von Blue
Die nächsten Wochen wurden schwer für Emily. Eine Woche lang wurde sie im St. Mungo wegen des Vampirbisses behandelt. Die Wunde war zum Glück nicht allzu tief gewesen, und Patrick hatte ihr auch nicht wirklich viel ausgesaugt. Trotzdem hatte sie eine Transfusion erhalten, hatte fünf verschiedene Tränke schlucken müssen, die alle gleich miserabel geschmeckt hattenund musste nun, da sie endlich entlassen war noch dreimal pro Tag zwei verschiedene Salben auftragen. Als man ihr nach drei Tagen zum ersten Mal den Verband abgenommen hatte, hatte sie mit gemischten Gefühlen in den Spiegel gesehen. Dort, wo die Zähne eingedrungen waren, waren zwei Punktnarben zurück geblieben. Diese wurden durch eine längliche Narbe dazwischen miteinander verbunden. Patrick hatte eben nicht nur mit den vorderen Schneidezähnen zugebissen. Doch alles in allem war sie froh „nur“ mit einem vernarbten Hals davongekommen zu sein. Narben hatten etwas Gutes; sie erinnerten einen immer daran, dass das, was nur noch in seinem Kopf existierte, Wirklichkeit gewesen war. Sie würde es nicht mehr vergessen. Ein Vampir, der sie scheinbar über 20 Jahre lang geliebt hatte, hatte versucht, sie auf grausame Weise zu töten, hatte ihre Mutter getötet.
Emily war kaum zu Hause, da räumte sie sämtliche Sachen von ihm in einen Müllsack, brachte diesen raus und stopfte ihn in eine Sammelmülltonne. Alle Fotos, die von ihnen in ihrer Wohnung lagen, standen, einsortiert waren, nahm sie raus, zerriss sie zu kleinen Schnippseln und warf sie aus dem Fenster hinaus in die Straßen Londons. Sie strich Patrick Warner endgültig aus ihrem Leben. Mit allem, was dazu gehörte.
In der folgenden Woche musste sie sich um die Beerdigung von Katherine kümmern. Da außer ihr selbst und anstandshalber Lavender niemand zu dieser Trauerfeier erscheinen würde, musste sie lediglich einen Termin, einen Sarg und einen Pfarrer besorgen. Das alles erledigte sich ungewöhnlich schnell, wahrscheinlich, weil sie nicht mit allzu viel Gefühl an die Sache ranging. Wie sie vorhergesehen hatte, waren sie und Lavender die einzigen Trauergäste an diesem sonnigen Nachmittag. Den beiden Hexen wurde heiß in ihrer schwarzen Trauerkleidung. Das Wetter passte so gar nicht zum Anlass, aber Emily war es egal. So sehr es ihr auch Leid tat, so sehr sie sich auch noch hätte bedanken wollen, dafür, dass Katherine Severus aus dieser Sache rausgeboxt hatte. Sie weinte nicht. Sie stand am Grab ihrer Mutter und weinte nicht. Sie starrte auf den Grabstein, hörte die Worte des Pfarrers nur dumpf und bemerkte gar nicht, als er ging. Lavender legte ihr tröstend den Arm um die Schulter.
„Katherine Summers,
Mutter bis zum Schluss“.
