von mia.winchester
Es war ein bedrückender, grauer Morgen nach dem Treffen im Wald. Diejenigen, die da gewesen waren, hatten müde Gesichter mit Ringen unter den Augen, doch als sie sich im Morgen im Gemeinschaftsraum begehneten, lächelten sie sich breit und wichtigtuerisch an.
Bis auf Andromeda. Sie konnte nicht lächeln. In ihrem Kopf spukte das Gesicht von Joce Hubbey herum, sein Blick, der so kurz auf ihr gelegen hatte und für immer auf ihr lasten würde. Jeder wusste, was mit ihm geschehen war, aber keiner sprach darüber. Keiner machte auch nur eine einzige Andeutung, nicht einmal den anderen Geschehnissen des Abends bezüglich.
Rabastan schien es besser zu gehen. Er lächelte wieder, sprach über dies und das und war beinahe wieder ganz der Alte. Aber nicht vollkommen.
„Meine Ehre muss wieder hergestellt werden, hat der Dunkle Lord gesagt.“
Das hatte er Bellatrix zugeflüstert, ehe er in der vorigen Nacht in seinem Schlafsaal verschwunden war.
„Das wird sie.“, hatte sie ihm versprochen.
Beim Frühstück also saßen die Slytherins gemeinsam am Tisch, viele von ihnen lächelten in sich hinein und schenkten sich ab und zu einen geheimniskrämerischen Blick, während sie große Portionen Eier und Speck in ihre gierigen Münder schaufelten, denn so lange aufzubleiben wie gestern, das schürte den Hunger.
Dann trafen die Eulen an. Alison bekam ein Paket von ihrer Mutter, das winterfeste Stiefel enthielt. Ihre eigentlichen Stiefel hatte sie in Zauberkunst in zwei Waschbären verwandelt, die, schneller als sie hatte gucken können, aus der Tür gerannt und im Verbotenen Wald verschwunden waren. Auch die Black-Schwestern bekamen Post von zu Hause. Bloß ein über aktuelle Vorgänge im Hause Black informierender Kurzbrief, aber immerhin. Für Bellatrix allerdings gab es noch einen Umschlag, gebracht von einer pechschwarzen Eule einer Rasse, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
„Was ist das?“, fragte Narizssa neugierig. „Post von Tante Walburga?“
„Nein.“, sagte Rodolphus. „Ich weiß, von wem das ist. Gib mal her.“
Er streckte die Hand aus und wollte Bellatrix den Umschlag stehlen, aber sie hielt ihn mit weit aufgerissenen Augen fest in den Händen.
„Oh Nein.“, sagte Andromeda. „Ich kann mir denken, von wem.“
„Er schreibt Briefe?“, fragte Lucius überrascht.
„Sei nicht so laut, du Dummkopf!“, zischte Rodolphus. „Eigentlich nicht. Deswegen ist das gerade so spannend. Lass doch mal sehen.“
Wieder versuchte er, Bellatrix den Brief zu entreißen. Er machte sich einen Spaß daraus, sie immer wieder zu necken. In diesen Momenten war er ein anderer Mensch, als wenn er ernst und mit versteinerte Miene im Wald stand und den treuen Diener des Dunklen Lords gab. Andromeda beobachtete es gerne, wenn er und Bellatrix miteinander lachten. Es war unverkennbar, dass Rodolphus ihre große Schwester mochte, das wusste Andromeda, und sicherlich mochte Bellatrix Rodolphus ebenso, aber Andromeda ahnte, dass ihre Faszination für Lord Voldemort heißer und inniger war als jede jugendliche Liebe es sein konnte.
Das stellte sie auch jetzt wieder fest, denn anstatt auf Rodolphus einzugehen, griff Bellatrix ihren Brief nun mit beiden Händen, stand auf, und rauschte aus der großen Halle.
