von mia.winchester
Kein Zauber der Welt besaß eine vergleichbare Macht. Ted konnte sich nicht erinnern, wann er je so einen innigen, wunderschönen Kuss erlebt hatte und Andromeda, für die es das erste Mal war, dass sie überhaupt geküsst wurde, konnte ihrerseits nicht an einen einzigen Moment zurückdenken, in dem sie sich schon einmal so glücklich und lebendig gefühlt hatte wie in dem, als Ted mit einem selbstgefälligen, aber aufgeregtem Lächeln ihrer übermütigen Bitte nachgekommen und ihr den Kuss geschenkt hatte, den sie sich ein gefühltes Jahrhundert lang ersehnt hatte.
„Jetzt bekommst du deine schönste Erinnerung.“, hatte Ted gelacht und dann hatten seine Lippen schon auf ihren gelegen.
Sie wusste nicht, woher sie auf einmal diesen Mut geschöpft hatte, jene Dummheit begehen zu wollen und wieder hatte ihr Herz schneller entschieden, als ihr Kopf, aber für den Moment, in dem Teds Lippen die ihren trafen, verbat sie sich, auch nur ein bisschen Furcht, Scham oder aufkeimende Zweifel zu verspüren.
Alles, was sie fühlte, war Ted und dieser war nicht minder hingerissen.
Ewig schien der Kuss zu währen, bis Ted Andromeda plötzlich von sich stieß.
„Sag mal,geht es dir noch gut?“, schrie er aus voller Kehle. Verfremdende Wut zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
Andromedas Magen, der sich während des Kusses einmal umgedreht zu haben schien, zog sich schmerzend zusammen. Ihr Kopf begann wieder zu surren, diesmal auf unangenehme Art und Weise. Doch dann wurde ihr klar, dass Ted nicht sie meinte. Hinter einem Baum am Saum der Lichtung konnte sie gerade noch einen gebückten Schatten davon eilen sehen.
„Ted!“, schrie Andromeda außer sich. Er hatte mit pochender Halsschlagader in Richtung des Schattens gestarrt, dann war er, schneller als Andromeda jemals einen Menschen hatte rennen sehen, darauf zugerast.
„Ted!“, schrie sie noch einmal. Wie von selbst begannen ihre Füße, zu rennen, trugen sie hinter Ted her.
„Na warte!“, rief sie Ted rufen. Einige Meter vor ihm sah sie den Schatten durch den Schnee huschen. In eine lange Kutte gehüllt konnte sie bloß erkennen, dass die Säume seines Umhangs die Hausfarben von Slytherin trugen.
Ted war schnell, aber der Schatten war schneller. Er konnte ihn nicht einholen und hielt schließlich ruckartig an, als er dies erkannte. Andromeda stolperte beinahe in ihn hinein.
„Ted, verflucht, was sollte das? Wer war das?“, keuchte sie. Die Winterluft brannte in ihren gereizten Lungen.
„Ich weiß es nicht. Aber der Mistkerl hat uns beobachtet. Was für ein dreckiger Spanner.“
Andromeda fühlte sich, als hätte ihr soeben jemand vor den Kopf geschlagen. Benommen taumelte sie zurück.
Ein Slytherin hatte sie und Ted beobachtet. Ein Slytherin, der, wie die meisten Schüler in diesem Haus, die Ideologie des reinen Blutes verfechtete, hatte gesehen wie sie, Andromeda Black, den muggelstämmigen Zauberer geküsst hatte, der einen der angesehensten Slytherins überhaupt entehrt hatte. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Bellatrix würde davon erfahren. Sie wollte sich nicht ausmalen, was dann geschehen würde. Ihre Familie würde davon erfahren. Und sie würde zu ihrem und dem Wohl aller Anderen Ted Lebewohl sagen und das, was eben erst begonnen hatte, würde enden, ehe es überhaupt etwas Richtiges gewesen war.
„Alles okay?“, fragte Ted.
„Nein.“, sagte Andromeda. Aber sie konnte Ted unmöglich klar machen, wie furchtbar es ihr wirklich ging.
Zu ihrem Überraschen und ihrer Erleichterung sagte Ted: „Ich weiß. Wenn er das petzt, bist du geliefert.“
Er war kein dummer Schuljunge. Er wusste, wie wichtig Andromeda ihre Familie war und was es bedeutete, dass sie ihn küsste. Er wusste, dass sie keine Chance hatten, sich gegen die Moral der Blacks und Andromedas Lebensstil durchzusetzen. Auf einmal war Ted schrecklich traurig. Der Kuss verlor an Bedeutung, mit Hinblick darauf, dass es der erste und letzte zwischen ihm und Andromeda gewesen sein musste.
Andromeda nickte nur.
„Von mir erfährt das keiner.“, sagte Ted leise. „Das verspreche ich.“
„Danke.“, hauchte Andromeda. Sie strich sich den Schnee vom Umhang. Sie wollte nur noch raus aus diesem Wald.
