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Fanfiction

Slytherin Hearts - Order and Disorder

von SaphiraMalfoy

Vielen lieben Dank für eure beiden tollen Kommentare! Ich habe mich so sehr darüber gefreut (:
Die Antworten erhaltet ihr die Tage per Mail. Ich war im Urlaub und bin derzeit noch etwas im Stress, aber ich möchte euch das Kapitel nicht länger vorenthalten, daher bekommt ihr eure Antworten zeitnah per Privatnachricht ;)

Allmählich steuern wir auf einen Wendepunkt zu und klären deshalb im aktuellen und folgenden Kapitel auf, wie es zu Saphiras Essstörung gekommen ist.

___________________________________



„Guten Morgen“, erhellte die freundliche Stimme einer Frau den Raum und Augustus, der den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt hatte und am Tisch des Stationsbüros eingenickt war, schreckte auf und fuhr herum. Im Türrahmen erblickte er die hochschwangere Kara Hunter, die ihn verwundert musterte und fragte:
„Was machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie haben bis Silvester frei.“
Sie trat näher und stellte ein Behältnis mit selbstgebackenem Brot und Muffins auf der Tischplatte ab. Eigentlich befand sie sich bereits im Mutterschutz, schaute jedoch öfters auf der Station vorbei, da sie sich zu Hause langweilte und die ehemaligen Kollegen wenigstens moralisch unterstützen wollte.
Normalerweise wäre die Nachtschicht ihres Mannes in einer halben Stunde beendet, doch gerade um die Weihnachtsfeiertage regierte auf der Station das Chaos, weshalb sie ganz richtig annahm, dass David Hunter auch heute wieder einige Überstunden würde ansammeln müssen. Das leidige Schicksal sozialer Berufe.
Weihnachten, das Fest der Familie und der Liebe, bereitete nicht gerade wenigen Menschen Kummer, riss alte Wunden auf und verdeutlichte den Einsamen ihre Lage auf schmerzhafte Weise. Noch dazu der nahende Jahreswechsel, welcher sowohl in Zauberern wie auch in Muggeln Sinnfragen weckte, sie dazu veranlasste, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und im schlimmsten Falle festzustellen, dass sich ihr Leben nicht in die gewünschte Richtung entwickelt hatte.
Wochen, in denen die Suizid-Versuche überproportional anstiegen wie zu keiner anderen Zeit des Jahres.
Da bekam die Textzeile eines beliebten Weihnachtsliedes einen wahrhaft bitten Beigeschmack:
Alle Jahre wieder …

„Ich habe einen Notfall verursacht“, stöhnte Augustus niedergeschlagen und fuhr sich mit einer Hand durch das zerzauste Haar.
Verständnislos runzelte Kara die Stirn. Erst jetzt fiel ihr Blick durch die Glasscheibe, welche das Stationsbüro vom Beobachtungsraum trennte, in dem ein blondhaariges Mädchen schlief, das ihr bekannt vorkam.
„Wieso -“, begann sie, doch in diesem Moment öffnete sich die Türe hinter ihr erneut und Mr. Hunter trat ein.
„Kara, Liebling“, begrüßte der Heiler sie mit einem erschöpften Lächeln und drückte ihr flüchtig einen Kuss auf die Stirn.
„Du schaffst es wirklich nicht, ein paar Tage zu Hause zu bleiben“, stellte er fest, war jedoch mehr als froh, nach dieser aufwühlenden Nacht einen kleinen Lichtblick in Gestalt seiner Ehefrau zu erblicken. Ein Zeichen dafür, dass es noch ein anderes Leben gab, außerhalb des Krankenhauses, eine gesunde Normalität, in der er bald Vater sein würde. Fragwürdig, ob man in diese verkorkste Welt überhaupt noch Kinder setzen sollte … Konnte man dies verantworten? Doch wer sollte die Welt verändern und eine positive Zukunft erschaffen, wenn nicht die folgende Generation?

„Gönn dir ein wenig Ruhe, hat Heilerin Cameron gesagt.“
„Ach, Liebling, ich bin schwanger und nicht sterbenskrank. Es geht mir ausgezeichnet. Weshalb sollte ich auf dem Sofa liegen und mich langweilen? Die Kleine scheint ohnehin ein äußerst nachtaktives Wesen zu sein und hat mich kein Auge zutun lassen, also habe ich etwas Produktives mit der Zeit angefangen, um euch die Überstunden zu erleichtern.“ Kara deutete mit einer Handbewegung auf das Gebäck.
„Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen“, lächelte David Hunter, aber das leise Knurren seines Magens bezeugte das Gegenteil. An seinen Auszubildenden gewandt fügte er hinzu:
„Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Für Miss Black ist gesorgt. Geben Sie sich nicht selbst die Schuld. Meist erkennen diejenigen, die den Betroffenen am nächsten stehen, das Problem als letztes. Ich schätze, das war Ihnen eine bittere Lehre. Doch selbst weitaus erfahrenere Heiler haben sich bereits hinters Licht führen lassen. Miss Black hätte kaum anders gehandelt, wenn sie zu Hause gewesen wäre, glauben Sie mir.“
Augustus, der inzwischen aufgestanden war und seine Stirn gegen das kühle Glas lehnte, durch welches er Saphira beobachtete, schüttelte den Kopf und ballte die rechte Hand zur Faust.
„Ich hätte das nicht übersehen dürfen.“ Eine unbändige Flut an Selbstvorwürfen schwang in seiner Stimme mit.
„Ich bleibe.“
„Wie Sie meinen“, entgegnete Mr. Hunter. „Aber Miss Blacks Familie werde ich dennoch über den Vorfall unterrichten müssen, bevor ich gehe, und ich kann ihre Mutter nicht anlügen, sollte sie hinterfragen, wie ihre Tochter hier gelandet ist.“
„Was ist denn überhaupt geschehen?“, mischte sich Kara Hunter ein, woraufhin Augustus sich niedergeschlagen zu ihr an den Tisch setzte und sie über die Ereignisse der vergangenen Tage in Kenntnis setzte.