„Was ist nur los mit der?“, fragte Alison. „Die ist komplett übergeschnappt.“
„Pass auf, was du sagst.“, zischte Rodolphus. Die kurze Freude von vorhin erstarb in seinem Gesicht und er wurde wieder der ernste, herablassend blickende Stein von Mensch, der er sonst immer war.
„Also ist es nicht üblich?“, fragte Lucius in die Runde.
„Was?“, entgegnete Andromeda.
„Dass er Briefe verschickt?“
„Nein.“, knurrte Rodolphus. „Hab ich doch gesagt, Lucius. Ich möchte wissen, was da drin steht.“
„Vielleicht lädt euer dunkler Lord Bellatrix ja zu einem Date ein.“, sagte Alison und grinste.
Rodolphus Miene verdunkelte sich, insofern sie überhaupt noch düsterer werden konnte.
„Halt doch dein dummes Maul.“, bellte er.
„Ist ja gut.“, sagte Alison, doch das provokante Lächeln blieb ihr auf den Lippen.
Rodolphus' Finger schlossen sich so eng um seine Gabel, dass seine Knöchel weiß wurden.
„Ich wünschte“, sagte Narzissa leise, „ich bekäme auch mal einen Brief.“
„Von ihm?“, fragte Lucius. „Ich auch.“
„Nein, von irgendwem. Einfach so.“
Andromeda schaute ihre kleine Schwester mitleidig an. Sicher war sie enttäuscht darüber, dass der Brief der eigenen Eltern bloß knapp und distanziert gewesen war. Nicht einmal persönliche Grüße hatte er enthalten.
Anders als in anderen Familien hatten die Kinder der Blacks eher repräsentative Zwecke als dass sie wirklich Wunschkinder waren oder gar die fleischliche Verwirklichung wahrer Liebe.
Andromeda schenkte ihrer kleinen Schwester ein aufmunterndes Lächeln.
„Möchtest du noch etwas Omelett?“, fragte sie, und ohne auf eine Antwort zu warten, lud sie ihr eine ganz besonders große Portion Omelett auf den Teller, als könne der Eierpfannkuchen die fehlende elterliche Liebe ersetzen.
Bellatrix fuhr mit ihren schlanken Fingern über den Umschlag. Die Neugier auf das, was sich darin befand, hatte ihren ganzen Körper in Beschlag genommen und schließlich wagte sie es, das Gefühl der Ehrfurcht zu überwinden und mit starrem Blick das Couvert zu öffnen. Zum Vorschein kam ein glatter Brief aus dünnem Pergament, der symmetrisch gefaltet und mit einem Siegel verziert war, das Bellatrix sofort als das Wappen des Dunklen Lords erkannte. Ein Totenkopf, aus dessen geöffnetem Mund sich eine Schlange wand.
Bellatrix holte tief Luft, schaute sich noch einmal um, ob auch ja keiner in der Nähe war, und entfaltete dann die Nachricht. Sie bestand aus zwei Sätzen, doch selbst in ihrer Knappheit schafften sie es, Bellatrix für einen Moment den Atem zu rauben:
Morgen bei Mitternacht im verbotenen Wald.
Komm allein.
Vorsichtig faltete sie den Brief wieder zusammen, schob ihn samt Umschlag in ihre Umhangtasche und blieb eine Weile bewegungslos an dem Erkerfenster im Flur stehen, an das sie sich zurückgezogen hatte.
„Komm allein.“, flüsterte sie. „Allein.“
Sie konnte nicht glauben, dass Lord Voldemort sie hier ganz offensichtlich zu einem Treffen unter vier Augen einlud. Der Gedanke daran, ihm ohne die anderen, lästigen Todesser gegenüber zu stehen- sie als seine treueste Anhängerin, seine unterwürfige Dienerin und er als der mächtigste Zauberer aller Zeiten, der Mann, der ihr Leben verändert hatte – ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen, wie sie ihn noch nie gespürt hatte. Nicht, wenn sie an Rodolphus dachte, nicht wegen irgendetwas anderem hatte sie sich je so gefühlt. Sie konnte ihren Herzschlag beinahe von den Steinwänden widerhallen hören.
