von Blue
In den nächsten Tagen ging Jessica Tom aus dem Weg.
Sie hatte sich im Nachhinein furchtbar für ihren Zusammenbruch geschämt.
Mitten in der Nacht ihrem besten Freund die Ohren voll zu heulen, nachdem sie ihn, dank ihrer Paraneua, mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert hatte.
Jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, wollte sie sich am Liebsten ohrfeigen!
Aber seine tröstenden Worte hatten auch ihr Gutes bewirkt: Sie schlief wieder ruhig, hörte keine fragwürdigen Geräusche (Zischen) mehr und ganz offensichtlich war wieder der Friede in Hogwarts eingekehrt (so viel man von Frieden in einer Zauberschule eben sprechen konnte).
Gerade kam sie aus der Bibliothek und wollte in den Gemeinschaftsraum, als sie Toms Stimme hörte.
"Hagrid, öffne diese Truhe!" Er schien sehr aufgebracht zu sein. "Nein!" kam die verzweifelt klingende Stimme eines Jungen.
Jessica ging den Stimmen nach. Da es durch die Gänge nur so hallte, blickte sie in jeden der Korridore.
Doch schließlich fand sie die Geräuschquelle.
Tom stand mit dem Rücken zu ihr in einer offenen Tür und hatte seinen Zauberstab nach vorne gerichtet.
"Hagrid, zum letzten Mal!" rief er wütend.
"Öffne....diese...Truhe!!"
Sie schlich näher heran und verbarg sich hinter einem Pfeiler. Vorsichtig spähte sie an ihrem Freund vorbei, in den Raum. Dort stand ein Junge, der mit ausgebreiteten Armen etwas zu verdecken versuchte. Die Stimme des Jungen verriet Jessica, dass er noch um einiges jünger als sie sein musste. Ein Drittklässler vielleicht. dachte sie bei sich. Allerdings hatte er für sein Alter eine überaus stattliche Größe. Er war beinahe so groß wie Tom. Dieser trat nun einen Schritt vorwärts und rief:
"Alohomora!"
Jessica sah weißes Licht aufblenden. Der fremde Junge ging zur Seite und blickte entsetzt auf die geöffnete Truhe.
Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um etwas sehen zu können. Aus der Truhe ragten urplötzlich lange, schwarze, haarige Beine heraus. Jessica presste sich ängstlich gegen den Pfeiler, als sie begonnen sich zu bewegen und etwas Lebendiges aus der Truhe hervor zu kriechen schien. Ihr stockte der Atem.
Es war eine riesige, schwarze Spinne! Ängstlich versteckte sich die hässliche Kreatur hinter dem Jungen.
Nun richtete Tom seinen Zauberstab auf ihn.
"Rück dieses Monster raus, oder ich hole es mir selbst!"
zischte er. "Und sobald ich es habe, werde ich es an allen acht Armen aufhängen, bis es verhungert ist!"
Jessica erschrak. Das war nicht der Tom, den sie kannte.
Weshalb war er derart aufgebracht? Warum sagte er solche schrecklichen Dinge? Und eine Riesenspinne im Schloss? Sie fürchtete den Verstand zu verlieren.
Doch dann sah sie das verängstigte, verzweifelte Gesicht des "kleinen" Jungen. Es rührte sie.
Langsam ließ sie den Pfeiler los und ging schleichend auf die beiden zu. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Spinne mit ihren Scheren knacken hörte. Am Liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre schreiend davongelaufen. Aber ihre Neugier war stärker.
Der fremde Junge, der noch immer mit schützend ausgebreiteten Armen vor der Spinne stand, bemerkte sie zuerst. Seine Augen weiteten sich.
Das war der Anlass für Tom, seinen Kopf nach hinten zu drehen, um zu sehen, was da hinter ihm war.
Als er sie erkannte, riss er entsetzt die Augen auf.
"Jessy!" entfuhr es ihm. Jedoch hielt er seinen Zauberstab noch immer fest nach vorne gerichtet.
Vorsichtig und unsicher legte sie ihre Hand auf dem Türrahmen ab und blickte abwechselnd von dem Jungen mit der Monsterspinne zu ihrem besten Freund.
Der Blick, den sie der Spinne schenkte war ängstlich und leicht angewidert, der Blick zu dem Fremden war mitleidig und fragend. Sie spürte, dass Tom sie beobachtete und schielte zu ihm. "Was geht hier vor?" fragte sie ihn mit zittriger Stimme.
Er öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Er wollte ihr die freie Hand au die Schulter legen, doch sie wich zurück.
In ihrem Kopf brannten die Worte, die zuvor über seine Lippen gekommen waren. Auffordernd blickte sie ihn an und hob das Kinn.
Tom schien sich ertappt zu fühlen. Unsicher blickte er noch einmal zu dem Jungen, bevor er Jessica ganz eindringlich ansah. Seine dunklen Augen schienen in diesem Moment so stark zu sein, dass sie glaubte, in Ohnmacht fallen zu müssen. Zur Sicherheit drückte sie ihre Faust noch fester gegen den hölzernen Türrahmen.
"Jessy." sagte er sanft. "Du solltest gar nicht hier sein."
Er klang, als würde er ihre Anwesenheit bedauern.
Traurig schüttelte er den Kopf.
"Was hat das zu bedeuten?" fragte sie noch einmal.
Sie würde nicht nachgeben, bis sie ihre Antwort hatte.
