von rodriquez
„Dem sichersten Ort der Welt?“, wiederholte ich ungläubig.
Molly glaubte in meiner Überraschung wohl Unwissenheit zu erkennen. Sie rollte mit den Augen. „Mein Gott, Harry. Hast du deinen Kopf in Hermine stecken lassen?“
Erschrocken zuckte ich zurück. „Machst du mir deswegen, Vorwürfe?“
„Keineswegs, Harry“, zum ersten Mal seit meiner Ankunft schenkte sie mir ein stilles Lächeln. Eine Andeutung, mehr nicht. „Ich finde es sogar gut. Irgendwie dachte ich sowieso immer, dass du und Hermine...“
Die kurze Phase der Aufheiterung verging so schnell, wie sie gekommen war.
„Wir haben aber wohl andere Sorgen?“
Ginny und Tracy in Hagrids Obhut zu wissen beruhigte und stärkte vorübergehend mein Gemüt. Molly würde mich nicht ohne genaue Aufklärung nicht aus ihren Fängen lassen. Aus Angst mich zu verplappern sucht ich nach einem Ausweg.
„Kann ich zu Ron?“, Ein vergeblicher, sehr schwacher Versuch. Obwohl ich bereits die Türklinke zu Rons Krankenzimmer fest umklammert hatte, hielt mich Molly Weasley mit einem gekonnten Griff zurück. „Verbandswechsel. Ron kann warten.“
Ihr Griff um mein Handgelenk verstärkte sich, sie drehte sich um mich herum, gerade so, dass sie mir in die Augen schauen konnte.
„Wir Beide haben noch ein paar Dinge zu klären“, forderte sie mich auf. Ihr Blick erlaubte keine Widerrede.
„Was meinst du?“ Besser den ahnungslosen Unschuldsengel mimen, als sie völlig ignorieren.
Von daher ging ich in die Offensive, und legte meine größte Sorge offen: „Könnte Hermine auch in Hogwarts sein?“
Molly schüttelte ihren Kopf. „Tut mir leid Harry, Hermine wurde mit keinem Ton erwähnt. Wart ihr deswegen in Tenby? Habt ihr gehofft Hermine bei Ginny anzutreffen?“
„Irgendwie schon“, atmete ich schwer durch. „Eigentlich wollten wir das Gleiche, was du gerade willst: Antworten auf Fragen.“
„Welche Fragen?“
Erneut versuchte ich ihrer penetranten Fragerei auszuweichen. Unter allen Umständen musste ich die Gefahr, in der Ginny und ihr Enkelkind schweben, verschweigen.
„Hat Ginny irgendwas gesagt?“
„Nur dass es ihnen gut geht, und Tracy es kaum erwarten kann nach Hogwarts zu kommen.“
„Warum verstecken sich die Beiden in Hogwarts?“
„Das ist kompliziert“, schnaufte Molly. „Aber eigentlich obliegt erst einmal mir das Recht auf Antworten…“.
„Ist es wegen Steven?“, überging ich ihren Einwand und hielt ihr das Bild aus der Hand des Killers unter die Augen. „Ist er das?“
Einen einzigen Wimpernschlag widmete sie dem Bild. Ein Blick, der ihre ganze Abneigung ausdrückte. Sie nickte, und ich konnte sehen, wie immer mehr Fragen ihren Kopf zermarterten.
„Ich habe ihn nie kennengelernt“, rechtfertigte ich mich.
„Weil du es nicht ertragen hättest?“
„Weil er nie da war, wenn…“
Ein sarkastisches Lachen entwich ihrer Kehle. „So oft war das aber nicht der Fall“, verhöhnte mich Molly.
„Sollte ich bei ihren Schäferstündchen zusehen?“
„Ihr habt euch mal geliebt ... angeblich.“
„Nicht nur angeblich...“
„Ich habe es bis heute nicht verstanden, Harry.“
Ich zuckte unter unglücklichen Erinnerungen mit meinem Kopf.
