Bist du sicher?“, fragte Hermine zweifelnd. „Lav, Harry und ich müssen kämpfen, das ist nicht zu ändern, aber Chris und du...ihr könntet euch noch raushalten. Denk auch an Mia. Ihr habt so viel zu verlieren.“
„Nicht mehr als ihr.“, entgegnete Lavender. „Und ich werde meine Freunde doch nicht alleine lassen.“
„Danke.“, flüsterte Hermine, und ihre Augen glitzerten feucht. „Vielleicht sollten wir das auch Chris verraten. Das mit der Prophezeiung.“
„Das hab ich schon getan.“, warf Harry ein. „Er weiß Bescheid. Auch dass Voldemort ein zweites Mal zurückkehren würde.“
Er trat zu Hermine, die immer noch Lily fest an sich drückte, und streichelte ihr sanft übers Haar.
„Oh Schatz, beinah hätte ich dich verloren.“ Hermine lächelte breit und dieses Lächeln ließ Harry vor Glück fast platzen. Dass sie trotz allem lächeln konnte, war fast so schön wie dass sie wieder aufgewacht war.
„Aber du hast mich nicht verloren, Süßer...“, erwiderte sie. „Und überhaupt: Wo bleibt mein Guten-Morgen-Kuss?“
Harry grinste übers ganze Gesicht. Er beugte sich zu seiner Frau hinunter und drückte liebevoll und zärtlich seine Lippen auf Hermines. Sie seufzte befreit auf, als sie den wundervollen Kuss empfing.
„Ich liebe dich.“, flüsterte Harry.
„Ich liebe dich auch.“, antwortete Hermine. Sie schlang einen Arm um Harrys Nacken und drückte ihn noch dichter an sich heran. Lavender beobachtete die beiden schmunzelnd.
„Hey, wenn ich gehen soll, sagt ihr Bescheid, oder?“, lachte sie. „Ich kann Lily ja auch wieder mitnehmen, damit ihr ganz in Ruhe Hermines Genesung feiern könnt.“
Die beiden lösten den Kuss und Hermine sah sie mit funkelnden Augen an.
„Was glaubst du, was ich mit Harry mache, wenn wir erst wieder zuhause sind? Ich werd ihn komplett leer pumpen.“
Der Schauer der Erregung, den Hermines Worte durch seinen Körper schickte, wurde jäh unterbrochen. „Zuhause...“, dachte er. „Zuhause gibt es eigentlich gar nicht mehr. Das Haus ist fast komplett zerstört.“
„Mine, weißt du...“, begann er räuspernd. „Wir...wir können nicht nach Godrics Hollow zurück. Voldemort hat fast das ganze Haus zerstört.“
Hermine sah ihn mit großen Augen an. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Dann warf sie den Kopf ins Kissen zurück und schloss vor Schmerz die Augen.
„Wie konnte das überhaupt passieren? Wie konnte er unser Haus betreten?“
„Gute Frage...“, nickte Lavender. „Ihr habt doch die besten Schutzzauber genommen, oder?“
„Ich weiß auch nicht, wie er das geschafft hat.“, schüttelte Harry den Kopf.
„Vielleicht kann ich das aufklären.“, hörten sie plötzlich eine ernste, niedergeschlagene Stimme hinter sich. Harry und Lavender wirbelten herum. In der Tür stand ein alter Zauberer mit einem langen, weißen Bart und einer Halbmondbrille auf der Hakennase. Im Gesicht von Albus Dumbledore war überdeutlich die Bitterkeit zu sehen.
„Professor!“, rief Harry überrascht. „Was machen Sie...was heißt das, Sie können das aufklären?“
Dumbledore seufzte und ließ den Kopf hängen. Er machte eine Miene, wie sie Harry bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte: Ernst und erschüttert, voll tiefer Trauer und schwerster Vorwürfe gegen sich selbst.
