Nicoleta erschrak, weil sie einsah, dass die fremde Frau Recht hatte. „Heißt das, Sie wollen mich zurückbringen?“
„Vor allen Dingen muss ich das. Es ist mein Beruf, zu verhindern, dass minderjährige Zauberer sich in Muggelgegenden verlaufen oder unnötig auffallen. – Deinen Namen, bitte!“
„Nicoleta Arcan, Tochter von Leonidas und Cedomira.“
„So so, Arcans Tochter reißt in die Muggelstadt aus. – Nun gut, unter den Umständen werde ich dich nicht deinem Vater verraten.“
„Kennen Sie meinen Vater?“
„Ja, tue ich – und ich rede besser nicht davon, sonst vergesse ich mich noch. Du kannst schließlich nichts für deinen Vater, sondern nur fürs Abhauen. – So, komm!“ Sie nahm Nicoleta bei der Hand und drehte sich mit ihr im Kreis. Im nächsten Moment wurden sie in die Luft gehoben und nach einigen Sekunden tauchten sie in der Calea Ingusta wieder auf.
„Danke Ihnen!“
„Nichts zu danken! Wir haben uns nie getroffen, vergiss das nicht! Lieber lass ich dich ungestraft als dass ich noch einmal freiwillig deinem Vater unter die Augen trete.“
Die Frau, die sich bisher nicht vorgestellt hatte, schien Nicoletas Gedanken zu erraten: „Du wirst mich nicht verraten können. Ich bin Anca, so viel darfst du wissen.“
Neben Maria, Sofia und Elena war Ana beziehungsweise Anca wohl der häufigste Frauenname im Land. Sicher kannte Nicoletas Vater viele Ancas und so auffällig war die junge Frau, offenbar eine Ministeriumsangestellte, auch nicht: Sie hatte schulterlange, schwarze Haare und trug eine hellrote Tunika sowie Sandalen mit halbhohen Absätzen wie viele Frauen in ihrem Alter.
„Also Ciao, a mea scumpa!“
“Ciao – und danke noch einmal!” Welche Gründe auch immer Anca haben mochte, etwas gegen Nicoletas Vater zu haben, dem Mädchen war es ganz Recht, dass der Ausflug geheim blieb – hätte es ihr Vater oder ihre Mutter erfahren, hätte dies mit Sicherheit zu einer Strafe geführt.
Kurz vor der Mittagszeit traf sie sich mit ihrer Mutter. Nicoleta erzählte davon, wie sie in der Buchhandlung gestöbert hatte, was für schicke Schuhe es im Bekleidungsgeschäft daneben gab und vieles andere, was sie in den Läden der Calea Ingusta wahrgenommen hatte. Die Mutter schien keinen Verdacht zu schöpfen.
Gleich nach dem Mittagessen setzte sich Nicoleta in den Garten und las ihr neues Buch. Sie war etwas enttäuscht, als sie erfuhr, dass man nur teilweise klar von den Lippen ablesen konnte, doch wollte sie es, sobald der Vater zu Hause war, ausprobieren.
Was Nicoleta nicht bedacht hatte, war, dass es auf Rumänisch nicht genau dieselben Laute gab wie auf Russisch. Daher war sie sich nicht sicher, wie viel ihr das neu erworbene Wissen nützen würde, wenn sie nach Durmstrang zurückkehrte.
Natürlich verlangte auch Alexandru die Aufmerksamkeit seiner älteren Schwester. Nicoleta spielte mit ihm Fangen, bewunderte ehrlich, welche Kunststücke er schon auf dem Besen zustande brachte und behielt ihn im Auge, wenn er sich in der Hecke versteckte oder über den Zaun flog.
Am Abend, nachdem ihr Vater nach Hause gekommen war, versuchte sie sich erstmals im Lippenlesen durch die Wohnzimmerwand. Sie konnte nicht das ganze Gespräch zwischen ihren Eltern nachvollziehen, erkannte aber, dass der Vater über das Verhalten seiner Kollegen bei einer Aktion unzufrieden war. Offensichtlich war es nicht gelungen, zu verhindern, dass irgendetwas – Nicoleta verstand nicht, was – über die Donau nach Bulgarien gebracht wurde.