„… und natürlich glaubt ihre Mutter, Saphira befinde sich noch bei Pansy Parkinson. Ich befürchte, wenn sie herausfindet, dass Saphira gelogen hat und mehr oder weniger fortgelaufen ist, wird der Fokus vollkommen darauf gerichtet werden. Ich kann mir leider nicht vorstellen, dass sie dies als Anlass nehmen wird, Saphiras Beweggründe zu hinterfragen und daraufhin etwas ändert. Was in Wahrheit los ist, wird wahrscheinlich genauso ignoriert werden wie beim letzten Mal. Man wird sie nach Hause holen und dann … Was soll dann aus ihr werden? Sie braucht Hilfe und ich habe ihre Situation nur noch verschlimmert.“
„Ich verstehe“, murmelte Kara und sah ihren Mann an. „Können wir nicht … Augustus, wie schätzen Sie diese Pansy Parkinson ein? Immerhin hat sie Miss Black geholfen, sich heimlich mit Ihnen zu treffen. Wird sie bereit sein, zu behaupten, das alles wäre bei ihr passiert?“
„Daran habe ich bereits -“, begann Augustus, doch Mr. Hunter fiel ihm ins Wort:
„Kara! Auch wenn du hier nicht mehr arbeitest, so bitte ich doch inständig darum, meinen Auszubildenden nicht zum Lügen anzustiften. Es steht uns nicht zu, auf diese Weise in die privaten Angelegenheiten einer Patientin einzugreifen und ihre Betrügereien zu decken. Das wäre nicht nur gegen jeden Grundsatz unseres Berufes, wir würden auch unseren Arbeitsplatz und unsere Zulassung damit riskieren - und das zu Recht. Wo soll das hinführen, wenn wir erst damit begonnen haben? Wessen Angehörige belügen wir als nächstes?“
„Aber David, du siehst das Problem doch auch, oder etwa nicht? Wenn du die Wahrheit sagst, wird ihr womöglich jedwede Hilfe untersagt. Willst du wirklich das Leben eines so jungen Mädchens aufs Spiel setzen?“, widersprach seine Frau und blickte ihm dabei eindringlich in die Augen.
„Es obliegt nicht unserer Hand, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Wir sind keine Lebensretter, und ob Miss Black sich überhaupt helfen lassen will, wissen wir nicht. Wenn sie dieselbe Negativeinstellung an den Tag legt wie im letzten Jahr, sehe ich für sie kaum noch einen Lichtblick. Es ist ihre Entscheidung, nicht unsere“, erklärte er gefasst, doch über sein gestresstes Gesicht huschte ein Schatten des Bedauerns. Natürlich tat es ihm leid um die Patientin, doch er blieb bei seinem Standpunkt.
„Du musst gar nicht lügen, nur einen Teil der Geschichte für dich behalten“, bat Kara ihn. Nach einer schweigsamen Minute schüttelte Heiler Hunter schließlich unbehaglich den Kopf und meinte:
„Bei aller Liebe, Kara. Das werde ich nicht tun, denn obgleich ich eure Bedenken verstehe, bin ich der Meinung, dass wir Miss Black keinen Gefallen damit tun, noch mehr Lügen in ihrer Familie zu streuen. Einigen wir uns darauf, dass ich es nicht von mir aus berichten werde, aber sollte Miss Steel eine Frage diesbezüglich stellen, so halte ich es mit der Wahrheit.“

+

Als die Wirkung des Schlaftranks, den man Saphira verabreicht hatte, am frühen Mittag nachließ und sie endgültig aufwachte, gestattete man Augustus, ihr zu erklären, was geschehen war. Begleitet wurde er von Schwester Carrie, die Saphiras Blutdruck und Herzfrequenz überprüfte, ehe Augustus sich in den Stuhl neben dem Bett sinken ließ und die Freundin eine Weile schweigsam betrachtete. Sein Kopf schmerzte höllisch ob der schlaflosen Nacht und den Sorgen, die er sich machte, und als die Krankenschwester die Türe hinter sich ins Schloss fallen ließ, kniff er die Augen zusammen und stöhnte leise.