„Da sind immer noch Gefühle vorhanden, hab ich Recht?“
„Es ist nicht so, dass ich mir Hoffnungen machen würde, aber auf eine gewisse Art liebe ich sie wohl wirklich noch. Aber es würde nie mehr so sein…“
„Weil du dir deiner ewigen, unbekannten Liebe zu Hermine bewusst geworden bist?“
Ich blieb Molly eine Antwort schuldig. Sie erkannte die Nichtantwort trotzdem an, nickte mir aufmunternd zu. „Warum hast du auch den Kontakt zu deiner Tochter völlig abgebrochen?“
Weil sie nicht meine Tochter ist!
Die Worte wollten nicht über meine Lippen, so schwieg ich erneut.
„Du hast deine Tochter für die Schuld ihrer Mutter leiden lassen. Warum, Harry?“
Mollys vorwurfsvolle Blicke brannten wie Feuer in meinem Gesicht.
Wusste sie es wirklich nicht?
„Wenn du sauer auf Ginny bist, kann ich es verstehen. Aber warum Tracy?“
„Sie hatte einen neuen Vater.“
„Steven?“, lachte Molly und überschüttete mich mit Hohn und Spott. „Dieser Idiot? Was denkst, warum die Kleine so oft bei mir war?“
Ich schaffte es nicht einmal mehr die Schultern anzuheben.
„Harry, über was reden wir hier eigentlich?“
Einige lange Augenblicke starrte mich Molly fassungslos an. „Warum Tracy, Harry?“
„Weil ich nicht ihr leiblicher Vater bin?“
„Gerade du müsstest wissen, wie es ist ohne Vater aufzuwachsen. Mit dem Unterschied, dass Tracy ihrem Vater noch in den Hintern treten könnte.“
„Ich bin kein Vater.“, erwiderte ich mit schwacher Stimme.
„Und wenn schon!“, Molly Kopf drehte große Kreise. „Du hast sie aufwachsen sehen. Du warst zwei Jahre an ihrem Kinderbett, hast sie getröstet, sie in den Schlaf gesungen, wenn Ginny wieder mal auf Tour war. Du hast ihre Windeln gewechselt. Du hast ihr, ihr erstes Fläschen gegeben. Du bist ihr Vater. Und verdammt noch mal, sie vermisst dich. Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht nach ihrem Vater - nach Harry fragt. Ich verstehe dich nicht. Du hast dein Kind zwei Jahre im Stich gelassen.“
Die resolute Frau gab mir keine Chance nach Ausflüchten zu suchen. Sie hatte sich in einen Rausch geredet. Vergessen die Sorge um ihren Sohn, der nur wenige Meter weiter in einem Krankenbett lag, und von dessen Genesung ich mich noch nicht vergewissern durfte.
„Wer hat dir eigentlich diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
„Ginny hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass Tracy nicht meine Tochter ist!“
„Wenn Tracy nicht deine Tochter ist, dann fresse ich Merlins Bart. Schau sie dir an.“ Molly hielt mir ein Bild meiner Tochter unter die Augen. „Schau sie dir an, Harry!“
Meine Beine begannen zu zittern.
„Was an Tracy könnte nicht von dir sein?“
Ich schwankte, und dachte jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.
Vor meinen Augen wurde es schwarz. Alles begann sich zu drehen. Mein Magen rebellierte. Zum Glück wurde es nur ein Knurren, gefolgt von einem leichten Würgen. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden hatte ich keine feste Nahrung mehr zu mir genommen, und in diesem Augenblick war ich froh darüber.
„Sie hat deine Augen. Die gleichen dunklen Haare. Schau dir ihren Blick an. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Du hast Ginny tatsächlich den Bären abgenommen, den sie dir aufgebunden hat?“
„Was hätte ich denn tun sollen?“, ein schwacher Versuch einer Verteidigung.