„Es ist meine Schuld.“, meinte er schließlich. Er trat an Hermine heran und betrachtete sie seufzend. „Es ist meine Schuld, dass Sie jetzt hier liegen, Mrs. Potter.“
„Sir, was...“
„Es liegt an den Schutzzaubern, die wir auf euer Haus gelegt haben, Harry! Ich war überzeugt, klug zu handeln als ich den mächtigsten von allen ausgewählt hatte. Den Blutzauber. Nur sehr schwierig und auch dann nur von bestimmten Personen zu öffnen. Und unmöglich zu durchbrechen, weder durch Täuschungszauber noch durch Viel-Saft-Trank.“ Dumbledore seufzte und ließ sich auf einen der unbequemen, limonengrünen Holzstühle niedersinken. „Ich alter Narr hätte keinen Blutzauber nehmen dürfen.“
Die Worte hallten noch eine Weile in Harrys Kopf nach. Ich alter Narr hätte keinen Blutzauber nehmen dürfen...keinen Blutzauber...Blut...Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, es war ganz einfach.
„Voldemort hat mein...mein Blut, nicht wahr? Schon seit damals, vom Friedhof. Deshalb konnte er den Schutzzauber überwinden.“
„Es sieht ganz danach aus.“, nickte Dumbledore traurig. „Und, dass wir uns auf einen neuen Kampf vorbereiten müssen.“
„Aber dann müssen wir sofort etwas unternehmen!“, rief Harry hektisch. „Voldemort könnte jeden Augenblick Angriffe starten. Wir müssen ins Ministerium und den Tagespropheten informieren, und...“
„Nein, das werden wir nicht tun.“, rief plötzlich eine Stimme von Richtung Tür her. In diesem Augenblick trat Owen herein ins Krankenzimmer. Er trug einen dicken, vollkommen schwarzen Reiseumhang. Sein Gesicht machte einen durch und durch grimmigen Ausdruck.
„Sir...“, meinte Harry verwirrt. „Wie...was haben Sie gesagt?“
„Dass wir die Rückkehr von Du-weißt-schon-wer nicht an die Öffentlichkeit tragen werden.“
„Aber...aber wieso?“, fragte Harry, und er fühlte, wie bei Owens Worten auf einen Schlag die Wut in ihm aufkochte. „Schon der letzte Minister hat nicht einsehen wollen, dass Voldemort zurück ist, und das hat uns nur Ärger eingebracht.“
„Nicht zu vergessen Umbridge.“, murmelte Lavender.
„Mr. Potter, wir dürfen das nicht publik machen.“
„ABER WARUM NICHT?“, schrie Harry wütend. „Wollen Sie etwa den gleichen Fehler machen wie Fudge? Er hat mir nicht geglaubt, und Sie glauben wohl Hermine nicht, was? Soll man die Zauberergesellschaft denn unvorbereitet lassen, damit Voldemort in aller Ruhe zuschlagen kann?“
„Bewahren Sie ruhig Blut.“, bat Owen. „Ich habe Ihnen schon in Ihrer Ausbildung erklärt, dass Sie einen kühlen Kopf bewahren können müssen.“ Als er das ausgesprochen hatte, flammte es leuchtend rot vor Harry und der Zorn ließ ihn erzittern. Hier lagen seine Frau und seine Tochter, die nur knapp dem Tod oder dem Wahnsinn entgangen waren und Owen weigerte sich, die Wahrheit einzugestehen. In Harrys Adern flackerte es, und er hasste plötzlich alles an Owen. Seine wichtigtuerische Art, seine übertriebene Korrektheit, seine fehlende Mitteilnahme...mit einem langen, wilden Sprung stürzte er sich auf Owen, packte ihn am Kragen seines feinen Zaubereiministerumhangs und stieß ihn wütend gegen die Wand.
„Harry, das ist der Zaubereiminister!“, rief Lavender erschrocken, doch diese Worte drangen gar nicht zu Harrys Gehirn hindurch. Er presste Owen gegen die Wand und schien kurz davor, ihm einen kräftigen Schlag ins Gesicht zu verpassen.
