von uni
Die Schülerschar strömte langsam nach draußen. Das Geplapper klang nicht wie üblich fröhlich und aufgeregt, sondern eher bedrückt, geradezu melancholisch. Diese Gefühle waren auch das, was sich in den meisten Gesichtern widerspiegelte.
Hermine beobachtete das Treiben um sich herum neutral. Sie saß auf einem der vielen Stühle, die auf dem Platz aufgestellt waren. Im Zentrum der Stuhlreihen, die sich langsam füllten, stand ein weißes, marmornes Grabmal - einst Dumbledores - doch heute Symbol für alle Gefallenen der Schlacht.
Professor McGonagall trat vor den steinernen Block und rückte ihre Brille zurecht. Sie musterte die einzelnen Schüler nacheinander, bei dem ein oder anderen hielt sie kurz inne und nickte ihm kurz zu.
Sie war in den letzten Wochen unglaublich gealtert, ein Kunststück, wenn man bedachte, dass sie schon immer alt ausgesehen hatte.
Hermine bemerkte Falten, die früher noch nicht da gewesen waren.
Die Schlacht hatte bei jedem ihre Spuren und nicht immer waren diese äußerlich sichtbar.
Inzwischen hatte auch der letzte Schüler und Lehrer seinen Platz gefunden und das Gemurmel ebbte langsam ab.
Die neue Schulleiterin räusperte sich und begann zu sprechen.
Hermine versuchte, sich auf die Rede zu konzentrieren. McGonagall hielt sie sehr bewegt und wenn sich die ehemalige Schülerin umsah und in die Gesichter der anderen blickte, sah sie, dass nicht nur sie das empfand.
Dennoch bekam sie vom Inhalt kaum etwas mit. Einige Wortfetzen konnte sie aufschnappen, so zum Beispiel „Liebe“, „Trauer“ und „Frieden“. Doch sobald Hermine versuchte, sich zu konzentrieren, schweifte sie ab, verlor den Zusammenhang und konnte ihrer ehemaligen Lehrerin nicht folgen.
„Gefällt ihnen die Rede nicht?“, fragte plötzlich jemand neben Hermine. Diese wandte sich erschrocken um, denn der Platz neben ihr war bis eben leer gewesen. Jetzt saß dort Severus Snape, Hermines ehemaliger Zaubertränkelehrer. „Äh … nein, Sir … äh Professor. Das ist es nicht …“, stammelte sie unsicher.
Warum war er hier? Hermine war sich nicht sicher, was es war, doch irgendetwas an seiner Anwesenheit störte sie.
Die beiden saßen einige Minuten schweigend nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach.
„Finden sie Marmor nicht auch so schrecklich kitschig?“, fragte Hermine flüsternd. Erschrocken stellte sie fest, was ihr da gerade herausgerutscht war und bemerkte gleichzeitig Snapes düsteren Blick„Was würde ihrem Geschmack denn eher entsprechen, Miss Granger?“
Sie zuckte mit den Schultern.
Sie wusste es nicht, sie hatte sich nie Gedanken über ihren bevorzugten Grabstein gemacht. Aber schließlich war sie auch erst 18, da waren solche Gedanken noch nicht wirklich angebracht, oder?
Sie sprach diesen Gedanken laut aus, erntete aber dafür nur ein seltsames Schmunzeln.
Snape. Schmunzeln. Wie passte das zusammen? Was war heute nur los?
Hermine kam ein kurzer Gedanke, der ihr aber sofort wieder entschlüpfte.
Seltsam. Wahrscheinlich war heute einfach nicht ihr Tag.
Interessiert beobachtete Hermine ihre Füße. Die Sonne schien warm und sie vergrub ihre nackten Zehen im Gras. Ein Käfer landete auf ihrem Knöchel und krabbelte das Bein entlang.
Hermine war nach Kichern zumute, wenn das nicht so absolut unpassend gewesen wäre - schließlich war das hier eine Gedenkfeier.
Snape schien ihre Gedanken gelesen zu haben, vielleicht standen sie ihr aber auch offensichtlich ins Gesicht geschrieben.
„Haben sie Lust, mit mir eine Runde um den See zu gehen?“, fragte er plötzlich. Spontanität - noch so etwas, mit dem Hermine den Zaubertränkelehrer nie in Verbindung gebracht hätte.
„Professor Snape, aber wir können doch nicht einfach so aufstehen!“, stieß Hermine erschrocken aus.
