von Angel-Poison
Die Heiligtümer des Todes
„Oh Harry, ich habe dich vermisst!“, flötete Ginny mit einer Stimme, die, wie Draco fand, eher einem Vogel ähnelte als einer Hexe.
„Ich habe dich auch vermisst“, murmelte Draco leise in Ginnys Ohr, während er sich von ihr befummeln ließ. Es war ekelerregend. Natürlich war es das. Sie war eine kleine dreckige Blutsverräterin und außerdem in Gryffindor. Wie konnte es Potter überhaupt mit ihr aushalten?
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“ Draco beobachtete panisch wie Ginnys Hand zu seiner Hose wanderte. Um dieser Situation zu entfliehen, schlug er vor: „Lass uns doch zum See laufen.“
Das rothaarige Mädchen schien keine besonders große Lust zu haben, aber da sie nichts sagte, packte Draco ihren Arm und zog sie mit nach draußen.
„Es ist schrecklich, dass du dir mit Malfoy ein Zimmer teilen musst“, murmelte sie.
„In der Tat.“
„Was machen wir am See, Harry?“ Sie ließ ihren Blick über Draco schweifen und wusste wohl schon ganz genau, was sie dort machen wollte. „Du hast versprochen, dass wir es bald zusammen tun, erinnerst du dich?“
Oh mein Gott, sie wollte mit Potter schlafen? Wie eklig.
„Ja, das habe ich gesagt, aber ich finde nicht, dass heute der richtige Zeitpunkt dafür ist.“
Ginny zog einen Schmollmund und sie ergriff Dracos Hand. „Wie lange willst du es denn noch aufschieben?“
„Nicht mehr lange, ich verspreche es dir, aber ich möchte vorher… gewisse Vorbereitungen treffen.“ Bestimmt war Weasley eine Romantikerin.
„Du wolltest mir doch von dem Angriff erzählen, stimmt‘s?“, fragte Draco vorsichtig.
„Oh ja!“ Begeisterung schlich sich auf Ginnys Gesicht und sie zog den Tagespropheten aus der Jackentasche. „Ich hab Flitwick seine Zeitung geklaut!“
Das Mädchen hatte eindeutig Potenzial zur Todesserin. Vielleicht sollte er sie dem dunklen Lord als Anhängerin vorschlagen, falls dieser wieder auferstehen würde.
Er versuchte Potters besorgten Tonfall nachzuahmen. „Sie haben dich doch nicht erwischt, oder?“
„Dann hätte ich sie ganz bestimmt nicht mehr, na los! Lies schon!“ Auffordernd deutete sie auf den Leitartikel der ersten Seite.
Angriff auf Hogwarts
Am vergangenen Sonntag wurde die Zauberschule für Hexerei und Zauberei „Hogwarts“ von Todessern angegriffen.
Hierbei handelte es sich größtenteils um ehemalige Anhänger des dunklen Lords, die in Askaban ihre Strafe hätten verbüßen sollen.
Die traurige Bilanz: 50 tote Erst- und Zweitklässler, sowie 22 Schwerverletzte, die sich auf der Intensivstation von St. Mungos befinden.
Wie uns der derzeitige Zaubertranklehrer Horace Slughorn mitteilte, war die Schulleitung nicht in der Lage, dem Angriff entgegenzuwirken und schien mit der Situation überfordert zu sein.
Die Sicherheit von Hogwarts wurde zunehmend verstärkt und die Suche nach den Todessern wurde erneut von Auroren aufgenommen.
„Wie sind die Todesser überhaupt in das Schloss hineingekommen?“, begann Draco mit der ersten Frage, die ihm in den Sinn kam.
„Vermutlich auf demselben Weg, wie auch bei dem letzten Angriff.“
Draco erinnerte sich an das Verschwindekabinett zurück, welches er selbst repariert hatte und nickte. „Ja, vermutlich.“
„Da steht: die Schulleitung nicht in der Lage, dem Angriff entgegenzuwirken und schien mit der Situation überfordert zu sein! Du hast gesagt, dass ihr keinen Kontakt zu McGonagall herstellen konntet?“
„Genau! Und daran hat sich auch noch nichts geändert. Sie scheint vom Erdboden verschluckt zu sein. Seltsam ist natürlich, dass der Tagesprophet das überhaupt nicht mitbekommen hat. Ich habe Angst, Harry. Meinst du wirklich es wird wieder einen Krieg geben?“
Draco dachte an das, was seine Tante gesagt hatte und nickte. „Ja, ich denke, dass es erneut Krieg geben wird, aber das habe ich dir doch schon in meinem Brief gesagt.“
Sie waren am See angekommen und setzten sich schweigend. Ginny rückte dicht an Draco heran und er beschloss seinen Arm um ihre Schulter zu legen.