Saphira wagte es kaum, ihn anzusehen. Das schlechte Gewissen, welches sie ihm gegenüber empfand, brannte in jeder Faser ihres Körpers und sie schämte sich so sehr, von ihm in dieser Lage vorgefunden worden zu sein, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als augenblicklich disapparieren zu können.
„Wie geht es dir?“, fragte Augustus schließlich und man konnte seiner gedämpften Stimme die Erschöpfung nur allzu deutlich entnehmen.
„Körperlich gut“, erwiderte Saphira wahrheitsgemäß und kaute verlegen auf ihrer Unterlippe herum, während ihr Blick fest auf die eigenen Hände gerichtet war, mit denen sie die Bettdecke umklammerte.
„Halb so wild … Abgesehen von dem Ding in meiner Nase, das ist unangenehm.“ Sie deutete auf das Ende des Schlauches, der aus ihrem rechten Nasenloch herausragte und mittels Fixierpflastern am Nasenrücken festgeklebt war. Das Schlucken fiel ihr schwer und der Fremdkörper, welcher sich scheinbar durch die Speiseröhre bis hinunter in ihren Magen zog, tat weh.
„Die Magensonde bleibt drin, solange du hier bist“, erwiderte den Lernheiler emotionslos.
„Hervorragend“, murrte Saphira und rieb sich über den Kehlkopf, der auf die doppelte Größe angeschwollen zu sein schien.
„Dir geht es also wieder gut?“
„Sehr viel besser sogar als in den vergangenen Wochen. Es tut mir wahnsinnig leid, was ich getan habe, aber bitte mach dir keine Sorgen. Ich fühle mich wirklich gut, das war lediglich ein kleiner Schwächeanfall. Nichts Ernstes …“, bestätigte Saphira und brachte ein entschuldigendes Lächeln zustande, das Augustus beinahe zornig machte.
„Weißt du … genau das ist der springende Punkt!“, stieß er wütend aus und erhob sich. Keine Sekunde konnte er mehr still herumsitzen und die unglückliche Situation bedauern. „Das ist exakt der Grund, weshalb ich mich geweigert habe, dir einen Stärkungstrank zu verabreichen. Aber gestern Nacht gab es keine Alternative. Meine Güte, Saphira! Du hast wirklich nicht das Geringste begriffen, oder? Du hattest einen Riss in der Speiseröhre und beinahe einen Herzstillstand. Mr. Hunter war gezwungen, deinen körperlichen Zustand zu stabilisieren, damit du nicht stirbst. Dein Leben zu retten hatte in diesem Fall Vorrang, doch du bist wahrhaftig ein Paradebeispiel dafür, wie kontraproduktiv dies aus therapeutischer Sicht ist. Es geht dir wieder gut, das war alles nicht so dramatisch, dann kannst du ja damit weitermachen! Weil du nun keinerlei Folgen spürst liegt es nahe, dass du den Ernst der Lage vollkommen unterschätzt und glaubst, es wäre nichts weiter passiert. Solange die Wirkung der Heiltränke anhält, wirst du dich hervorragend fühlen, aber die Schäden, die du deinem Körper über all die Jahre hinweg zugefügt hast, sind teilweise so gravierend, dass sie schlichtweg irreparabel bleiben, und jedes weitere Vergehen an deiner Gesundheit bringt dich dem Grab einen Schritt näher.“
Saphira öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Augustus ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Fakt ist, dass du beinahe gestorben wärst. Tut mir leid, das verhindert zu haben, vielleicht erreichst du dieses Ziel beim nächsten Mal. Hätte ich dich fünf Minuten später gefunden, wäre diese Nacht für dich nicht so glimpflich ausgegangen - und das ist keineswegs eine Untertreibung. Dann würde ich Trottel nun vermutlich mein Versprechen dir gegenüber brechen, nicht zu deiner Beerdigung zu kommen, und dir ein hübsches Blumengesteck aussuchen …“

Sprachlos starrte Saphira ihn an und schluckte schwer, während seine Worte in ihrem Kopf allmählich Gestalt annahmen und ihr die grausame Bedeutung dessen bewusst wurde. Etwas Nasses rann an ihrer Wange herab und erst als sie den salzigen Geschmack auf ihren Lippen wahrnahm, begriff die junge Hexe, dass sie weinte. Wieder versuchte sie etwas zu sagen, doch kein Laut entrann sich ihrer zugeschnürten Kehle.
„Ich mache mir solche Vorwürfe.“ Wie aus weiter Ferne drang Augustus` Stimme an ihr Ohr und die Blonde schloss die Augen, lauschte ihrem eigenen Herzschlag, der plötzlich schneller wurde; sie spürte, dass es sich unangenehm und schwerfällig anfühlte, beinahe wehtat … War sie dem Ende ihres Lebens wirklich dermaßen nahe gewesen? Lauerte der Tod noch immer hinter ihr und schloss seine eisige Hand fest um ihr Herz, um es im rechten Augenblick zum Stillstand zu bringen oder gleich vollständig herauszureißen?

„Nein … eigentlich sollte ich das nicht tun“, blaffte er sie an und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Ich war da und du hättest jederzeit mit mir sprechen können. Ja, ich habe übersehen, was in dir vorging, aber wärst du ehrlich gewesen, wenn ich dich darauf angesprochen hätte? Das bezweifle ich. Weißt du, Saphira, es ist deine Entscheidung. Wenn es dein Bestreben ist, dich umzubringen, bitte. Tu dir keinen Zwang an. Steh auf und geh einfach, ich werde dich nicht aufhalten. Aber dann tu mir den Gefallen und melde dich nicht mehr bei mir, denn ich will und werde dir nicht länger bei deiner Selbstmordmission zusehen“, brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und gestikulierte zorngeladen in Richtung Tür.
„Gus!“, hauchte Saphira mit erstickter Stimme und schüttelte heftig den Kopf. „Bitte sag das nicht, es tut mir leid, es tut mir so unendlich leid. Ich wollte dich nicht in diese Lage bringen, ich -“
„Ich will keine Entschuldigung hören“, unterbrach der Dunkelhaarige sie und blickte das Mädchen dabei so ernst an wie nie zuvor. „Um mich geht es hier nicht. Triff deine Entscheidung und lass dabei jeden anderen Menschen in deinem Leben außer Acht. Tu mir keinen Gefallen, wähle nicht den Weg, der die anderen glücklich macht, sondern horch in dich hinein und finde heraus, was du eigentlich willst. Und dann handle danach. Was auch immer du tun wirst, ich werde es akzeptieren. Es ist dein Leben. Oder dein Tod.“
Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum, ohne Saphiras Flehen, bei ihr zu bleiben, Beachtung zu schenken.