Natürlich schrieb sie noch am selben Abend Marina von der Neuerwerbung und davon, wie sie ihr Wissen bereits ausprobiert hatte. Marina antwortete noch am selben Abend, sie habe in Petersburg noch nichts Entsprechendes auf Russisch gefunden, es sei ihr aber auch noch nicht gelungen, unbemerkt in Muggelgegenden zu kommen.
Nicoleta nahm sich vor, sobald sie wieder die Calea Ingusta verlassen könnte, selbst unter den Muggelbuchhändlern Bukarests nachzuforschen, ob es das Buch auch auf Russisch gab. In den nächsten Tagen kam sie jedoch nicht mehr nach Bukarest. Ihre Mutter hatte dort nichts mehr zu tun und ließ sie nicht alleine per Flohpulver reisen. So schrieb Nicoleta zwei Hausaufsätze, einen für Zaubertränke, einen für Verwandlungen, spielte mit Alexandru, las an einem Tag ihr neues Buch über Jadwiga Kowalska aus und versuchte sich immer wieder im Lippenlesen, sobald Gäste da waren. Nur einmal verabredete sie sich mit Alina, Mira und deren um zwei Jahre älterer Schwester Carina. Die Mädchen schwammen im Mieresch, nahe beim Haus von Miras Eltern, spielten zwischendurch Farbball und klagten gegenseitig über die Langeweile.
Nicoleta schrieb nicht nur Marina, sondern auch ihren übrigen Jahrgangskolleginnen regelmäßig. Von Julija erfuhr sie, dass diese mit ihrer Familie am folgenden Sonntag zum Qualifikationsspiel der Ukraine gegen Frankreich nach Kiew fuhr und sich sehr darüber freute, den von ihr verehrten Michail Simonienko einmal live zu erleben, sonst aber auch wenig zu tun hatte. Irina war bei ihren Großeltern im Uralgebiet und öfter dort im Gebirge unterwegs; ansonsten freute sie sich, sich entspannen zu können. Astreja war stolz darauf, als Späherin bei einer Graphornjagd mithelfen zu dürfen und noch stolzer als sie zwei Tage später berichten konnte, dass es nur knappe zwei Stunden gedauert hatte, das Monster zu fangen. Ansonsten musste sie oft ihrer Mutter beim Herrichten von Fleisch und Gemüse für den langen Winter und ihrem Vater bei Ausbesserungsarbeiten an den Hütten helfen. Marina hatte am Donnerstag vor der Abreise von Nicoletas Eltern endlich die Erlaubnis erstritten, gemeinsam mit ihrem Bruder einen Ausflug in das Petersburg der Muggel zu machen und hoffte, dort ebenfalls ein Buch über das Lippenlesen zu finden.
Ansonsten vertrieb Nicoleta sich die Zeit mit Bücherlesen und Ausprobieren ihrer neuen Fähigkeit. In den Büchern über Montenegro und Albanien, die sie gelesen hatte, erfuhr sie über Zauberschmiede, deren Fähigkeiten die von Kobolden noch überstiegen und spezielle Metalle, die nur dort in den Schwarzen Bergen – in einem versteckten Gebiet – gefunden wurden.
Endlich kam der Tag der Abreise. Früh am Morgen startete die Familie mit einem Gartenrechen, den der Vater mit Erlaubnis des Ministeriums in einen Portschlüssel verwandelt hatte. Sie wurden durch die Luft gewirbelt und landeten auf einem bewaldeten Hügel. Unter ihnen lag ein breiter Fluss – laut Karte musste es die Donau sein – und der Berg auf der anderen Seite war felsig. Zwischen den beiden Bergen war die Donau nur ein Fünftel so breit wie flussauf- und –abwärts.
Eine Magierin mit dem goldenen Adler auf einem dunkelblauen Umhang kontrollierte Zauberstäbe und Papiere und reichte sie anschließend einem in Rot gekleideten Zauberer, auf dessen Brust ein weißer Doppeladler hin und herschwebte. Der gab der Familie schließlich die Papiere zurück, stellte Nicoletas Vater auf Russisch einige Fragen zu Gepäck und Ziel der Reise und verwandelte eine rostige Sense in einen Portschlüssel.
„Schönen Aufenthalt in Serbien!“, rief er ihnen auf Russisch nach.