„Slughorn hat wohl kein großes Vertrauen in McGonagall?“, fing Draco wieder an.
„Nein, offenbar nicht. Dabei glaube ich nicht, dass sie irgendetwas Falsches gemacht hat. In dieser Situation wäre doch jeder überfordert gewesen. Und im Schloss befanden sich sowieso nur Erst- und Zweitklässler, die noch gar nicht helfen konnten.“
„Da hast du Recht.“
„Lass uns schwimmen gehen!“, sagte Ginny plötzlich und zog ihr T-Shirt aus.
„Wie bitte?“, fragte Draco und hoffte sich verhört zu haben.
„Ach komm schon, Harry! Was spricht denn schon dagegen?“ Sie drehte sich um, sodass er auf ihren Rücken blickten konnte. „Mach mal auf!“ Sie deutete auf ihren BH-Träger.
„Aber…“
„Wenn du mitmachst, bekommst du noch ein paar Insiderinformationen über den Angriff, die niemand sonst weiß“, lockte sie ihn.
Zögerlich streckte er die Hand nach dem Stoff aus. Seine Finger zitterten. Als der Verschluss offen war, war er sich nicht mehr so sicher, ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Ginny drehte sich um und Draco wich zurück. Er wollte das nicht. Es ging hier zwar nur um Nacktschwimmen und er würde nur so aussehen wie Potter aussah, aber er wollte es dennoch nicht. Ihre Brüste waren klein und irgendwie nicht sehr schön. Er musste sich nicht dazu zwingen, den Blick abzuwenden.
Er zog sein eigenes Hemd aus (er hatte es zusammen mit der Hose aus Harrys Schrank geklaut) und sah interessiert an sich herunter. Der Anblick war um Einiges mehr zu verkraften als der von einer halbnackten Ginny Weasley.
Als Draco die Hose ausgezogen hatte, hätte er sich am liebsten für seine eigene Dummheit geschlagen. Er hatte natürlich keine Unterhose von Potter angezogen und diese hier sah verdammt teuer aus und war eindeutig keine Harry-Potter-Unterhose.
Auch Ginny hatte das bemerkt, denn sie sah erstaunt an ihm herunter. „Was ist das?“ Sie berührte die Unterhose und schluckte. „Die ist bestimmt teurer als unser ganzes Haus.“
Das glaubte er ihr sofort. Er wollte erneut zurückweichen, doch Ginny hielt ihn fest und streichelte den Stoff. Draco hielt still und hoffte sie würde es dabei belassen, tat sie aber nicht.
„Warum gibst du denn so viel Geld für Unterhosen aus?“
„So teuer war sie gar nicht“, versuchte er sich herauszureden und entledigte sich seinem letzten Kleidungsstück, wagte dabei jedoch nicht, nach unten zu sehen.
„Lass uns endlich ins Wasser gehen“, sagte er schließlich und lief los.
Im See angekommen, drehte er sich um und bemerkte, dass Ginny immer noch am Ufer war und seine Unterhose inspizierte. Er wollte sie dazu auffordern damit aufzuhören, als sie einen spitzen Schrei ausstieß.
„Was ist denn nun schon wieder?“, fragte er genervt und schaffte es dabei nicht den typischen Malfoy-Tonfall zu unterdrücken.
„Hihier… Hier steht: Ei… Eigentum vovon… Dradraco Malfoy!“, stotterte sie entsetzt.
*
„Warum musst du denn auch immer überall deinen Namen daraufschreiben, Draco? Das ist doch nicht normal! Wir wären vielleicht an wirklich wichtige Informationen gekommen!“, wütete Blaise Zabini. Draco hatte beschlossen, dass es besser war, wenn er mit dieser ganzen Geschichte nicht so allein war und deshalb seinen besten Freund mit eingeweiht. Momentan befanden sich die beiden in Blaises Zimmer, während Theodore Nott zu schlafen schien.
„Sie könnten schließlich verloren gehen!“
„Willst du wirklich, dass jemand deine Unterhose findet, falls sie verlorengeht und dann weiß, dass es deine ist?“
„Was willst du denn damit schon wieder sagen?“ Dracos Stimme war eine Oktave höher als gewöhnlich und sein Hals hatte diese roten Flecken, die immer kamen, wenn er sich unkontrolliert aufregte.
