von rodriquez
„Ich habe ihn dir aus der Tasche gezogen, als du über mich gestolpert bist“, presste Ron hervor, als ihn die Heiler auf eine Bahre hievten.
„Ruhig, Kumpel“, redete ich beruhigend auf ihn. „Alles wird gut“.
„Ich habe ein Auge verloren, na und?“, erwiderte er mit einem gequälten Lächeln. „Nennen wir den Laden halt in Zukunft Einauge & Einohr. Jetzt sehen wir bald alle aus, wie Schweizer-Käse“. Er presste unter Schmerzen ein Lachen hervor, das mehr wie ein Hustenanfall klang, und ich kam nicht umhin zu denken: Fred hätte es nicht besser hingebracht.
Unmittelbar nach dem K.O. des Angreifers widmete ich meine Aufmerksamkeit meinem alten Freund. Sei rechtes Auge wirkte abschreckend. Ein tiefes, klaffendes Loch, keine Pupille, nur eine unheimliches schwarzes, blutendes Etwas. Mein Freund war ohne Bewusstsein, doch sein Atem war noch schwach zu hören, so informierte ich zunächst Kingsley. Während ich dem Minister den Vorfall schilderte, orderte er nebenher die Heiler des St.Mungos Hospitals an. Ron sollte die beste Versorgung bekommen, die man bekommen kann, immerhin hatte er mir wieder einmal den Arsch gerettet. Meine Erklärungsversuche waren noch nicht beendet, da waren sie schon vor Ort. Schmerzstillende Mittel, etwas Diptam, ein paar mir unbekannte Zaubersprüche genügten zur Erstversorgung. Rons gesundes Auge klappte auf. Er stöhnte und jammerte qualvoll. Es blöd es klingen mag, doch in diesem Moment war ich mir sicher, dass er es schaffen würde.
Bevor sich die Heiler mit Ron auf den Weg ins Hospital machten, hielt ich sie noch kurz zurück. Sie versicherten mir, dass er wieder auf die Beine käme, doch das war es nicht, was mich noch beschäftigte.
„Ron“, fragte ich meinen schwerverletzten Freund, griff nach seinem Arm und bückte mich nach dem Bild, das dem Angreifer aus der Hand gefallen war. „Ist das Steven?“
Ron blinzelte und quälte sich die Person auf dem Bild zu identifizieren. „Sorry“, flüsterte er, „ich sehe nur eine verschwommene Gestalt. Er könnte es sein, aber verlasse dich nicht auf die Sicht eines Schweizer Käses.“
„Ist schon gut“, beruhigte ich ihn, und versuchte meine Enttäuschung zu verstecken.
„Hat er was damit zu tun?“
Ich schüttelte ahnungslos meinen Kopf.
„Ich weiß nicht einmal, wie dieses Phantom aussieht. Wenn ich nur wüsste, wo Ginny und Tracy sind.“
„Frag Mum“, konnte Ron mir noch zurufen, dann war er mit den Heilern aus meinem Blickfeld verschwunden.
Kingsley veranlasste auch den Herbeiruf der örtlichen Polizei. Bis zu ihrem Eintreffen würden fast dreißig Minuten vergehen, so meine Schätzung. Meine alte Heimat, weit außerhalb von Tenby, liegt doch leider etwas Abseits der Öffentlichkeit. Die verbleibende Wartezeit wollte ich mit Überlegungen und Gedankenspielen nutzen.
Eine weitere Durchsuchung des Hauses wäre nutzloser Zeitvertreib gewesen.
Was hatte mir der Ausflug in mein altes Heim gebracht, abgesehen von dicken, schmerzenden Genitalien, einer gebrochenen Nase, einem tiefen Riss in der Wange, einem gebrochenen Herzen und einem schwerverletzten Freund?
Doch kaum hatte ich die Überlegungen begonnen, als ein melodisches Geräusch für neue Ablenkung sorgte. Angestrengt suchte ich nach dem Ursprung der Melodie. In der Nähe des bewusstlosen Übeltäters wurde das Geräusch deutlicher. Es kam aus seiner Jackentasche. Ein Handy. Vorsichtig kontrollierte ich zunächst seinen Zustand. Er war ohne Bewusstsein. Ich wollte nicht erneut überrumpelt werden, erst als ich mir ganz sicher war, griff ich nach dem schnurlosen Telefon und betätigte die Annahmetaste.
