von Roya
Kapitel 3: Albtraum
Endlich hellte der Himmel wieder auf und die Sonne ließ sich blicken. In der Winkelgasse war viel los, denn es war Samstagvormittag und Eltern machten mit ihren Kindern einen Ausflug oder waren doch auf der Suche nach neuen Annehmlichkeiten.
George war es relativ egal, aus welchen Gründen die Zauberer und Hexen den Weg in die Winkelgasse fanden, Hauptsache sie kamen in den Scherzartikelladen und versüßten ihm das Geschäft. Ganz so böse sah er es natürlich nicht, aber das schlechte Wetter hatte schon ziemlich genervt.
Momentan war er alleine im Laden, Clara, die relativ neue Aushilfe, hatte bereits frei, denn in weniger als einer halben Stunde war Ladenschluss.
Und dann würde er sich mit Angelina treffen. Als er an die Dunkelhäutige mit den Rastalocken dachte, wurde ihm ganz warm und sein Herz schlug ein klein wenig schneller.
In Gedanken versunken kratzte er sich an seinem noch verbliebenen Ohr und dachte an die letzten Tage. Auch wenn sie bereits vor sechs Jahren die Schule abgeschlossen hatten, war er immer mit der Jägerin der Quidditchmannschaft von Gryffindor in Kontakt geblieben.
Und vor einiger Zeit hatte es bei ihm tatsächlich gefunkt.
Sie hatten sich bereits mehrere Male alleine getroffen, was etwas Neues war, denn normalerweise trafen sie sich in einer Gruppe von mehreren Leuten. Darunter Fred und George, Angelina, Alicia Spinnet und natürlich Lee Jordan.
Alicia hatte seit Jahren einen festen Freund, der sich gut in die Gruppe integriert hatte und sogar Lee hatte eine junge Frau gefunden, die ihn gebändigt und mit seiner ruppigen und ironischen Art klar kam.
Während er ein paar leere Kisten aus den Regalen nahm und klein riss, dachte er an das Treffen vor drei Tagen nach und grinste. Es war einer der schrecklich kalten Tage gewesen, und er hatte Angelina in ein piekfeines Restaurant gebracht, in dem sie einiges getrunken und verdammt lecker gegessen hatten.
Danach waren sie noch in der Wohnung der jungen Frau gewesen, hatten sich eine Flasche extrafeinen Drachenwein geöffnet und es sich auf der Couch bequem gemacht. Der Abend war ihm ihn verdammt guter Erinnerung geblieben, denn nachdem sie einiges getrunken hatten und ihm eine angenehme Schwere die Zunge löste, waren sie sich noch näher gekommen.
Die Stunden mit der Schwarzhaarigen hatten ihn so benebelt, dass er tatsächlich viel zu weit südlich appariert war. Anstatt zu Hause, war er in einem Park gelandet. Er musste immer noch grinsen, als er daran dachte. Gut, dass er das keinem erzählt hatte, nicht mal Fred wusste davon.
Er konnte sich noch nicht einmal genau daran erinnern, was er da genau gesehen hatte, immerhin war es stockfinster gewesen und nur eine flackernde Straßenlaterne hatte Licht gespendet. Außerdem war sein Alkoholspiegel nicht gerade sehr niedrig gewesen, er hatte ein paar Männer gesehen, die ihn angestarrt hatten. Und er konnte sich noch daran erinnern, dass etwas an ihm vorbeigezischt war.
Aber wen interessierte das schon? Er war beim zweiten Versuch richtig in der Winkelgasse gelandet und in die Wohnung oberhalb des Ladens gegangen. Am nächsten Morgen hatte er erst einmal richtig ausgeschlafen. Heute war Fred an der Reihe, auszugehen.
Allerdings war sich George sicher, dass er auch dieses mal wieder niemand an sich heran lassen würde, nicht nach seinem schlimmen Verlust in der Schlacht vor vier Jahren.
Es klingelte und George schaute hoch. Zwei kleine Kinder kamen in den Laden und sahen sich neugierig um. Da er keine Lust hatte, gleich etwas scheppern zu hören, legte der Rothaarige den letzten leeren Karton zur Seite und ging zu den beiden Kunden.
***
Die Zauber waren kompliziert und erforderten eine Unmenge an Konzentration, außerdem verlangten sie dem Nutzer größtmögliche Geduld ab. Mia besaß diese Konzentration, die hatte genug geübt, doch steckte sie in einer Zwickmühle.