„Ach ist doch egal!“, winkte Blaise ab. „Wie ging es weiter?“
„Na, sie hat rumgebrüllt und ist weggerannt, obwohl sie keinerlei Beweise hatte, dass ich nicht Potter bin.“
„Du bist echt so blöd!“
„Glaubst du, ich habe vorher gewusst, dass ich meine Hose ausziehen muss?“
„Bei Mädchen muss man immer auf alles gefasst sein.“ Langsam beruhigte Blaise sich wieder. „Dir ist doch klar, dass du dich jetzt irgendwie bei den Todessern beliebt machen musst, oder? Die halten dich doch auch für einen Verräter, du musst denen irgendetwas wirklich Wichtiges sagen. Am besten bringst du ihnen das, was im Besitz deines Vaters ist.“
„Wie soll ich denn von hieraus einfach mal nach Hause kommen, Blaise? Das ist eine wirklich dumme Idee!“
„Dann schlag etwas Besseres vor!“
Draco überlegte… und überlegte… und überlegte… dann: „Ich hab‘s!“, hauchte er plötzlich leise und kaum verständlich. „Potter!“
„Was ist mit ihm?“, fragte der andere verwirrt.
„Die wollen ihn doch tot sehen.“
„Du kannst keine Menschen umbringen, Draco!“, höhnte Blaise.
„Na und? Mir wird schon etwas einfallen und wenn es sein muss, bringe ich ihn lebend zu den Todessern und die erledigen ihn dann!“, meinte Draco zufrieden.
„Sieh erst mal zu, dass du aus diesem Körper rauskommst! Wenn du dich nicht absolut wie mein bester Freund verhalten würdest, würde ich dich wirklich für Potter halten!“
*
Harry traute seinen Augen nicht, als er nachts von seiner Freundin erweckt wurde, die nur mit einer Unterhose bekleidet war und stark zitterte, ob vor Kälte oder Angst vermochte er nicht sagen zu können.
„GINNY?“
„Nicht so laut, Harry“, flüsterte das Mädchen und sah sich panisch um. „Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn die mich erwischen?“
„Was ist passiert? Was machst du hier? Geht es dir gut?“
„Ich habe dir doch einen Brief geschickt…“
„Den habe ich nie bekommen!“, erwiderte Harry sofort. „Also, bekommen habe ich ihn schon, aber ich habe ihn ungeöffnet auf dem Tisch…“ er deutete auf ebenjenen in der Mitte des Raumes. „liegen lassen und dann war er plötzlich nicht mehr da… ich glaube Malfoy hat ihn genommen!“
„Das glaube ich auch!“, bekräftigte Ginny und als ihr Freund sie verwirrt ansah fuhr sie fort. „ Naja… ich habe in dem Brief geschrieben, dass ich dich wiedersehen wollte und heute bin ich mit Flohpulver hierhergereist…“
„Du hast es geschafft Flohpulver mitzuschmuggeln?“, unterbrach er sie mit bewundernder Stimme.
Die Rothaarige nickte stolz. „Ja, ich hab es in meinem BH versteckt… Das ist zwar ein echt alter Muggeltrick, aber er funktioniert ausgezeichnet... auf jeden Fall bin ich hierhergekommen und du hast mich erwartet.“
Harry wollte etwas sagen, doch sie ließ es nicht dazu kommen, indem sie schnell weiterredete. „Zumindest glaubte ich, dass du es warst. Wie ich später jedoch feststellen musste, war es Malfoy, der Informationen über den Angriff haben wollte.“
„Angriff?“, fragte er verdutzt.
Ginny stutzte einen Augenblick bis ihr einfiel, dass er es ja noch gar nicht wissen konnte. „Hogwarts wurde angegriffen. Ziemlich viele tote Schüler und kein Kontakt zu McGonagall.“
„Wer waren die Täter?“
„Todesser!“
Harry schluckte, räusperte sich dann, wobei er ein klein wenig wie Umbridge klang, wie Ginny schmunzelnd feststellte und sprach schließlich weiter: „Wieso will Malfoy Informationen?“
„Keine Ahnung… Woher soll ich das denn wissen?“
Der Gryffindor setzte zu einer Antwort an, doch wieder einmal kam ihm Pansy zuvor, die laut schrie, sodass die ganze Jugendherberge geweckt wurde.