„Harry, bitte beruhige dich.“, versuchte Dumbledore ihn zu beschwichtigen. „Ich bin sicher, Nicholas hat für alles seine Gründe. Lass ihn los. Bitte.“ Dumbledores Worte verfehlten nicht ihr Ziel. Dafür schätzte Harry den alten Mann zu sehr. Langsam löste sich der Griff Harrys und er ließ Owen frei.
„Nicht schlecht, Potter.“, gab er zu. „Ich hoffe, Sie bewahren sich diese Entschlossenheit für den Kampf gegen die Todesser. Aber bitte, zügeln Sie jetzt ihr Temperament und lassen mich erklären.“ Harry schnaubte tief durch und seine Muskeln entspannten sich langsam. Jetzt schämte er sich schon beinah für seinen Wutausbruch. Owen kratzte sich am Hals. Es schien, als versuche er die richtigen Worte zu finden.
„Dass der, dessen Name nicht genannt werden darf, zurückgekehrt ist, ist ein schwerer Schlag für mich.“, begann er schließlich. „Und ein großer Schock. Ich kam hierher um mich nach dem Befinden ihrer Frau zu erkundigen, Mr. Potter, und nun eben erfahre ich, dass Du-weißt-schon-wer aufs Neue sein Unwesen treibt.“
Harry beruhigte sich. Natürlich hatte Owen gar nicht wissen können, dass Voldemort zurückgekehrt war. Er selbst hatte es ja gerade erst von Hermine erfahren.
„Damit möchte ich klarstellen, dass ich Ihren Worten durchaus Glauben schenke, Mrs. Potter.“, fügte er an Hermine gewandt hinzu. „So wie ich die Sache sehe, stehen uns schwere Zeiten bevor.“
„Aber wäre es dann nicht besser, alle Magier zu informieren, damit sie sich vorbereiten können?“, fragte Harry, schon wesentlich leiser als vorher. Owen seufzte.
„Potter, zum Einen haben Sie völlig Recht. Eine klare Nachricht, die allen Hexen und Zauberern eine Warnung ist. Aber ich bezweifle, dass das in diesem Moment klug wäre. Wissen Sie, die Zauberergesellschaft ist noch immer verunsichert und voller Zweifel über das Ministerium. Ich habe in den vergangenen Monaten alles mögliche getan, um dieses Verhältnis wieder zu verbessern. Aber die Zerstörung Askabans und der öffentliche Auftritt von Mrs. Lestrange bei dem Fest in der Walburgaburg hinterlassen nachhaltige Spuren. Und ich fürchte, dass die Nachricht von der Rückkehr des dunklen Lords alle Magier entzweien und ihr letztes Vertrauen ins Ministerium zerstören würde. Und es könnte passieren, dass viele noch unentschlossene Familien sich dann auf seine Seite schlagen könnten. Wir sind nicht geteilt in gute Menschen und Todesser. Es gibt genug schwarzmagische Familien mit intoleranten, rassistischen Grundsätzen, die nicht auf seiner Seite stehen, aber womöglich nur einen Steinwurf weit davon entfernt sind.“ Owen schnaubte. „Ich würde Sie ja alle jetzt schon nach Askaban stecken, wenn ich könnte. Und wenn Askaban noch ein wirkliches Hindernis für die Todesser wäre.“
„Aber heißt das, Sie werden gar nichts machen?“
„Das habe ich nicht gesagt.“, versicherte Owen. „Wir werden vor einer ernstzunehmenden Gefahr durch die Todesser warnen. Wir werden starke Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen in die Wege leiten. Wir werden Auroren um die Winkelgasse, Hogsmeade und Hogwarts postieren. Nur die Erwähnung des dunklen Lords würde ich in diesem Moment herausschieben.“ Owens graue Augen blickten Harry durchdringend an. „Vergessen Sie nicht, dass Sie in allen Ehren den Orden der Merlin sowie 300.000 Galleonen für die Vernichtung des dunklen Lords erhalten haben. Ich glaube nicht, dass man Ihnen dies wieder streitig machen würde, aber Sie würden mit Sicherheit zahlreiche Sympathien im Ministerium verlieren, Potter.“ Harry schluckte. Der Titel war ihm ziemlich egal, aber das Gold, mit dem er das Anwesen in Godrics Hollow bereits das erste Mal instand gesetzt hatte, würde er nie zurückzahlen können. Insbesondere, da das Haus ein zweites Mal komplett restauriert werden musste.