+

Aufgebracht stürmte Augustus zurück ins Stationsbüro und zischte wütend: „Ich muss hier raus!“
„Was hat sie gesagt?“, erkundigte Kara Hunter sich besorgt und hielt den jungen Heiler auf, der nach seiner Jacke griff und Anstalten machte, den Raum augenblicklich wieder zu verlassen. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte mit einer Mischung aus Verbitterung und Besorgnis auf den Vorhang, den die Heilerin in Mutterschutz vor die Glasscheibe gezogen hatte, hinter welcher Saphiras Zimmer lag.
„Wozu die Diskretion? Es hat doch ohnehin alles keinen Sinn mehr.“
„So schlimm?“, fragte Mrs. Hunter und Augustus zuckte unbeholfen die Schultern.
„Ich weiß es nicht, aber ich muss eine Weile alleine sein. Ich komme heute Abend wieder. Falls sie bis dahin entschieden hat, das Krankenhaus zu verlassen, würde ich gerne darüber informiert werden, ansonsten … Ach, keine Ahnung. Ich muss erstmal den Kopf frei kriegen und versuchen, etwas zu schlafen“, sagte er durcheinander und rieb sich die schmerzenden Schläfen.
Kara nickte verständnisvoll und legte dem Lernheiler mütterlich eine Hand auf die Schulter.
„Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ich werde hier sein.“
„Danke, vielleicht komme ich darauf zurück“, murmelte Augustus. Kurz fragte er sich, wann Mrs. Hunter dazu übergegangen war, ihn zu duzen, doch da sie seit einigen Wochen nicht mehr zu seinen Vorgesetzten gehörte und er sich momentan wie ein hilfloses Kind benahm, fühlte es sich fast normal an. Er warf einen letzten Blick auf den zugezogenen Vorhang und beschloss, dass ihm ein wenig Abstand von der Situation wahrscheinlich wirklich gut täte.

+

Vorsichtig zog Kara Hunter den Vorhang zurück und spähte in das Zimmer dahinter. Die junge Miss Black saß wie versteinert auf dem Bett und starrte reglos ins Leere. Mrs. Hunter konnte Augustus` Standpunkt nachvollziehen, hielt es dennoch für keine gute Idee, die Patientin nun sich selbst zu überlassen.
Zu dem Umstand, dass sie vom Dienst freigestellt war und es sie eigentlich gar nichts anging, gesellte sich weiterhin die Tatsache, dass das Mädchen nicht ihr, sondern David als Patientin unterstellt gewesen war.
Abgesehen von den wöchentlichen Stationsbesprechungen und dem, was Augustus Pye nach ihrer Entlassung berichtet hatte, wusste Kara nichts über sie. Dennoch verspürte sie den Drang, der jungen Patientin zumindest zu signalisieren, dass jemand für sie da war, denn nach Augustus` Laune zu schließen war das Gespräch der beiden nicht gerade rosig verlaufen, und auf der Station herrschte derzeit ein solches Durcheinander, dass niemand der anderen Heiler wirklich Zeit hatte, sich spontan und in Ruhe mit ihr zu befassen. Heute Nachmittag würde man den Dienstplan an die Neuaufnahmen anpassen und ab morgen wäre Miss Black in den Ablaufplan integriert. Allerdings fanden über die Feiertage ohnehin keine Therapiemaßnahmen statt. Es galt nur, Struktur in das Chaos zu bringen und die Tage so erträglich wie möglich zu gestalten.

Unschlüssig ging sie im Zimmer auf und ab, streichelte sanft über ihren Bauch und hoffte inständig, ihr eigenes Kind möge Derartiges niemals am eigenen Leib erfahren müssen. Sie wusste beim besten Willen nicht, ob sie sich wirklich einmischen oder die Patientin lieber in Ruhe lassen sollte, doch die mehr als gestresst wirkende Schwester Carrie nahm ihr diese Entscheidung schließlich ab.

+

Saphira zuckte zusammen, als sie ein Klopfen vernahm. Rasch versuchte sie, sich zu sammeln, und rief: „Herein.“
Eine Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung wogte in ihr auf, als sie erkannte, dass Augustus nicht zurückgekehrt war, sondern die ehemalige Miss Williams den Raum betrat.
„Guten Tag, Miss Black“, begrüßte die schwangere Heilerin sie und hielt die Tür für die Krankenschwester auf, welche stündlich Saphiras Vitalfunktionen überprüfte.
Angewidert verzog Saphira das Gesicht, als ihr Blick auf die Flasche mit milchig trüber Nährflüssigkeit (Fresubin) fiel, welche die Schwester mitgebracht hatte. Zu gut war ihr das widerwärtig süße Zeug von ihrem letzten Aufenthalt in Erinnerung geblieben, nur dass sie es nun vermutlich nicht mehr würde trinken müssen, sondern … Sie schielte auf den Schlauch, der ihr aus der Nase hing, und ahnte Schreckliches.

„Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Mrs. Hunter freundlich und riss Saphira aus ihrem imaginären Horrorszenario. Die Angesprochene zuckte nur die Schultern und verfolgte jede Bewegung der Krankenschwester argwöhnisch, die gerade ihren Blutdruck maß und mit dem Zauberstab gegen die Flasche tippte, um die hochkalorische Flüssigkeit auf Körpertemperatur zu erwärmen. Anschließend entnahm sie dem Schrank zu ihrer Rechten eine große Spritze und füllte deren Kolben mit dem Fresubin, ohne dabei auch nur ein Wort der Erklärung fallen zu lassen. Zwar sah man ihrem Gesicht die Überarbeitung deutlich an, dennoch befand Saphira ihr Verhalten für ausgesprochen unhöflich.
„Muss das wirklich sein?“, murrte sie, als Schwester Carrie die Spritze in die vorgesehene Öffnung des Schlauches steckte.
„Ja“, entgegnete diese knapp und in einem verzweifelten Panikanflug vor dem, was nun passieren würde, warf Saphira ein:
„Kann ich nichts Richtiges essen?“

Doch ehe sie den Satz beendet hatte, floss die Nährflüssigkeit bereits warm an ihrem Nasenflügel vorbei durch die Speiseröhre (ohne damit in Berührung zu kommen) und breitete sich zentnerschwer in ihrem Magen aus. Es war ein absonderliches Gefühl, zu spüren, wie sich ihr Bauch ganz allmählich füllte, ohne dass etwas ihren Mund passiert hätte … Unnatürlich und furchterregend. Vor ihrem geistigen Auge schwoll ihr Körper binnen Sekunden auf ein Vielfaches an, dehnte sich unter ihrer Haut aus und -

„Nein“, antwortete die Schwester und füllte die Spritze bereits mit einer zweiten Portion Fresubin. „Außerdem stehen Sie innerhalb der nächsten zwei Stunden unter Beobachtung, also sparen Sie Ihre Energie für anderes und denken gar nicht daran, ihren Magen auf welche Weise auch immer zu entleeren.“
„Sonst noch was?“, giftete Saphira aufgebracht und war viel zu perplex von der Situation, um sich körperlich gegen die Zwangsernährung zur Wehr zu setzen. Bei ihrem letzten Aufenthalt war man ihr mit so viel Güte und Verständnis entgegengekommen. Weshalb sich plötzlich alle Welt gegen sie verschworen zu haben schien, begriff die junge Hexe noch nicht.
„Passen Sie doch auf, das tut weh!“, beschwerte sie sich lautstark, als die Schwester den Schlauch wieder verschloss und diesen dabei versehentlich bewegte, sodass er an der gereizten Schleimhaut in ihrem Rachen rieb.
„Es war nicht meine Absicht“, entschuldigte sich Schwester Carrie kurz angebunden und wandte sich von dem Mädchen ab, um die Utensilien wieder zusammenzuräumen.
„Aber na sicher doch … Merlin, ich bin durchaus fähig, wie ein normaler Mensch zu essen! Sie machen sich lächerlich, das ist absolute Zeitverschwendung.“ Woher ihre plötzliche Wut rührte, konnte Saphira nicht erklären. Auch so ausfallend zu werden war für gewöhnlich nicht ihre Art; aber was an ihrem Leben war überhaupt noch gewöhnlich? Sie wusste gar nicht, wo ihr der Kopf stand, was sie nun tun sollte und wie zur Hölle sie aus dieser prekären Lage wieder herauskommen konnte. Aber der Zorn war hilfreich, gab ihr Energie und trotzigen, wenn auch kindischen Kampfgeist. Vor allem jedoch hinderte er das lauernde Gefühl der absoluten Hilflosigkeit daran, von ihr Besitz zu ergreifen. Der Schock, dass Augustus sie scheinbar fallen gelassen hatte, saß tief und jagte ihr eine Heidenangst ein.

„Ich weiß, Sie möchten das nicht hören, aber niemand will Ihnen etwas Böses. Sehen Sie es als Möglichkeit, Ihren körperlichen Zustand zu stabilisieren und die Zeit zu haben, sich in Ruhe mit ihrer Psyche zu befassen, ohne dauernd unter dem Druck zu stehen, etwas essen zu müssen“, durchbrach Mrs. Hunter Saphiras Gedankenkarussell erneut. Dass die Schwester bereits gegangen war, hatte die junge Black gar nicht registriert.
„Das klingt wahrhaftig nach einer wundervollen Strategie. Nun bleibt mir auch der Geschmack des Essens versagt. Fett werde ich dennoch. In der Tat, daran erfreue ich mich wie schon seit langem nicht mehr“, scherzte Saphira bitter und reckte das Kinn, versuchte einen kläglichen Rest Stolz zurückzuerlangen, obgleich ihr die erbärmliche Lage, in welche sie sich selbst hineinmanövriert hatte, schrecklich bewusst war.
„Es ist unwahrscheinlich, dass sie in Ihrem Zustand rasch an Gewicht gewinnen. Zunächst wird Ihr Körper die Energie dazu aufwenden, die Schäden, welche Sie Ihren Organen zugefügt haben, so gut es eben möglich ist, zu beheben.“
„Gewinnen …“, wiederholte Saphira hämisch und lachte tonlos auf, doch Mrs. Hunter überging dies.
„Wäre es denn so schlimm, ein wenig fraulicher auszusehen?“, fragte sie stattdessen und musterte das Mädchen genauestens, das hinter seiner garstigen Fassade eine enorme Unsicherheit und Angst zu verbergen schien.
„Das ist es doch, was sie hören wollen, oder etwa nicht? Ich verweigere das Essen, um dünn zu sein. Das war es. So einfach ist das“, murmelte Saphira finster und presste die Hände auf den schmerzenden Bauch. Ihr war speiübel.