*
Sobald Draco den Schrei hörte, sprang er auf und rannte aus dem Zimmer, dicht gefolgt von Blaise. Schuldgefühle wallten in ihm auf, weil er Pansy abermals mit Daphne alleingelassen hatte, obwohl sie das so nicht gewollt hatte. Hoffentlich ging es ihr gut.
„Kannst du nicht ein bisschen langsamer laufen? Dann würde ich ausnahmsweise auch mal hinterherkommen!“, motzte Blaise, aber Draco ignorierte das. Stattdessen bog er in Rekordgeschwindigkeit in den nächsten Gang ein in dem sich bereits eine Menschentraube gebildet hatte.
Er verlangsamte seine Geschwindigkeit und schubste seine Mitschüler zur Seite um nach vorne zu kommen. „Was ist passiert?“, fragte er Crabbe, der ihm am nächsten stand.
Anstatt zu antworten ballte dieser die Hände zu Fäusten und ging in eine beunruhigende Angriffshaltung.
Eine Antwort bekam er aber schließlich doch, wenn auch von einer Person, mit der er nicht gerechnet hätte: „Ich bin auch gerade erst gekommen. Es scheint nichts Ernstes zu sein. Nur wieder einer ihrer Anfälle!“, bemerkte Hermine Granger. „Wo kommst du überhaupt her? Dein Zimmer ist doch in einer ganz anderen Richtung?“
Erst da erinnerte sich Draco daran, dass er ja immer noch in Harry Potters Körper feststeckte. Doch egal in welchem Körper er gerade steckte, er musste zu Pansy!
Grob rammte er einem Mädchen aus Hufflepuff, den Ellbogen in die Seite und verschaffte sich durch Drängeln, Schubsen und Verletzen einen Weg zur geöffneten Zimmertür.
Pansy wälzte sich schluchzend auf dem Boden, die Hände an ihren Ohren. Daphne war nicht zu sehen und niemand der anwesenden Schüler schien zu wissen, was zu tun war.
Für alle Anwesenden war es ein äußerst merkwürdiges Bild, was sich ihnen da bot. Harry Potter hatte sich auf Pansy gestürzt, umklammerte ihre Hände und versuchte sie zu beruhigen, doch das Mädchen wurde zunehmend panischer und deutete immer wieder wild gestikulierend auf das kleine Fenster.
Irgendwann hielt es Hermine nicht mehr aus und packte ihren Freund an der Schulter um ihn von Pansy wegzubekommen, doch als dieser sich umdrehte ließ sie ihn erschrocken los. Noch nie hatte sie so großen Hass in dessen Augen gesehen.
„Fass mich nie wieder an, Schlammblut!“, fauchte Draco und bemerkte dabei nicht, wie das Gemurmel um ihn herum verstummte und ihn alle fassungslos ansahen.
Genau in diesem Moment kam auch noch Daphne durch das Gedränge. „Und was ist eigentlich mit dir, du verlogenes Flittchen? Du solltest hierbleiben und aufpassen, dass nichts passiert, nennst du das hier aufpassen? Das Date kannst du dir echt abschminken! Sieh sie dir doch mal an, sie hat völlig den Verstand verloren und DU warst nicht da!“, brüllte Draco das arme Mädchen an und begann sie schließlich auch noch zu schütteln. „Warum kannst du nicht einfach das tun, was man dir sagt?“
Hermine sah verwirrt zwischen den beiden her, während Daphnes Gesicht einen ängstlichen Ausdruck annahm. „Draco?“
Draco wollte antworten, doch Harry Potter kam ihm in Begleitung von Trelawney und Snape dazwischen. „DU! DU! DU! DU DRECKIGER BASTARD, DU SCHWEIN! WIE KANNST DU ES WAGEN, DICH IN MICH ZU VERWANDELN UND MEINE FREUNDIN AUSZUHORCHEN? DU BIST ECHT DAS ALLERLETZTE, MALFOY! DU GEHÖRST NACH ASKABAN!“
„Jetzt sehe ich schon doppelt“, murmelte Pansy am Boden und vergaß für einen Augenblick sogar, dass sie eigentlich einen panischen Anfall hatte.
Unser schwarzhaariger Lieblingsslytherin war währenddessen äußerst blass und stumm geworden. Man hatte ihn dabei erwischt, wie er unter Einfluss von schwarzer Magie ein Mädchen aushorchte. Das sprach eindeutig gegen ihn. Außerdem war er doch jetzt volljährig.
Hilflos sah er zu Blaise hinüber, doch der tat so, als ob er mit der ganzen Sache nichts zu tun hätte.