„-Mhm“, murmelte ich undeutlich, mit verstellter, kehliger Stimme. Der Anrufer sollte nicht sofort bemerken, dass er nicht den gewünschten Gesprächspartner erwischt hatte.
„-Was ist los?“, polterte der Anrufer los. „Warum meldest du dich nicht? - Hast du die Wohnung nochmals durchsucht?“
„-Mhm“.
„-Und? Hast du den Stick gefunden?“
Ich schwieg, wartete auf weitere Informationen. Nach einigen schweigsamen Augenblicken meldete sich mein gegenüber wieder.
„-Sag mal, was ist los mit dir? Hat's dir die Sprache verschlagen?“
„-Könnte man so sehen“, antwortete ich, und war auf die Reaktion gespannt.
Sie ließ nicht lange auf sich warten.
„-Potter? - Respekt“.
Seine Überraschung war groß, seine Enttäuschung greifbar, dennoch ging ich zum verbalen Angriff über.
„-Wo habt ihr meine Freundin?“
„-Das wüsstest du wohl gerne“, höhnte er.
„-Wenn du ihr was antust“, fauchte ich. „Ich verspreche dir, so glimpflich, wie dein Kumpel wirst du nicht davon kommen...“
„-Das ist mir scheißegal“, presste die Stimme hervor. „Besorge mir den Stick und du bekommst sie wieder:“
„...und morgen kommt der Weihnachtsmann“, spie ich sarkastisch aus. „Wenn du ihr etwas antust, komme ich und hole dich. Ich werde dich finden und jagen, egal wo du sein wirst. Ich werde dich finden - und ich werde dich töten. Ganz langsam. Jeder Atemzug hinter deinem Rücken könnte von mir sein.“
„-Besorge den Stick und du bekommst sie zurück!“
„-Dein Kumpel sieht richtig gut aus, mit dem zerfetzten Gesicht...“
Das Gespräch war zu Ende. Die Leitung tot. Er hatte einfach aufgelegt.
Hatte ich ihn beeindruckt, oder Hermines unnötig, aus Wut in größere Gefahr gebracht?
Doch die wichtigste Erkenntnis, die ich gewonnen hatte, war ein vorübergehender, schwacher Trost:
Hermine lebt.
Genau wie Tracy und Ginny.
Aber was hat das zu bedeuten?
Sie suchen nach einem Stick. Was bitte, ist ein Stick?
Was hat Steven damit zu tun?
Wie ist er in diese Geschichte verwickelt?
Warum drängt er sich immer wieder in mein Leben?
„Der hat seine Strafe schon bekommen.“
Die Worte des brutalen Killers gingen mir nicht aus dem Sinn.
Hatten sie Steven etwa aus dem Weg geräumt?
Aber was hat das mit mir zu tun?
Oder mit Hermine?
Ich hatte zwei keinen Kontakt zu meiner sogenannten Familie. Steven kannte ich nicht einmal.
Die Typen kannten meinen Namen, und die von Ginny und Tracy.
Wo sind Ginny und Tracy?
Wo sollte ich suchen?
Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte.
Die Puzzleteile passten einfach nicht ineinander. Mit einem auf der Spüle liegenden Handtuch rieb ich über das Telefon und steckte es seinem Besitzer zurück in die Tasche.
Meine Hoffnung etwas aus dem ekelhaften Kerl herauszubekommen, löste sich in Rauch auf. Kingsley warnte mich eindringlich etwas Derartiges zu versuchen. Natürlich juckten meine Finger bedenklich. Nur zu gerne hätte ich den Sadisten gequält, so wie er es mit mir getan hatte. Letztendlich siegte die Vernunft, mich nicht auf sein Niveau herabzulassen.
Um ehrlich zu sein, war Rons Fluch so stark, dass der Idiot beim Eintreffen der Metropolitan Police immer noch ohne Bewusstsein war.
Leider bin ich nicht Hermine, die sicher den richtigen Zauber parat gehabt hätte. Ihr wäre es gelungen den Typen aufzurütteln.
Nicht das erste Mal, dass ich sie schmerzhafte vermisste. Ihre Taten, ihr Wissen, ihr Vertrauen. Und jetzt auch ihre Liebe.