„Harry...“, meinte Hermine mit schwacher Stimme. „Ich glaube, er hat Recht. Wir können jetzt keine Aufregung im Ministerium gebrauchen. Das könnte alles im Terror enden. Alle sollen sich bereitmachen, aber Du-weißt-schon-wen sollten wir nicht erwähnen.“
„Danke, Mrs. Potter.“, nickte Owen.
„Aber trotzdem...einfach alle im Dunkeln darüber lassen...“ Owen lächelte schwach.
„Potter, Sie sind nicht der einzige, der schlecht auf den, dessen Name nicht genannt werden darf, zu sprechen ist.“
„Er hat immerhin meine Eltern getötet.“, erinnerte ihn Harry.
„Er hat meine Frau getötet!“, erwiderte Owen. „Der Verlust ihrer Eltern ist bedauerlich und ich bin sicher, dass Ihnen zeitlebens etwas fehlen wird, aber stellen Sie sich vor, Sie hätten ebenfalls ihre Ehefrau verloren.“
Harry ließ den Kopf hängen. Er erinnerte sich. Dwight hatte ihm beim Aurorentraining erzählt, dass Owens Frau von Voldemort getötet worden war. Die Vorstellung, dass ihm das gleiche mit Hermine passiert wäre, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Und dass Owen trotz allem so kühl und überlegt handelte, war auf jeden Fall Respekt wert.
„Na gut.“, nickte Harry schließlich. „Ich bin einverstanden.“
„Gut. Dann können wir nur hoffen, das Du-weißt-schon-wer für einige Zeit im Schatten bleibt, damit wir die nötigen Vorbereitungen treffen können. Ich möchte, dass die Rückkehr des dunklen Lords vorerst ein Geheimnis unter uns fünf hier bleibt. Natürlich werde ich die Aurorenzentrale informieren, aber mehr sollten zunächst nicht ins Vertrauen gezogen werden. Natürlich ist es unabdingbar, dass der Öffentlichkeit möglichst keine Spuren zurückgelassen werden. Ich habe mitgekriegt, dass Ihr Haus ebenfalls zerstört wurde?“ Harry nickte knapp. „Dann ist es natürlich wichtig, das Haus so schnell wie möglich wieder aufzubauen.“, erklärte Owen. „Wann kann das geschehen?“
„Nun...ähm...ich weiß nicht...“, zögerte Harry. „Ich glaube nicht, dass ich das nötige Geld habe, um das Haus komplett wieder...“
„Ich werde es Ihnen geben.“, unterbrach ihn Owen. „Wie viel brauchen Sie? 100.000? 200.000?“
Harry starrte ihn ungläubig an.
„Sir, ich kann nicht...Sie können doch nicht...“
„Und ob ich kann, Mr. Potter. Glauben Sie mir, Gold ist für mich kein Thema. Nehmen Sie es, es ist wichtig, alle Schäden umgehend zu beseitigen. Also 200.000? 250.000?“
„Nun...ich weiß nicht.“, gab Harry zu. „Ich habe mir das Haus nicht gründlich genug angeschaut, um das beurteilen zu können.“
„Natürlich nicht...“, lenkte Owen ein. „Verzeihen Sie meine Taktlosigkeit. In diesem Fall werde ich zunächst einmal 250.000 Galleonen in ihr Verlies in Gringotts deponieren lassen. Damit können Sie erstmal anfangen. Sollten Sie mehr benötigen, können Sie sich ja wieder an mich wenden.“
„Gut, dann...vielen Dank, Sir.“
„Danke.“, kam es leise auch von Hermine.