„Ich wusste gar nicht, dass der schwarzhaarige Regelbrecher einen Zwilling hat“, bemerkte „Mrs. Davis“, die gerade zu der Gruppe hinzustieß trocken.
Entsetzt sah Professor Snape zu ihr, sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Hätte man nicht wenigstens den Lehrern einen Zauberstab mitgeben können? Wenn die Muggelfrau etwas von Magie gehört hatte, war das äußerst schlecht.
„Oh, Mrs. Davis. Warum sind Sie denn noch auf den Beinen?“, fragte er schließlich sichtlich nervös.
Bellatrix Stimme nahm einen süßlichen Ton an. „Ich bin aus demselben Grund geweckt worden wie Sie, nehme ich mal an.“ Ihr Blick wanderte zu Pansy. „Wenn’se nichts dagegen haben, kümmer ich mich um das verschreckte Mädchen.“
Draco wollte protestieren, doch seine Tante warf ihm kaum merklich einen drohenden Blick zu. Außer Hermine Granger fiel dies jedoch niemandem auf.
„Okay, das ist nett von Ihnen!“, erwiderte Snape etwas zerstreut, dann wanderte sein Blick zurück zu Draco und seine Miene verfinsterte sich. „Mr. Potter und Mr. Potters Doppelgänger! Folgen Sie mir bitte, SOFORT!“
*
„Was haben Sie sich nur dabei gedacht, Mr. Malfoy?“ Harry hatte Snape noch nie so sauer gesehen.
„Ist Ihnen überhaupt klar, was Sie da getan haben? Nicht nur, dass Sie dunkle Magie benutzt haben. Wenn Mrs. Davis nun weiß, dass wir in Wahrheit Zauberer sind, wären die Folgen wirklich fatal. Ist Ihnen klar, dass ich für Ihren Rauswurf sorgen könnte?“
Könnte. Also würde Snapes Liebling mal wieder ungestraft davonkommen.
„Aber Professor…“, begann Draco mit weinerlicher Harry-Stimme.
Snape schnitt ihm das Wort ab. „Da Sie jedoch ein intelligenter junger Mann sind, bin ich mir sicher, dass sie sich darüber im Klaren sind, was sie angerichtet haben. Außerdem war das Alles auch irgendwie Mr. Potters Schuld.“
„MEINE SCHULD?!“, empörte sich der Angesprochene.
Draco nickte sofort bekräftigend. „In der Tat.“
„WAS HABE ICH DENN JETZT SCHON WIEDER GEMACHT?!“
„Hören Sie auf herumzuschreien und leugnen Sie nicht, was sie getan haben!“
„WAS SOLL ICH IHRER MEINUNG NACH DENN GETAN HABEN?!“
„Es genügt!“, zischte der Professor. „Gehen Sie jetzt sofort in Ihr Bett, Mr. Potter und denken Sie über folgendes Wort nach: Nächstenliebe!“
„NÄCHSTENLIEBE?!“ Harry war außer sich vor Wut. Was bildete sich dieser inkompetente Lehrer eigentlich ein?
„Raus hier!“, wiederholte dieser seinen Befehl.
Harry drehte sich augenblicklich um und knallte die Tür wutentbrannt hinter sich zu.
*
„Der Vergewaltiger heißt John Walker, Draco. Er ist ein Zauberer aus Frankreich und war dort im Zaubereiministerium tätig, bis er eine junge Frau vergewaltigte und deshalb vor Gericht musste. Man hat ihn freigesprochen, aber seine Stelle verlor er trotzdem. Nachdem innerhalb kürzester Zeit zwei weitere junge Frauen behaupteten von ihm vergewaltigt worden zu sein, floh er aus seinem Land. Zuletzt wurde er in Schottland gesichtet, nun scheint er hier in England zu sein.“, berichtete Bellatrix, während sie immer wieder an ihrem Kaffee nippte.
Seit der Sache mit Ginny waren mittlerweile zwei Tage vergangen und Draco hatte zum Glück keine Strafe für sein Verhalten bekommen, auch wenn Snape ihn nach Potters Verschwinden fast schon richtig beschimpft hatte. Ein großes Problem war jedoch, dass er immer noch keinen Weg gefunden hatte, seinen eigenen Körper wiederzuerlangen. Gemeinsam mit seiner Tante hatte er es mehrmals versucht, doch er schaffte es einfach nicht. Es war nicht so, dass er zu schwach gewesen wäre oder schon zu lange in dem Körper war. Nein, es schien vielmehr so zu sein, dass seine Seele mit dem Körper verschmolzen war. Er hatte sich in dem Körper seines Erzfeindes verloren und es gab keinerlei Möglichkeit wieder er selbst zu werden.