Ich wollte mich eigentlich gar nicht verteidigen, tat es aber um mein Gewissen zu beruhigen. Längst saß ich zusammengekauert, wie ein Häufchen Elend auf einem Stuhl, den mir Molly Weasley untergeschoben hatte, nachdem ich die Kontrolle über meine Beine verlor. „Ich hätte es nicht ertragen meine Mädchen glücklich und einträchtig mit einem andern Mann zu sehen. Einer, der mich eins zu eins ersetzt hatte. Deine Tochter hat mir versichert...“
„Und du hast ihr geglaubt?“ Molly schlug fassungslos ihre Hände vors Gesicht. „Mein Gott, Harry. Du hast dich täuschen lassen, weil du dich hast täuschen lassen wollen. Ginny hat dir ein perfektes Alibi verschafft, damit du dich kampflos zurückziehen kannst.“
Auch in diesem Augenblick verlor ich einen Kampf, den ich nicht annehmen wollte. Tränen schossen über mein Gesicht. „Kann ich das jemals wieder gutmachen?“
„Das ist nicht die Frage.“
„Sondern?“
„Ginny hat deine labile Verfassung gnadenlos ausgenutzt. Aber auch du bist nicht schuldlos an der verzwickten Situation. Die Frage ist: Könnt ihr den Fehler an eurer Tochter wiedergutmachen? Ihr habt auf ihrem Rücken euer schamloses Spiel ausgetragen.“
„Das weiß ich längst“.
„Tracy wird dich ohne Zweifel sofort wieder in die Arme schließen. Nur wird das dein Gewissen nicht beruhigen, dass musst du dir erst wieder erarbeiten. Für Ginny brechen schwere Zeiten an, das kann ich dir versprechen. Man sieht ja, was sie jetzt davon hat.“
Molly Worte dröhnten in meinem Kopf. Für einen kurzen Moment hatte ich tatsächlich die Orientierung verloren. Meine Augen starrten ins Leere. Bilder aus längst vergangenen Tagen verfolgten und quälten mich: Bilder eines kleines Mädchens, dass tatsächlich und zweifellos meine Augen besitzt, dessen dunklen, langen Haare aussehen, als wäre sie gerade aus dem Bett gefallen. Die nächste Vision war ein strahlendes Gesicht meiner Hermine Das Strahlen verschwand, bis ihre Augen Angst ausdrückten.
„Erzähl mir von Steven“, bat ich Molly. Erwacht aus einem Traum. „Erzähl mir alles, was du weißt“.
„Bei euch Männern übernimmt gerne der Lümmel in eurer Hose das Denken. Bei meiner Ginny war das wohl ähnlich. Sie dachte nur noch mit ihrer Mumu. - Unterbrich mich nicht, wenn ich versuche in eurer Sprache zu sprechen“, winkte die energische Frau ab. „Sie war noch ein Teenager, ein Kind als sie ihr Herz an dich verlor. Aber ein Teenager durfte sie nie richtig sein. Die Zeiten erlaubten es nicht. Sie wartete brav auf ihren Liebsten. Und als der zurückkehrte begann sofort Das Erwachsenendasein. Die Zeit war noch nicht reif für ein Kind. Ginnys Leben hatte gerade erst begonnen. Sie hatte Jahre nachzuholen. Du wolltest Ruhe und Geborgenheit. Ginny war das zu wenig. Sie wollte dich, Spaß. Alles auf Einmal. Und als das nicht funktionierte, weil du ihr zu wenig Zeit schenktest, begann sie sich den Spaß ohne dich zu holen. Steven tritt in ihr Leben, und er bietet ihr noch ein wenig mehr, als dass, was sie mit dir zusammen nachholen wollte. Er hat ihr die Augen geöffnet, und sie so verdreht, dass sie nichts mehr Anderes sehen konnte. Plötzlich hatte sie Zeit, Unterhaltung und einen Typen, der mit Geldscheinen nur so um sich warf. Er führte sie in Kreise ein, von denen man nur träumen kann, und bei denen einem schwindlig wird. Ihr Weltbild veränderte sich. Ihre Sichtweise. Für dich war plötzlich kein Platz mehr.“
„Willst du mir damit sagen, dass sie mich loswerden wollte?“
„Ich würde es vielleicht nicht so krass ausdrücken, aber auf eine gewisse Art schon.“
„Ich habe mich nicht genügend um sie gekümmert. Die Schuld alleine bei ihr zu suchen, ist mir zu einfach.“
„Steven ist ein Blender“, kam Molly zum Thema zurück. „Kurz nach eurer Trennung kam sie das erste Mal weinend in den Fuchsbau. Sie hatte Steven mit einer üppigen Blondine auf einer Club-Toilette inflagranti erwischt.“
Ein angewidertes ich - habe - es - gewusst - Lachen in meinem Gesicht, verflog genauso schnell, wies es gekommen war.