Wieder wurden sie in die Luft gezogen. Diesmal landete die Familie in einer bergigen Landschaft. In der Grenzhütte saßen zwei ältere Männer nebeneinander beim Tee, die sich in ihrer Unterhaltung zunächst nicht stören ließen. Erst als Vater Arcan seine Geldbörse zückte und jedem drei Sickel gab, wandten sie sich den Gästen zu.
Beide Männer trugen rote Umhänge und bei beiden war das Tier, das an ihrer Brust hoch- und nieder flatterte, ein Doppeladler, nur dass er bei einem weiß war und ein Kreuz auf der Brust trug, beim anderen golden und einen Löwen als Schmuck hatte.
Die Kontrolle dauerte nur kurz und bald fassten die Arcans den letzten Portschlüssel, eine langstielige Axt, an. Sie brachte sie wiederum in sehr bergiges Gelände. Die Spitzen der Berge waren kahl, während weiter unten dichter Wald lag. Das Haus, auf das Vater Arcan zuging, bestand aus den Steinen des Berges und war zunächst unsichtbar. Auch Nicoleta, die zunächst in die andere Richtung geschaut hatte, erkannte es zunächst nur schemenhaft, als sie ihrem Vater nachsah. Ein kleiner, dunkelhaariger Zauberer trat aus dem Haus und Vater Arcan entgegen. Nun hob sich der Schleier und auch die Mutter und Alexandru folgten dem Vater und Nicoleta, die schon einige Schritte in dieselbe Richtung gegangen war.
„Willkommene in Montenegro. Ich hoffe, Sie haben gute Aufenthalt“, begrüßte der Mann sie in gebrochenem Rumänisch. Er stellte sich als Predrag Lasic vor.
Auch wenn das Haus außen halb verfallen wirkte, waren die Zimmer innen wohnlich eingerichtet, was Nicoleta und ihre Eltern allerdings nicht wirklich überraschte – die wenigsten Zaubererherbergen waren von außen ansehnlich.
Außer ihnen war noch eine Familie aus Serbien mit zwei noch recht kleinen Kindern zu Gast. Da die Besitzer außerdem noch ein Muggelgasthaus besaßen, war das Haus und der Vorplatz versteckt. Quidditchspielen und andere auffällige Aktivitäten waren daher nur eingeschränkt möglich, was Nicoleta weniger störte als ihren jüngeren Bruder.
Schon am ersten Abend kam Nicoleta mit Jovana, der Tochter des Besitzerehepaars, ins Gespräch. Das Mädchen war zwei Jahre älter als sie selbst, behandelte sie aber keineswegs von oben herab. Jovana sprach ganz passabel Russisch, sodass keines der beiden Mädchen auf die mangelhaften Kenntnisse in der Muttersprache der jeweils anderen angewiesen war. Nicoleta erzählte ihr, dass sie nach Durmstrang ging, worauf Jovana neidisch wurde: „Ist bestimmt toll in so einer großen Zaubererschule – noch dazu, wenn Zauberer von so weit her kommen.“
Nicoleta erzählte einiges vom Unterricht und von ihren Mitschülerinnen, zunächst jedoch nichts von den Acromantulae. „Auf welche Schule gehst du?“, fragte sie schließlich.
