von Pensively
Kapitel 19 – Vom Klemmen der Tür
Pünktlich um kurz vor zwanzig Uhr stand Hermine vor der schweren Holztür zu den Räumen ihres Professors. Die Tür war so massiv, dass sie undurchdringlich schien, die Gemächer dahinter unerreichbar. Ebenso unerreichbar wie der Mann, der dort lebte. Hermine sah auf ihre Uhr. Noch zwei Minuten. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und versuchte sich zu entspannen. Sie schloss für einige Momente die Augen. Was auch immer sie gleich erwartete; sie durfte es nicht vermasseln. Noch zwölf Sekunden. Sie spürte, dass ihre Hände feucht waren. Ein letztes Mal atmete sie aus und hob dann die Hand, um sich durch ein Klopfen bemerkbar zu machen.
Die Tür schwang, knarrend, wie von selbst auf. Aus dem Innern drang eine Stimme, seine Stimme: „Auf die Sekunde genau, Miss Granger.“ Vorsichtig trat sie ein. Der Raum war dunkel, nur das Licht einiger schwebender Kerzen spendete ein wenig Helligkeit; gerade so viel, dass man alles nötige erkannte. Snape saß an seinem Schreibtisch, der ebenso massiv schien wie die Tür, vor der Hermine eben noch gestanden hatte. Unwillkürlich blieb sie stehen, bemerkte gar nicht, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, und sah ihn an. Er hatte den Blick nicht erhoben, blickte stattdessen abwesend auf irgendetwas auf seinem Schreibtisch. Seine Züge wirkten im Kerzenschein ungewöhnlich weich. Auf seiner Stirn zeigte sich eine Falte. Offensichtlich war er in Gedanken versunken. Ihr Blick huschte zu seinen Händen, die jeweils die beiden Enden seines langen Zauberstabs hielten und diesen zwischen seinen Fingern drehten. Seine Finger waren ebenfalls lang und schmal. Wie oft war Hermine das aufgefallen. Doch diesmal schienen seine Hände noch schöner. Vielleicht lag das am Licht …
„Wollen Sie da Wurzeln schlagen, Granger, oder setzten Sie sich endlich?“ Er sah sie jetzt an und deutete ungeduldig auf einen der beiden Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen.
Hastig setzte sie sich. Der Stuhl war weich gepolstert. Nervös faltete sie die Hände in ihrem Schoß.
Dann traf ihr Blick den des Professors. Er sah sie einen Moment lang an. „Nun, Miss Granger, ich will sofort zur Sache kommen. Sie sind hier, um zusätzliches Wissen über die Kunst der Zaubertrankbrauerei zu erhalten. Wissen, das Ihnen im Unterricht nicht gelehrt wird. Und das hat seine Gründe. Ich erwarte von Ihnen, dass alles, was Sie bei mir lernen, nicht nach Außen getragen wird.“ Er machte eine Pause und blickte seine Schülerin fest an. „Dumbledore vertraut Ihnen und ich hoffe, dass ich das auch kann.“ Hermine antwortete sofort: „Ja, Professor. Sie können sich auf mich verlassen.“ „Das hoffe ich für Sie.“ Diese Bemerkung versetzte ihr einen kleinen Stich, doch sie ließ sich nichts anmerken. „Des Weiteren ist es von großer Bedeutung, dass Sie auf sämtliches Wissen aus dem gewöhnlichen Unterricht Zugriff haben, ansonsten werden Ihnen diese Zusatzstunden nichts bringen.“ Hermine nickte eifrig und versuchte sich nicht darüber zu ärgern, dass Snape etwas anderes für möglich hielt. Sie war nicht umsonst Klassenbeste. Er übersah dies und fuhr fort: „Ich betone nochmals: Alle Notizen, die Sie sich machen, dürfen nicht in die Hände anderer Schüler geraten!“ „Natürlich.“ Eine weitere Pause entstand, in der Snape sie aufmerksam musterte. Dann erhob er sich aus seinem Lehnstuhl und ging zum Fenster. Sie folgte seinen Bewegungen. Unwillkürlich empfand sie ein Gefühl von Erregung. Merlin, dachte sie. Er ist einfach scharf …
Seine tiefe Stimme, die das Gefühl in ihr nur noch verstärkte, erklang erneut: „Es gibt zwei Möglichkeiten wie wir an die Sache heran gehen.“ Hermine schluckte bei dem Wort wir. „Sie können sagen, dass ich den Unterrichtsplan gänzlich vorgebe. Ich möchte Ihnen jedoch die Alternative anbieten, dass Sie selbst den Stoff bestimmen.“ Er drehte sich um. Sie konnte sein Gesicht kaum erkennen, da er im Halbdunkel stand. Er schien sie jedoch anzusehen. „Das würde so aussehen, dass ich Ihnen zunächst einige Bücher zur Verfügung stelle. Sie werden nicht alles verstehen und genau da könnten wir anknüpfen.“ Die Bedeutung seiner Worte war weich, seine Stimme jedoch immer noch Snape-like. Hermine nickte. „Das wäre großartig.“ Sie war ernsthaft interessiert an diesem Angebot.