Diesen Spruch hatte Emily sich ausgedacht, sie war sich aber nicht sicher, ob er tatsächlich passend,oder einfach nur aus der Luft gegriffen war. Sie blickte sich um. Außer ihnen war niemand auf dem Friedhof hier in London. „Er ist nicht da“, sagte Lavender und sah Emily mitfühlend an. „Das dachte ich auch nicht“, antwortete sie kurz angebunden. Dann verließen die beiden, Arm in Arm, das magisch fertige Grab und gingen zum Ausgang. „Hast du schon gehört?“, fragte Lavender, um ihre Kollegin etwas abzulenken. „Patrick haben sie lebenslänglich gegeben, weil er eine akute Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.“ Emily ging stur weiter. „Um dir diesen Satz aus dem Tagespropheten zu merken, hast du bestimmt eine Stunde gebraucht, was?“, fragte sie humorlos. Lavender sah sie verwundert und etwas pikiert an. „Ich will nicht darüber nachdenken, dass Patrick, ein Mann, den ich geliebt habe, auf ewig in Askaban sitzen muss!“, begründete die Ältere ihren Unmut. „All das ist schon schrecklich genug.“ Aufgrund der Ereignisse hatte Emily seitdem nicht mehr gelächelt. Sie hatte es einfach nicht geschafft. All ihre Emotionen beschränkten sich auf Trauer, Schmerz und Wehmut. „T’schuldigung“, murmelte Lavender und blickte zu Boden. „Na wenigstens konnte ich deinen Zauberstab reparieren“, fügte sie noch hinzu, bevor sie sich auf der Stelle drehten und im Dunkeln verschwanden. Sie tauchten auf der Brücke vor Hogwarts wieder auf und gingen ganz normal weiter, als hätte das Apparieren gar nicht stattgefunden. Doch es machte sich allein am Wetter bemerkbar, dass sie an einem anderen Ort waren; es regnete. Mehrere Tropfen landeten auf Emilys Gesicht und sie wünschte sich, dass der Regen die Reste ihrer Tränen davonwaschen möge. Der Regen sollte all den Schmerz, all das Schreckliche aus den vergangenen Tagen davonwaschen.
Wie auch Emily war Severus Snape in den folgenden Wochen dabei, sein Leben zu ordnen. An seiner Haustür in Spinner’s End hatte die Presse nur so gelauert. Alle wollten hier ein Foto, da ein Interview, dort ein Statement. Umso erleichterter war er, als er wieder nach Hogwarts zurück konnte. Zu Allererst hatte er mehrere Termine bei Minerva, schließlich gab es eine Menge zu bereden. Beim zweiten von drei Terminen war die Schulleiterin auf Emily zu sprechen gekommen. „Wie geht es ihr? Habt ihr euch ausgesprochen?“ Tja, wie ging es ihr? Er wusste es nicht. Er hatte es einfach nicht gewagt, sie im St. Mungo zu besuchen. Sie hatte gerade ihre Mutter verloren, noch dazu war sie verletzt worden. Und das war seine Schuld! Wenn er sie nicht umgarnt hätte, wäre Warner niemals auf die Idee gekommen, ihn anzuklagen und wenn doch, dann hätte Emily wenigstens nicht das Pflichtgefühl gehabt, bei der Verhandlung zu erscheinen und dann…. Er war zwar frei, aber er war doch gefangen. Ein freier Mann, der nicht frei war, das zu tun, was er am meisten wollte. Ein gescheiterter Professor. Die Scham überkam ihn alle paar Tage und seine Schuldgefühle wuchsen weiter. Er wusste gar nichts von ihr, nur, dass sie wahrscheinlich immer noch im St. Mungo lag und einsam um ihre Mutter trauerte. „Entschuldigen Sie mich, Schulleiterin“, sagte er und stand auf. „Ich muss noch einiges vorbereiten.“ Damit drehte er sich um und verließ das Büro.
Eilig rauschte er durch die Korridore, mit wehendem Umhang an den Schülern vorbei, grimmig wie eh und je. Und die Schüler wichen vor ihm zurück, lästerten hinter seinem Rücken, wünschten ihm die Pest an den Hals. Fast so, als wäre er niemals weg gewesen.
