von Duchesse
In Gedanken versunken wanderte er langsam an den hohen Bäumen entlang, die die letzten Ausläufer des Verbotenen Waldes bildeten. Erinnerungsfetzen streiften durch seinen Kopf. Immer wieder die gleichen Abbilder vergangener Ereignisse.
Die Schatten der Bäume waren kurz um diese Tageszeit und trotzdem war es so nah am Wald doch angenehmer und kühler als direkt in der Sonne.
Sein Blick schweifte ziellos über das grüne Gras und in einiger Entfernung konnte er im Augenwinkel bereits das glitzernde Wasser des Sees erkennen, der hinter der Biegung des kleinen Waldabschnittes lag.
Er ließ den sonnenlosen Waldrand hinter sich. Zwar immer noch nachdenklich, aber genau wie die Schatten der Bäume der hellen Mittagssonne wichen, waren auch seine Erinnerungen weniger geworden. Immer seltener erwachte er in der Nacht, geweckt von alten, grellen Bildern in seinen Träumen. Einzig der Schwindel und die Gliederschmerzen kehrten mit erbarmungsloser Regelmäßigkeit zurück.
Die Heiler im St. Mungo’s hatten ihr Bestes gegeben, um ihn wiederherzustellen. Mehr tot als lebendig hatte man ihn zu ihnen gebracht, mit einer klaffenden Wunde, die Venen voller Gift… Es hatte lange gedauert, bis er ansatzweise wiederhergestellt gewesen war.
Nicht die äußeren Wunden, die gehörten relativ schnell der Vergangenheit an. Was die Heiler vor eine viel schwierigere Aufgabe gestellt hatte, war die Verbreitung des Gifts in seinem Körper. Es war ihnen zwar gelungen, das, was noch in materieller Form vorlag, zu extrahieren, doch zuviel Zeit war vergangen. Das Gift hatte seinen Körper unwiderruflich infiltriert und die Wirkung schien nicht nachzulassen. Die Schmerztränke, die er sich herstellte, brachten zwar Linderung, an manchen Tagen aber war es selbst mit diesen unerträglich.
Er hasste es, wenn sein Körper ihm nicht gehorchte. Die Schmerzen schränkten seine Bewegungen ein und der Schwindel machte es ihm schwer, klar zu denken.
Gerade in diesem Moment, als die Sonne ihn erreichte, kroch wieder die allzu bekannte Benommenheit seinen Nacken hoch.
Dabei hatten die Heiler gesagt, frische Luft würde ihm gut tun. Das Gefühl in seinem Kopf behauptete genau das Gegenteil.
Missmutig blieb er stehen, schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, den Schmerz zurückzudrängen. Er zog eine kleine Ampulle aus seinem Umhang, entkorkte sie und schüttete den Inhalt in einem Zug seine Kehle hinab. Noch einmal atmete er tief ein und aus und sah anschließend wieder auf. Das strahlende Licht blendete und er kniff die Augen zusammen, als sein noch leicht verschwommener Blick an einem großen Baum nicht weit vor ihm hängen blieb.
Dort saß jemand.
Abwartend beobachtete er, wie die Person mit dem Rücken and den dicken Stamm des Baumes gelehnt eine Seite des Buches umblätterte, welches auf ihren angezogenen Knien lag. Da er seitlich hinter ihr stand, konnte er ihr Gesicht nicht deutlich erkennen.
Was er sehen konnte, waren lange, dunkelbraune Haarsträhnen, die über die Schultern herab fielen und so den oberen Teil des dunkelroten Sommerkleides fast bis zur Hüfte verdeckten. Die Ärmel des Kleides sowie der Rock waren umgeschlagen, um ein wenig Sonne an die helle Haut kommen zu lassen. Zwei nackte Füße wippten unbewusst zwischen den Grashalmen auf und ab, während die Frau mit der freien Hand ihr Haar über die Schulter warf. Dabei drehte sie ihren Kopf ein wenig zur Seite und ihr Blick fiel auf die dunkle Gestalt einige Meter hinter ihr.