"HALT!" ließ sie plötzlich alle drei eine erwachsene Stimme aufschrecken. Es war Albus Dumbledore, der Lehrer, der vor einigen Wochen mit Jessica gesprochen hatte. Hinter ihm her kamen Professor Standfield und noch einige andere Lehrer, mit gezückten Zauberstäben.
"Geht zur Seite, Kinder." rief Dumbledore und Jessica und Tom wichen zurück, beide in die jeweils entgegen gesetzte Richtung. Doch Jessica hielt es nicht lange aus, alleine dort zu stehen. Sie kam sich vor wie ohne Halt, ohne Schutz. Schnell huschte sie zu Tom herüber, der seinen linken Arm schützend um sie legte und sie gegen seine Brust drückte. In seiner Rechten hielt er immer noch seinen Zauberstab, allerdings gesenkt. Sein Atem ging ruhig, aber sein Herz schlug mindestens genauso schnell, wie das von Jessica.
Die fünf Lehrer verdeckten ihnen die Sicht und sie hörten sie nur tuscheln. Plötzlich meinte Standfield: "Da haben wir also unser mordendes Monster."
Dumbledore blickte ihn ermahnend an, doch Standfield beachtete ihn gar nicht. "Der Schulleiter wird sicher hoch erfreut sein." hörten sie ihn sagen. In seiner Stimme lag etwas derart Böses, dass es Jessica den Schauer über den Rücken jagte. Das mordende Monster? Sprach er von der Riesenspinne? Wieder ertönte das bedrohliche Knacken aus der Kammer. "Stupor!" brüllte Standfield sofort und die gesamte Kammer wurde hell erleuchtet.
"NEEEEIIIIIN!" hörte sie die weinerliche Stimme des Jungen. Instinktiv drückte sie sich noch fester an Toms Brust. Dieser schien ihre Angst zu spüren. Langsam wich er ein paar Schritte mit ihr von der Tür zurück.
Beruhigend strich er ihr über die schwarzen Locken.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, in der sie nur das laute Weinen des Jungen hörten.
Doch schließlich brachten sie zuerst ihn und dann, zu zweit, die leblose, schwarze Riesenspinne heraus.
Das Tier hatte riesige Zähne, die spitz und scharf aus ihm heraus ragten. Überall war es behaart und die acht Beine hingen schlapp herunter. Es sah aus wie tot.
"Gute Arbeit, Mister Riddle." sagte Standfield im Vorbeigehen und nickte ihm zu.
Unsicher blickte Jessica zu Tom hinauf, der sie schweigend ansah.
Als Letzter kam Dumbledore mit gesenktem Kopf aus der Kammer auf sie zu. Er wirkte wie in Trauer, verstaute seinen Zauberstab gerade in seinem langen, roten Gewand. "Sie sollten beide in ihren Gemeinschaftsraum gehen." sagte er ruhig. "In einer Stunde wird Sie der Schulleiter zu einem Gespräch bitten. Er möchte erfahren, was Sie wissen."
Mit diesen Worten deutete er ihnen, ihm zu folgen.
Die beiden blickten sich noch einmal kurz an, bevor sie ihm langsam nachgingen.
Beide saßen sie auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum und starrten ins Feuer. Hinter ihnen saßen schweigend ihre Mitschüler, die die Nachricht vom gefassten Monster bereits gehört hatten. Alle gingen davon aus, dass diese Spinne der Mörder von der getöteten Ravenclaw war.
Jessica hatte Angst vor der Befragung durch den Schulleiter. Was, wenn er auf Antworten brannte, die sie nicht hatte? Und was hatte Tom damit zu tun? Sie blickte zu ihm. Er ignorierte sie, starrte weiterhin in die Flammen.
Was hast du gemacht?
Was hast du damit zu tun?
Warum hast du solche Sachen gesagt?!
Tausende solcher Fragen brannten auf ihren Lippen, doch sie schwieg und musterte ihn mit kritischem Blick.
Die Befragung war alles andere als angenehm. Der alte Zauberer, der sie ein wenig an Merlin persönlich erinnerte, stellte Fragen, wie in einem Kreuzverhör. Jessica fühlte sich zunehmend in die Ecke gedrängt.
Sie erzählte ihm alles, was sie gesehen, gehört und gespürt hatte. Nur die Nacht in der Bibliothek ließ sie bewusst aus. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, das Falsche zu tun, wenn sie es erwähnte. Sie dachte an die Bissspuren in ihrem Zauberstab.
"Miss Whiteman?" rief der Schulleiter sie aus ihren Gedanken. Erschrocken blinzelte sie und schüttelte kurz den Kopf. Er blickte sie misstrauisch an.
"Ist Ihnen sonst noch irgendetwas ungewöhnliches an Hagrid aufgefallen?" fragte er langsam. Seine Stimme war erdrückend. Sie fühlte sich erniedrigt, wie auf einer Strafbank. "Nein. Nein, Sir." antwortete sie und sah ihm dabei in die Augen. "Ich kenne ihn gar nicht. Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen."
Der Schulleiter suchte noch einen Moment in ihren Augen nach der Wahrheit. Dann stand er auf und sagte:"Gut. Danke, Miss Whiteman, Sie dürfen nun gehen."
Sie nickte, stand auf und beeilte sich, das Büro zu verlassen. Draußen begegnete sie Tom. Er wartete auf einer Holzbank. Er blickte kurz zu ihr auf, sah dann aber wieder weg. Warum war er derart abweisend?
"Mister Riddle?" ertönte es aus dem Büro.
Sofort stand er auf und ging forschen Schrittes hinein.
Jessica sah ihm nach, doch im gleichen Moment wurde die Tür von Zauberhand geschlossen.
Und wieder allein.
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