von Pensively
Kapitel 18 – Gefühle, die ich nicht haben sollte.
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„Hermine?“
Sie atmete einmal tief aus. Nicht jetzt. Sie wollte doch einfach ihre Ruhe.
„Hermine!“ Jemand berührte ihren Arm. Sie öffnete die Augen, hob den Kopf.
„Harry“, murmelte sie erschöpft. Sie saß immer noch an ihrem Lieblingstisch am Fenster in der Bibliothek und Harry saß ihr direkt gegenüber und musterte sie besorgt. Er lächelte sie traurig an. „Sitzt du schon lange da?“, fragte sie.
„Etwa zehn Minuten.“ „Du hättest mich ruhig eher aufwecken können.“ Er nickte. „Ich weiß.“ Dann trat Stille ein. Hermine sah aus dem Fenster. Dicke Schneeflocken wurden vom Wind umhergeschleudert. Harry nahm ihre Hand in seine und drückte sie fest. Sie sah ihn an. Seine grünen Augen verrieten (im Gegensatz zu denen einer gewissen anderen Person) eine Menge. Sorge, Traurigkeit, Unsicherheit …
„Hermine“, flüsterte er. „Was ist los mit dir?“ Hermine senkte den Kopf. Eine stille Träne suchte sich den Weg über ihre Wange. Sie überlegte, ob sie sie wegwischen sollte. Dann würde Harry aber ganz gewiss darauf aufmerksam werden. Stattdessen hoffte sie einfach, dass er sie nicht sah. „Hermine“, sagte er noch einmal. Er hob sanft ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste. Und dann konnte sie sich nicht mehr zurück halten. Die Tränen flossen eine nach der anderen über ihr Gesicht. Sie schloss die Augen als könnte dies den Tränenfluss stoppen, doch es nütze alles nichts. Sie begann zu schluchzen. „Hermine!“, rief Harry und jetzt war die Sorge eindeutig in seiner Stimme zu hören. Er stand auf, kam um den Tisch herum und zog sie von ihrem Stuhl hoch, nahm sie in den Arm. Hermine hielt sich an ihm fest, legte ihr Gesicht auf seine Schulter und weinte. Und es hörte nicht auf. Doch es tat ihr gut. Harry verstärkte den Druck seiner Arme, strich ihr mit einer Hand sanft übers Haar.
„Oh Harry!“, schluchzte sie. „Ich … ich weiß es doch nicht.“ „Alles wird gut, Hermine.“ Hermine war ihrem Freund dankbar, dass er sie einfach nur festhielt und keine dummen Fragen stellte. Sie liebte ihn dafür. Dennoch wurde ihr Schluchzen immer lauter. Sie wusste nicht, ob sie nun aufgrund der Tatsache weinte, dass sie nicht wusste, was sie für Professor Snape fühlte, oder ob sie einfach so gerührt darüber war, einen Freund wie Harry zu haben.
„Was zur – “ Die offensichtlich aufgebrachte Frau unterbrach sich selbst als sie Hermine und Harry sah. Harry und Hermine lösten sich voneinander. „Madame Pince“, murmelte Harry. „Ich hörte … Verzeihung, ich wusste nicht … “, versuchte sie sich zu erklären. „Wir wollten sowieso gerade wo anders hingehen“, erklärte Harry, fasste Hermine an der Hand und zog sie mit sich aus der Bibliothek.
Hermine hatte keine Ahnung, wo Harry mit ihr hin wollte, aber es spielte für sie ebenso wenig eine Rolle wie die verdutzten Gesichter einiger entgegenkommender Schüler, die sie anstarrten. Inzwischen hatte sie aufgehört zu weinen, doch die Tränen auf ihrer Haut waren noch nicht getrocknet und ihre Augen gerötet.
Als sie um eine Ecke bogen, rannten sie gegen eine Person, die entweder dort gestanden hatte oder ebenfalls abbiegen wollte.
„Himmel, Potter! Was um Himmels - “, rief Professor McGonagall empört. „Miss Granger?!“, fragte sie unsicher als sie Hermine sah. „Verzeihung“, murmelte Harry und zog sich den Umhang zurecht. Die Hauslehrerin der Gryffindors überhörte ihn. „Miss Granger, was … Ich meine, was ist passiert?“ Unter anderen Umständen hätte Hermine sich wahrscheinlich selbst geohrfeigt: Jetzt sahen innerhalb von zwei Tagen gleich zwei Lehrer sie heulend und aufgelöst.