Ihre Augen weiteten sich erschocken. Ruckartig sog sie die Luft ein und zuckte so heftig zusammen, dass ihr das Buch aus den Händen rutschte und sie fast rückwärts von der dicken Wurzel fiel, auf der sie gesessen hatte.
Sie ruderte mit den Armen, fing sich am Baumstamm ab und nutzte den dadurch gewonnenen Schwung, um aufzuspringen und herumzuwirbeln.
„Ach du lieber Himmel!“ Sie fasste sich an die Brust und schnaufte. „Müssen Sie so schleichen?! Sie haben mich zu Tode erschreckt!“, stieß sie atemlos hervor.
Er musterte sie unverhohlen.
„Guten Tag“, antwortete er schließlich. „Ich bitte vielmals um Verzeihung. Ich werde mir in Zukunft natürlich Mühe geben, ein wenig lauter zu gehen.“
Ihr Gesicht wurde rosa und sie runzelte einen Moment lang die Stirn. Der sarkastische Tonfall in seiner Stimme war ihr nicht entgangen.
„Ich bitte darum!“, war die bestimmte Antwort. Sie warf einen kurzen entschlossenen Blick Richtung Himmel, schloss die Augen und schnaufte tief durch. Ihre Haltung straffte sich.
Während sie lange und geräuschvoll ausatmete, zuckte es ein wenig um ihren Mund und als ihre Lider sich wieder öffneten, lächelte sie und kleine Lachfältchen kräuselten sich in ihrem Gesicht.
„Verzeihung. Ich war so in mein Buch vertieft, dass ich wahrscheinlich auch eine galoppierende Zentaurenherde überhört hätte.“ Sie streckte ihm die Hand hin. „Evy Calaway. Eigentlich Evangeline Calaway, wenn Sie Zungenbrecher mögen.“ Sie verdrehte ein wenig die Augen. „Ich soll hier im neuen Schuljahr unterrichten.“
Ihre Stimme hatte nun einen warmen Klang und die braunen Augen funkelten nicht mehr erschrocken, sondern freundlich und fast ein wenig schelmisch.
Irritiert über diesen plötzlichen Stimmungswechsel schüttelte er mechanisch ihre Hand und nannte seinen Namen.
„Ah, Sie unterrichten Verteidigung gegen die dunklen Künste, richtig? Ich übernehme Kräuterkunde, jetzt wo Professor Sprout im Ruhestand ist.“
Statt einer Antwort trat er einen Schritt näher und bückte sich, um ihr Buch aufzuheben, das immer noch im Gras lag. Während er sich wieder aufrichtete, überflog er den Titel auf dem dunkelbraunen Einband. „Zaubertrankzutaten für Mensch und Tier“ stand da in goldenen Buchstaben. Er hob die Augenbrauen und sah auf.
„Seltsame Freizeitlektüre für eine Kräuterkundelehrerin“, befand er skeptisch.
„Nun ja…“ Sie räusperte sich und schnappte ihm etwas zu hastig ihre Lektüre aus der Hand. Ihr Gesicht hatte wieder eine zartrosa Farbe angenommen. „Erstens kann ich ja wohl lesen, was ich will, und zweitens wäre es ja auch nicht schlecht, die verschiedenen Verwendungszwecke meiner Pflanzen genau zu kennen, oder?“
„Das wäre vorauszusetzen, ja“, erwiderte er und beobachtete mit immer noch kritischem Blick wie sie nervös an dem Bucheinband pulte und sich dann das Haar nach hinten strich.
„Nun… ich… ich sollte wohl mal wieder nach oben gehen. Schließlich haben wir um drei Uhr eine Besprechung mit dem Kollegium.“
Sie klemmte ihr Buch fest unter den Arm und lief ohne ein weiteres Wort den Hang zum Schloss hinauf.