„Leider war ihm Ginny schon hörig. Für keinen Preis der Welt wollte sie auf Geld, Ansehen und Partys verzichten. Die Oma wurde zur eigentlichen Mutter für Tracy. Gut dreiviertel der letzten zwei Jahre verbrachte sie im Fuchsbau. Erst in den letzten zwei, drei Monaten hat sich das verändert.“
„Was ist vorgefallen?
Molly zuckte mit der Schulter. „Steven behandelte sie, wie ein Möbelstück. Schob sie jeden Tag an eine andere Stelle. Ein Tag Hui, ein Tag Pfui. Vielleicht hatte sie endlich die Wahrheit erkannt. Und letzte Woche muss es dann zum großen Knall gekommen sein. Sehr früh am Samstagmorgen, standen sie plötzlich vor der Tür, bekleidet nur in einem Bademantel. Sie klopfte, traute sich aber nicht ihr Elternhaus zu betreten. Mir konnte sie nichts vormachen. Stocksteif stand sie da, selbst nachdem sich Tracy losriss und zu Arthur rannte. Ginny blieb, einfach, wie angewurzelt vor der Tür stehen. Eine Sonnebrille tief im Gesicht. Im ersten Moment dachte ich, sie würde Tracy wieder einmal nur abliefern wollen, und direkt wieder verschwinden. Aber - das tat sie nicht. Ich blieb fragend stehen und starrte mein Kind an. Sie rührte sich nicht von der Stelle, zitterte. Dann entdeckte ich eine Träne, die unter ihrer Brille nach unten tropfte. Kind, was ist los? Fragte ich sie und schloss sie in die Arme. Ich bat sie herein, doch sie begann zu stammeln: Ich … ich kann nicht, Mum. Sie schluchzte. Ich habe Scheiße gebaut. Pass bitte auf Tracy auf, sie ist in meiner Nähe nicht sicher.“
Molly winkte energisch ab, nachdem ich mich räusperte. Fragen. Neue Fragen.
„Mein Gott, Kind. Was ist denn los? Fragte ich und hob vorsichtig ihre Brille an...“
„Hat er sie geschlagen?“, traute ich mich nun doch einen empörten Zwischenruf zu tätigen.
„Ich glaubte nicht, was ich zu sehen bekam. Sie versteckte ein riesiges in allen Farben leuchtendes Veilchen an ihrem rechten Auge. Es ist besser, wenn du nichts weißt. Pass einfach auf Tracy auf. Kind, bettelte ich, du brauchst Hilfe, soll ich deine Brüder oder Dad, oder vielleicht Harry holen? Nein. Auf keinen Fall, unterbrach sie energisch. Bitte Mum, du sollst nur auf Tracy aufpassen, das ist alles um was ich dich bitte. Ginny griff nach ihrer Brille, verdeckte wieder ihre Augen und wandte sich ab. Ein letzter Versuch sie aufzuhalten scheiterte: Kind, hör mir doch zu. Du brauchst Hilfe. Wenn Tracy in Gefahr ist, dann bist du es auch. Sie winkte ab, schüttelte ihren Kopf. Du verstehst das nicht. Du darfst das auch nicht verstehen. Ich muss erst noch ein paar Dinge regeln, dann komme ich zurück und bringe Tracy in Sicherheit.“
An dieser Stelle beendete Molly ihren Rückblick.
„Hat Steven sie geschlagen?“ konfrontierte ich Molly, die einen kurzen Moment, die aus Ronnys Zimmer kommenden Heiler anstarrte. „Hat er sie vielleicht früher schon geschlagen, oder vielleicht sogar Tracy?“
Die Heiler gingen kommentarlos an uns vorbei.