„Keine Ursache.“, entgegnete Owen und wandte sich nun Dumbledore zu. „Nachdem das geklärt ist...Albus, du musst die Schüler von Hogwarts ebenfalls vorbereiten. Ich denke da an einen ausgeweiteten Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste, der einen höheren Praxis-Anteil beinhaltet und höheren Wert auf Duelle legt. Wir können das mit der Bedrohung durch die Todesser begründen.“
„Ich stimme voll und ganz mit dir überein.“, nickte Dumbledore. „Wir müssen auch die Jugend auf den Kampf mit Voldemort vorbereiten...sie müssen bereit sein, wenn er zuschlägt. Aber leider wird Professor Flemming dazu nicht fähig sein. Er ist alt und gebrechlich und füllt den Lehrerposten eigentlich nur aus, um mir einen Gefallen zu tun.“
„Dann wirst du jemand anderen dafür einstellen müssen.“, stellte Owen klar. „Jemand, der in der Lage ist, den Schülern Angriffs- und Verteidigungszauber beizubringen und sie auf den Kampf gegen die Todesser wappnet.“
„Harry!“, rief Lavender. Alle vier, Harry, Hermine, Dumbledore und Owen starrten sie an. Verlegen lief Lavender rot an, als sie so plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, reckte aber trotzig den Kopf in die Höhe. „Ist doch wahr!“, meinte sie. „Harry ist ein guter Lehrer. Er hat uns damals in der DA unterrichtet. Vorher hab ich noch nie nen Patronus hingekriegt, er hat mir gezeigt wie ich es schaffe. Und er hat seine Aurorenausbildung mit Höchstpunktzahl abgeschlossen. Er wäre ein idealer Lehrer!“
Harry spürte die Blicke aller Beteiligten im Raum, ob er sie nun sah oder nicht. Dumbledore hatte ihn bereits früher auf den Lehrerposten angesprochen und es interessierte ihn auch, aber schon so früh? Er war ja kaum mit seiner Ausbildung fertig. Außerdem kam es für ihn auf keinen Fall in Frage nach Hogwarts zu gehen und Hermine und Lily allein zu lassen und das sagte er auch.
„Ich wäre damit einverstanden, dass du die beiden mit nach Hogwarts bringst.“, erklärte Dumbledore. „Dort wären sie so sicher, wie man nur irgendwo sein kann.“
„Nein, das möchte ich nicht.“, widersprach Harry. „Da sind zu viele Fremde. Vielleicht sind unter den jetzigen Schülern auch schon Todesser, wie Malfoy damals. Da wären Hermine und Lily nur Zielscheiben. Außerdem bin ich als Auror angestellt.“
„Und als Auror können Sie ebenso gut kündigen.“, stellte Owen klar. „Oder der Zaubereiminister, und das bin zufällig ich, kann Sie entlassen.“
„Hab ich Ihnen einen Grund gegeben, mich zu feuern?“, fragte Harry gereizt.
„Nein. Aber ich denke, dass Ihre Fähigkeiten in Hogwarts besser eingesetzt wären.“
Harry rieb knirschend die Zähne zusammen. Der Lehrerberuf widerstrebte ihm nicht wirklich, aber er hatte immerhin eine höllisch schwere Aurorenausbildung absolviert, die für den Lehrerposten in Verteidigung gegen die dunklen Künste längst nicht erforderlich gewesen wäre. Er war gerade mal gut ein Jahr lang Auror gewesen. Noch nicht mal solange, wie die Ausbildung gedauert hatte.“
„Harry, bitte tu das.“, bat jetzt auch mit schwacher Stimme Hermine. „Ich glaube, es wäre das richtige. Lily und ich werden schon einen sicheren Platz finden. Es wird alles gut.“ Der letzte Satz war nur noch geflüstert, aber er drang Harry durch Mark und Bein.