Mrs. Hunter schüttelte ernst den Kopf, zeigte weder Mitleid noch Empörung über die Aussagen der Patientin, sondern blieb vollkommen neutral.
„So einfach ist es nie“, widersprach sie. „Und was jemand anderes gerne hören möchte, spielt keine Rolle. Sie werden Ihre Gründe haben, und ob Sie diese jemandem offenbaren, bleibt einzig und alleine Ihnen überlassen. Die Frage lautet viel eher: Kennen Sie selbst die Ursachen oder folgen Sie nur einer Gewohnheit, an deren Ursprung selbst Sie sich nicht mehr entsinnen?“
Saphira schwieg. Die ruhige, beinahe gleichgültige Haltung der Heilerin verwirrte sie und ließ ihre Widerspenstigkeit allmählich abebben.
„Sie müssen überhaupt nicht mit mir sprechen und wenn dies Ihr Wunsch ist, werde ich den Raum verlassen, doch bin ich gebeten worden, Sie für die nächsten zwei Stunden zu beobachten.“ Sie deutete auf die verspiegelte Glasscheibe. „Es ist Ihre Entscheidung, ob ich hierbleibe oder von dort drüben zusehe.“
„Warum?“, entfuhr es Saphira unwillkürlich. „Glauben Sie ernsthaft, ich wäre fähig, mit diesem Ding im Hals noch zu kotzen?“
„Das nicht unbedingt, doch es ist erst unlängst einer Patientin gelungen, das Fresubin auf demselben Wege wieder nach oben zu befördern, auf dem es hineingekommen ist. Und um das zu verhindern, wird jeder, der physisch so instabil ist, nach der Verabreichung nicht aus den Augen gelassen.“
„Interessant zu wissen, dass man bei Weitem nicht die einzige Gestörte auf diesem Planeten ist“, grinste Saphira freudlos, klang jedoch nicht einmal halb so sarkastisch wie wenige Minuten zuvor. Auf einmal fühlte sie sich niedergeschlagen und erschöpft.

„Ich nehme an, Sie möchten lieber alleine sein“, stellte Mrs. Hunter fest und erhob sich.
„Nun, ich will nicht behaupten, dass die Kontrolle meines Gewichtes inzwischen ebenfalls dazugehört, jedoch … ist dies nur ein weiteres Glied in der Kette, ein Tropfen auf dem heißen Stein … Aber wenn es nur das wäre, hätte ich vermutlich spätestens damit aufgehört, als ich mich ernsthaft in meinen Exfreund verliebte. Mir ist bewusst, dass ich nicht in sein Beuteschema passe. Nein, ihm hätte es wesentlich besser gefallen, wenn ich gut zwanzig Kilo mehr wöge und vor allem eine größere Oberweite besäße. Ginge es um reine Äußerlichkeiten, hätte sich das Problem durch ihn vielleicht von alleine gelöst …“, sprudelte es unvermittelt aus Saphira heraus und die junge Black wunderte sich selbst über ihren plötzlichen Rededrang. Doch es war ihr, als könnte sie diese Erkenntnis nicht fassen, ohne sie laut auszusprechen. Die Worte wollten nicht länger unzusammenhängend in ihrem Kopf umherkreisen, drängten darauf, gehört und verstanden zu werden - und Letzteres in erster Linie von Saphira selbst.

Mrs. Hunter hielt inne und wandte sich wieder der Patientin zu.
„So schön diese Wunschvorstellung klingen mag, sie wäre nicht wahrgeworden, denn es geht nicht nur darum. Sie haben keine Diät gemacht, Miss Black. Um sich an eine solch lebensbedrohliche Grenze herunter zu hungern, bedarf es einiges mehr. Ein gesunder Geist sendet natürliche Warnsignale und besitzt einen viel stärkeren Überlebensinstinkt, der dem Selbstzerstörungstrieb - welcher vielleicht in jedem von uns schlummert - weit überlegen ist und diesen in Zaum hält.“ In ihrer Stimme klangen weder Vorwurf noch irgendeine Wertung mit und zum ersten Mal fühlte Saphira sich wahrhaft ernst genommen, ohne dabei bedauert und verhätschelt zu werden. Diese Situation war ihr fremd, aber nicht annähernd so unangenehm wie andere Gespräche über dieses … Thema. Das war es. Ein Thema, ein abstraktes „Ding“, eine Sache. Etwas, das man diskutierte. Mit ihrer Person hatte dies wenig zu tun.
„Aber der Wunsch, abzunehmen, kann ein Auslöser sein, ein Fixpunkt, auf den man seine Aufmerksamkeit richtet und hinter dem die wahren Probleme für eine Weile verblassen“, ergänzte Mrs. Hunter, woraufhin Saphira seufzend den Kopf schüttelte.