Snape ging zu einem der unzähligen Bücherregale in seinem Büro. Es sah aus als würde er schweben, da seine Robe so lang war, dass man seine Schritte nicht sah. Er schien genau zu wissen, wonach er suchte: Ihr Lehrer entnahm dem ersten Regal zwei Bücher, eines weit oben und das andere in der Mitte. Aus einem zweiten nahm er ein weiteres Buch. Er kam zum Schreibtisch zurück und stapelte sie vor seiner Schülerin. Sie sahen sehr schwer aus. „Das dürfte für den Anfang genügen“, kommentierte er. „Und ich erwarte, dass Sie diese Werke gut verwahren.“ „Natürlich“, entgegnete das Mädchen. „Ich werde angemessen damit umgehen.“ „Und“, fuhr Snape fort, „Sie dürfen nicht an Ihre Mitschüler gelangen. Auch nicht an Potter und Weasley, verstanden? Äußerste Diskretion, Miss Granger!“ „Natürlich, Professor.“
Professor Snape hatte sich mit den Händen auf der Tischplatte abgestützt und sich Hermine bedrohlich entgegen gebeugt. Jetzt entspannte sich seine Haltung. Langsam ließ er sich in seinen Sessel zurück sinken. „Haben Sie noch Fragen, Granger?“ „Nein. Nein, Professor.“ Hermine spürte, dass er sie gleich entlassen würde. Unter anderen Umständen wäre sie froh darüber gewesen, doch die Umstände hatten sich in den letzten Wochen drastisch verändert. Das Problem war, dass sie nicht gehen wollte. Noch nicht …
„Gut“, sagte er und sie hörte seine Stimme laut und deutlich, obwohl es kaum mehr als ein Flüstern war. Sie fragte sich, wie schon so oft, wie er das schaffte. „Dann würde ich vorschlagen, dass Sie sich noch heute Abend dem Studium dieser Bücher widmen oder zumindest einem.“ Mit einer schlanken Hand schob er die beiden obersten Bücher vom untersten herunter. Es war dünnste; falls von dünn überhaupt die Rede sein konnte. „Wie sieht es mit morgen Abend aus? Wenn Sie sich bis dahin einen Überblick verschaffen konnten, würde ich die nächste Stunde für einundzwanzig Uhr ansetzen.“ Hermine war überrascht darüber, dass er ihr die Wahl zu lassen schien. So kompromissbereit wie an diesem Abend hatte sie den Professor selten, oder gar noch nie, erlebt. „Ehhh“, stammelte sie. „Ja, ja, natürlich.“ Mehr brachte sie nicht hervor.
„Gut. Dann sind Sie entlassen.“ Neeeein. Sie wollte hier bleiben. Sie starrte auf ihre Hände, die sich in ihrem Schoß verkrampften. Hermine wollte den ganzen Abend bei ihrem Professor bleiben und sich mit ihm unterhalten. Ganz egal, worüber. Und wenn es ein Gespräch über den Morgenrock des Schulleiters wäre; Hauptsache, sie konnte seiner dunklen Stimme lauschen.
„Miss Granger?!“ Vorsichtig sah sie hoch und ihre haselnussbraunen Augen trafen seine schwarzen. Ein Blitz schien ihren Körper zu durchzucken. Ihre rechte Hand drohte ihr linkes Handgelenk zu zerquetschen, doch das bemerkte sie nicht. Der Mann ihr gegenüber hatte eine Augenbraue hochgezogen und sah sie irritiert an. „Haben Sie noch Fragen, Miss Granger?“ Eine Spur von Ungeduld schwang in seiner Stimme mit.
Hermine wurde bewusst, was sie hier tat. Sie hielt ihren Lehrer von der Arbeit ab, indem sie ihn mit ihrer gryffindorschen Anwesenheit belästigte. Sie verkrampfte sich und zwang sich, aufzustehen. Hermine spürte, dass sein Blick ihren Bewegungen folgte. „Danke, Sir“, brachte sie hervor, jedoch ohne ihn anzusehen. Dann ging sie wie in Trance zur Tür und stieß sie offen. Das heißt, sie versuchte, die Tür zu öffnen, doch es ging nicht. Verdammt, fluchte sie in sich hinein. Verwirrt rüttelte sie am Türring, doch es tat sich nichts. War sie jetzt allen Ernstes zu blöd, eine Tür zu öffnen? Zugegeben, sie war schwer. Aber nicht so schwer! Gleich wird er mich anfahren, gleich wird er die Geduld verlieren, dachte Hermine nervös und ihre Hände wurden immer feuchter.