Fast zeitgleich mit dem Sirenengeheul der Polizei traf auch Kingsley höchstpersönlich am Tatort ein. Er begutachtete mich und stellte die gleichen Fragen, die ich mir gerade selbst gestellt hatte. Noch immer hatte ich keine Antworten parat. Auch meinem Freund und Chef stand die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.
„Das ist alles sehr mysteriös“, murmelte der Minister sichtlich angespannt.
„Du glaubst mir also?“
Ein schwacher Trost, sein Nicken.
Aber trotzdem tat es gut ein Gefühl der Bestätigung zu bekommen.
„Ich habe nie an dir gezweifelt, Harry. Dazu kenne ich dich schon zu lange. Und vor allem Hermine“, bestätigte Kingsley. „Das passt irgendwie nicht zusammen.“
„Meine Worte!“
Kingsleys Blick wanderte zu dem leblosen Körper eines Mannes, der von der Wucht eines Schockzaubers noch immer ohne Bewusstsein war. Das Gesicht des Ministers zeigte trotz der vielen Fragen eine gewisse Erleichterung: Ich hatte mich an seine Anweisung gehalten, und den Kerl in Ruhe gelassen. Das ich keine geeigneten Mittel gefunden hatte, brauchte ich ihm nicht unbedingt unter die Nase reiben.
„Was wollte der Typ von euch?“
Ich zuckte unwissend mit der Schulter.
„Das Gleiche, wie in Hermines Wohnung. Und er suchte nach Ginny und meiner Tochter…“
„Weil du vielleicht doch nicht das hast, was er glaubte, dass du es hast“, überlegte Kingsley.
„In Hermines Wohnung waren sie mindestens zu Zweit.“
„Lydia hat mich vorhin noch informiert, dass man den Pförtner…“
„Ich weiß“, unterbrach ich. „Deswegen sind wir auch hierher, sonst hätten wir dem fetten Mike zuerst einen Besuch abgestattet.“
Kingsley überging meine Anmerkung mit einem missbilligenden Blick.
„.Lydia fand absolut nichts über diesen Mike. Er ist nie auffällig geworden. Keine Vorstrafen. Nichts.“
„Ich hatte ihn von Anfang an in Verdacht. Der Kerl hat gelogen, wie gedruckt“, stimmte ich zu.
„War Der…“, fragte Kingsley und zeigte auf den langsam zu sich kommenden Profikiller, „…einer von denen, aus Hermines Wohnung?“
Ich nickte und konnte zusehen, wie er sich von drei Beamten abführen ließ. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wagte er es nicht mich anzusehen. Lediglich ein kurzes Zucken seines Körpers versetzte meinen Körper in Alarmbereitschaft. Kingsley hielt mich energisch zurück, doch ich hatte gar nicht vor dem Typ an die Kehle zu gehen. Er sollte wissen, dass ich keine Angst habe.
„Ich tu ihm nichts“, beruhigte ich Kingsley, der mich widerwillig losließ.
„Angst macht einen schwach und hilflos?“, höhnte ich meinem Feind entgegen. „Doch kann man sie kontrollieren kann sie auch zu einem Vorteil werden. Wie Recht du doch hattest… Und solltet ihr Hermine etwas angetan haben, dann wirst du richtig erfahren, was es heißt Angst zu haben.“
„Überlass ihn der Polizei“, bat Kingsley, wartete einen Moment, bis die Beamten außer Sichtweite waren. „Da steckt irgendetwas ganz Großes dahinter“, flüsterte er mir zu. „Lydia hat so eine Andeutung gemacht, hatte aber wohl Angst, dass unser Gespräch mitgehört wird.“
„Was könnte sie damit meinen?“ Mit großen Augen starrte ich Kingsley an.
Er schüttelte seinen Kopf. „Wenn sie etwas erfährt, dann werden wir es als Erste erfahren. Aber das könnte über eine abhörsichere Leitung geschehen.“
„Secret Service?“
„Lass es Harry. Da ist noch nichts spruchreif. Erzähl mir lieber nochmals, an was du dich erinnerst. Vielleicht haben wir etwas übersehen?“
Enttäuscht zuckte ich mit der Schulter und versuchte mich an der eintausendfünfundneunzigsten Rekonstruktion.
