Scorpius ging zur nächsten Tür, und fand den Abstellraum. Er winkte mich heran und begann in den alten Kleidern zu wühlen.
Meine Gedanken rasten. Wenn er das Kleid gefunden hatte, würde er den Schlüssel zurückverlangen, und ich könnte nicht herausfinden was sich hinter dieser Tür verbarg.
Der Schlüssel. Natürlich. Der Abstellraum war nicht sonderlich groß, aber zum Bersten voll mich Kisten, Truhen, Geschirr und Stoffen. Ich erspähte an einer der steinernen Wände einen Kelch, der fast verborgen wurde von einen Stapel Bücher.
>Hilf mir mal eben Schatz.<
Ich ging in die Hocke, schlug einmal mit dem Schlüssel auf den Steinboden und ließ ihn dann in meiner Tasche gleiten. Scor winkte mich heran und deutete mir, eine Truhe zu öffnen. Bevor ich seiner Aufforderung nach kam, steckte ich ungesehen ein kleines Stück Stoff ein, und winkelte den Schlüssel in meiner Tasche darin ein.
Ich kniete mich neben ihn und zerrte am Schloss, er versuchte mit einem verrosteten Messer die Seite aufzubrechen. Ich atmete einmal tief durch, jetzt war mein schauspielerisches Talent voll und ganz gefragt.
Ich gab dem Schloss einen letzten, schweren Ruck, es sprang auf, ich stolperte ein paar Schritte nach hinten und lies mich gekonnt nach hinten in einen Kleiderhaufen fallen.
Auch Scorpius war gestürzt.
Ich griff nach dem Schlüssel im Tuch, Scorpius fluchte. Ich streckte den Arm aus, er begann sich hoch zukämpfen. Ich schubste den Schlüssel in den Kelch, Scorpius rappelte sich auf. Und bevor er zu mir kam und mir aufhalf, stieß ich den Kelch um, es klirrte leise, dann wurde er von einem Bücherstapel begraben.
>Alles in Ordnung, Schatz?<
>Bei mir schon, was ist mit dir?<
>Bin weich gelandet.< Er grinste.
Wir beugten uns über den Inhalt der Truhe. Drinnen lag, vor Schmutz und Staub geschützt durch einen Zauber, das Kleid.
Es war beige, und besaß auf Brusthöhe einen eingearbeiteten Diamanten.
>Es ist schön.< Ich flüsterte beinahe.
Scorpius strich sanft über den seidigen Stoff und nickte.
Zusammen hoben wir es heraus, dann legte Scor es in meine Arme.
>Wo hast du den Schlüssel hingetan?<
>Er liegt auf der Türschwelle.< Ob er merkte, wie sehr meine Stimme zitterte?
>Nein, da liegt er nicht.<
Ich reckte den Kopf, und ließ dem Anschein nach meinen Blick über den Boden wandern.
>Ich habe ihn aber dorthin gelegt.<
Scorpius besah sich noch einmal mit wachsender Unruhe den Boden, dann sah er mich wieder an.
>Hast du ihn vielleicht in eine deiner Taschen gesteckt?<
Er tat einen Schritt auf mich zu und befühlte meine Hose.
>Scheiße, Gin, das Teil ist weg!<
>Heißt das, wir kommen hier nicht heraus?< Mir stand die Dumme nicht.
>Ja, verdammt.<
Ich legte das Kleid wieder zurück und ging in die Hocke.
>Vielleicht haben wir ihn beim Hinfallen weggekickt.<
Er begann links der Tür zu suchen, ich tastete rechts den Boden ab.
>Bei mir ist nichts.<
>Bei mir auch nicht.<
Langsam kam er hoch, atmete einmal tief durch.
>Sie werden gleich kommen und nach uns sehen.< Seine Stimme klang sicher.
>Sie können hier rein?<
>Nein … Aber vielleicht können sie uns eine Art Notausgang nennen.<
>Vielleicht.<
Wir holten alte Decken und setzten uns vor die Tür. Schweigen erfüllte dann den Raum, jeder hing seinen Gedanken nach. Ich überlegte, wie ich diesen Raum erkunde konnte. Meinen Zauberstab hatte ich nicht dabei, und selbst wenn, ich durfte außerhalb der Schule nicht zaubern. Bald würde einer der Erwachsenen kommen, und es gab sicher auch noch einen anderen Weg hierhin. Ich musste also Zeit gewinnen.
>Was ist denn so in den anderen Räumen drin?<
Scorpius hob langsam den Kopf.
>Die Tür ganz rechts von uns< er nickte mit dem Kopf in die Richtung, >wurde seit Tausenden von Jahren nicht mehr geöffnet. Ich war selbst lange nicht mehr hier, ich verwechsle dauernd die Seiten ...<
Er rieb sich den Kopf, dann sprach er weiter.
>Hinter der zweiten Tür von rechts ist unsere Familiengruft. Ich war noch nie dort drin, aber mein Großvater hat mir erzählt, wie sein Vater beerdigt wurde. Dort befinden sich fast zwanzig Leichen.<
Ich schauderte.
>Im Raum hinter der Tür ganz links< Ich registrierte, das er die mittlere Tür übersprungen hatte, >ist ein Labor für Zaubertränke. Mein Ur-Ur-Großvater hat es aufgebaut, aber mittlerweile benutzen alle das Labor hinter dem Haus. Dort drinnen lagen einige Tränke, aber wie gesagt, es war lange keiner mehr da. Und du weißt ja, was hinter der letzten Tür ist.<
Er schwieg.