„Hör zu, Andromeda. Vielleicht hast du Recht.“ Ted griff ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. Er sah jetzt weitaus verletzlicher aus als nach Bellatrix' Angriff. „Das darf gar nicht erst anfangen. Das ist zu deinem Besten. Und zu meinem wahrscheinlich auch.“
Andromeda erstickte beinahe an ihren Tränen. Tränen, die einfach nicht aus ihren Augen treten wollten. Sie wollte weinen, doch es ging nicht. Sie bekam kaum noch Luft. Nicht eine Minute länger würde sie es hier aushalten. Ohne noch etwas zu sagen, drehte sie sich um und lief aus dem Wald. Sie ließ Ted zurück und die Schuld legte sich wie ein Letifold über ihren Körper. Schuld, weil sie Ted geküsst hatte, aber auch, weil sie ihn jetzt alleine ließ. Und das fühlte sich ebenso falsch an, vor allem für ihr Herz.
Als sie aus dem Wald auf die Länderein trat und den schwarzen See friedlich unter dünnen Eisschollen daliegen sah, konnte sie endlich weinen.
Narzissa stand vor dem Spiegel und kämmte sich ihr weißblondes Haar. Sie hatte noch immer glühend rote Wangen von der Kälte draußen. Pflege magischer Geschöpfe in den Mittagsstunden war besonders im Winter eine Qual. Aber sie und Lucius hatten sich einen Spaß daraus gemacht, den Crup mit kindischen Zaubereien in ein Schoßhündchen im Plüschmantel zu verwandeln, weswegen der Unterricht doch noch erträglich gewesen war.
Jetzt wollten sie sich treffen, um zusammen Hausaufgaben zu machen. Narzissa hatte beschlossen, nicht zu hinterfragen, weswegen sie auf einmal die Gesellschaft dieses blasierten Jungen genoss. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie sich mit ihren Schwestern nicht mehr wohl fühlte. Bellatrix und Andromeda hatten sich vielleicht nicht gestritten, aber es war wiederrum undbestreitbar, dass etwas vorgefallen war, was jetzt zwischen den beiden stand. Früher hatte Narzissa die beiden Älteren weinend angefleht, sich wieder zu vertragen, aber das würde heute nicht mehr gehen. Sie hatte versucht, den Grund für die Kälte in ihren Augen, sobald diese sich trafen, herauszufinden, aber war gescheitert. Nicht einmal Lucius oder Rodolphus konnten sich erklären, was vor sich ging. Alle sagten, es würde vorüber gehen, war nur ein Streit unter Schwestern, aber Narzissa fühlte, dass es anders war. Sicherlich war sie deswegen sehr traurig. Nicht selten kamen ihr nachts die Tränen und sie versuchte krampfhaft, ihre Schwestern gerecht zu behandeln und kein Wort mehr über ihren Verdacht, dass zwischen ihnen etwas schreckliches vorgefallen war, zu verlieren. Die Zeit, die sie mit Lucius verbrachte, war pure Zerstreuung. Sie genoss es wirklich, mit ihm zu lernen, in der Bibliothek zu sitzen oder zu Mittag zu essen. Sogar die einsamen Spaziergänge am See waren mit ihm um einiges schöner geworden. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Narzissa das Gefühl, Freunde zu haben. Und Lucius war noch viel mehr als das.
Es war offensichtlich, dass er im großen Maße für sie schwärmte. Narzissa hatte kein Problem damit. Am Anfang hatten seine Versuche, ihr nahe zu sein, sie in den Wahnsinn getrieben. Es war keinen Monat her, dass sie ihn für seine aufgeblasenen Komplimente am liebsten die Zungenklammer auf den Hals gejagt, ihn im Verbotenen Wald an einen Baum gefesselt und den Zentauren überlassen oder ihn eigenhändig im Schwarzen See ertränkt hätte. Sie wollte nicht, dass jemand wie Lucius Malfoy für sie schwärmte. Aber dann hatte sich gezeigt, dass er, insofern niemand Anderes dabei war, vor dem er seinen Status als Schul-Ekel verteidigen musste, ein wirklich guter, ehrlicher Freund sein konnte. Ein Freund, der offensichtlich verliebt in sie war. Sobald sie sich das aber eingestanden hatte, hatte sie begonnen, es auch zu genießen. Für ihn war sie das schönste Mädchen, nicht Bellatrix oder Andromeda. Für Lucius war Narzissa nicht länger das Mädchen aus Glas. Er konnte sie sehen und blickte nicht durch sie und er sah sie, wie sie immer hatte gesehen werden wollen: Bei ihm war sie schön, klug, einfach wichtig.