Erst als sie durch die große Eingangstür verschwand, wandte er den Blick wieder dem See zu.
Anscheinend musste man ein wenig schreckhaft und nervös sein, um als Kräuterkundelehrerin zu arbeiten, ging es ihm durch den Kopf. Professor Sprout war auch so gewesen. Nett und hilfsbereit zwar, aber auch etwas hektisch. Vielleicht kam das aber auch automatisch, wenn man Tag und Nacht mit beißenden und angriffslustigen Pflanzen zu tun hatte.
Ob die Neue da außer schreckhaft und nervös noch etwas anderes war, konnte er sich nach diesen fünf Minuten nicht vorstellen. Wobei… Sie hatte sich nach ihrem übertriebenen Schreck dann doch recht schnell wieder gefasst. Immerhin…
Er räusperte sich und rieb seine Stirn mit Daumen und Zeigefinger. Der Trank begann zu wirken. Der ziehende Schmerz in seinem Kopf ließ langsam nach und so machte er sich nun ebenfalls auf den Weg zurück Richtung Schloss.
Während sie durch die Eingangshalle ging, ärgerte sie sich über sich selbst. Sie hatte sich so fest vorgenommen, ihre Nervosität nicht zu zeigen, und der erste neue Kollege, den sie traf, lernte sie gleich als stammelndes Nervenbündel kennen.
„Das fängt ja gut an“, dachte sie wütend. Was musste er sie auch so erschrecken! Sie war gerade beim siebzehnten Verwendungszweck des Bellis Perennis angelangt gewesen und plötzlich stand da der Schwarze Mann hinter ihr. Sie seufzte und ihr Blick wanderte zu der großen Uhr an der längsseitigen Wand. Es war halb zwei.
Jetzt kam sie sich noch alberner vor. Zurück zum See wollte sie nicht gehen. Wahrscheinlich lief dieser Kerl immer noch da draußen rum und erschreckte Leute.
Sie überlegte kurz, während sie mit ihrem bloßen Fuß ungeduldig auf dem Fußboden patschte, und schwenkte dann nach links in die große Halle ein.
Die Sonne strahlte auch hier durch die bunten Fenster und kleine Staubkörnchen tanzten in der Luft über den leeren riesigen Holztischen.
Sie setzte sich an den ersten Tisch auf der rechten Seite und schlug ihr Buch wieder auf. Doch nachdem sie einige Minuten auf den gleichen Satz gestarrt hatte, stützte sie ihren Kopf in die Hände und seufzte ein zweites Mal.
„Ich werde es nie lernen…. Ich konnte es schon als Schülerin nicht und ich werde es auch nie können.“ Wohl kannte sie ihre Pflanzen und wusste auch, wozu sie gut waren und wie man sie behandeln musste, damit sie prachtvoll gedeihen konnten. Aber warum sich die Wirkung dieser oder jener Pflanze änderte, wenn man den verdammten Trank oder Sud oder das Gebräu im oder doch lieber gegen den Uhrzeigersinn rührte, das würde ihr Gehirn wahrscheinlich nie einsehen.
Sie blinzelte und zwang sich, ihre Konzentration wieder dem gelblichen Pergament des Buches zuzuwenden, als sie Schritte in der Eingangshalle hörte.
Sie schaute zur Tür und sah die dunkle Gestalt von Severus Snape, der Richtung Treppe ging. Auch er wandte den Kopf, als hätte er ihren Blick bemerkt, grinste spöttisch und ging weiter.
Stöhnend verdrehte sie die Augen und ließ ihren Kopf auf die kühle Tischplatte fallen, während das Echo seiner Schritte langsam verhallte.
* * *
Nachdem sie eine Weile so verharrt war, setzte sie sich wieder auf und massierte ihre Schläfen. Was nützte es, jetzt hier herumzusitzen…Sie wollte lieber noch mal an die frische Luft und sich die Ländereien und vor allem ihren neuen Arbeitsbereich in den Gewächshäusern ansehen.