„Ich will nicht, dass dir das noch mal passiert!“, rief er laut ohne Hermine anzusehen. Er versuchte vor jedem im Raum die Tränen zu verstecken, die sich in seinen Augen bildeten.
„Harry, lass uns einen Moment unter vier Augen sprechen.“, bat Dumbledore ihn und Harry folgte ihm auf den Flur hinaus.
Kaum waren die beiden allein, platzten die Worte aus ihm heraus.
„Ich kann Hermine nicht alleine lassen! Und Lily. Ich werde nie wieder weggehen und zulassen, dass den beiden das noch mal passiert!“
Das alles rief er voller Inbrunst und Wut hinaus, während völlig unabhängig die Tränen seine Wangen hinab rannen. Einen Moment brach Schweigen aus.
„Harry, ich merke, wie dich der Angriff mitgenommen hat...“
„Natürlich hat er das!“, erwiderte Harry gereizt und wischte sich mit dem Ärmel wütend die Tränen aus dem Gesicht heraus. „Sie ist meine Frau!“, als müsse er Dumbledore daran erinnern. Der alte Mann lächelte versöhnlich.
„Ich habe dich schon so oft darum gebeten mir für alles Mögliche zu verzeihen, dass es langsam nichts Neues mehr für dich sein sollte, Harry...“, erklärte er vergnüglich, sein Gesicht behielt jedoch den ernsten Ausdruck bei. „Du liebst sie?“ Es klang mehr nach einer Feststellung, statt nach einer Frage. Harry war kurz davor eine bissige Antwort förmlich heraus zu spucken, beruhigte sich jedoch kurz vorher wieder.
„Ja“, erwiderte er, merkwürdig leise. „Hermine und Lily. Sie sind meine Welt. Der größte Zauber, den ich je kennen gelernt habe.“
Dumbledore lächelte matt.
„Das freut mich. Denn Liebe brauchen wir gerade in dieser Zeit am allermeisten. Und Liebe ist das, was uns letzten Endes am meisten helfen wird, die nahenden Prüfungen zu bestehen.“
Harry wusste nichts darauf zu erwidern. Dies war aber auch gar nicht nötig, denn Dumbledore fuhr fort ohne eine Antwort zu erwarten.
„Ich versichere dir, dass wir für deine Familie den bestmöglichen Schutz finden werden. Wir sehen uns dann im Schloss, Harry.“
Und mit diesen Worten wandte sich der alte Mann abrupt und ziemlich überraschend für Harry von ihm ab und entfernte sich. Harry blickte Dumbledore verwirrt nach, wie er den Gang hinab schritt. Mit keinem Wort hatte er sein Einverständnis gegeben.
„Nächste Woche, Sir!“, rief er ihm nach. Seine Stimme klang mutiger als er sich im Moment fühlte. Der alte Mann blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Ich muss erst einen sicheren Platz für Hermine und Lily finden und mich um alle Angelegenheiten kümmern. Und ich werde nicht in Hogwarts wohnen, sondern nur dort unterrichten.“
Dumbledore nickte und setzte seinen Weg fort. Harry wollte darüber nachdenken, wie der Professor dazu kam, seine Einwilligung so sicher zu nehmen, aber das drängte jetzt erstmal in den Hintergrund, während er Dumbledore hinterher sah. Keine Spur war mehr von dem gebeugten, gebrechlichen, alten Mann zu sehen: Dumbledore wirkte, so weit Harry das von hinten aus beurteilen konnte, so optimistisch und tatendurstig wie lange nicht mehr, wie ein junger, kräftiger Mann, der sich frohen Mutes allen Herausforderungen stellen mochte. Und in Harrys Gefühlswirrwarr aus Angst um Hermine und Lily, Wut über die Geheimhaltung Owens und Unsicherheit wegen seinem plötzlich nahenden Lehrerposten, mischte sich der Gedanke hinein, dass es sich bei dem alten Mann (der gerade einem Jungen von vielleicht zehn Jahren eine Handvoll Bonbons in die Hand drückte) doch um einen der ganz Großen handeln musste.
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