Severus ging in seine Gemächer in den Kerkern und machte sich daran seine Sachen, die er vor seinem Abstecher nach Askaban wegen seiner Kündigung und seinem geplanten Weggang gepackt hatte, wieder auszuräumen. Mittlerweile hatte er seine Kündigung zurückgezogen, was Minerva dankend angenommen hatte. Er blickte sich friedlich um. Hier war noch alles genauso, wie er es vor drei Monaten unfreiwillig zurückgelassen hatte. Er zog sich den Umhang von den Schultern und warf ihn über den Ledersessel. Weil niemand sein magisches Feuer während seiner Abwesenheit gelöscht hatte, war es unglaublich heiß. Aber es gefiel ihm. Er hatte das Gefühl endlich wieder in sicherer, trockener Umgebung zu sein. Es war großartigseinen Zauberstab wieder in den Händen zu halten und ihn gefahrlos benutzen zu können. Eine Art zu Hause. Noch schöner war es, dass er sich endlich wieder hatte waschen und rasieren können. Er kam sich wieder wie ein Mensch vor, es schien, als hätte er Geltungswert. Doch während er seine Kleidung mit einem Schwung ordentlich in den Schrank verfrachtete, dachte er daran, was ihm am meisten auf der Welt fehlte: Emily Summers.
Severus blickte zu seinem Couchtisch, wo eine Flasche mit einem Rest Feuerwhiskey stand. Doch er beschloss, heute die Finger vom Alkohol zu lassen. Seine Lungenentzündung war zwar schon ausgeheilt, doch sein Hals war noch immer sehr rau und er musste seine Gesundheit ja nicht immer überstrapazieren. Was denke ich da bloß?, fragte er sich.
Ich hab’s dir doch gesagt, Kumpel!, meldete sich die nervige Zweitstimme zurück und er verdrehte die Augen. Du wirst alt!
Einige Sekunden später stellte er fest, dass er scheinbar wirklich alt wurde. Er hatte sein Freispruchsdokument im Büro der Schulleiterin liegen gelassen. Verdammt!
Der Regen rauschte draußen im Innenhof, als Severus vorbeiging. Er blickte hinaus und blieb abrupt stehen. Ihm genau gegenüber stand Emily im Korridor. Auch sie war offenbar eben erst zum Stehen gekommen, denn ihre Haare schwangen sacht nach vorne. Dann zuckte sie kurz nach vorne, als wollte sie weitergehen, ihn noch immer ansehend. Doch sie blieb stehen. Sie war ganz in schwarz gekleidet und Severus hatte das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, als er realisierte, warum sie für sich so untypisch gekleidet herumlief. Da setzten sie sich beide gleichzeitig in Bewegung und trafen sich auf ihrer Seite. Sie blieb genau vor ihm stehen und sah sprachlos zu ihm auf. Sie trug ihre Haare wie gewohnt offen, in den drei Monaten waren sie noch länger geworden. Severus kam nicht umhin erneut festzustellen, wie unglaublich schön sie war. Doch in ihrem Gesicht lagen noch immer keine Emotionen. Wie war das nur möglich? Was war nur mit ihr passiert? Würde sie am Ende so werden wie er? Um Merlins Willen!