Einerseits wollte sie nicht, dass die Zauber sie an ihr Ziel brachten. Andererseits musste es bald geschehen, wenn ihr das Leben lieb war.
Seit drei Tagen versuchte sie nun mittels verschiedener Zauber, auf die Spur des Rothaarigen zu kommen. Wie oft sie sich in dieser Zeit sein Gesicht im Denkarium angesehen hatte, wusste die junge Frau nicht. Sie wusste nur, dass jedes Mal, wenn sie es betrachtete, Gefühle durch ihren Leib zuckten, die es ihr nahezu unmöglich machten, nachts einzuschlafen.
Was sollte sie nur machen, wenn sie ihn gefunden hatte? Ihr Gewissen würde dieses Mal nicht Stand halten, einen so jungen und lebensfrohen Menschen an Terence auszuliefern.
Bisher hatte sie nur mäßigen Erfolg vorzuweisen, als sie mit dickem Kloß im Hals, der sie am schlucken hinderte, in den Aufzug stieg und auf den Knopf der richtigen Etage drückte.
Sie bemerkte gereizt, dass ihre Hände zitterten und richtete mit fahrigen Fingern ihre Sonnenbrille, die ein wenig verrutscht war. Wie immer wurde sie von dem beklemmenden Gefühl beschlichen, das ihr die Luft zuschnürte und ihr Herz zum hämmern brachte.
Ja. Sie hasste dieses Gebäude. Genauso wie sie Terence hasste für alles, was er ihr und ihrer Familie antat. Manchmal verfluchte sie das Schicksal, doch sie musste stark sein. Für Mum und Kathi. Als der Aufzug sich öffnete, ging die junge Frau mit starrem Blick und undurchdringlicher Miene den Gang entlang, auf die Mahagonitür zu.
„Ja?“
Die Tür wurde von innen geöffnet und Mia sah in das verschwitzte Gesicht eines untersetzten, kleinen Mannes, der mit wirrem Blick an ihr vorbei hetzte. Ohne ihm nachzublicken trat sie in das Büro und sah nur einen einzigen Mann, der am Schreibtisch saß.
„Mia.“
Sie erwiderte nichts, schloss stattdessen hinter sich die schwere Tür und trat dann langsam näher. Ihr Herz schlug schneller, als ihr Blick auf Terence fiel, der seine Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und seine Finger vor seinem Kinn ineinander gefaltet hatte.
„Also?“
„Keine Neuigkeiten. Ich habe noch nichts gefunden.“
Schweigen rollte wie eine Lawine über sie hinweg und hüllte die beiden Personen vollkommen ein. Nach gefühlt endloser Zeit, in der Mias Herz noch stärker gegen ihre leicht bebende Brust schlug, stand der Hüne auf und kam langsam um den großen Schreibtisch herum auf sie zu.
Sie wusste, dass er sie einschüchtern wollte, konnte allerdings nichts gegen die erhoffte Wirkung machen. Der Kloß in ihrem Hals wurde noch voluminöser und schnürte ihr fast die Luft ab. Dann stand er vor ihr, sie konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren, als er auf sie hinab sah.
„Und warum nicht?“
Seine heisere, leise Stimme verschaffte ihr eine Gänsehaut, die sich in Windeseile über ihren gesamten Körper ausdehnte. Mia straffte ihre Schultern und sagte mit bemüht fester Stimme:
„Ich war im Park und habe mir die Stelle genau angesehen, konnte auch schon zurückverfolgen, aus welcher Gegend er kam, aber…“
„Warum?“
Auch wenn sein Wort zu gezischt war, zuckte Mia zusammen und schloss kurz die Augen. Wieder einmal war die junge Frau verdammt froh darüber, dass ihr Gegenüber nicht durch ihre dunkle Sonnenbrille schauen konnte. Mit nun hörbar zitternder Stimme sagte sie:
„Weil ich noch nicht genügend Zeit hatte.“
Eine grobe Hand packte sie am Kinn und riss ihren Kopf nach oben. Schmerz durchzuckte ihren Nacken und sie stöhnte leise auf. Seine Augen waren nun ganz nah vor ihr und Angst durchströmte Mias Körper.