Also schlug sie das Buch nun endgültig zu, klemmte es unter den Arm und trat durch die Eingangshalle und das Portal wieder nach draußen auf die warme Steintreppe.
Weit und breit war niemand zu sehen, nur ein paar Vögel flatterten durch den blauen Himmel. Sie schloss ihre Augen und ging langsam weiter.
Die Steinstufen waren angenehm rau unter ihren Füßen. Ein paar kleine Steinchen pieksten sich in ihre Sohlen, aber sie setzte immer noch bedächtig einen Fuß vor den anderen. Auf die Stufen folgte Schotter und umso vorsichtiger wanderte sie weiter. Nach einigen Schritten spürte sie sanftes Gras und fühlte den Sonnenschein auf ihrer Haut. Sie lächelte und genoss das Gefühl der Wärme für ein paar Sekunden.
Schließlich blinzelte sie gegen das helle Licht, und als sich ihre Augen wieder ein wenig an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie in der Ferne einen großen Mann aus einer Hütte treten. Kleine Rauchschwaden pufften aus dem bröckeligen Schornstein.
„Hagrid!“, rief sie laut, als sie in seine Richtung winkte. Dieser sah auf und winkte zurück, während sie nun schnell zu ihm hinüber lief.
„Wenn das nich’ die kleine Evy Sawyer ist. Und wie immer ohne Schuhe“, begrüßte er sie freudig grinsend, als sie endlich bei ihm ankam. Auch sie lachte und schüttelte ihm mit einer kleinen Verbeugung die Hand.
„Calaway, Hagrid. Nicht mehr Sawyer. Aber ansonsten stimmt alles. Dass du dich noch an mich erinnern kannst, erstaunt mich dann doch.“
„Wie könnt’ ich dich vergessen? Kaum ein Schüler war so oft bei mir, um über magische Geschöpfe und Pflanzen zu reden, wie du. Aber Moment mal.“ Er machte eine kleine Pause und dachte kurz nach. „Calaway? Dann bist du die neue Lehrerin?“, fragte er und in seinem Gesicht war Verblüffung zu erkennen.
„Wie soll ich denn das jetzt deuten?“, lachte sie. „Traust du mir das etwa nicht zu?“
„Doch, doch, natürlich!“, beteuerte er schnell. „Nur habe ich dich nich’ mit diesem Namen in Verbindung gebracht. Aber eigentlich sollte es mich nich’ wundern. So gut wie du damals in Kräuterkunde warst. Wie lange is’ das jetzt her?“
„Meinen Abschluss hier hab ich vor 19 Jahren gemacht. Seit dem haben wir uns nicht mehr gesehen, oder?“
„Nein, leider nich’. Und Calaway heißt du jetzt? Das heißt du…“ Sie unterbrach ihn hastig: „Ja, ich habe geheiratet. Aber…“ Sie stockte und das Lächeln gefror ihr ein wenig, doch dann fuhr sie unbeirrt fort: „Ach, was hältst du davon, wenn wir uns die nächsten Tage mal gemütlich abends zusammen setzen und über alte Zeiten reden? Du hast bestimmt auch wahnsinnig viel zu erzählen.“
„Ja, natürlich hab ich das.“, antwortete Hagrid fröhlich. „Wie lange bist du denn schon hier?“
„Erst seit heute Morgen. Sag mal“, begann sie dann verschwörerisch, „wachsen bei dir immer noch diese genialen Tummerbeeren? Ich glaube, die haben mir am meisten gefehlt, seit ich nicht mehr zur Schule gehe.“
„Du bist also nur wegen meiner Beeren gekommen. Ich hätt es wissen müssen…“ Hagrid schaffte es tatsächlich, ein wenig vorwurfsvoll zu schauen, musste aber dann doch wieder grinsen. „Ja, die wachsen noch. Prächtiger denn je. Komm mit!“, fügte er noch hinzu und sie folgte ihm flink zum Gemüsebeet hinter seinem Haus.