„Der zweite Kerl in Hermines Wohnung wirkte unsicher. Dieser hier…“, ich nickte abfällig dem Abtransportierten hinterher. „…war eiskalt. Ein Profi. Er gab die Anweisungen. Mit Bestimmtheit kann ich nur von zwei Angreifern sprechen. Sollten es mehrere gewesen sein, so verhielten sie sich ruhig.“
„Zumindest drei Personen waren außer euch in der Wohnung. Die Frau...“
„Im ersten Moment glaubte ich wirklich, dass es Hermine war, die sie …“ Ich verschluckte die schweren Worte. „Ich habe mir so oft den Kopf zerbrochen. So oft die Szene neu durchgespielt. Da ist nichts, absolut nichts, das mir weiterhilft. Ich habe noch nicht einmal eine Idee, nach was sie suchen.“
„Dann warten wir die Erkennungsdienstliche Suche ab. Vielleicht ist dieser hier für die Polizei ein alter Bekannter. Vielleicht ist er gesprächig und führt uns zu Hermine.“
Ich schüttelte energisch meinen Kopf. „Das glaube ich nicht. Der wird bis zum Schluss alles abstreiten. Wir haben nichts gegen ihn, außer, dass er Hausfriedensbruch begangen hat.“
„Einen Mordversuch an Ron. Das reicht für ein paar Jährchen, und vielleicht ist er doch in der Kartei. Also in unseren Kreisen löst allein schon der Gedanke an Askaban die Zunge.“
„Nein, Kingsley. Bei dem Kerl habe ich meine Zweifel, der ist eiskalt. Ich muss weitersuchen. Solange ich nicht weiß, wo Hermine ist, oder was mit ihr ist…“
„Du hast keinen Anhaltspunkt, Harry. Ron wäre fast draufgegangen. Du kannst nicht blind nach der sprichwörtlichen Stecknadel suchen.“
„Besser als gar nichts tun...“
„Vertrau auf Lydia. Wenn Jemand was herausbekommt, dann sie. Geh nach Hause, versuch etwas Ruhe zu finden.“
Meine Antwort war ein schweres, enttäuschtes Schnaufen. Insgeheim wusste ich, dass Kingsley Recht hatte. Aber die Ungewissheit versuchte mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Dennoch befolgte ich seinen Rat. Und Zwei Stunden später war ich immer noch kein Schritt weiter.
Ich hatte lange und ausgiebig geduscht. Als ich aus der Dusche zurückkam war es draußen bereits stockdunkel. Später Abend. Vor knapp vierundzwanzig Stunden stand ich noch vor der Wahl, wie ich meinen Abend gestalten sollte.
War es die falsche Entscheidung?
Ich fand die Liebe meines Lebens. Sie wurde mir schneller wieder genommen, als ich sie überhaupt bemerkt hatte.
Welche Ironie. Jahrelang blind durchs Leben zu laufen.
Ich bekam Ablenkung. Mehr als mir Recht war.
Zum dritten Mal an diesem Tag zog ich mich um, begutachtete vor dem Spiegel meine neuerlichen Makel, wünschte mir Hermine wäre hier bei mir und würde mich pflegen.
Diptam hatte ich keines zur Verfügung, dafür aber meinen Zauberstab. Nur hatte ich den nie zuvor an mir selbst ausprobiert. Ich richtete ihn auf meine Nase und murmelte „Episkey“, ganz nach Hermines Geschmack.
Die Wirkung setzte zeitverzögert ein. Mit einem gewaltigen Knacken rutschte meine Nase in seine ursprüngliche Form. Endlich fiel mir das Atmen wieder leichter. Anschließend marschierte ich zum Kühlschrank, hoffte, dass mich niemand beobachten würde, zog aus dem Gefrierfach einen Eisbeutel, platzierte ihn an einer sehr diffizilen Stelle und legte meine Beine hoch. Nachdem meine Schwellung etwas abgeklungen war, dachte ich daran meinem Freund Ron einen Besuch im St. Mungos Hospital abzustatten. Das Warten erdrückte mich. Im Sekundentakt starrte ich auf mein Handy. Nichts. Kein Anruf.
Die Idee, Ron einen Besuch abzustatten blieb die einzige Alternative. Übersah bei dieser Idee aber, dass ich auf meine wissbegierige Ex-Schwiegermutter treffen könnte. Es kam, wie es kommen musste. Molly erwartete mich bereits sehnsüchtig. Die Arme vor der Brust verschränkt, bedrohlich blinzelnd, den Kopf voller Fragen.