„Du…“, begannen sie gleichzeitig und verstummten beide auch sofort wieder. Doch sie schien es schwerer zu nehmen als er. Sie senkte den Kopf und wich einen Schritt zurück, als wäre sie von einem unsichtbaren Zauber getroffen worden. Sie grämte sich wirklich bis zum Äußersten. Nur warum? Eine Weile verging, in der keiner von beiden etwas sagte. Nur das Plätschern des Regens war zu hören. Dann hob Emily den Kopf und sah ihm wieder ins Gesicht. Er sah sie auch an, nur wusste er nicht genau, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Es tut mir sehr Leid“, sagte sie und in ihrer Stimme lag sehr viel Hingabe und so unglaublich viel Gefühl, dass es ihm ganz warm wurde. Aber, Moment mal, sie entschuldigte sich? Verwirrt zog er die Brauen zusammen. Ihr Gesichtsausdruck wurde nun traurig, beinahe verzweifelt. „Das alles ist meine Schuld“, behauptete sie und sprach weiter: „Ich wollte nie, dass dir…dass du solche Qualen durchlebst….“ – „Wo wir schon bei Qualen sind“, unterbrach er sie. „Wie geht es dir?“. Er deutete mit einem Nicken auf ihren Hals. Sie seufzte und er schalt sich im selben Augenblick für seine Taktlosigkeit. „Du benimmst dich ja schlimmer als ein Troll im Porzellanladen!“, beschwerte sich die nervige Stimme, was seine Schuldgefühle nicht milderte. Da knöpfte sie ihren Mantel ein Stück auf und nahm ihre Haare über die Schulter. Sein Blick fiel auf eine längliche Narbe, die sich über ihre Halsbeuge zog. Severus schnappte still nach Luft. Er musste an seine eigene Narbe denken. Im Vergleich dazu sah es bei Emily allerdings eher aus wie eine feine Linie. „Nichts mehr zu spüren“, sagte sie und zog kurz die Mundwinkel nach oben, sodass es aussah, als hätte sie ein Lächeln versucht. Fiel es, wenn er es versuchteebenso kläglich aus? „Entschuldige“, sagte sie. „Ich kann einfach noch nicht lächeln.“ Severus verstand es. Nach allem, was ihr zugestoßen war, war es mehr als verständlich, dass sie nicht lächeln konnte und wollte. „Ich werde mich darum kümmern“, rutschte es ihm heraus, bevor er überhaupt begriff, was er da sagte. Sie blickte ihn fragend an, doch er wechselte schnell das Thema: „Es tut mir Leid, dass ich es nicht besser behandeln konnte“, sagte er und gab sich Mühe, entschuldigend zu schauen, doch er wusste nicht, wie das ging. „Das war doch nicht deine Schuld!“, rief sie aus. „Und nach allem, was passiert ist, hast nicht du, sondern ich etwas besser zu machen.“ Er hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. Dazu überraschte es ihn, dass die Vorwürfe ausblieben. Er stand ganz fassungslos da, ohne Zauberstab, ohne Umhang. „Ich muss…ich wollte…schon vor drei Monaten, nein, eigentlich schon vor vier oder fünf Monaten wollte ich….“. Sie brach ab und schüttelte hilflos den Kopf. Dann setzte sie zu einem zweiten Versuch an: „Ich habe gesagt, ich werde warten, Severus. Das habe ich und…“.
„EMILY!! Da bist du ja!“ Beide blickten hinaus in den Regen und sahen Lavender dort stehen. Ihre Haare kräuselten sich ganz furchtbar, sie war durchnässt bis auf die Knochen. Emily stöhnte genervt auf, was Severus aus irgendeinem Grund zum Lächeln brachte. Dann lief sie hinaus zu ihrer verrückten Kollegin. Severus nutzte den Moment und verschwand in den nächsten Gang. Er wusste nicht, weshalb er wieder davonlief, aber er musste ja schließlich noch wohin. Doch als er vor der Treppe angekommen war, wurde ihm klar, dass dies nur eine feige Rechtfertigung vor seiner selbst war.
„Was machst du bitte?“, fragte Emily und zerrte Lavender hinein ins Trockene. „Ich dachte, du setzt dich in den Regen, weil du so traurig bist. Du weißt schon, so wie in den Filmen.“ Emily schüttelte den Kopf. „Das hier ist aber kein Film“, sagte sie und stellte ernüchternd fest, dass Severus verschwunden war. „…sonst wäre er noch hier“, beendete sie enttäuscht ihren Satz. Bevor Lavender etwas sagen konnte, geschweige denn, überhaupt verstanden hatte, was sie meinte, lenkte Emily ein: „Komm, du musst dich umziehen.“ Und mit einer kräftigen Armbewegung schob sie die Blonde in den nächsten Korridor.
Die beiden Hexen waren gerade um die Ecke gebogen, als Severus Snape zurückgeeilt kam.
Doch sie sahen sich nicht mehr.
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Frustrierend, nicht wahr? Ich weiß! :DD
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