„Oh Hagrid, die sind ja riesig!“, staunte sie, als sie den Busch mit hunderten von kirschgroßen violetten Beeren erblickte. Er nickte stolz.
„Das ist der Dünger, der sie so gut wachsen lässt. Reinster Drachenmist aus Rumänien.“
„Ich glaube, davon kannst du mir dann auch eine Ladung besorgen, wenn es nicht allzu viele Umstände macht“, sagte sie, während sie ihr Buch auf die kleine Mauer neben dem Beet legte und begann, sich einige der dicksten Beeren abzupflücken. „Ich gehe jetzt gleich mal zu den Gewächshäusern rüber. Ich habe heute Morgen nur einen kurzen Blick drauf geworfen und ich denke, da gibt es einiges zu tun. Ich muss sehen, was ich neu anpflanzen muss und was weg kann. Die Direktorin hat mir bei meinem Einstellungsgespräch schon gesagt, dass die Lehrpläne neu erarbeitet werden sollen und dann brauche ich auch andere Pflanzen als Professor Sprout angebaut hat. Zumindest teilweise.“
Die letzten Worte waren nicht so einfach zu verstehen, da sie den Mund voller Beeren hatte.
„Hach, ich hatte fast vergessen, wie lecker die sind“, nuschelte sie wohlig und futterte eine weitere. „Kann ich mir noch welche mitnehmen?“
„Aber natürlich kannst du. Und du kannst dir auch jederzeit Nachschub holen kommen. Schließlich wachsen die Dinger wie Unkraut. Und den Dünger bring ich dir dann bei Gelegenheit direkt in die Gewächshäuser.“
„Danke. Du bist ein Schatz.“ Sie grinste, als Hagrid tatsächlich ein wenig rot wurde ob dieser Aussage. „Ich weiß gar nicht, wie ich so lange ohne die überleben konnte.“ Sie pflückte sich noch eine Handvoll Beeren von dem buschigen Strauch ab und nahm dann ihr Buch von der Mauer wieder unter den Arm. „Vielen Dank noch mal. Für die Beeren und natürlich auch schon mal für den Dünger. Dann kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.“ Sie lächelte den großen Mann noch einmal an und wandte sich zum Gehen.
„Wir sehen uns dann später bei der Besprechung.“ Verwirrt sah sie in an.
„Besprechung? Aber…“, doch dann blitzten ihre Augen ungläubig. „Sag bloß…. Welches Fach?“ Hagrid gluckste.
„Traust du mir das etwa nich’ zu? Na was wohl: Pflege magischer Geschöpfe natürlich.“
„Aber das ist ja fantastisch! Ich könnte mir keinen besseren Lehrer dafür vorstellen!“ Das passte ja wirklich prima. Niemand, den sie je kennen gelernt hatte, wusste mehr über magische Geschöpfe als er.
„Das freut mich echt, Hagrid. Dann bin ich wenigstens nicht so allein unter meinen ganzen ehemaligen Lehrern und Leuten, die ich noch gar nicht kenne.“
„Ach, die sind eigentlich alle ganz nett. Du wirst schon sehen“, versicherte er abwinkend. Sie nickte.
„Ja, das wird schon alles gut laufen, denke ich. Wir sehen uns dann nachher, ja?“
„’Türlich. Ich komme dich dann abholen, wenn du willst. Um kurz vor drei?“
„Das wäre super. Es ist schon ein wenig unangenehm, so als Neue allein aufzukreuzen. Ich habe Professor Sprouts altes Büro in der zweiten Etage übernommen. Komm dann einfach da hin.“
„Abgemacht. Dann bis später.“
Sie winkte ihm noch einmal zu und machte sich dann auf den Weg über den Rasen zu den Gewächshäusern.