>Und was ist mit der Tür gegenüber?<
Scorpius seufzte leise.
>Ich weiß es nicht.< Er zögerte einen Moment. >Mein Vater hat mir verboten, hinter die Tür zu sehen, und ehrlich, ich will es auch nicht.<
>Warum?<
>Ich weiß, das nicht alles was mein Vater tut legal ist.<
>Aber du hast die Tür gerade geöffnet.<
>Ja. Für eine Sekunde dachte ich, es wäre die Tür daneben.<
>Aha.<
Scorpius schloss die Augen, rieb sich über die Schläfen, dann sagte er etwas, leise. >Es tut mir Leid, was meine Familie dir antut.< Wieder zögerte er. >Ich weiß, wenn ich die wirklich liebe, sollte ich dich gehen lassen und mich gegen meinen Vater stellen -< In der Luft lag ein „Aber“. >Aber ich kann nicht. Ich muss tun, was er sagt. Alles was ich tun kann, ist dir das Leben etwas zu erleichtern.< Wieder eine kurze Stille. >Auch wenn das nicht viel ist.<
Ich legte meine Hand auf seinen Arm.
>Scorpius, ich weiß zu schätzen, was du für mich tust, ehrlich. Aber ich will nun mal kämpfen – auch gegen deinen Vater. Aber du kannst beide tun – mir helfen, und bei deinem Vater nicht in Ungnade fallen.<
Er sah mich mit großen Augen an.
>Wie das?<
>Mein Freunde und Ich< Sollte ich ihm wirklich die Wahrheit erzählen? >Wollen etwas gegen die Magischen Krieger unternehmen< Wäre es klug, ihm das anzuvertrauen? >Und die Amulette zerstören.<
Seine Augen weiteten sich noch ein Stück.
>Ernsthaft?<
>Ja.<
>Aber wie -<
>Hör zu: Wir wollen niemanden töten oder verletzten. Auch niemanden aus deiner Familie. Es ist besser, wenn du so wenig wie möglich weißt, dann musst du kein schlechtes Gewissen gegenüber deines Vaters haben.<
>Aber was kann ich tun, um dir zu helfen?<
>Ich muss wissen was hinter dieser Tür ist. Noch haben wir Zeit. Sag deinen Eltern, wenn sie kommen, ich wäre eingeschlafen. Sie können eh nichts von außen machen. Ich werde mich beeilen.<
Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Minuten verharrte er so, nachdenkend. Dann schüttelte er den Kopf. >Das ist Wahnsinn. Außerdem ist dir Tür Passwort geschützt.<
>Kennst du es?<
>Woher sollte ich es kennen?<
>Du weißt, dass es Passwortgeschützt ist.<
Sein Gesicht zierte ein schiefes, trauriges Grinsen.
>Also, was ist? Bitte, Scor, hilf mir!<
>Du erzählst mir kein Wort davon, was in diesem Raum ist, egal ob ich frage oder nicht?<
>Ja.<
>Du wirst alles tun, um ein gleichgültiges Gesicht zu machen, wenn du rauskommst?<
>Ja.<
>Sanguis.<
Ich rappelte mich auf. >Danke Scorpius.< Er beugte mich zu ihm herab und küsste ihn auf den Mund. Dann drehte ich um und schob mich in den schmalen Gang.
Ich wartete, bis die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Dann ging ich schnell auf die Eisentür zu. Von Nahmen sah man, das unter dem Zeichen zwei Hände abgebildet waren. Ich zögerte nur kurz, dann legte ich beide Hände darauf. Der Boden bebte leicht, das sagte eine tiefe Stimme „Passwort?“.
>Sanguis.< Meine Stimme klang laut und doch irgendwie leise.
Die Eisentür schmolz vor meinen Augen hinweg, ich trat durch den Rahmen und fand mich in einer Art Wohnzimmer wieder. Ringserum standen Regale, mit Ausgaben vom Magischen Krieger, der Reinblüterzeitschrift. Ich sah einige Zeitungsausschnitte, ein paar Bilder und Pläne.
Auch von diesem Raum gingen sechs Türen auf. Ich begann links. Hinter der ersten Tür befand sich ein Bad, hinter der zweiten ein Schlafzimmer mit fünf Einzelbetten. Offenbar war dies auch eine Art Herberge. Hinter der dritten Tür stieß ich auf eine einfache Küche und der leere Kühlschrank sagte mir, das hier schon länger niemand mehr gewesen war. Den vierten Raum hätte ich Konferenzsaal genannt, ein langer Tisch, eine große Tafel, und einige Stühle. Bis jetzt hatte ich nichts Spannendes gefunden. Also Tür fünf. Hinter der Tür war es komplett dunkel, allerdings fand ich auch keine Fackel oder ähnliche Lichtquelle. Ich beschloss, kurzfristig mit Raum Sechs weiter zumachen.
Es gibt Sachen, die muss man sehen, um zu sehen, was man vermisst hat.
Schon als mir zum ersten Mal klar wurde, dass Bücher von Menschen geschrieben werden und nicht einfach so auf Bäumen wachsen, stand für mich fest, dass ich genau das machen wollte.