„Das kam so viel später …“, murmelte sie und sah gedankenverloren auf ihre Hände.
„Fühlen Sie sich nicht genötigt, mir irgendetwas zu erzählen, das ist keineswegs meine Intention. Ich arbeite hier momentan nicht, sondern springe aufgrund des Hochbetriebs nur kurzfristig als Beobachter ein. Es wäre Ihnen vielleicht lieber gewesen, ein Angehöriger hätte diese Rolle übernommen, doch leider hat Ihre Mutter noch nicht auf unseren Brief reagiert. Nichts von dem, was Sie mir berichten, kommt demnach in Ihre Akte. Das hier ist und bleibt eine inoffizielle Unterredung und -“
„Meine Mutter wurde bereits darüber unterrichtet, dass ich hier bin?“, fiel Saphira ihr erschrocken ins Wort und die Heilerin nickte.
„Und weiß sie auch, dass ich bei Augustus war?“, hakte die Blonde weiter nach und wurde nervös. Das war ihr Ende … Nun würde Cecilia alles daran setzen, sie so schnell wie irgend möglich zu verheiraten, ehe ihre törichte Tochter noch einmal auf die Idee käme, etwas Dummes anzustellen.
„Noch nicht“, verneinte Mrs. Hunter und sah, wie rasch die Anspannung von der Patientin abfiel. Ein Blinder mit Krückstock konnte erraten, wie tief verwurzelt die Probleme innerhalb dieser Familie waren und dass deren Ursprung nicht zuletzt in Zusammenhang mit den konservativen Konstrukten der Reinblüter stand.

„Wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf, Miss Black: Die Ursachen und Auslöser Ihrer Krankheit sind vielleicht der Schlüssel zur Heilung. Nicht in jedem Fall, aber manchmal hilft es, sich darüber bewusst zu werden, wie und weshalb diese Denkweisen begonnen haben, um das eigene Verhalten zu reflektieren. Wenn es Ihnen zu schwer fällt, in der Therapie darüber zu sprechen, schreiben Sie über Ihre Erfahrungen. Verfassen Sie einen Brief, den Sie niemals jemandem zeigen müssen. Setzen Sie sich mit Ihrem jüngeren ?Ich` auseinander und finden heraus, was Sie dazu verlasst hat, den eigenen Körper dermaßen zu misshandeln. Wie viel Sie schlussendlich davon preisgeben möchten, bleibt Ihnen überlassen. Wichtig ist in erster Linie, dass Sie sich selbst begreifen.“

Schwer ausatmend vergrub Saphira den Kopf in den Händen und versuchte, ein wenig Ruhe in ihre nicht stillschweigen wollenden Gedanken zu bringen, doch es war ihr nicht möglich.
„Wenn es Ihnen zu viel wird und ich gehen soll, sagen Sie es nur, Miss Black“, meinte die Heilerin, doch Saphira hob den Kopf und murmelte:
„Nein, ist schon in Ordnung.“ Zu sehr fürchtete die junge Hexe den Moment, da sie ganz alleine mit sich selbst konfrontiert wäre. „Und Sie dürfen Saphira sagen, falls es Ihnen recht ist. Miss Black klingt so viel älter, als ich mich fühle. Außerdem sollte ich mich langsam von diesem Nachnamen verabschieden, immerhin werde ich ihn nicht mehr lange behalten.“

„In Ordnung, Saphira.“ Den Anflug eines freundlichen Lächelns auf dem Gesicht setzte die Heilerin sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett und betrachtete das Mädchen eingehend.
„Ist es in den traditionellen Zaubererfamilien also noch immer an der Tagesordnung, Ehen zu arrangieren, die gleich nach Beendigung der Schullaufbahn geschlossen werden?“, erkundigte Mrs. Hunter sich und Saphira nickt verbittert.
„Wissen Sie … die Jungs sind fein raus. Wenn man nur ein Mann ist, darf man sich Zeit lassen und zumeist selbst auswählen, welche Frau man zur Sklavin, pardon, Ehefrau haben möchte. Aber eine unverheiratete Reinblüterin, die älter als zwanzig ist … Merlin, eine solch alte Jungfer wird höchstens noch zum Vergnügen herumgereicht; auf eine respektable Ehe kann sie kaum noch hoffen.“
„Unfassbar, dass sich daran noch nichts geändert hat“, murmelte Mrs. Hunter. „Aber ich möchte mir kein Urteil darüber erlauben, denn ich habe mich mit Derartigem nie persönlich befassen müssen.“
„Sie Glückliche!“, stieß Saphira aus und achtete kaum noch auf Tonfall oder Wortwahl. Wozu all das geheuchelte, vornehme Getue? Das hatte sie über all die Jahre hinweg keinen Schritt nach vorne gebracht, demnach konnte sie auch gleich sagen, was sie dachte. Es machte ohnehin keinerlei Unterschied. „Und dennoch haben Sie einen Reinblüter geheiratet und niemand beklagt sich darüber. Sie schwimmen fröhlich mit auf der Ich-und-Du-und-Wir-sind-alle-gleich-Welle, während die Reinblüter an den verstaubten Zwängen festhalten, aber … was macht man dazwischen? Sich fügen? Welcher dieser Ideologien?“ Seufzend zuckte Saphira die Schultern und verzog grimmig den Mund. „Doch worüber beklage ich mich eigentlich? Meine Pflichten sind mir bewusst, seitdem ich denken kann. Was eines Tages auf mich zukommen wird, stand nie zur Debatte. Es ist eine Tatsache, an der es nichts zu rütteln gibt. Dennoch habe ich naives Gör stets geglaubt, einen Ausweg zu finden, dem irgendwie entkommen zu können …“ Gedankenversunken sprach Saphira diese Worte aus, wobei ihre Stimme immer leiser wurde, bis sie schließlich ganz verebbte. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf und sah die Heilerin erneut an, als wäre sie sich ihrer Gegenwart soeben erst wieder bewusst geworden.

