von uni
Das Wetter war ungemütlich und obwohl die Bewohner Londons dies eigentlich gewohnt sein sollten, befand sich kaum jemand auf der Straße. Für Mitte Mai war es unangenehm kühl, zudem nieselte es schon seit dem Morgen.
Ein entlaufener Hund lief schnüffelnd den Bürgersteig entlang. Wahrscheinlich auf der Suche nach etwas Essbarem, steuerte er einen Mülleimer an, dessen Inhalt quer auf dem Boden verteilt lag.
Das Tier war gerade dabei, sich an einem halben Sandwich gütlich zu tun, als in einer nahen Seitengasse ein charakteristisches Ploppen erklang.
Kurz darauf kam ein, in einen schwarzen Trenchcoat gekleideter, Mann um die Ecke. Ein menschlicher Beobachter hätte sich sicherlich gewundert, wo diese Person plötzlich herkam. Der Hund hingegen interessierte sich wenig für die dunkle Gestalt, einzig seine Ohren zuckten kurz.
Der Mann warf dem Hund einen kurzen, prüfenden Blick zu, befand ihn als uninteressant und lief weiter, quer über die Straße in einen nahe gelegenen Park.
Dieser winzige Fleck Grün, in einem der schlimmsten Viertel Londons, verdiente diesen Namen fast nicht.
Ein Baum und drei Büsche standen auf einer Wiese, von der man allerdings vor lauter Schlamm und Bierflaschen nicht viel sah.
In einer Ecke stand eine Parkbank, die über und über mit Graffiti beschmiert war, außerdem fehlten einige Latten. Zielstrebig ging der Mann auf die Bank zu und setzte sich, obwohl sie ziemlich marode wirkte.
Ungeduldig blickte er auf seine Uhr. Er hatte noch eine gute halbe Stunde, es war nicht seine beste Idee gewesen, sich bei diesem Wetter in diesem Stadtviertel auf eine Bank zu setzen. Aber zuhause hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten.
Nervös wippte er mit den Füßen auf und ab, fuhr sich durch das inzwischen nasse Haar und wischte sich Regentropfen vom Mantel.
Er entdeckte, dass ein einzelner Faden aus einer Naht heraus ragte und begann, daran herum zu spielen.
Schließlich riss er ihn mit einem Ruck ab.
Wie viel Zeit wohl inzwischen vergangen war? Erneuter Blick auf die Uhr - gerade mal fünf Minuten waren um.
Der Streuner hatte seine Malzeit inzwischen vertilgt und wagte sich vorsichtig näher an den seltsamen Mann heran.
Der machte zunächst Anstalten das Tier zu verscheuchen, überlegte es sich dann jedoch anders und lies es gewähren. Er hielt ihm sogar die Hand hin, die interessiert beschnüffelt wurde.
Wieder ein Blick auf die Uhr. Er hatte noch immer 20 Minuten auszuharren.
Schließlich hielt es der Mann nicht mehr aus, erhob sich und lief mehrmals hin und her. Noch 10 Minuten.
Er zog aus seiner Manteltasche einen länglichen Holzstock hervor. Augenblicke später war er völlig trocken. Er wollte den Stab schon wieder zurückstecken, hielt jedoch inne und wendete denselben Spruch auch bei dem Hund an.
Dann bückte er sich und strich dem Tier über da Fell, was es sich auch gern gefallen ließ.
Gleich war es soweit, nur noch 5 Minuten.
In der Nähe des Parks stand eine Telefonzelle. Sie befand sich in ebenso schlechtem Zustand wie die Parkbank.
Der Mann stellte sich vor die Tür und wartete.
Plötzlich tat sich der Boden des roten Dings auf und eine Person erschien wie aus dem Nichts.
Es war nicht klar zu sagen, ob es sich um einen Jungen oder einen Greis handelte, denn sein Gesicht wirkte jugendlich und dennoch hatten sich tiefe Furchen in die Stirn gegraben.
Er trug einen Umhang, der sicherlich vor vielen Jahren einmal gepasst hatte, jetzt allerdings war er viel zu groß für den hageren Körper, der darin irgendwie verloren wirkte.
Die Tür der Telefonzelle wurde aufgedrückt und schon standen sich die beiden Männer gegenüber.
„Blaise! Du bist hier?“ Das klang überrascht.
„Das Ministerium hat mir vor gut einer Woche einen Brief geschickt, dass du wegen guter Führung früher entlassen wirst. Da du sicher nicht weißt, wo du hin willst, dachte ich …“ Er ließ den Satz unbeendet.
Der Andere nickte seinem alten Freund verstehend zu. „Ich hätte mir ein Zimmer irgendwo in der Nokturngasse genommen“, er unterbrach sich und fuhr unsicher fort, „die gibt es doch noch, oder?“
Blaise antwortete zögernd. „Weißt du Draco, in den letzten Jahren hat sich einiges verändert. Ich glaube nicht, dass man dir irgendwo ein Zimmer geben würde.“
Die beiden blickten einander schweigend an. Der Regen war inzwischen stärker geworden, daher merkte Blaise erst nach einem Moment, dass sein alter Freund weinte.
Vorsichtig wurde Draco eine Hand auf die Schulter gelegt, als er nicht reagierte, wurde er in eine sachte Umarmung gezogen.
Das Gesicht in Blaise’ Halsbeuge vergraben und stumm weinend, stand der einstige Slytherin im Regen.
Sein Freund begann, ihm beruhigend durch das Haar zu streichen.
Er blickte besorgt auf den bebenden Rücken des Freundes, der nur noch ein Schatten seines früheren Selbst war. Auch ohne Dementoren war Askaban noch immer in der Lage einen Mann zu brechen.
Schließlich hatte sich Draco einigermaßen beruhigt. Er hob den Blick und ihm wurde bewusst, wie nahe er seinem Freund in diesem Moment war.
Es war ihm nicht unangenehm, das hatte sich in den letzten Jahren nicht geändert.
Zaghaft legte er seine Lippen auf Blaise’ Wange. Dieser Erhob keine Einwände, sondern wandte sein Gesicht so, dass sich ihre Lippen trafen.
Es war ein kurzer Kuss, scheu und ohne jede Leidenschaft. Stattdessen lag Schmerz und jahrelange Sehnsucht darin.
„Mein erster Kuss in Freiheit“, murmelte Draco leise.
Blaise zog ihn eng an sich und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Los, lass uns nach Hause gehen.“
„Nach Hause“. Diese Worte klangen so seltsam in seine Ohren, dass Malfoy sie probeweise aussprach.
Sie gingen ein Stück die Straße hinunter, bis Blaise plötzlich stehen blieb, weil Draco sich immer wieder umwandte.
„Was hast du?“
„Uns folgt ein Hund.“ Und tatsächlich lief ihnen der Streuner nach, den Blaise zuvor im Park gestreichelt hatte.
„Soll ich ihn verscheuchen, Draco?“ „Nein, lass ihn uns nachlaufen … er erinnert mich an mich“, lautete die melancholische Antwort.
Die Freunde musterten einander. „Du bist völlig durchnässt, soll ich?“, fragte Blaise und hob seinen Zauberstab.
„Nein, schon gut. Ich habe die letzten zehn Jahre keinen Regen gefühlt. Beinahe habe ich vergessen, wie schön er sich anfühlen kann.“
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