„Ich bring diesen miesen Kerl um. Ich tu‘s ehrlich.“
Pansy war felsenfest davon überzeugt, dass sie an dem Abend ihres Anfalls durch das Fenster ein Gesicht gesehen hatte. Das Gesicht ihres Vergewaltigers. Natürlich war das reiner Unfug, schließlich befand sich ihr Zimmer im zweiten Stock und es bestand keine Möglichkeit an das Fenster zu kommen, aber davon wollte sie nichts hören.
„Du solltest zuerst einmal einen Weg finden, deine Entführer zu überlisten und Ansehen in den Todesserkreisen gewinnen.“
„Dann sag mir doch wenigstens, was mein Vater wichtiges besitzt, dann kann ich dafür sorgen, dass ihr es bekommt.“
Bellatrix schüttelte bestimmt den Kopf. „Ich kann dir nicht einfach verraten, was er besitzt. Das ist ein Geheimnis. Wichtig ist nur, dass wir es irgendwie bekommen, Draco. Wir müssen den dunklen Lord zurückholen.“ Ein Glitzern war in ihre Augen getreten. „Wir sind Todesser, Draco. Es ist unsere Pflicht dem dunklen Lord zu dienen und sein Werk zu vollenden.“
„Das weiß ich selbst“, unterbrach Draco seine Tante, doch sie ignorierte ihn.
„Wir werden den dunklen Lord zurück auf diese Welt holen und die Macht übernehmen. Wir werden die Muggel versklaven und die Schlammblüter ausrotten. Wir werden mächtig sein, Draco. Endlich wird das schmutzige Blut entfernt.“
„Das musst du mir nicht erzählen!“
„Und der dunkle Lord wird stolz auf mich sein, so stolz, weil ich Harry Potter umgebracht habe!“, schrie Bellatrix vergnügt.
Es sei denn, er brachte ihn vorher um. Ein diabolisches Lächeln trat auf Dracos Gesicht.
„Er wird stolz auf mich sein, stolz, stolz, stolz, er wird mich lieben und belohnen und alles wird wieder so wie früher!“ Mit einem irrsinnigen Lachen, bei welchem Draco von einer Gänsehaut ereilt wurde, begann sie einen Walzer durchs Zimmer zu tanzen, die linke Hand auf einer imaginären Schulter.
„Geht es dir gut, Bella?“
Anstatt eine Antwort zu bekommen, wurde Draco gepackt und durch den Raum gewirbelt. Wie er diese Frau doch hasste.
*
Währenddessen hatte Harry einen Spaziergang unternommen um sich von dem Phänomen „Draco Malfoy“ abzulenken. Ginny war natürlich nach Dracos Geständnis sofort zu ihrer Klasse zurückgeschickt worden und stand nun unter strengster Beobachtung.
An diesem ganzen Schlammassel trug nur Malfoy die Schuld. Harry wünschte sich, dass der Slytherin nie geboren worden wäre.
„Hier steckst du also!“ Stürmisch wurde Harry von Daphne Greengrass begrüßt. „Oh, Draco! Es tut mir so leid! Wirklich! Ich war die ganze Zeit über bei Pansy, ich hab sie nicht aus den Augen gelassen, ich war doch nur kurz auf der Toilette!“
Harry wollte ihr erklären, dass er nicht Draco war, doch das Mädchen plapperte einfach weiter.
„Bitte verzeih mir, Draco, das war wirklich keine Absicht!“
„Ich bin nicht…“
„Oh du bist gar nicht mehr sauer? Super, dann können wir doch endlich miteinander ausgehen, denk daran, du hast es mir versprochen, Draco!“
„ICH BIN NICHT MALFOY!“, schaffte Harry es endlich, siezu unterbrechen.
„Oh!“ Daphne lief rot an. „Tut mir leid.“
„Mir tut es aber nicht leid, nicht Malfoy zu sein“, wütete Harry. „Ich bin ziemlich froh, ich selbst zu sein! Sogar wirklich sehr froh! Ich weiß auch nicht, warum der Kerl mich dauernd auf die Palme bringt in letzter Zeit!“
„Vielleicht bist du ja in ihn verliebt!“, mutmaßteDaphne.