„Unterbrechen Sie mich, sollte ich mit meiner Vermutung zu weit gehen, aber wäre es möglich, dass dies einer der Hauptgründe für Sie gewesen ist, in die Magersucht hineinzugeraten?“ Ehe sie fortfuhr, hielt Mrs. Hunter inne und musterte die Gesichtszüge des Mädchens, versuchte in ihnen zu lesen, ob die junge Black bereits ahnte, worauf sie hinauswollte oder ob ihr das Thema inzwischen zu persönlich wurde und sie nicht weiter darüber reden mochte. Doch wider Erwarten blickte das Mädchen schlichtweg interessiert drein.
„In die Pubertät zu kommen, die körperlichen Veränderungen und das Älterwerden deutlich zu spüren, ist für viele junge Damen erschreckend, doch für Sie muss es gleichsam bedeutet haben, dem Erwachsenenalter näher zu kommen und sich zu einer potentiellen Ehefrau zu entwickeln. Womöglich haben Sie bewusst oder unbewusst versucht, diesen Prozess aufzuhalten, indem Sie so wenig aßen, dass Ihr Körper kindlich und unweiblich blieb, um äußerlich weiterhin einem Kind zu gleichen und somit nicht als sexuelles Objekt, beziehungsweise Heiratskandidatin wahrgenommen zu werden“, mutmaßte Mrs. Hunter vorsichtig.
„Nein“, entgegnete Saphira entschieden, korrigierte sich jedoch schnell: „Ich gebe zu, ab einem gewissen Zeitpunkt liegt diese Annahme durchaus im Bereich des Möglichen, aber … es war nicht der Auslöser.“

So widersinnig die vergangenen Tage auch gewesen sein mochten, so hatten sie ihr in vielerlei Hinsicht indirekt die Augen geöffnet. Zwischen etlichen angebrochenen Lebensmittelverpackungen auf dem Küchenboden kauernd, würgend über dem Rand der Kloschüssel hängend und berauscht von dem Gefühl der Macht über den eigenen Körper war die junge Black sich einigen Tatsachen bewusst geworden, über welche sie früher nie aktiv nachgesonnen hatte. Was das Essen anbelangte, hatte sie stets im Hier und Jetzt gelebt. Nie in der Vergangenheit, selten in der Zukunft. Immer hatte es Ausflüchte und Scheinbegründungen gegeben, die ihr Handeln rechtfertigten und den Ursprung ihrer Krankheit vertuschten.

„Sie gehen genau wie jeder andere von der falschen Annahme aus, ich wäre zuerst anorektisch geworden und würde nur in undisziplinierten Momenten essen und brechen. Aber dem ist nicht so. Es war genau umgekehrt. Ich habe dem nie widersprochen, weil … Sehen Sie, es ist doch so: Dünne Frauen werden bewundert, zu Magersüchtigen blickt man ehrfürchtig auf, wenn auch auf eine sehr spezielle Art und Weise. Den meisten Menschen tut man leid, sie sorgen sich und betrachten den ausgezehrten Körper mit Staunen. Sie fragen: Wie schaffst du das? Wer nichts isst, gilt als stark und unantastbar, ist etwas Besonderes, aber … sobald jemand buchstäblich frisst wie ein ausgehungertes, wildes Tier und anschließend kotzt, wird dieser Mensch nur mehr als eklig empfunden. Man wendet sich von ihm ab, reißt Witze, findet das alles irgendwie lächerlich. Iss nicht so viel, dann musst du auch nicht kotzen. Die Askese der Magersüchtigen ist etwas, wonach nicht wenige streben. Nicht in dieser extremen Form, aber ein bisschen mehr Disziplin und Willenskraft wünscht sich doch nahezu jeder. Bulimiker sind ungezügelt, triebgesteuert und abartig. Niemand bewundert oder beneidet sie. Aber genau das bin und war ich immer. Die grazile Elfe, die das Essen verabscheut, ist nur ein Trugbild, das ich zu erschaffen gesucht habe, um in erster Linie mir selbst etwas vorzumachen und weil ich mich ob der Wahrheit so sehr schäme. Das Hungern war nichts weiter als eine Folge des Übergebens, ein Gedanke, der gescheiterte Versuch einer Neunjährigen, sich selbst zu therapieren unter dem Leitsatz: Eher verhungere ich, als noch einmal auf diese Weise die Kontrolle zu verlieren. Aber … es hat nicht funktioniert.“

„Neun?“, wiederholte Mrs. Hunter leicht schockiert und gleichsam beeindruckt von so viel Ehrlichkeit seitens der jungen Patientin. „Wie alt - oder besser gesagt jung - waren Sie, als das angefangen hat, wenn Sie mir diese Frage gestatten.“
„Acht“, antwortete Saphira tonlos und starrte ins Leere. Obgleich sie diese Erinnerung etliche Jahre verdrängt und in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannt hatte, zogen die Bilder vor ihrem geistigen Auge auf, als wäre es gestern gewesen …

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Die Frage nach dem Warum klären wir dann im nächsten Kapitel endlich auf.


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Im Buch wird sie als hässliche Kröte beschrieben. Als man mir dann sagte: ,Du wärst toll in der Rolle‘, antwortete ich: ,Herzlichen Dank!‘ Aber natürlich habe ich mich gefreut, als man mich darum bat, denn die Rolle ist ein echtes Juwel, es ist einfach traumhaft, in dieser Welt mitmischen zu dürfen … ganz abgesehen davon, dass ich in der Achtung meiner zwölfjährigen Tochter deutlich gestiegen bin.
Imelda Staunton