„Kleine Kinder sind Plappermäuler“, Molly verzog ihre Mundwinkel. „Tracy hat sich nie negativ geäußert.“
„Wie ging es weiter?“, bettelte ich. „Ginny kam zurück, nehme ich mal an. Hat sie dir was gesagt?“
„Ginny kam am frühen Samstagnachmittag zurück, sagte nichts, hörte aber auf meinen Rat. Wir brachten sie in den Schutz von Hogwarts. Das war am Samstagabend.“
„Sie hat nichts erklärt, keine Andeutung gemacht. Rein gar nichts?“
Molly schüttelte ihren Kopf.
„Du hast nichts aus ihr herausbekommen?“, griff ich sie direkt an.
„Denkst du, Ginnys eigenartiges Verhalten, Hermines Verschwinden und das was euch in Tenby widerfahren ist, könnten im Zusammenhang stehen?“
„Ein paar viel Zufälle auf einmal“, nickte ich. Und jetzt, wo ich sicher sein konnte, dass Molly längst über die Gefahr, in der ihr Kind und ihr Enkel schweben, Bescheid wusste, brauchte ich auch keine Rücksicht mehr nehmen. „Die Typen haben nach etwas gesucht, das ich aber nicht habe. Etwas von dem ich nicht einmal eine Ahnung habe. Sie kannten die Namen von Ginny und Tracy. Der Typ der Rons Auge ausgestochen hat, trug dieses Bild von Steven bei sich, Er tauchte ausgerechnet in Tenby auf.“
„Dann solltest du Ginny einen längst überfälligen Besuch abstatten.“
„Was denkst du, warum wir in Wahrheit in Tenby waren?“
„Vielleicht gelingt dir mit Tracy als Druckmittel etwas aus ihr herauszulocken. Rede ihr ins Gewissen“.
Sollte ich das wirklich tun?
„Wieder auf dem Rücken meiner Tochter?“, fragte ich, mit einem unguten Gefühl.
Ganz wohl, war mir nicht dabei. Mein Magen krampfte schon wieder. Nach Allem, was Molly über meine Tochter erzählt hatte. Ein schwerer, sehr schwerer Gang.
„Spring über deinen Schatten, Harry“, als könnte Molly Gedankenlesen. „Du musst Hermine finden, um endlich glücklich zu werden. Du wirst doch nicht Angst vor einem kleinen Mädchen haben, das sehnsüchtig auf dich wartet? Du hast doch gar nichts mehr zu verlieren. Deine Tochter hattest du für dich abgeschrieben. Sie, dich aber nicht. Du kannst nur gewinnen. Geh nur nicht zu hart mit Ginny ins Gericht. Egal, was sie getan hat. Am Ende hat doch die Sorge um Tracy sie auf den richtigen Weg geführt, und sie hat das einzige, Richtige getan. Sie zu schützen.“
Nervös schritt ich auf und ab. Der große Harry Potter hatte tatsächlich Angst vor einem Wiedersehen mit einem knapp fünfjährigen Mädchen.
„Sie ist erst Vier, Harry. Es ist noch nicht zu spät. Gib ihr eine Chance.“
In meiner Tasche wühlte ich nach dem Handy, ließ mir von Kingsley, der keine Neuigkeiten parat hatte, die Nummer von DS Lydia Cole geben, und klingelte im Anschluss bei ihr durch.
„Detective Sergeant Lydia Cole“, meldete sich ihre Stimme nach dem dritten Rufton.
„-Lydia kannst du mir einen Gefallen tun, und einen Namen überprüfen?“
„-Harry, bist du das?“
„-Ja“
„-Ich habe leider keine Neuigkeiten für dich. Um ehrlich zu sein, haben wir noch nicht einmal die Ermittlungen aufgenommen.“
„-Verdammt, warum nicht?“
Ich fragte mich, was man tun müsste, um die Aufmerksamkeit der Polizei zu erlangen. Hermine ist seit mehr als zwanzig Stunden verschwunden.
„-Erstens, weil wir mitten in einer Mordermittlung stecken…“
„-Der damit in Verbindung steht“, unterbrach ich, doch sie ließ sich nicht beirren.
„-die Vorrang hat, und zweitens, weil wir immer noch keinen konkreten Beweis haben…“
„-außer eurer Leiche“.
