von uni
… und so schlossen sich seine starken Arme um sie. Jetzt war endlich alles gut und Nichts konnte ihre Liebe mehr trennen.
Mit einem zufriedenen Seufzen klappte Ginny das Buch zu. Das Ende war wieder so unglaublich romantisch gewesen. Kaum zu glauben, dass diese bezaubernden Worte aus der Feder eines Mannes stammten. Marco Da Floy hieß der Autor der „Flut der Leidenschaft“- Reihe, die Ginny nun schon seit einem knappen Jahr verfolgte. Eigentlich hatte sie damals in der Buchhandlung ein Geschenk für Hermine gesucht, war dann aber vor den Liebesromanen stehen geblieben. Das bunte Buchcover hatte ihren Blick magisch angezogen und kurzerhand hatte sie den „Kitschroman“, wie Hermine diese Art von Literatur gern nannte, gekauft. Seitdem verfolgte sie diese Buchreihe voller Begeisterung, fehlten in ihrem eigenen Leben doch die Romantik und das Abenteuer, die sie in den Romanen so mitrissen.
Unvermittelt erklang ein Ploppen im Hausflur. Hermine schob ihren grauen Lockenkopf durch die offene Tür und grinste ihre Freundin an. „Na, liest du wieder diesen Schund?“, fragte sie mit einem Augenzwinkern.
Ginny zog eine Grimasse. „Wollen wir los?“
Kurze Zeit später erschienen die beiden älteren Frauen auf einem Friedhof. Sie gingen gemeinsam durch die Grabreihen, bis sie vor einem schlichten, aber großen Stein halt machten.
Harry Potter
geboren 31.7.1980
gestorben 1.5.2023.
Vater, Ehemann, Held
Dies stand dort in verschnörkelten Lettern. Vor dem Grab lagen Blumen, Geschenke und Briefe. Ginny starrte auf den Stein und schwelgte in Erinnerungen.
20 Jahre waren sie verheiratet gewesen. Der Junge, der Voldemort bezwungen hatte, war schließlich bei einem Autounfall gestorben - ironisch, beinahe lächerlich.
Doch selbst das war inzwischen schon ein viertel Jahrhundert her. Ginny fehlte ihr Mann zwar noch immer, aber sie hatte sich inzwischen damit arrangiert.
Sie hatte ihren, zugegeben gut bezahlten, Job als Quidditch-Korrespondentin beim Tagespropheten aufgegeben und hatte sich ganz der Alraunenzucht gewidmet.
Hermine sah auf, als sich knirschende Schritte nährten. Ausgerechnet Ron kam den Kiesweg herauf. Als er seiner Kindheitsfreundin gewahr wurde, nickte er ihr zu. Hermines Begrüßung fiel höflich, aber kühl aus. Seit der Scheidung sahen sich die beiden nur noch zu Familienfesten.
Als Ginny ihren Bruder bemerkte, lächelte sie ihn an und wechselte einige Worte mit ihm. Heute war Harrys Todestag, alle seine Freunde statteten seinem Grab heute einen Besuch ab und erwiesen ihm so die Ehre.
Auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung zu kamen die beiden Freundinnen an einem Bücherladen vorbei.
In der Auslage wurde das neueste Buch Marco Da Floys ausgestellt. Ginny lief sofort in Richtung des Ladens. „Gehst du bitte kurz mit mir rein? Ich will nur schnell etwas besorgen“, sagte sie lächelnd. Hermine knurrte unwillig. Nach einer Begegnung mit ihrem Exmann war sie immer schlecht gelaunt.
Ihr Unmut war aber schnell wieder verflogen, als sie zwischen den Regalen entlangschlenderte. Hermine liebte Bücher, das hatte sich nicht geändert. Sogar in ihrem Beruf hatte sie damit zu tun. Sie hatte die Stelle der verstorbenen Irma Pince übernommen und leitete die Bibliothek von Hogwarts, welches seit einigen Jahren von keinem Geringeren als Neville Longbottom geführt wurde.
Nach dem unplanmäßigen Einkauf verabschiedeten sich die Freundinnen, kehrte in ihre kleine Wohnung zurück und begann sofort, ihren neuen Roman zu lesen.
Vor allem an Harrys Todestag fühlte sie sich ausgesprochen einsam. Diese romantischen Geschichten halfen ihr, der Melancholie für einige Stunden zu entfliehen.
In den nächsten Tagen malte sich Ginny immer wieder aus, was Mister Da Floy wohl für ein Mensch war, und sie fragte sich, ob sie je die Gelegenheit bekommen würde, ihm einige Fragen zu stellen.
Sogar Fanbriefe hatte sie ihrem Lieblingsautoren schon geschrieben.
Hermine quittierte diese beinahe pubertäre Schwärmerei mit einem schiefen Lächeln. Sie freute sich zwar, dass ihre Freundin sich endlich wieder so sehr für etwas begeistern konnte, aber sie befürchtete, dass Ginny enttäuscht wäre, wenn sie den Autoren einmal wirklich treffen würde.