Als sie durch die Tür von Gewächshaus Eins trat, steckte sie sich gerade die letzte der Tummerbeeren in den Mund und hätte sich beinahe daran verschluckt.
Wie sah es denn hier aus?
Dass Professor Sprout nicht die Allerordentlichste war, hatte sie schon zu Schulzeiten gewusst, aber das Chaos hier würde eine Menge Arbeit bedeuten. Da wucherte ja geradezu alles durcheinander! Sie seufzte. Na hoffentlich sahen die anderen Gewächshäuser nicht auch so aus….
Vorsichtig stieg sie über eine dicke Ranke mit großen gelblichen Blättern, die über dem Gang lag, und duckte sich gleichzeitig vor den türkisblauen Blüten, die von oben auf sie herab hingen.
Während sie weiterging, bog sie achtsam die Pflanzen beiseite, um nichts zu beschädigen, und analysierte sorgfältig die wilde Vegetation um sich herum. Einiges erkannte sie auf den ersten Blick, anderes würde sie sich später genauer besehen müssen.
„AUA!“ Sie blieb stehen und hob ihren Fuß. Ein scharfer Dorn steckte in ihrer Ferse. „Offensichtlich sollte ich hier drin vielleicht doch besser Schuhe anziehen“, murmelte sie zu sich selbst, als sie den Dorn mit spitzen Fingen aus ihrer Sohle zog. „Wer weiß, was da noch alles rumwuchert… Wenigstens war es nichts Giftiges.“ Sie betrachtete den Dorn noch einmal von Nahem und warf ihn dann in das Gestrüpp neben sich.
Dann stieß sie die Tür auf und trat wieder nach draußen in die Sonne, auf dem Weg zum nächsten Gebäude.
In den folgenden Gewächshäusern stellte sie zu ihrer Beruhigung fest, dass diese recht gut gepflegt und ordentlich waren. Scheinbar war Gewächshaus Eins das einzige, in dem kein Unterricht abgehalten worden war und das daher ein wenig sich selbst überlassen gewesen war.
Zu gleicher Zeit stand Severus Snape in seinem Büro vor einem kleinen, leise brodelnden Kessel, der sich vor ihm auf dem Schreibtisch befand.
Ihm fehlten nur noch die Narniuspollen.
Noch zweimal rührte er im Uhrzeigersinn, trat dann von dem Kessel zurück und zog seinen Zauberstab aus der Umhangtasche.
„Accio Ampullen.“
Das Kästchen mit den Phiolen flog herbei und er stellte es neben sich auf den Schreibtisch. Dann wandte er sich um und öffnete seinen Vorratsschrank.
Die letzte Krampfknöterichwurzel lag in braunes Papier gewickelt in der ersten Schublade. Er legte das Päckchen zur Seite und suchte in den anderen Schubfächern nach der finalen Zutat für seinen Schmerztrank.
Sein Verbrauch davon war in letzter Zeit ziemlich angestiegen.
Verärgert runzelte er die Stirn, als er das kleine, durchsichtige Kästchen endlich fand. Nur noch wenige der winzigen braunen Pollen kullerten darin herum.
Mit einer Pinzette fasste er zwei davon und warf sie in das grünliche Gebräu. Er rührte noch einige Male und füllte dann den fertigen Trank in die Ampullen ab.
Viel war es nicht, aber leider war der Trank nicht lange haltbar, daher konnte er ihn nicht in größeren Mengen herstellen.
Noch einmal warf er einen genervten Blick in das Kästchen mit den übrigen Pollen. Für einmal würden sie wohl noch genügen, aber dann würde er sich neue beschaffen müssen.
Mit einem Schwung seines Zauberstabs säuberte er den Kessel und ließ ihn im Regal verschwinden. Er nahm die verkorkten Ampullen vom Tisch und schritt durch die immer noch umher wabernden grauen Schwaden durch die angrenzende Tür in seine Wohnräume.
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