von Angel-Poison
Das Monster im Badezimmer
„34… 35… 36… 37! Das müsste unser Zimmer sein.“
Harry griff nach dem alten Griff und riss die Tür schwungvoll auf.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du zählen kannst, Potter!“, meinte Draco trocken. Er wollte hinzufügen, dass Potter vermutlich Jahre dafür gebraucht hatte, doch bei dem Anblick des Zimmers blieben ihm die Worte im Hals stecken.
In der Mitte des Zimmers stand ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen.Alles war nur spärlich beleuchtet, denn durch das kleine, vergitterte Fenster in der linken Ecke kam nur wenig Mondlicht herein.
Draco erkannte ein Holzbett ohne Matratze mit einer grauen Decke darauf, welche aussah, als wäre sie von einem Blinden selbst gehäkelt worden, direkt neben dem Fenster und ein weiteres hinter dem Tisch.
Als er seinen Blick nach rechts schweifen ließ, konnte er zwei Schränke sehen und eine kurze Erleichterung breitete sich in ihm aus. Zumindest gab es Platz für seine Sachen.
Zwischen den Schränken und dem zweiten Bett befand sich eine schmale Tür und Draco beschloss bei dem Anblick der Spinnennetze, die sich am Türrahmen befanden, dass er Heimweh hatte.
„Das soll unser Zimmer sein?“, krächzte er verzweifelt.
Anhand Harrys entsetztem Gesichtsausdruck stellte er fest, dass sogar dieser wohl bessere Verhältnisse gewohnt war.
Draco erinnerte sich kurz an die Ansprache von Mrs. Davis zurück, die sie im düsteren Esszimmer gemacht hatte. Um acht Uhr wäre Bettruhe und für die Sauberkeit in seinem Zimmer hätte jeder selbst zu sorgen. Außerdem gäbe es um sieben Uhr Frühstück und jedes Zimmer hätte hin und wieder Küchendienst zu leisten. „Das klingt ja sehr vielversprechend“, hatte Draco sarkastisch bemerkt und die blonde Schönheit hatte ihn mit einem so kalten Blick gemustert, dass seine Unnahbarkeit einen Moment zerbrochen war und sich Angst auf seinem Gesicht abzeichnete. Diese Frau hatte etwas an sich, was Draco erschaudern ließ. Sie kam ihm bekannt vor, aber er wusste nicht woher.
„Willst du hier Wurzeln schlagen, Malfoy?“, fragte Harry ihn mit einem Gesichtsausdruck, den man fast schon belustigt nennen konnte.
Wortlos schob sich Draco mit seinen vier Koffern an ihm vorbei, betätigte den Lichtschalter und betrat das Zimmer.
„Ich nehme das Bett neben dem Fenster, Potter!“, entschied er in schneidendem Tonfall.
Mit einem tiefen Seufzen fügte sich Harry und warf Dudleys alten, beigen Wanderrucksack auf das Bett hinter dem Tisch. Warum passierte so etwas immer nur ihm? Warum nicht Hermine? Oder Ron?
Wütend ließ er sich auf das steinharte Bett fallen und bereute dies sofort wieder. Der Aufprall tat weh und ein brennender Schmerz machte sich in seinem linken Knöchel bemerkbar.
Harry verzog das Gesicht,doch ihm entging dabei nicht das spöttische Grinsen, welches Draco ihm zuwarf. Ärgerlich beobachtete er, wie der Slytherin sich graziös auf das Bett setzte und dann seine Beine übereinanderschlug.
Für einen kurzen Augenblick war es still, dann musste Harry gähnen und die beiden beschlossen nun endlich ins Bett zu gehen.
*
Es stellte sich heraus, dass hinter der schmalen Tür das Badezimmer verborgen war und sie entschieden, dass sich abends zuerst Draco bettfertigmachen durfte und dann Harry, dafür aber morgens umgekehrt.
Harry saß gerade auf einem der Stühle und wartete darauf, dass sein Zimmergenosse endlich fertig wurde, als er plötzlich einen gellenden Schrei aus dem Bad hörte.
„HILFE! HILFE! POTTER, EIN MONSTER! ES WILL MICH FRESSEN!“
Für einen kurzen Augenblick spielte Harry mit dem Gedanken einfach sitzen zu bleiben und den arroganten Möchtegern-Todesser seinem Schicksal zu überlassen, doch Dracos Schreie wurden immer panischer, sodass er sich letztendlich doch dazu überwindete und die Tür aufstieß, hinter der sein Lieblingsfeind offenbar um sein Leben kämpfte.
„Was ist denn los, verdammt?“
„DA! SIEHST DU ES? ES IST SCHWARZ UND HÄSSLICH UND HAT EINEN SCHWANZ!“
„Malfoy, ehm, das ist ein Föhn…“
„IST MIR EGAL, WIE DAS MONSTER HEISST, DU SOLLST ES TÖTEN!“
„Malfoy, man muss einen Föhn nicht töten, das ist ein ganz harmloses Gerät!“
„DAS KANNST DU DEINER TOTEN OMA ERZÄHLEN UND JETZT MACH ES WEG!“
„Aber ein Föhn ist nützlich, wir brauchen ihn und…“
Mit einem hysterischen Aufschrei stürzte sich Draco auf den Föhn und schmiss ihn zu Boden.