„Auf eine Muggelschule hier in Klicevo. Zaubererschulen gibt es hier nicht. Montenegro ist zu klein dafür und die Serben kriegen es nicht auf die Reihe, eine zu gründen – keine Ahnung warum.“
„Und wo lernst du dann Zaubern?“
„Von meinen Eltern, Verwandten und anderen Zauberern. In den Ferien wechseln sich die Erwachsenen ab, uns zu unterrichten. Vieles lernt man auch, wenn man sich am Wochenende trifft.“
„Wer ist ‚man‘?“
„Alle Hexen und Zauberer in Montenegro kennen sich untereinander und alle sind irgendwie verwandt. Es gibt, alles in allem, nicht einmal 400 Zauberer hier – je nachdem, wie man zählt. Manche, wie mein Onkel, haben sich als Serben registrieren lassen, damit sie weiter für das Ministerium in Belgrad arbeiten können.“
„Habt ihr kein eigenes?“
„Die Ministerin, ihren Stellvertreter, der gleichzeitig der Auror und für die magische Strafverfolgung zuständig ist und einen Mann für die Kontakte zum Ausland und zu den Kobolden – das war’s. Ich nenne die Ministerin natürlich Tante Biljana, ihren Stellvertreter Onkel Zoran und den Kontaktmann Onkel Andrija. Onkel Zoran ist tatsächlich der Mann meiner Tante. Eigentlich sagen nur Muggel und Ausländer zu irgendeinem montenegrinischen Zauberer ‚Sie‘.“
„Hat auch was, jeden Zauberer im ganzen Land zu kennen.“
„Aber man schmort ziemlich im eigenen Saft. Klar, mit Serbien haben wir ziemlich viel zu tun und dort gibt es ein paar Zauberer mehr, aber mit Bosnien und Albanien ist Funkstille – leider, gerade in Albanien gibt es einiges Interessante.“
„Habe ich auch gelesen“, brachte Nicoleta ihr Wissen an die Frau. „Aber bei euch doch auch, oder? Euer Koboldsstahl?“
„Unser Koboldsstahl ist einer der besten der Welt, das stimmt. Aber die Kobolde verkaufen ihre Sachen nicht ohne weiteres. – Klar gibt es einige Händler, die Touristen Koboldsware andrehen, aber die taugt nichts.“
„Warum? Ich hab gedacht, Kobolde sind ziemlich auf Geld aus?“
„Aber noch mehr darauf, dass ihre Geheimnisse auch geheim bleiben. Schau!“ Jovana drehte ihren Ring, worauf sich zwei Tonkrüge auf dem Nachbartisch hoben und wieder senkten.
„Hab ich von meinem Onkel Miloslav zu Ostern gekriegt. Der arbeitet für das serbische Ministerium und hält Kontakt zu den Kobolden. Verdient ein Schweinegeld damit, aber damit wäre es sofort aus, wenn er irgendetwas ausplaudert oder etwas verkauft, ohne die Kobolde zu fragen. Das heißt, auch wenn du mir Millionen Galleonen für diesen Ring geben würdest, ich dürfte ihn dir nicht verkaufen. Ich darf ihn haben, solang ich lebe; danach kriegen ihn die Kobolde wieder; so läuft das bei denen.“
„Ist es dann nicht wahr, dass man die Koboldsschmieden besichtigen kann?“
„Doch, und ich rat euch das auch, ernsthaft. Das lohnt sich echt! Nur: Lasst euch nichts andrehen! Die Sachen, die sie an Touristen verkaufen, sind teuer und bringen nicht viel.“
Am nächsten Tag besichtigte die Familie Arcan allerdings noch keine Koboldsschmiede, sondern ließ sich von einem alten Zauberer, den sowohl der Patron als auch Jovana mit ‚Onkel Danilo‘ ansprachen, durch die wildromantische Berglandschaft führen. Vor allem zu Alexandrus Freude durften sie die Besen mitnehmen und flogen auch durch einige der für Muggel nahezu unzugänglichen Schluchten. Dabei gelangten sie auch zum ersten Mal über die albanische Grenze.
Nicoleta durchleuchtete, während sie wanderten und flogen, mehrmals die Felsen und sah tatsächlich einige Kobolde durch die Höhlen huschen.
Am Mittag, als es unerträglich heiß geworden war, apparierten sie zur Adria hinunter, wobei der Vater Nicoleta und die Mutter Alexandru bei der Hand nahm. Nicoleta genoss das Bad im Meer.
Leonidas Arcan verhandelte am nächsten Tag bereits mit den Albanern wegen der Besichtigung der versteckten Teile des Schlosses von Gjirokaster, doch er erhielt bis zum Abend keine befriedigende Antwort. Dafür versprach Herr Lasic, sich darum zu kümmern.
Am nächsten Tag reiste ein Mann namens Enver Bolat, ein aus Albanien stammender Verwandter des Hoteliers, mit den Arcans nach Albanien und erreichte nach zähen Verhandlungen, dass die Gäste für zwei Galleonen und fünfzehn Sickel Bakschisch das Schloss komplett besichtigen durften.
Nicoletas Mutter bereute es schließlich, mit den Kindern ins Schloss gekommen zu sein, denn einige frühere Besitzer waren grausame Folterknechte gewesen und hatten die grausamen Morde an ihren Gefangenen sogar auf Bildern festhalten lassen.