Sie nahm ihre Freundin also beiseite und äußerte ihre Bedenken. „Du weißt, ich freue mich, wenn du versuchst, einen Mann kennen zu lernen. Harry ist schon seit 25 Jahren tot und du hast nach ihm nie einen Freund gehabt. Aber glaubst du wirklich, dass ein Romanautor, den du noch nie gesehen hast, der Richtige dafür ist?“
Ginny stritt halbherzig ab, dass sie je solche Dinge in Erwägung gezogen hätte. Doch musste sie insgeheim zugeben, dass sie auf Marco Da Floy ihre Idealvorstellung eines Mannes projiziert hatte. ‚Selbst mit fast 70 ist man nicht vor solchem pubertären Verhalten gefeit’, dachte sie schmunzelnd.
Ginny vergaß diese Träumereien also lieber vorerst und konzentrierte sich mehr auf ihre Arbeit, die sie in den letzten Tagen etwas vernachlässigt hatte.
Dennoch gedieh ihre Alraunenzucht prächtig. In wenigen Wochen würde sie die ersten Exemplare in diesem Jahr ernten und für viel Geld verkaufen können.
Die Alraunen von Ginevra Potter waren weithin bekannt und begehrt, es war daher nicht ungewöhnlich, dass ab und zu jemand vorbeikam und versuchte, ihr das Geheimnis für das unnatürlich schnelle Wachstum und die besonders starke Wirkung zu entlocken.
Es verwunderte sie also nicht, als sie am nächsten Morgen einen Mann sah, der sich vor ihrem Laden herumdrückte.
„Was wollen Sie“, fragte sie unfreundlich. Sie konnte solche Leute nicht ausstehen.
Der Mann drehte sich um und Ginny stockte der Atem. Langes silbernes Haar, das zu einem Zopf gebunden war, hoch gewachsene Gestalt und arroganter Gesichtsausdruck. „Malfoy“, stellte sie überrascht fest.
„Richtig und du bist Mrs. Weasl… falsch, Potter.“ Er lächelte. „Ich möchte zum Züchter, könntest du bitte deinen Chef holen?“
„Ich bin die Züchterin“, antwortete sie kalt. Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein?
Seine Gesichtszüge zeigten tatsächlich einen Moment Überraschung.
„Ein Apotheker hat gesagt, ich solle mich an diesen Zuchtbetrieb wenden“, erklärte er nach kurzem Zögern.
„Wenn du gewusst hättest, wer die Züchterin ist, hättest du wohl eher nicht auf den Tipp gehört, oder?“
Draco überhörte dies und Ginny wurde immer ungeduldiger. Draußen war es bitterkalt und sie hatte heute noch eine Menge zu tun.
„Im Zuge einiger Recherchen zum Thema ‚Alraunenzucht’ wurde mir diese Adresse empfohlen. Alles Weitere möchte ich ungern zwischen Tür und Angel besprechen.“ Dracos Ton war geschäftsmäßig geworden. Unwirsch forderte sie ihn auf einzutreten. Sie wollte ihn zwar so schnell wie möglich los werden, er hatte allerdings auch ihre Neugier geweckt.
„Unter die Journalisten gegangen?“, fragte sie daher eine Spur freundlicher.
Fast meinte sie, um seine Mundwinkel die Spur eines Lächelns ausmachen zu können. „So ähnlich“, antwortete Draco schlicht. Ginny wartete, dass er es genauer erklären würde, doch er schwieg.
„Was willst du wissen?“
Doch statt zu antworten, blickte er sich erstmal eingehend um, dann zog er aus seiner Manteltasche einen Block und eine Feder. Ginny fühlte sich an Rita Kimmkorn erinnert, Draco diktierte jedoch kein Wort und dennoch begann die Feder wie wild zu schreiben.
„Wie funktioniert das?“, fragte sie neugierig und vergaß völlig ihre eigentliche Unfreundlichkeit.
„Eine Spezialanfertigung“, erklärte Malfoy blasiert. „Sie notiert meine Gedanken.“ „Darf ich sehen?“ Ohne seine Erlaubnis abzuwarten, reckte sie den Hals. Mit einer hastigen Geste bedeckte er das Geschriebene. „Nein, darfst du nicht.“
Ginny zog sich wieder zurück und erklärte wütend: „Warum sollte ich Ihnen behilflich sein, wenn ich nicht einmal weiß, was genau du schreibst?“
„Selbstverständlich werde ich dir meine endgültige Version vor Veröffentlichung zusenden. Ich hasse es aber, wenn jemand meine Schriften liest, wenn sie noch nicht mal annähernd fertig sind. Meinetwegen muss das hier nicht so steif ablaufen, schließlich sind wir alte … Schulfreunde.“ Ginny sagte nichts zu dieser offensichtlich absichtlichen Fehlbezeichnung.