Narzissa spürte etwas in sich, was sie als Selbstbewusstsein zu bezeichnen wusste, und es wuchs mit jedem Mal, da sie Lucius traf. Stets leise und devot, ergeben ihrer Familie gegenüber, war Narzissa ein ängstliches, zurückhaltendes Mädchen, das sich nicht viel aus sich selbst zu machen gelernt hatte. Zwar stets als wunderschön bezeichnet, hatte sie dennoch nie das Gefühl gehabt, dass ihre Familie ihre Schönheit wirklich sah. Eine Schönheit, die weitaus mehr war als ihr langes Haar, ihr Porzellangesicht und ihr schlanker, fragiler Körper. Es war die Schönheit, die unter all jenen Äußerlichkeiten ruhte und Lucius schien sie zu sehen. Eine bessere Bestätigung gab es für Narzissa nicht. Nichtsdestotrotz bewunderte der junge Malfoy sie auch für ihr Aussehen, weswegen sie ihre Haare nun auch besonders vorsichtig kämmte, um dass ja jede Strähne am rechten Platz saß, wenn sie ihn gleich treffen würde. Narzissa dachte nicht an ihre Sorgen, als sie sich den ihren Hausumhang über die Schultern legte und den Korridor zum Gemeinschaftsraum entlang ging. Sie dachte nur daran, wie froh sie war, sie selbst zu sein. Und das war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie überhaupt so etwas dachte.
Er war fest entschlossen. Sobald er Bellatrix sehen würde, würde er es ihr sagen. Und dann wäre es vorbei mit dem Schlammblut und Andromeda. Er wusste nicht genau, was er sich davon versprach, und je näher er dem Schloss kam, umso größer wurden seine Zweifel ob das, was er im Begriff war, zu tun, auch das Richtige war. Aber er war so wütend und zugleich so aufgeregt, dass er befürchtete, zu platzen, wenn er nicht loswurde, was ihm auf der Seele brannte. Es waren Sensationsgier und Eifersucht, Aufmerksamkeitsverlangen und Schadenfreude, die ihn immer schneller vorantrieben. Das Schlammblut hatte er längst abgehängt, nur Andromeda sah er in der Ferne mit bebenden Schultern aus dem Wald treten.
Er wusste sofort, warum sie weinte. Sie wusste, dass sie geliefert war. Jemand hatte sie gesehen und würde sie verraten. Das war's für sie und das Schlammblut. Er lachte schadenfroh auf. Er fragte sich, wie lange sie sich schon heimlich mit dem Muggelstämmigen im Wald traf. Und was sie anstellten, wenn er nicht da war, um sie zu beobachten. Dieser Gedanke schürte seine Wut. Bellatrix hatte gewusst, dass er Andromeda mochte. Wie konnte er das auch nicht tun? Sie war schön, klug, lustig. Eine mächtige Hexe von besonderem Status. Und er war stets zu schüchtern gewesen, um seine Zuneigung zu zeigen.
Als Bellatrix ihn vor einiger Zeit, als die Schwestern sich gestritten hatten oder was auch immer dort vorgefallen war, damit beauftragt hatte, Andromeda im Auge zu behalten, da hatte er seine Chance gewittert, ihr endlich näher zu sein. Er wollte sie eigentlich bloß bei sich haben, wollte ihr Vertrauen. Aber jetzt verriet er sie. Er war dabei, sie an ihre eigene Schwester zu verraten. Vielleicht würde dies zum endgültigen Bruch zwischen ihnen führen. Es war ihm inzwischen egal geworden. Andromeda war so abweisend zu ihm gewesen, als er sie das letzte Mal gesprochen hatte, dass auch er nicht anders gekonnt hatte, als sich ihr gegenüber wie ein gemeiner Kobold zu verhalten. Irgendwann wird einem einfach alles egal, hatte er sich zur Erklärung gesagt.
Und dass er jetzt zum Verräter wurde, war ihm auch egal, selbst, wenn er zweifelte. Und das sogar sehr stark. Als er das Schloss betrat und geradewegs auf den Kerker zusteuerte, hatte er den absurden Gedanken, erst einmal was Essen zu gehen, zu versuchen, nicht über die Sache nachzudenken und am Abend dann in Ruhe mit Bellatrix darüber zu reden. Vielleicht war das sogar besser. Aber es war nicht sein wütendes Herz oder sein vor Aufregung ganz wirrer Kopf, der da an ihn appellierte, sondern sein Gewissen.
Und das musste man im Zaum halten, am besten sogar einfach töten, wenn man Erfolg haben wollte und seine Ziele durchsetzten wollte. Vor allem als Todesser. Das jetzt war eine gute Übung für spätere Zeiten, in denen er zahlreiche Leute, unwürdige, dreckige Leute, töten würde. Niemand sprach es aus, aber er wusste, dass alle unter ihnen damit haderten, ihr Gewissen zu töten, um töten zu können.
Er kannte nur zwei Personen, von der er sich denken konnte, dass sie nie ein Gewissen gehabt hatten. Und eine von ihnen stand jetzt vor ihm.
Noch einmal überlegte er, ob er es ihr wirklich sagen sollte oder ob er lieber stumm blieb.
Aber als sie ihn begrüßte und die Aufregung in seinem Blick erkannt hatte, ihm gebannt ins Gesicht sah und fragte: „Was ist los mit dir, Macnaire?“, lächelte er.
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