Alexandru bekam nicht richtig mit, was auf den Bildern zu sehen war, doch Nicoleta wurde es übel, als sie die durch den Cruciatus in den Wahnsinn und durch vielfaches Öffnen der Adern verbluteten und entstellten Körper auf den Bildern sah. Zu ihrem Glück trieb auch ihr Vater zur Eile – offenbar hatte er bemerkt, wie bleich sie geworden war.
Beim Mittagessen hatte Nicoleta keinen Hunger, doch bis zum Nachmittag war sie wieder hergestellt. Beim Baden in der Adria erholte sie sich völlig und verdrängte die grausamen albanischen Schwarzmagier aus ihrem Bewusstsein.
Am Abend kamen zwei Männer in die Wirtschaft, die zum Hotel der Lasics gehörten und baten Nicoletas Vater um ein Gespräch.
„Ach du Schande!“, flüsterte Jovana, als sie den Esstisch abräumte, Nicoleta zu.
„Was denn?“, fragte die.
„Komm!“
Nicoleta folgte ihr in einen Raum neben der Küche. „Der dunkelhaarige Mann ist Onkel Zoran, unser Auror“, erklärte Jovana. „Und der Blonde ist Dragan Stanjevic, der oberste Auror von Serbien. Hast du eine Ahnung, was sie von deinem Vater wollen könnten? Ist der auch Auror?“
„Nein“, log Nicoleta. „Mein Vater ist in der Muggelschutzabteilung.“
„Hm. Hattet ihr Probleme mit Reinblutfanatikern in Rumänien?“
„So viel ich weiß, nein!“, antwortete sie, diesmal wahrheitsgemäß. „Bei euch war auch nichts dergleichen?“
„Nö, das wüsste ich. In diesem Ländchen bleibt nichts geheim.“
Die Tatsache, dass sich keines der beiden Mädchen einen Reim darauf machen konnte, was die beiden Auroren von Nicoletas Vater wollten, Jovana sich aber sicher war, dass zumindest Stanjevic nicht zum Vergnügen in das Hotel gereist war, steigerte ihre Neugier. Jovana ging in den Raum, in den sich die Männer zurückgezogen hatten und fragte nach ihren Wünschen, doch die drei waren sofort still, als das Mädchen eintrat und auch, als sie mit einer Flasche Sliwowitz und drei Gläsern wiederkam.
Jovana lehnte sich an die Tür. „Prokleti – verdammt! Die Tür ist abhörsicher!“, zischte sie Nicoleta zu. „Hast du zufällig ein ausziehbares Ohr?“
„Rahat – Scheiße! Nicht dabei.“ Nicoleta spähte durch die Tür und versuchte, von den Lippen der Männer zu lesen, doch auf Russisch gelang es ihr nicht, zumal sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt Russisch sprachen. Ihr Vater verstand und sprach auch etwas Serbisch, wenn auch nicht flüssig.
Sie erfuhr erst etwas, als sie spät am Abend durch die Wand ins Zimmer ihrer Eltern schaute. Deren Gespräch konnte sie inzwischen fast wörtlich von den Lippen ablesen.
„Es ist noch nicht sicher, Mira. Sie kann hier sein, muss aber nicht.“
„Aber wenn sie hier ist, dann wird es gefährlich, vor allem für Nica. Sie hat schon einmal versucht, sie umzubringen.“
„Woher soll sie wissen, dass wir gerade hier im Urlaub sind?“
„Was hat sie sonst hier zu suchen, Leon?
„Das wussten die Kollegen eben auch nicht. Es steht noch nicht einmal sicher fest, dass sie in Montenegro ist. Ein serbischer Ministeriumszauberer hat sie gesehen und behauptet, sie sei in Richtung Grenze und dann hierher appariert – sie kann natürlich auch nach Albanien oder Bosnien weitergereist sein. Allerdings haben seine Kollegen sie eindeutig auf dem Bild, das er gemacht hat, erkannt. Valentina Kalinina war in Serbien.“
Der Name elektrisierte Nicoleta. Sie stieß einen Schrei aus und sprang auf.
„Ist dir nicht gut, Nica?“, fragte Alexandru, der schon am Schlafengehen war.
„Alles klar, Alexut! Ich hab was unten vergessen. Ich komm wieder! Gute Nacht!“
Sie gab ihrem kleinen Bruder einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Hoffentlich war Jovana noch wach! Sie musste mit ihr reden.
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