„Warum sollte ich dir glauben?“ Selbstverständlich war sie misstrauisch, schließlich handelte es sich um Draco Malfoy. Es würde zu ihm passen, sie mittels eines Artikels durch den Dreck zu ziehen.
Doch ihm schien dieser Gedanke völlig abwegig zu sein. „Was sollte ich davon haben? Glaubst du wirklich, ich halte an so alten Zwistigkeiten fest?“
Ginny war noch immer nicht vollends überzeugt, fügte sich dann aber doch.
Bereitwillig beantwortete sie ihm alle Fragen, achtete jedoch darauf, dass sie nichts über ihr Geheimnis preisgab.
Doch Draco interessierte sich für ganz andere Dinge. So fragte er nach der Geschichte der Alraunenzucht und wie lange so eine Pflanze im Durchschnitt zum Wachsen brauchte.
‚Warum sieht dieser Kerl mit fast 70 im Gegensatz zu mir eigentlich noch so jugendlich aus?’, dachte sie neidisch.
Während Draco, trotz seiner 68 Jahre, eher besser aussah als früher, konnte man dies von Ginny nicht behaupten. Wie ihre Mutter hatte sie im Laufe der Jahre einige Pfund zugelegt und in ihre Stirn hatten sich tiefe Sorgenfalten gegraben.
‚Da war sicherlich magische Chirurgie am Werk’, dachte sie gehässig.
Nachdem Draco alle fachlichen Fragen gestellt hatte, wurde er persönlicher.
„Und, bist du inzwischen wieder verheiratet?“, fragte er ganz beiläufig. Natürlich wusste Draco um die Umstände von Harrys Tod. Der Unfall war damals in aller Munde gewesen.
Ginny wollte nicht über ihren Mann reden und schon gar nicht ausgerechnet mit Malfoy.
Daher sagte sie nichts zu dieser Frage und hoffte, dass er nicht weiter nachfragen würde.
Als sie einige Minuten geschwiegen hatten, erwähnte Draco plötzlich, dass er vor einigen Jahren selbst noch verheiratet gewesen war.
„Meine Frau und ich haben uns einvernehmlich getrennt. Es hat eben einfach nicht funktioniert mit uns beiden.“
Er erzähle dies völlig freimütig, obwohl Ginny gar nicht nachgefragt hatte.
„Wie geht es deinem Sohn?“, rutschte es ihr heraus. Sie hatte doch eigentlich mit Malfoy nicht über Persönliches sprechen wollen, doch die Neugier hatte in diesem Moment eben doch triumphiert.
„Scorpius lebt zusammen mit seinem Lebensgefährten in Rumänien und erforscht Vampire. Und was ist aus deinen Kindern geworden?“
Ginny war völlig überrascht. Nicht nur, dass Draco geschieden war, sein Sohn lebte offen homosexuell. Zwei Sachen, die in den traditionellen Reinblüterfamilien geächtet waren.
Sie sagte jedoch nichts dazu, fand diesen Fakt allerdings bemerkenswert, da er zeigte, dass Draco nicht in die konservativen Fußstapfen des Vaters getreten war.
„Albus arbeitet im Ministerium, James hat inzwischen selbst zwei Kinder und wird wahrscheinlich bald den Scherzartikelladen meines Bruders übernehmen. Meine Tochter Lily Luna ist schon seit einigen Jahren mit Lorcan Lovegood liiert und arbeitet in der Muggelwelt.“
Schon fast erwartete sie, dass Draco irgendeine abfällige Bemerkung machen würde, doch stattdessen sagte er schlicht, dass sie beide Grund hätten, stolz auf ihre Kinder zu sein.
Überrascht stellte Ginny fest, dass das ihr Gespräch, je länger es dauerte, zunehmend Freude bereitete.
Beinahe enttäuscht war sie daher, als Malfoy sich verabschiedete.
„Weißt du, wenn du schon in der Schulzeit so gewesen wärst, hätten wir glatt Freunde sein können“, meinte sie zum Abschied lakonisch.
Er sah sie erst überrascht an und musste dann schmunzeln. „Das glaubst du doch nicht wirklich oder?“
Ginny grinste ihn jungenhaft an und schüttelte den Kopf.
Einige Monate später, Ginny hatte schon fast nicht mehr damit gerechnet, bekam sie ein Paket. Verwundert, wer ihr denn ein Buch schicken würde, riss sie das Papier ab. Der Inhalt steigerte ihre Verblüffung jedoch noch mehr. Ein bisher noch nicht erschienener Roman von Marco Da Floy. „Die Alraunenzüchterin“ lautete der Titel. Moment … Marco Da Floy? Warum war ihr das nicht schon vorher aufgefallen?
Gespannt klappte sie den Buchdeckel auf und fand auf der ersten Seite eine Widmung.
Ein Buch für alte Feinde, alte Rivalen und alte Bekannte.
Aber auch für mögliche neue Freunde.
Grinsend kuschelte sie sich in ihren Sessel.
‚Vielleicht sollte ich ihm mal eulen und ihn auf einen Kaffee einladen.
Vielleicht …’
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