„Malfoy, mach ihn bloß nicht kaputt!“, versuchte Harry ihn verzweifelt an der Sachbeschädigung zu hindern. „Sieh mal, man macht sich damit die Haare trocken!“
Draco feuerte den Föhn gegen die Wand.
„NIMM DAS, DU FEIGLING! DU GLAUBST, DU KANNST DICH MIT DRACO MALFOY ANLEGEN? TJA, FALSCH GEDACHT, ICH VERARBEITE DICH ZU STAUB!“
Er begann auf dem Föhn herumzutrampeln und der Föhn, der eine solche Beschädigung einfach nicht ertragen konnte, zersprang in mehrere Einzelteile.
Auf Dracos Lippen schlich sich ein zufriedenes Lächeln. „Ich habe es erledigt!“, sagte er stolz.
„Jaah, super gemacht!“ Harry war zum Heulen zumute.
*
In Zimmer 23 wälzte sich Neville Longbottom unruhig hin und her. Er konnte nicht einschlafen und musste immer wieder an das Ortsschild und Blaises Kommentar zurückdenken.
Er sah zu dem anderen Bett hinüber, in welchem Ron friedlich schnarchte. Der hatte es gut!
Aus der oberen Etage hörte man gedämpfte Schreie, doch Neville konnte nicht sagen, wer da schrie und schon gar nicht was gesagt wurde. Die Wände waren wohl dicker als vermutet.
Plötzlich vernahm er Schritte direkt vor der Zimmertür. Erstarrt richtete er sich auf. Jetzt holten sie ihn! „Mörder… Möörder… Möööörder… MÖÖÖÖRDER!“, rumorte es laut in seinem Kopf.
„Ron?“, flüsterte er und blickte zu dem anderen herüber. Als Antwort erhielt er ein Schnarchen.
Die Tür öffnete sich.
Er erkannte zwei schwarzgekleidete Gestalten mit silbernen Masken im Türrahmen.
Todesser!
Neville schrie.
Mit schnellen Schritten kam die größere von beiden auf ihn zu und legte ihm eine eiskalte Hand auf den Mund, welche den Schrei erstickte.
Neville versuchte die Hand abzuschütteln, doch der Todesser drückte ihn zurück auf das Holzbett, welches beinahe unter der großen Belastung nachgab.
„Neville Longbottom!“, hauchte ihm der Angreifer mit dunkler Stimme ins Ohr.
Neville quiekte.
„Lasst mich in Ruhe… Bitte… Ich will nicht sterben…“, ertönte seine Stimme kaum hörbar unter der Hand hervor.
„Hör mir zu… ich… ich kann das nicht!“, erklang plötzlich die Stimme des anderen Todessers an der Tür. Er drehte sich um und verschwand auf leisen Sohlen.
Neville hatte gehofft, dass der andere, der ihn immer noch schraubstockartig gefangen hielt, nun auch gehen würde, doch dem war nicht so.
„Jetzt gehörst du wohl mir allein. Ist mir sowieso viel lieber so“, murmelte die Gestalt über ihm.
Neville erinnerte sich erneut an das, was Blaise Zabini gesagt hatte und ein Schluchzen entkam seiner Kehle.
Er fühlte wie er noch härter auf das Bett gedrückt wurde und dann die Knie auf seinen Oberschenkel.
„Was mach ich nur mit dir? Was mach ich nur mit dir?“, fragte sich der Todesser und Neville war sich sicher, hätte er diese Maske nicht auf, würde nun ein diabolisches Grinsen über sein Gesicht huschen.
Neville begann zu weinen. Erst nur leise, dann immer lauter. „Bitte! Lassen Sie mich in Ruhe! Ich bin doch noch so jung, ich will nicht tot sein!“
*
Zuerst überlegte Blaise Zabini, ob er jetzt nicht doch lieber verschwinden sollte, als Neville anfing zu weinen, doch dann entschied er sich dagegen.
„Ey, Longbottom, ich bin es doch nur! Blaise Zabini! Jetzt mach dir nicht gleich in die Hosen!“
Neville erstarrte. Zabini? Oh Gott, er hätte es wissen müssen!
„Beweis es!“, verlangte er dennoch.
Blaises Finger legten sich langsam an seine Maske. Bis jetzt hatte Longbottom noch nichts gegen ihn in der Hand. Er könnte genauso jemand anderes sein. Aber als er wieder in Nevilles verweintes Gesicht blickte, riss er sich die Maske ruckartig vom Gesicht.
„Du verrätst mich doch nicht, oder?“, fragte er leise und setzte einen bittenden Blick auf.
Neville sagte nichts.
