Narzissa Malfoy schob sich das Kissen über die Ohren, um die Geräusche von draußen zu verdrängen. Das klappte natürlich nicht. Sie hätte schon aufstehen und das Fenster zumachen müssen, aber wenn sie das tun würde, würde sie immer wacher werden und sie wollte doch so gerne noch etwas schlafen. Nicht, dass sie müde war. Aber ihr Bett war einer der wenigen Plätze, wo sich Narzissa zur Zeit wohl fühlte. Sobald sie aufstand, würde der graue Alltag sie wieder aufnehmen und dann konnte sie nicht mehr so tun, als wäre sie 13 und würde sich vor irgendeiner Prüfung verstecken. Narzissa musste lächeln. In der Schule war sie an Test-Tagen oft länger liegen geblieben, um so lange wie möglich in der warmen Vertrautheit ihres Schlafplatzes zu sein. Sie war einer dieser Menschen, die sich überall ein Zuhause aufbauen konnten und Narzissas Zuhause in Hogwarts war nun mal ihr Bett gewesen. Wenn Prüfungen anstanden, wollte sie dieses Zuhause am liebsten nie verlassen, doch sie musste irgendwann und meistens liefen die Tests gut. Sie seufzte, noch im Halbschlaf. Was würde sie jetzt für eine Geschichtsarbeit geben, einen Aufsatz der noch zu erledigen war. Belanglos waren nun ihre kindlichen Ängste vor Examen, verglichen mit den Prüfungen, die ihr das Leben so stellte. Zugegeben, sie konnte recht zufrieden mit ihrem jetzigen Leben sein. Nach der Schlacht von Hogwarts hatte Harry Potter ein gutes Wort für sie eingelegt, da sie ihm damals das Leben gerettet hatte. Noch immer musste Narzissa erschaudern, wenn sie daran dachte, dass sie vermutlich Schuld am Tod des Dunklen Lordes war. Ihr hatte es nichts ausgemacht, sie war immer nur Mitläuferin gewesen und nie die größte Verfechterin vom Black’schen Motto „Tojours Pur“. Auch Lucius und Draco waren zur guten Seite gewechselt oder hatten zumindest gelobt, nie wieder jemanden zu verletzen. Sie schienen sich dran zu halten. Überhaupt war Lucius und Narzissas Beziehung viel besser geworden, seit der Dunkle Lord und mit ihm der Todesserverbund gefallen war. Die beiden hatten ihre Gefühle für einander neu entwickelt und Narzissa war froh, nicht mehr nächtelang wachliegen zu müssen, weil Lucius einen Auftrag hatte und er eventuell geschnappt oder gar getötet werden könnte.
Doch Narzissa hatte in der Schlacht von Hogwarts etwas verloren, was weder ein ruhigeres Leben noch eine bessere Ehe wieder ausgleichen konnte. Sie hatte ihre Schwester verloren, einen Menschen, der sie trotz all ihrer Gegensätze immer geliebt hatte und sie unterstützt hatte in einigen ihrer schwersten Stunden. Bellatrix hatte Narzissa geholfen, als sie an den jungen Lucius Malfoy verheiratet wurden war, einen Mann, den sie kaum kannte und der sich später zu dem Zweitwichtigsten in ihrem Leben entwickeln würde. Bellatrix hatte ihr beigestanden, als Lucius verhaftet wurden war und hatte mit ihr Spinner’s End besucht, obwohl sie Vorbehalte hatte. Nun war Bellatrix tot, ermordet von Molly Weasley. Narzissa konnte ihr nicht einmal böse sein. Hätte jemand Draco angegriffen, hätte sie dann nicht auch so reagiert? Sie wusste es nicht. Und wollte es auch nie erfahren.
Es klopfte an der Tür. Narzissa erschrak. Sie war doch tatsächlich noch einmal eingeschlafen. „Herein“, murmelte sie, doch sie spürte schon, dass sie wacher wurde. Die Tür schwang auf und im Rahmen stand Lucius, der ein voll beladenes Tablett trug. „Guten Morgen, Liebes“, begrüßte der ehemalige Todesser seine Frau. Diese lächelte Lucius einfach nur an. Früher hatte Lucius solche Aufgaben immer den Elfen überlassen. Sicher, die beiden hatten schon immer eine engere Beziehung gehabt als die meisten reinblütigen Ehepaare, doch eine wirkliche Ehe, in der Gefühle eine Rolle spielten, führten sie erst, nachdem der Dunkle Lord untergegangen war. Lucius stellte das Tablett vorsichtig auf Narzissas Beine und legte sich dann neben sie. Dann küsste er sie, sanft und gleichzeitig voller Leidenschaft. Narzissa schloss die Augen und dachte nur noch: ‚Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.’ Nach einer Ewigkeit lösten sie sich von einander und sahen sich tief in die Augen. Der Zauber des Moments wurde unterbrochen, als die Kaffeetasse mit einem lauten Plong umkippte und ihren Inhalt auf Narzissas Nachthemd kippte. Die blonde Hexe schrie leise auf und musste dann lachen. Auch Lucius fand die Situation amüsant. Wann hatte er seine Frau das letzte Mal dermaßen gelöst gesehen? „Draco hat geschrieben“, wurde Narzissa von ihrem Mann informiert. „Er kommt uns zu Weihnachten besuchen. Und er meinte, er würde uns jemanden vorstellen wollen.“ Lucius sah seine Frau vielsagend an, während diese nur die Augen verdrehte. „Man muss kein Psychologe sein, um heraus zu finden, dass dieser jemand höchstwahrscheinlich Astoria Greengrass sein wird.“ Lucius zog eine Braue hoch. „Wie kommst du denn auf die?“ „Nun ja, die Auswahl in Hogwarts ist nicht gerade, wie soll ich sagen, ansehnlich. Da fallen die meisten schon ihres Aussehens wegen durch. Und er Rest – das ist Astoria Greengrass.“ Lucius wechselte das Thema. Mädchen hatten zwischen ihm und Narzissa schon des öfteren zu Konflikten geführt. Narzissa vertrat steif und fest den Standpunkt, Draco solle sich seine Zukünftige aussuchen dürfen. Lucius war da nicht so begeistert von. Aber so wie er sich kannte, würde er sich von Narzissa breitschlagen lassen. Mal wieder. Auch wenn er es nie zugeben hatte, er liebte seine wunderbare Frau von dem Moment an, in dem er ihr begegnet war. Er hatte vor ihr das zu sagen. An Weihnachten. Aber wie? Er dachte schon ein ganzes Weilchen darüber nach, doch ihm fielen keine passenden Worte ein. Aber er hatte noch Zeit. 17 Tage.
@Gwendolyn D.: freut mich, dass es dir gefällt :D
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