„Ausrede. Du strengst dich nicht genug an. Wenn du dich nicht beeilst und dieser Kerl innerhalb der nächsten 24 Stunden hier vor mir steht, dann erlebst du ein blaues Wunder.“
Dann stieß er sie von sich und Mia stolperte zwei Schritte nach hinten. Die Augen des Mannes waren dunkel, glitzerten gefährlich und sie wusste um die Ernsthaftigkeit in seiner Aussage. Also nickte sie nur und drehte sich gen Tür.
„Am Montag kommen Spencer und Wilson wieder. Wenn du den Kerl bis dahin nicht gefunden hast, dann gnade dir Gott oder von mir aus Merlin oder Zeus oder wen auch immer ihr minderwertigen Geschöpfe anbetet. Und jetzt verschwinde.“
Schnellen Schritte durchquerte Mia das Zimmer und verließ es. Als die Tür hinter ihr zufiel, atmete sie einmal tief durch und eilte dann gen Aufzug. Sie musste den Rothaarigen finden!
***
Ein klirrendes Geräusch sagte ihm, dass jemand an der Tür stand und kurz darauf vernahm er auch das Drehen eines Schlüssels im Schloss und seufzte auf. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es erst zehn Uhr Abends war und somit auch, dass er mit seiner Vermutung Recht gehabt hatte. Leider.
„Hey.“
Sein Bruder kam ins Wohnzimmer, ließ seinen Schlüssel auf den Esstisch fallen, schmiss seine Jacke über die Stuhllehne und setzte sich mit einem Stöhnen links neben ihn auf die große Couch. George beobachtete ihn von der Seite, aber sein Bruder lehnte seinen Kopf zurück, streckte die Arme aus und bedeckte mit seinen Handknöcheln seine Augen.
„Was ist passiert?“
Fred reagierte nicht und wieder seufzte sein Bruder, bevor er aufstand und aus einem Schrank eine Flasche blutroten Getränks holte. Als er wieder neben dem stillen jungen Mann saß, zog er seinen Zauberstab und ließ aus dem Nichts zwei Gläser erscheinen.
In Ruhe goss er die dunkle Flüssigkeit ein und hielt seinem Bruder ein Glas entgegen.
„Hier.“
Endlich rührte sich Fred und sah kurz verwirrt auf das halbvolle Glas, bevor sein Blick weiter zu George wanderte.
„Danke.“
Er nahm das Glas aus seiner Hand und trank es in einem Zug leer. Kopfschüttelns nippte auch George an dem Feuerwhiskey und stellte es dann auf den Tisch vor ihnen, der mit einigem Papierkram zugestellt war.
„Kein Erfolg?“
Scheinbar bereits vom Alkohol beeinträchtigt löste sich Freds Zunge und er begann zu reden. Erst leise, dann lauter werdend.
„Erfolg? Womit? Mich amüsieren? Mit irgendwelchen Frauen, die nichts anderen im Sinn haben als das Eine? Du weißt genau, dass ich so was nicht will.“
Ja, das wusste er ziemlich genau, denn schon seit klein auf kannten sich die beiden Brüder so gut wie fast sich selber nicht. Doch vor vier Jahren in der finalen Schlacht in Hogwarts war etwas geschehen, was das Leben des um drei Minuten jüngeren Zwillings vollends aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
„Fred. Du musst langsam darüber hinweg kommen.“
Sein leerer Blick streifte ihn und George seufzte. Dann stand er auf, wissend, dass es keine Möglichkeit gab, seinen Bruder aus der Reserve zu locken. Zu oft hatte er es in den letzten Monaten schon versucht und war auf unfruchtbaren Boden gelandet.
„Ich geh ins Bett. Morgen sind wir bei Mum zum Kaffee eingeladen. Sie meinte, Harry und Ginny hätten irgendwas Neues zu berichten.“
Doch auch auf diese Anspielung ging Fred am heutigen Abend nicht ein. Normalerweise müsste jetzt ein ironischer Spruch kommen oder etwas in der Art, aber sobald der Rothaarige in dieser melancholischen Stimmung war, konnte ihn da nichts mehr so schnell heraus reißen. Mit einem letzten Blick auf seine zweite Hälfte drehte sich George um und ging gen Tür.
Er hinterließ einen betrübten, jungen Mann, der in diesem Moment alles durch einen dunklen Vorhang der Trauer und Unverständnis sah. Dabei hatte der Abend eigentlich ganz gut angefangen. In der Disko, in die ihn sein Freund Lee geschleppt hatte, war gute Musik am laufen und auch nett aussehende Mädchen lächelten ihn an.