„Harry!“, polterte sie los. „Was ist eigentlich hier los?“
Ich hatte zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Vor der Wahrheit wollte ich Molly beschützen. Zu lügen würde bei der resoluten Frau ins Chaos führen. So entschloss ich mich für die dritte Möglichkeit: Der Teilwahrheit.
Wie hätte ich Molly das Verschwinden ihrer Tochter und ihres Lieblingsenkels beibringen sollen? So begann ich vorsichtig mit einer Erkundigung nach Rons Wohlbefinden.
„Wie geht es Ron?“
„Er hat ein Auge verloren. Ist extrem depressiv, aber sonst ist alles in bester Ordnung“, antwortete sie sarkastisch. „Ich höre, Harry?“ Ein schweres Seufzen kam über meine Lippen.
„Hört das denn nie auf, Harry?“
„Ron kann nix dafür, Molly“, begann ich meine Schilderung, überdachte aber peinlichst genau meine Worte.
„Ach, ja?“, höhnte sie. „Unschuldig, wie eh und je?“
„Dieses Mal schon“, antwortete ich schweratmend. „Hermine ist verschwunden.“
„Verschwunden?“, wiederholte sie. „Wie und warum?“
Mir blieb nicht einmal die Chance den Kopf zu schütteln. „Keine Märchen, Harry!“
„Wir haben uns zufällig gestern Abend getroffen. Das erste Mal seit über einem Jahr.“
Der Abend endete im Bett.
Eine knallharte Feststellung, die den Kern genauestens traf und eine gesunde Farbe in mein Gesicht trieb.
Doch konnte ich das Molly verständlich erklären?
„Wir sind uns zufällig in einem Pub im Norden Londons über den Weg gelaufen. Reiner Zufall. Nichts Abgesprochenes. Wir kamen locker ins Gespräch, und sind dann noch woanders hin, weil man dort kaum ein Wort verstand. Wir haben ein bisschen was getrunken, und …“. Die entscheidende Stelle.
Würde ich sie heil überstehen?
Auf der Suche nach einer Reaktion brach ich mitten im Satz ab und starrte sie an.
Würde sie die Wahrheit verkraften? Die Wahrheit, dass ihr Ex-Schwiegersohn und ihre Fast-Schwiegertochter die Liebe zueinander gefunden haben, oder würde sie uns als pervers und verdorben bezeichnen?
„Ihr seid im Bett gelandet!“
Sie sagte es ohne eine Miene zu verziehen.
„Es war nicht geplant“, wiegelte ich ab.
„Du brauchst dich nicht zu Rechtfertigen. Mir ist schon klar, dass ihr Beide von meinen Gören hintergangen worden seid. Außerdem seid ihr alt genug!“
Ich erzählte ihr von den plötzlich auftauchenden maskierten Gangstern, vermied aber peinlichst, die Lage in der ich mich befand. Die arme Molly hätte einen Herzinfarkt bekommen, und sich dabei Hermine in Lack und Leder und eine Peitsche schwingend vorgestellt. Das Messer an meiner Kehle, die unbekannte tote Prostituierte, die verschwundene Hermine. Der tote Pförtner. Alles Dinge, die ich der Reihe nach schilderte. Molly hörte aufmerksam und ohne zu unterbrechen zu.
„Ich wusste nicht, was ich noch tun könnte, deswegen habe ich Ron aufgesucht“. Noch immer hörte Molly schweigsam zu. „Keinesfalls wollte ich meinen besten Freund hintergehen, auch weil Hermine erwähnte, dass er sich wieder um sie bemühen würde.“
Erst in diesem Augenblick wurde sie hellhörig. „Er würde was?“
„Hermine hat mich wohl in diesem Punkt angeschwindelt. Ron zeigte die gleiche Überraschung, wie du. Und er machte mir klar, das Hermine aus einem unerfindlichen Grund gelogen haben muss.“
„Es stimmt also nicht?“ In Mollys Kopf schien einiges durcheinander zu gehen.
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Dann kann es nur eine Warnung gewesen sein“.
„Eine Warnung? Wie meinst du das?“
„Sie wollte, dass du Schuldgefühle bekommst und gehst.“
„Aber warum?“ überlegte ich. „Das ergibt keinen Sinn. Warum hat sie mich überhaupt erst zu sich eingeladen?“
Molly rührte sich nicht, aber es war unverkennbar, wie ihre Gedanken Kreise zogen.