Snape bedeutete ihr aufzustehen. „Keine Sorge, keiner wird sich daran stören. Zudem war es ihnen in ihrer Schulzeit doch auch egal, wenn sie den Unterricht mit ihren Besserwisserein gestört haben.“ Hermine ignorierte diesen Kommentar, hatte Snape sie etwa gerade necken wollen?
Und tatsächlich blickte nicht einmal jemand auf, als Hermine und ihr Begleiter sich langsam von der Versammlung entfernten.
Schweigend gingen die beiden nebeneinander her.
Der Matsch am Ufer fühlte sich angenehm kühl an und Hermine verbrachte einige Minuten damit, mit dem großen Zeh Löcher in den Schlamm zu graben.
Snape stand einige Meter entfernt und beobachtete sie schweigend.
Plötzlich meinte er völlig zusammenhanglos: „Ich glaube, sie wären eine großartige Zaubertränkemeisterin geworden.“
Verwirrt sah Hermine auf. „Warum geworden?“
Wieder sah er sie mit einem seltsamen Blick an. Er kam näher und berührte sie am Arm. „Kommen sie mit, ich möchte ihnen etwas zeigen.“
Widerstandslos ließ sich Hermine von ihm führen. Er steuerte zurück zu Dumbledores Grabmal. Die Feierlichkeit war inzwischen vorbei. Nur vereinzelt standen noch einige Grüppchen zusammen und unterhielten sich flüsternd. Die Stimmung war noch immer bedrückt.
Snape steuerte auf das Grabmal zu. An einer Seite des Marmorblocks war eine lange Tafel angebracht worden.
„In Gedenken an die im Krieg Gefallenen“ und dann folgte eine Liste mit Namen. Als erstes fielen Hermine die Namen „Harry Potter“ und „Ron Weasley“ ins Auge.
„Warum zeigen sie mir das?“, fragte sie mit erstickter Stimme. Es tat immer noch weh. Nein.Moment. Es sollte eigentlich noch immer weh tun. Aber irgendwie spürte Hermine … nichts.
„ Seltsam, früher wussten sie doch auch immer alles, Miss Granger“ Er zog eine Grimasse und forderte sie auf weiter zu lesen.
Ihr Blick fiel auf Namen wie „Remus Lupin“, „Nymphadora Tonks“, „Colin und Dennis Creevey“ und „Fred Weasley“.
Hermine verstand noch immer nicht, sie wollte bereits erneut Nachfragen, als sie einen ganz bestimmten Namen bemerkte - „Severus Snape“.
Erschrocken fuhr sie herum. „Was soll das? Ist das ein schlechter Witz?“
Doch statt zu antworten starrte er sie nur eindringlich an. Wieder dieser seltsame Blick.
Nun bemerkte sie auch die seltsame Wunde, an Snapes Hals. Seltsam, warum war ihr die nicht vorher aufgefallen?
Als Hermine bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, senkte sie schnell den Blick und blickte stattdessen auf ihre nackten Zehen … Moment … warum war sie überhaupt barfuß? Und warum trug sie ein Nachthemd?
Als sie sich genauer betrachtete bemerkte sie auch, dass ihre Haut seltsam durchscheinend war.
Erschrocken fuhr sie herum, dass konnte doch nicht sein, oder?
Panisch überflog sie die Namen. Doch tatsächlich, da stand es: „Hermine Granger“.
Eigentlich sollte sie jetzt panisch sein, doch wieder fühlte sie nichts.
Sie sah Snape ratlos an. „Ich bin tot“, stellte sie trocken fest.
„Ja, dass sind sie wohl“, erwiderte er und hob eine Augenbraue.
„Aber wie kann ich so etwas vergessen haben?“
Snape zuckte mir den Schultern. „Vielleicht wollten sie es nicht wahrhaben und haben es bewusst verdrängt. Schließlich sind sie nicht die erste, der es so geht.“
Hermine musste ihm zustimmen, sie selbst war schließlich jahrelang von einem Geist unterrichtet worden. Der Gedanke, dass sie nun selbst so eine herumwandelnde Seele sein sollte, störte sie überraschend wenig.
„Und nun?“
Snape überlegte kurz. „Nun, wir haben jetzt sehr viel Zeit. Welchen Teil des Schloss wollten sie denn schon immer sehen. Ich meine, in aller Ruhe, ohne die Befürchtung, gleich von einem Lehrer erwischt zu werden.“
Hermine verstand die Anspielung und konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. „Würden sie mir die Kerker zeigen?“
„Aber natürlich.“
Daraufhin verschwanden die beiden Arm in Arm.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.