Aber sobald er sich mit einem dieser aufgestylten Frauen näher unterhielt, hatte er sofort ihre Oberflächlichkeit und ihre Einfachheit bemerkt. Und so etwas konnte er einfach nicht lange um sich ertragen.
Er saß mindestens noch eine halbe Stunde einfach nur da, die Hände über seinem Kopf zusammengeschlagen, seinen Hinterkopf auf der Lehne des Sofas. Auf einmal beugte er sich nach vorne und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Als würde er es von etwas säubern wollen, rieb er sich über Wangen und Augen und stöhnte leise auf.
Warum musste auch alles so gekommen sein? Seine aufkommenden Gefühle drohten den jungen Mann zu ersticken und bevor es soweit kommen konnte, sprang er auf und ging schwerfällig ins Bett. Doch auch im Schlaf fand er keine Ruhe.
Wie so oft nach einem solchen Abend hatte er den einen Traum, der ihn seit vier Jahren schon begleitete. Er war ein Teil von ihm geworden, wenn auch ein höchst ungeliebter, denn am liebsten würde Fred alles vergessen, was sich am ersten Mai vor so gefühlt langer Zeit ereignet hatte.
Er begann immer gleich. Fred fand sich neben George wieder, in Hogwarts, seiner ehemaligen Schule. Sie waren gerufen worden, denn am heutigen Tage sollte sich das Schicksal der Menschheit erfüllen. Würde die dunkle Seite gewinnen oder würden doch am Ende die Guten triumphieren?
Die Gänge des Schlosses waren dunkel, es war unglaublich laut und die verschiedensten Gerüche hingen in der Luft. Blut, Schweiß, Angst.
Fred suchte jemand. Wo war sie, wo konnte sie nur stecken? Hoffentlich war ihr nichts passiert! Wie hatte er sie nur allein lassen können?
Im nächsten Gang erschallte laute Kampfgeräusche und sie sprinteten um die Ecke. Sein Herz blieb beinahe stehen, als er sie sah, Rücken an Rücken mit einem ihm unbekannten Mann. Sie duellierten sich jeweils mit einem verhüllten Todesser, doch aus der entgegen gesetzten Richtung, aus der er und George kamen, eilten drei weitere Feinde heran.
„Schnell!“
Seine Stimme klang laut und hallend und er rannte los. Er rannte so schnell er konnte, die Angst schnürte ihm die Kehle zu, machte es ihm schier unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Warum wurde der Weg immer länger? Er musste sie erreichen, ihr helfen.
Schon waren die nächsten Gegner heran und mischten sich in den bis gerade noch gleichstarken Kampf ein. Fred rannte so schnell seine Beine ihn trugen, aber er kam nicht von der Stelle.
„Amy!!!“
Seine Stimme überschlug sich, als er ihren Körper, im grünen Licht erstrahlend, zu Boden fallen sah. Vermeinte noch, ihren Blick auf seinem zu spüren, ein letztes Mal. Dann kam die junge Frau mit einem letzten, endgültigen und dumpfen Schlag auf den harten Steinboden auf und Fred schrie.
„Fred!“
Mit wild hämmerndem Herzen und dem Schrei noch auf den Lippen, setzte sich der junge Mann auf und sah in das besorgt dreinschauende Gesicht seines Zwillings.
Seine Brust hob und senkte sich und er konnte sich erst nach einigen Minuten halbwegs beruhigen. Er wischte sich über die Stirn und fühlte, dass kalter Angstschweiß auf ihr klebte.
Schließlich ließ er sich wieder in sein Kissen zurück sinken und starrte glasig an die dunkle Decke seines Zimmers.
„Wieder der Traum?“
Er nickte bloß, doch selbst diese kleine Bewegung ließ einen scharfen Kopfschmerz durch seine Eingeweide fahren und er schloss die Augen vor der leicht aufkommenden Übelkeit. Dann spürte er eine kühle Hand auf seiner erhitzten und klammerte sich an sie. George spendete ihm Trost, auch wenn er selber zu gerne mehr für seinen Bruder getan hätte.
Sie saßen noch eine lange Zeit einfach nur da und passten aufeinander auf, wie sie es schon immer getan hatten. Fred beruhigte sich und fiel schließlich in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
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