„-Harry, das ist nicht unsere einzige Leiche, auch wenn du die Frau im Brent Reservoir hinzuzählst...“
Ich wollte erneut protestieren, doch Lydia schnitt mir das Wort ab.
„-Hör zu. Ich bin der falsche Baum, den du anpinkelst. Mich brauchst du nicht zu überzeugen.“
„-Ja, tut mir leid. Aber ich habe vielleicht eine erste Spur. Kannst du für mich wenigstens einen Namen überprüfen?“
„- Mal schauen was ich tun kann“, schnaufte sie unter einem schweren Seufzen. „Schieß los.“
„-Ein Steven…“, fragend blickte ich zu Molly, die mir „Worthington“, zuflüsterte.
„-Steven - Whiskey - Oscar - Romeo - Tango - Hotel - India - November - Golf - Tango - Oscar - November”, buchstabierte ich im Nato-Alphabet. Eine Art der Buchstabierung zum besseren Verständnis schwerer Worte. Jeder Polizist sollte diese Sprache beherrschen. Lydia enttäuschte mich nicht. Dennoch wiederholte ich zur Sicherheit den Namen in ausgesprochener Form: “Worthington.”
“-Gib mir fünf Minuten.”
„-Kein Problem - Und Lydia … Danke.“
Mollys Blick bat um Aufklärung. Ich hatte nichts zu verbergen. Immerhin glaubte ich von ihr den entscheidenden Tipp bekommen zu haben. Die ersten Rädchen schienen ineinander zu greifen. „Detective Sergeant Lydia Cole“, erklärte ich Molly. „Eine Empfehlung von Kingsley. Sie ist seine Nichte und bei der Metropolitan Police.“
„Du lässt Steven überprüfen?“
„In fünf Minuten bin ich hoffentlich schlauer. Vielleicht findet sie etwas über ihn. - Ron?“ ich deutete auf die Krankenzimmer, die uns gegenüber lag. Molly nickte. „Geh nur. Aber wahrscheinlich schläft er bereits wieder...“
„Du hast mich erwartet?“
„Hat man mir das angesehen?“
„Die verkreuzten Arme vor der Brust. Ein typisches Alarmsignal bei Molly Weasley. Zum Umkehren war es leider zu spät.“
„Verschwinde du…“, Molly erhob ihre Hand zu einer Ohrfeige, zog sie aber schmunzelnd im letzten Moment zurück. „Und Harry…“
Noch einmal nickte sie mir aufmunternd zu. „Viel Glück.“
„Danke Molly. Das kann ich gebrauchen.“
Sie zögerte. „Kümmere dich in Zukunft um unser Goldstück. Sie braucht ihren Vater. Ihren richtigen Vater. Enttäusche sie bitte nicht. Du bist bei uns immer willkommen. Und hole dir Hermine. Werdet zusammen glücklich.“
Bevor ich die Türklinke von Rons Krankenzimmer endgültig herunterdrückte atmete ich noch einmal tief durch.
Rons rechtes Auge zierte eine Augenklappe, die Hände hatte er hinter dem Kopf verschränkt. Das gesunde Auge starrte zur Decke.
„Alles klar Kumpel?“
Ohne mich anzusehen antwortete er: „Mach die Schweine fertig, Harry. Ich möchte nicht umsonst ein Auge verloren haben.“
„Ist es…“, vorsichtig trat ich näher heran. Völlig am Arsch? Ich brachte die Worte aber nicht über meine Lippen.
„Völlig am Arsch!“
Dafür über Ron.
„Aber mach dir keinen Kopf. Man wird, wenn ich hier raus bin, kaum was bemerken. Die Heiler machen mich wieder zu einem gutaussehenden magischen Hengst.“
Ich wusste nicht was ich erwidern sollte. Irgendwie fühlte ich mich schuldig an seiner Situation. Auch das schien Ron zu bemerken. „Es war völlig richtig, dass du mich eingeweiht hast. Das ist nicht Selbstverständlich. Es zeugt von Vertrauen. Das bist du mir nach all den Jahren auch schuldig.“
„Komm schnell wieder auf die Beine, Kumpel“.