Doch da war noch etwas.
Schritte.
Bellatrix wirbelte herum und sah Rodolphus auf sie zukommen.
„Vergiss es!“, rief sie. „Lass mich in Ruhe.“
„Ich will gar nicht mehr wissen, was drinsteht.“, sagte Rodolphus und hob die Arme. Seine Stimme klang auf einmal ungewohnt sanft.
„Dann geh wieder.“, sagte Bellatrix, die noch immer zitterte.
„Nein.“, bestimmte Rodolphus. „Ich gehe nicht.“
„Schön. Dann gehe ich halt.“
Bellatrix drehte sich um. Rodolphus sollte sie nicht so sehen, so aufgewühlt und durch den Wind. Unter den schwarzen Locken waren ihre Wangen glühend rot geworden, das spürte sie.
„Halt.“
Rodolphus griff Bellatrix am Arm. Sanft, aber bestimmend zog er sie zurück und schaute ihr genau ins Gesicht. Und dann tat er einfach, was er in diesem Moment am meisten wollte.
Er hätte sich keinen unpassenderen Moment aussuchen können, ihr diesen ersten Kuss zwischen ihnen zu schenken, aber zu beobachten, wie die Beziehung Bellatrix' zum Dunklen Lord über alles menschliche hinausging – ihre Faszination für ihn war nahezu krankhaft – und jetzt dieser Brief, von dem er sich sicher war, dass er ein Treffen von ihr und Voldemort ausmachte, hatten etwas in ihm hervorgerufen: Ein Gefühl, als müsse er etwas retten, solange er noch konnte. Und dieses etwas war das Herz seiner besten Freundin, die Zuneigung von Bellatrix. Er wusste, dass sie ihn ebenfalls mochte. Wie oft hatten sie sich in die Augen gesehen, ohne zu blinzeln, ohne zu hinterfragen, was dort geschah und einfach genossen, den anderen anschauen zu können und dabei an nichts als den Zauber im Gesicht ihres Gegenübers zu denken. Wie lange schon verbrachten sie die Zeit auf Hogwarts miteinander, wie oft schon hatten sie sich versehentlich berührt und waren unter der Heftigkeit dieses Gefühls errötet. Er hatte es ertragen, dass Bellatrix bereits im vierten Schuljahr mit den verschiedensten älteren Schülern ausging und er würde es auch ertragen, wenn sie sich mit seinem Herrn, dem Dunklen Lord, treffen würde, er würde ihre brennende Liebe für diesen Mann hinnehmen, solange er sich das Gefühl nehmen konnte, dass wenigstens ein Stück ihres Herzens auch ihm gehörte. Doch er würde alles dafür tun, dieses Stück zu verteidigen.
Er wusste zwar nicht, was in dem Brief drin stand, aber er wusste, dass es etwas war, dass sie ihm noch mehr zu entreißen versuchte und deswegen ließ er nicht von Bellatrix ab, ehe sie ihre langen Fingernägel so tief in seine Brust gegraben hatte, dass er vor Schmerz keuchend Luft holen musste.
Mit wehleidigem Blick und brennenden Lippen schaute er das schwarzhaarige Mädchen vor sich an, bereit, jede Sekunde eine deftige Ohrfeige von ihr zu kassieren. Doch sie stand nur da, starrte ihn an und hob langsam die Hände, um sich an die eigenen Lippen zu fassen, da, wo eben noch die seinen auf ihnen gelegen hatten.
„Das war der falsche Zeitpunkt.“, hörte er sich selbst sagen. „Es tut mir Leid.“
Bellatrix nickte nur und starrte ihn an.
Eine Weile standen sie einander ansehend vorm Erkerfenster und schließlich drehten sich beide gleichzeitig um und verschwanden in entgegengesetzte Richtungen.
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