„Longbottom, die werfen mich raus, wenn du denen erzählst, dass ich in einem Muggelhaus mit Todessermaske rumlaufe!“
Blaises Hand griff nach Nevilles Kinn, schob so dessen Kopf nach oben und zwang ihn ihm in die Augen zu sehen.
Neville kämpfte mit sich selbst. Sein Verstand und sein Gryffindorstolz brüllten ihn an, er solle Zabini in seine freche Fresse hauen und dann zu Trelawney zu gehen, während sein gutmütiges Herz Blaise auf der Stelle verzeihen wollte.
Blaise spürte, dass der Gryffindor mit sich rang und mit der weichesten Stimme, die er aufbringen konnte, flüsterte er ihm ins Ohr: „Es tut mir wirklich leid, Neville!“ Es kostete ihn große Überwindung den Vornamen seines Gegenübers zu benutzen. „Ich weiß jetzt, dass ich nicht richtig gehandelt habe, ich werde nie wieder so gemein zu dir sein, versprochen! Kannst du mir nochmal verzeihen?“
Nevilles Stolz verlor den Kampf und er presste sein nasses Gesicht an Blaises Schulter.
*
„Er hat einen Föhn kaputt gemacht?“ Hermine Granger war entsetzt.
„Was ist ein Föhn?“, fragte Ron interessiert.
„Ja, hat er!“, antwortete Harry und ignorierte Rons Frage. „Und als er dann endlich kapiert hat, dass er sich eigentlich in keiner Gefahr befand, ist er zu Snape gerannt und hat behauptet, ich würde die Zimmereinrichtung zerstören!“
Die drei Gryffindors befanden sich beim Frühstück und Harry gönnte sich gerade eine ordentliche Portion Müsli mit Himbeersirup.
„Was hat Snape gesagt?“
„Ich müsste den Schaden bezahlen und dürfte heute nicht an den See.“
Ron verschluckte sich an seinem Toast. „Was? Das kann er nicht machen, ich meine, du bist unschuldig!“
„Als ob Snape das interessieren würde. Wir sind erst ein paar Stunden hier und schon halte ich es nicht mehr aus. Malfoy macht mich echt krank! Ich hasse ihn!“
Er warf dem Blonden einen bösen Blick zu, welcher aber nicht erwidert wurde, da Draco gerade mit Daphne Greengrass eine erregte Diskussion über Muggelgeräte führte.
*
Draco fühlte sich schlecht.
Er lag gerade mit Pansy und Blaise am Ufer des Sees und konnte sich aber absolut nicht daran erfreuen. Seine Gedanken kreisten um Harry Potter.
Natürlich hasste er diesen Kerl und das würde er für immer und ewig tun, aber trotzdem brannte sich ein Gefühl durch seine Adern, das ihm sagte, dass es nicht richtig war, ihn immer für seine eigenen Fehler zu bestrafen.
Dabei war es ja eigentlich Potters Schuld gewesen, oder? Hätte der von Anfang an gesagt, zu was ein Föhn zu gebrauchen war, hätte er natürlich nicht auf dem Gerät herumgetrampelt. Also war es eindeutig Potters Schuld . Warum bemitleidete er den Schwarzhaarigen dann?
Bemitleiden? Hatte er gerade gedacht, er würde Harry Potter bemitleiden? Natürlich tat er das nicht! Das war doch lächerlich.
Potter hatte es verdient, nicht mit an den See zu dürfen.
Draco wollte zurück zur Jugendherberge.
Natürlich nicht, weil er irgendjemanden bemitleidete, sondern weil ihm langweilig war. Das hatte wirklich rein gar nichts damit zu tun, dass er sich wegen Potter schlecht fühlte. Das wäre schließlich völlig absurd. Er fühlte sich doch nicht schlecht.
Ihm war nur langweilig.
„Kommst du mit ins Wasser?“, unterbrach Pansy seine Gedankengänge.
„Ich glaube, ich gehe zurück zur Jugendherberge!“
„Warum? Ist dir nicht gut?“, forschend sah Blaise ihn an.
„Nein, ich will einfach nicht mehr hier sein, okay?“
„Aber wir sind doch erst seit vierzig Minuten hier.“ Pansy sah ihn bettelnd an.
„Tut mir leid, aber ich will jetzt wirklich zurück!“
Und so machte sich Draco auf den Rückweg. Er fand die Straße zur Jugendherberge schnell wieder, aber kurz bevor er das Haus erreichte, kam ihm ein blonder hochgewachsener Mann entgegen mit einer auffällig langen Narbe im Gesicht.
Draco wusste nicht, dass der Mann John Walker hieß. Er wusste nicht, dass er drei Kinder hatte und eine Ehefrau. Er wusste nicht, dass John in der Schule immer Klassenbester und der Liebling der Lehrer war. Er wusste nicht, dass der Mann eigentlich aus Frankreich kam und nur wenig Englisch sprechen konnte.
Und Draco wusste nicht, was John in drei Stunden tun würde, aber hätte er es gewusst, hätte er ihm nicht zugenickt, sondern ihn krankenhausreif geprügelt.
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