„Harry? - Ich habe ihn nicht kommen hören. Plötzlich stand er vor mir. Ich glaube ich habe nicht einmal geschrien. Bevor ich Nachdenken konnte, steckte das Ding schon in meinem Auge. Alles begann sich zu drehen. Rote Farbe war das Letzte was ich mit einem rechten Auge sehen konnte. Ich bilde mir einfach ein, es waren meine Haare. Vielleicht hilft mir das gegen Albträume.“
„Du hast meinen Arsch gerettet. Wieder einmal. Der Kerl hatte mich fast…“
„Und du Meinen. Die Heiler meinten: fünf Minuten später und sie hätten nichts mehr für mich tun können.“
„Ginny und Tracy verstecken sich in Hogwarts…“
„Ich weiß. Mum hat es mir nach einigem hin und her verraten. Kannst mir glauben. Ich habe sie ganz schon angepflaumt, als ich bemerkte, dass sie mir etwas verschweigen wollte. Also steckt doch Steven dahinter?“
„Lydia checkt ihn gerade für mich durch.“
„Wenn er es war, dann verpass ihm Eine von mir. Niemand schlägt ungestraft meine Schwester.“
„Ron?“
Endlich schaute er in meine Richtung und wusste sofort, was ich von ihm wollte.
„Hermine?“, ganz leicht neigte er seinen Kopf zur Seite. „Ich habe damit kein Problem. Von mir aus heiratet, bekommt Kinder, rammelte euch das Hirn raus. Ich mach dir sogar den Trauzeugen.“
„Das meinte ich eigentlich nicht, aber danke für deine aufmunternden Worte. Mein Hirn bleibt, wo es ist. In einem luftleeren Raum.“ Wir grinsten fast zeitgleich. „Aber versprich mir Eins“, fügte Ron immer noch grinsend hinzu. „Kein Schwanzvergleich!“
„Versprochen“, nickte ich zustimmend. „Du hättest sowieso keine Chance“.
„Angeber!“
„Erst muss ich sie finden“. Das Lächeln verschwand aus meinem Gesicht, so schnell es gekommen war. Aber es tat gut, nach den letzten schweren Stunden ein paar aufmunternde Worte zu hören.
„Was wolltest du wirklich?“
„Tracy?“, erwiderte ich. „Sie ist meine Tochter, hast du das gewusst?“
Er sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er wusste, dass Molly seine Mutter wäre.
„Hat dein Hirn etwa schon was abbekommen?“ Er beugte sich nach vorne. „Alle Schrauben noch am richtigen Platz?“
„Ginny hat mir vor zwei Jahren glaubhaft versichert, dass ich nicht Tracys Vater bin.“
„Und du hast ihr geglaubt?“, staunte Ron. „Sag mal? Hast du deine Tochter jemals angeschaut? Ihr in die Augen geschaut? Bist du etwa farbenblind? Harry Potter, der Leichtgläubige“, ungläubig schüttelte Ron seinen Kopf. „Du wärst auch vom Astronomieturm herunter gesprungen, wenn sie es dir befohlen hätte.“
„Du verstehst das nicht. Sie hatte mich verlassen. Ich war depressiv. Ich war nicht ich selbst…“
„Hol sie dir zurück. Deine Kleine wartet seit zwei Jahren auf deine Rückkehr.“
Das penetrante Läuten meines Handys unterbrach einen kurzen Moment der Stille. Bisher hatte ich den Ton nicht als unangenehm empfunden, doch in diesem Augenblick fuhr mir der Schreck durch die Knochen. Auch Ron sah mich mit einem nervösen Auge an
Mit zitternden Fingern drückte ich die Auslösetaste und lauschte still und aufmerksam den Informationen von Lydia Cole.
Als sie ihren Bericht beendet hatte senkte sich mein Arm, wie von selbst. Mit leerem Blick starrte ich durch Ron hindurch. Lydias Stimme war noch zu hören. Ich stand unter Schock.
„War das die Polizistin?“, hörte ich Rons Stimme. Sie klang dumpf und weit weg.
„Was hat sie gesagt?“ …
„Harry? Was hat sie gesagt?“ …
„Harry?“ …
„Sag schon!“ …
„Ist etwas mit Hermine?“
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