„Erst erklärt sie mir, sie muss heute früh zur Arbeit. Später konnte die Arbeit plötzlich warten.“
„Wann, später?“
„Nun … ähm“, stotterte ich.
Meine Stimme schwankte. Mein Kopf blieb kühl. Erfasste die Situation bis ins Detail. „Zwischen dem Ersten und vor dem zweiten Gehoppel?“
Mit hochrotem Kopf schaute ich beschämt zu Boden.
„Komm, Harry. Ich bin alt, aber nicht von Gestern. Der Fall ist eindeutig.“
„Eindeutig?“, wiederholte ich und spürte, wie die Röte aus meinem Gesicht verschwand.
„Ihr habt euch wohl gestern Abend frisch verliebt.“
„Wie … was?“
„Du bist blind um es zu sehen.“
„Erkläre es mir“.
„Anfänglich war Hermine wohl auch blind. Hatte wohl nur noch Eines mit dir im Sinn. Dann begann sie nachzudenken. Warum auch immer. Sie erwähnt Ron. Ich vermute mal, sehr vorsichtig, unsicher?“
Meine Körpersprache verriet: Eventuell.
„Dann ist es eindeutig. Sie wollte es.“
„Was wollte sie?“
„Man, bist du begriffsstutzig. Dich natürlich. Dich wollte sie. Aber sie hatte vor irgendetwas Angst. Und nachdem ihr es vollzogen hattet, konnte sie nicht genug von dir bekommen. Hast du ihr das Gefühl gegeben es wäre eine einmalige Sache?“
„Glaubst du, ich könnte meiner besten Freundin ein solches Gefühl geben? Das ist nicht dein ernst, oder?“
„Dann ist es eindeutig“.
„Trotzdem hat deine Theorie einen Fehler, einen ungeklärten Punkt.“
Ich erzählte Molly von dem geschwänzten Seminar, und dass sie den Montag sowieso frei gehabt hätte.
„Das passt allerdings überhaupt nicht zu Hermine. Der freie Montag schon, er fließt in die Angst mit ein. Eine Ausrede.“
Mollys Theorie ergab Sinn, aber ich fand noch weitere Ungereimtheiten:
Die Angst - in welcher Hinsicht?
Angst vor einer Bindung?
Angst, wegen Ron, weil ich es war?
„Du hast auf eigene Faust ermittelt. Begannst Puzzelteile zu suchen. Aber du bekommst sie nicht zusammengesetzt. Hast Kingsley, dann die Polizei eingeschaltet“, spann sie den Faden weiter. „Ihr seid nochmals zurück in die Wohnung. Habt absolut nichts gefunden - Wie um alles in der Welt kommt nun Ron ins Spiel? Doch sicher nicht, um direkt eine Beichte abzulegen?“
„Ich suchte nach Informationen über Hermine.“
„Wohl eher dein schlechtes Gewissen. Ein schwerer Gang, vermute ich?“
„Hermines Lüge wurde immerhin sofort entlarvt, dafür kamen aber neue Fragen auf.“
„Wie konnte der Gangster euch finden?“
Bevor ich mir einen Ausrede überlegen konnte, haute sie mir den Hammer symbolisch mit voller Wucht gegen die Stirn: „Und was um alles in der Welt hattet ihr in Tenby zu suchen?“
So sehr ich hoffte diesen Punkt zu verschweigen, holte er mich schneller ein, als gedacht.
Wie konnte ich nur einen Augenblick glauben, Molly zu täuschen.
„Ihr wolltet in Tenby nach Hermine suchen?“ Molly nahm mir die Last der harten Wahrheit.
„Nun … Ja“, nahm ich ihre Frage dankbar entgegen.
„Hast du was von Ginny und Tracy gehört?“, fragte ich vorsichtig. „Sie waren nicht zu Hause.“ Ich wollte sie mit dem Verschwinden ihrer Tochter und ihres Enkels nicht weiter beunruhigen.
„Ich habe vorhin erst mit ihr telefoniert“.
„Was?“ Ich glaubte mich verhört zu haben.
„Es gab wohl einige Probleme. Und im Augenblick sind sie am sichersten Ort der Welt, in der besten Obhut, die man sich vorstellen kann.“
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