„Miss Granger“, hörte sie seine Stimme. Verdammt. „Professor, ich … Die Tür. Sie klemmt; ich weiß nicht genau - “ „Miss Granger.“ Unsicher wandte sie sich um. Professor Snape saß nach wie vor hinter seinem Schreibtisch, die Ellenbogen darauf abgestützt, die Hände vor seinem Gesicht gefalten. Er sah sie nicht an. „Warum weinen Sie jetzt?“
„Ich - “ Sie berührte ihre Wangen und stellte erschrocken fest, dass er Recht hatte. Hastig wischte sie die Tränen mit den Fingern weg. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie angefangen hatte, zu weinen.
„Miss Granger, setzten Sie sich.“ Hermine wusste nicht, was sie von dieser Aufforderung halten sollte. „Professor, ich … Es geht - “ „Setzen Sie sich!“, wiederholte er, die Augen immer noch geschlossen. Als sie sich setzte, öffnete er diese und blickte sie fest und emotionslos an.
„Es ist nicht in Ihrem Sinne, diese Stunden zu machen, richtig? Sie tun das nur um Dumbledores willen.“ Hermine klappte im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade herunter. Sie war so verblüfft von dieser Feststellung. Von dieser absolut falschen Feststellung. Scheinbar gelangweilt fuhr der Professor fort: „Ich habe den Eindruck, dass das Problem bei meiner Person liegt. Habe ich Recht?“
„Nein!“, rief Hermine empört. „Eh, ich meine nein. So ist es nicht.“ Wieder die Augenbraue. „Wie denn dann, Miss Granger?“ Hermine antwortete abrupt: „Anders.“ Eine kurze Pause trat ein und dann sagte er: „Anders. Ach so.“ Wäre Ironie fettig, hätte sein Kommentar wahrscheinlich vor Fett getrieft. „Professor, ich bin Ihnen wirklich dankbar und - “ Er hob eine Hand. „Bitte nicht diese Sentimentalität, Granger. Es reicht, wenn sie jedes Mal, wenn ich Ihnen über den Weg laufe, anfangen zu plärren. Und das ist mir Antwort genug auf die Frage, ob sie ein Problem mit mir als Ihr Lehrer für diese Zusatzstunden haben. Und jetzt widersprechen Sie mir nicht!“ Hermine schluckte. Er hatte die ganze Situation wirklich vollkommen falsch interpretiert. „Professor, ich - “, sie brach ab als sie seinen bedrohlichen Blick bemerkte, fasste dann jedoch den Mut von Neuem und fuhr fort: „Es stimmt nicht. Ich plärre nicht, weil ich Sie nicht will.“ Sie bemerkte die Doppeldeutigkeit. Ich plärre, weil ich Sie will, aber nicht haben kann, fügte sie stumm hinzu. Sein Gesichtsausdruck, mit dem er seine Schülerin musterte, verriet alles: Er glaubte ihr kein Wort. „Professor! Glauben Sie mir. Das ist nicht der Grund!“ Glauben Sie mir? Ja, klar. Er war ein Slytherin und würde bestimmt nicht irgendetwas glauben, ohne konkrete Beweise zu haben. Sie dachte angestrengt nach wie sie ihn überzeugen konnte. Am Ende würde es noch darauf hinaus laufen, dass er den Unterricht abbrach und sie ihn nur noch in Zaubertränke sah, wenn er Neville zur Sau machte. Zaubertränke! Ihr kam ein Gedanke. „Professor, Sie dürfen mich gerne nochmal unter dem Einfluss von Verita Serum fragen, wenn Sie mir anders nicht glauben.“
Professor Snape schien ernsthaft beeindruckt. Er hatte seine Züge jedoch schnell wieder unter Kontrolle. „Also gut. Ich denke, so weit brauchen wir es nicht kommen lassen.“ Na, los. Sagen Sie es schon: 'Ich glaube Ihnen'. Er musterte seine Schülerin erneut eindringlich und sagte dann: „Sie dürfen gehen.“ Enttäuscht stand Hermine auf, bedankte sich nochmals und ging Richtung Ausgang. Auf halbem Wege blieb sie jedoch stehen. „Aber Ihre Tür … Sie klemmt und - “ „Ich vergaß“, murmelte er. Dann schwang er seinen Zauberstab und ein leises Klicken war zu hören. Hermine schritt an das massive Holz heran und drückte. Die Tür schien federleicht.
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