„WAS? DU GLAUBST, ICH SEI IN MALFOY VERLIEBT? NIE IM LEBEN!“
„Das erste Indiz für deine Liebe ist, dass du es abstreitest!“
Was mach ich hier eigentlich? Ich steh hier mit Daphne Greengrass und lass mir sagen, ich wäre in Malfoy verliebt! Das ist doch nicht zu fassen! Mag sein, dass der Kerl gut aussieht, aber ich bin definitiv nicht schwul! Was bildet sich diese Tussi eigentlich ein?
„Ich bin nicht in Malfoy verliebt und jetzt lass mich in Ruhe!“
*
Als Harry wieder zurück in die Jugendherberge kam und sein Zimmer betrat, war das erste, was er sah, dass Draco den Tarnumhang in seiner Hand hielt.
„Was tust du da, Malfoy? Das ist MEIN Umhang!“ Harry wollte ihm den Tarnumhang aus der Hand nehmen, scheiterte aber.
„Ich wollte ihn mir nur mal ansehen!“
„Das hast du ja jetzt getan, also leg ihn zurück!“
Draco faltete den Umhang langsam wieder zusammen und legte ihn zurück in Harrys Koffer.
„Woher hast du den?“
„Er gehörte meinem Vater“, erwiderte Harry knapp.
Draco nickte, runzelte dann aber die Stirn. „Ein Tarnumhang, der so lange funktioniert? Das gibt es nicht!“
„Offenbar schon, also lass mich in Ruhe!“
Draco hörte nicht auf seine Worte. „Woher hatte ihn dein Vater? Ist dir klar, dass es so einen Umhang eigentlich gar nicht geben dürfte! Woher hat er ihn?“
„Das weiß ich nicht“, sagte Harry und kniff die Augen zusammen. „Warum willst du das wissen?“
„Hast du schon einmal von den Heiligtümern des Todes gehört, Potter?“, antwortete der andere mit einer Gegenfrage.
Ahnungslos schüttelte Harry den Kopf. „Was ist das?“
„Es ist ein Märchen, Potter! Das solltest du zuerst wissen. Es ist nur ein Märchen! Manche glauben, es gibt die Heiligtümer wirklich, aber eigentlich ist es nur ein Märchen, dass man den Kindern abends erzählt, damit sie besser einschlafen. Mein Vater hat es mir immer erzählt bevor er…“ Draco brach ab. „Bis ich zu alt für Märchen wurde.“
„Dein Vater hat dir Märchen erzählt?“, wiederholte Harry ungläubig.
„Oh ja, er ist ein sehr guter Märchenerzähler gewesen“, erwiderte Draco eifrig. „Der beste von allen. Mein Lieblingsmärchen war immer ‚Babbitty Rabbitty und der gackernde Baumstumpf‘“. Der Slytherin wurde rot und fügte schnell hinzu: „Aber das ist schon sehr lange her.“
Harry versuchte sich vorzustellen, wie Lucius Malfoy seinem Sohn Märchen vorlas und musste bei der Vorstellung lachen.
„Das ist überhaupt nicht lustig! Ich bin wenigstens nicht bei Muggeln aufgewachsen!“
Harrys Lachen erstarb und er setzte sich auf sein Bett. „Erzähl!“, forderte er den anderen Jungen auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass das kommende Märchen sehr wichtig werden würde.
„Okay… Also, das Märchen handelt von drei Brüdern, die um Mitternacht die Straße entlanglaufen.“
„Warum laufen sie um Mitternacht eine Straße entlang?“
„Würdest du mich bitte nicht unterbrechen!“, fauchte Draco aufgebracht. Als Harry nichts erwidert fuhr er fort: „Es war Mitternacht und sie liefen eine Straße entlang. Doch schon bald kamen sie zu einem Fluss der tief und gefährlich war. Ein Umweg hätte aber zu lange gedauert und die Brüder waren schon müde und wollten dringend schlafen.“
„Das ist meistens so, wenn man müde ist“, bemerkte Harry sarkastisch.
Draco holte tief Luft um sich zu beruhigen und sprach weiter: „Da sie aber Zauberer waren, konnten sie einfach eine Brücke über den Fluss zaubern und so konnten sie das Wasser überqueren. In der Mitte kam ihnen allerdings der Tod entgegen.“
„Der Tod?“
„HÖR AUF ZU REDEN, WENN ICH ERZÄHLE! ES IST EIN MÄRCHEN UND IN MÄRCHEN IST EIN PERSONIFIZIERTER TOD TOTAL NORMAL!“
„Schon gut, Malfoy!“
„Der Tod sprach also zu ihnen, denn er war zornig, weil die drei Brüder ihm nicht zum Opfer fielen, aber er gratulierte den Brüdern einfach und freute sich für sie.“
„Du meinst, er tat nur so?“, erkundigte sich Harry.
„Das habe ich doch gerade gesagt.“
„Hast du nicht!“
„Sei still! Er sagte, sie hätten jeder einen Wunsch frei und der älteste Bruder wollte einen Zauberstab haben, der so mächtig war, dass er in jedem Kampf gewinnen würde. Der Tod machte ihm deshalb einen Zauberstab aus einem Elderbaum und gab ihm dem ältesten Bruder. Der zweite Bruder wollte einen Stein haben, der die Toten zurückrufen konnte.“
„Die Toten zurückrufen?“, fragte Harry leise.
„Ja“, murmelte Draco. „Der Tod gab ihm einen Stein, der…“ Abrupt brach der Slytherin ab. Wenn es möglich war, dass es den Umhang gab, warum dann nicht auch… „Ein Stein, der die Toten zurückholen konnte. Der dritte Bruder, der auch der schlauste Bruder war, wollte einen Umhang haben um sich unsichtbar zu machen. Ein Umhang, der ihm ermöglichen würde, dem Tod zu entfliehen.“
Die Blicke der beiden jungen Zauberer wanderten sofort zu dem Tarnumhang im Koffer.
„Anschließend gingen die drei Brüder weiter und trennten sich irgendwann. Der erste Bruder suchte sich einen anderen Zauberer um die Fähigkeiten des Zauberstabs zu testen und natürlich gewann er das Duell. Am Abend prahlte er dann in einem Wirtshaus mit seinem mächtigen Zauberstab und in derselben Nacht wurde er erstochen.“
„Du hast wirklich eine Begabung dafür, Geschichten zu erzählen, Malfoy!“, bemerkte Harry mit einem spöttischen Grinsen.
Draco erhob seine Stimme. „Der zweite Bruder ging nach Hause und holte seine vorzeitig verstorbene Verlobte von den Toten zurück. Die war aber schon zu lange tot und fühlte sich fehl am Platz in der Welt der Lebendigen. Der zweite Bruder beging also Selbstmord, um wirklich bei seiner Liebsten zu sein.“
„Wie romantisch“, meinte Harry mit einem leisen Seufzen.
„Wie bitte?“, fragte Draco ungläubig.
„Gar nichts, mach ruhig weiter!“, antwortete Harry schnell und verbarg sein tomatenrotes Gesicht in seinen Händen.
„Obwohl der Tod die beiden anderen Brüder sehr schnell zu sich geholt hatte, konnte er den dritten Bruder nie finden. Irgendwann im hohen Alter legte er den Umhang ab und trat dem Tod freiwillig entgegen, um unsere Welt zu verlassen.“
Eine kurze Stille füllte den Raum, dann wagte Harry wieder zu sprechen. „Du glaubst, dass mein Tarnumhang der Umhang des dritten Bruders ist. Ein Heiligtum des Todes.“
Draco nickte. „Ein Umhang, der dauerhaft unsichtbar macht.“
Der Gryffindor zögerte einen Augenblick, dann fragte er: „Meinst du die anderen beiden Dinge existieren auch? Meinst du, es gibt den Stein, der die Toten zurückholt?“ Harry dachte an seine Eltern. Er könnte sie zurückholen.
„Das wäre möglich“, erwiderte Draco unruhig. „Aber Potter… Der Stein… Er würde die Toten nicht wirklich zurückholen,denkst du nicht auch? Also vergiss dein Vorhaben gleich wieder! Deine Eltern sind tot. Es ist besser, wenn sie es auch bleiben! Man sollte die Toten nicht zurückholen. Niemanden sollte man zurückholen. Das wäre nicht richtig und es würde dir nichts nutzen, denn sie wären ja nicht wirklich da.“
„Ja, aber wenn…“ Harry brach ab. „Bist du gerade in meine Gedanken eingedrungen?“
„Das mache ich dauernd. Es ist nützlich. Obwohl deine Gedankengänge manchmal ziemlich verquert und verwirrend sind.“
„Hör auf damit!“ Verzweifelt versuchte Harry, seine Gedanken vor Draco zu schützen, doch er schaffte es nicht. „Das ist nicht gerecht! Außerdem ist Legilimentik illegal.“
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