Sie stotterte: „Ich … es ist nur … also - “ „Hermine, komm … Professor?“, Harry nickte der verdutzt und besorgt dreinblickenden Lehrerin zu und zog Hermine wieder mit sich.
Hermine blickte während des gesamten Spaziergangs durchs Schloss betreten zu Boden, weshalb sie fast überrascht war als Harry sie vor dem Portraitloch zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors zum Halten brachte. Er nannte der fetten Dame das Passwort, die Hermine nicht minder irritiert anstarrte als ihre Hauslehrerin zuvor und sie traten ein. Im Gemeinschaftsraum war es verhältnismäßig leer. Die meisten hatten Unterricht. „Hermine, schaffst du es selbst deinen Mantel zu holen?“, fragte Harry. Hermine hatte keine Ahnung, warum sie jetzt ihren Mantel brauchte, aber es war unwichtig. Sie nickte, doch auch das spielte keine Rolle, denn der Schwarzhaarige stieg bereits die Treppe zu den Schlafsälen hoch. Also stand Hermine hilflos im Raum und starrte ihre Schuhe an.
„Hermine?“ Sie blickte auf. Neville saß auf dem Sofa am Kamin und musterte sie.
„Was ist los?“ Als Hermine nicht antwortete, sondern nur den Kopf schüttelte, fragte er: „Willst du dich zu mir setzen?“ Hermine war dankbar, dass er nicht weiter fragte und schlurfte zu ihm herüber. Einige Minuten saßen sie schweigend nebeneinander. Dann räusperte Neville sich. „Sag mal, Hermine? … Ich … ich glaub ich hab mein Zaubertränkebuch letzte Stunde fallen gelassen. Luna sagt, dass du es hast. Ich weiß nicht, ob das stimmt … Luna behauptet ja öfter irgendwelche Dinge, von denen sie selbst nicht weiß, ob …“ Nevilles Worte drangen zwar in Hermines Ohr, dennoch nahm sie sie nicht wirklich wahr. Hermine war mit ihren Gedanken wo anders …
„… Bitte, bitte sag, dass du es hast, Hermine! Professor Snape bringt mich um!“ Beim Namen ihres Zaubertränkeprofessors wurde sie hellhörig. „Bitte? Entschuldige, Neville. Was hast du gerade gesagt?!“ Neville schien überhaupt nicht überrascht, dass Hermine ihm nicht zugehört hatte. Er wiederholte geduldig und verständnisvoll: „Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du meine Buch hast. Für Zaubertränke. Luna meinte, dass - “ „Oh! Ja! Klar, das hab ich. Tut mir leid, ich hab noch nicht daran gedacht, es dir zu geben. Du hast es fallen gelassen, als du heute morgen gestolpert bist“, erklärte Hermine, während sie schon in ihrer Tasche nach dem Buch suchte. „Tut mir leid, übrigens. Ich stand echt ganz schön ungünstig da herum.“ Sie zog Nevilles Buch aus ihrer Schultasche und hielt es ihm hin. Diesem schien ein Stein vom Herzen zu fallen; nein – eine ganze Felswand. Glücklich und Danke sagend nahm er es entgegen.
„Hermine?“ Harry tippte ihr von hinten auf die Schulter und hielt stolz ihren Wintermantel hoch. „Hi Neville! ... Es hat mich echt ‚ne Menge Nerven gekostet, Luna davon zu überzeugen, dass ich an deinen Schrank darf.“ Er verdrehte die Augen. „Als wüsste sie nicht, dass wir befreundet sind.“ Hermine lächelte.
„Und jetzt?“ „Jetzt gehen wir nach draußen. Du wirst sehen: Frische Luft wird dir gut tun.“ Er warf ihr ihren Mantel zu und zog seinen eigenen an. Hermine hatte eigentlich nicht sonderlich große Lust, doch sie sah Harry an, dass Widerstand zwecklos war.
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Es hatte aufgehört zu schneien. Die fast unberührte Schneedecke knirschte unter ihren Schritten. Es war zwar kalt, doch es war nicht unangenehm. Die Luftfeuchtigkeit schien nicht sonderlich hoch. Hermine starrte beim Gehen auf ihre Winterstiefel und ihre Gedanken schweiften ab. In drei Stunden war acht Uhr. Dann würde sie in Professor Snapes Büro sein. Wie würde es wohl werden? Was würde er ihr beibringen? Aber was noch wichtiger war: Wie sollte sie sich verhalten? So tun, als wäre nichts gewesen? Sie wusste es nicht …
„Hermine.“ Hermine blickte sich um. Harry war stehen geblieben. „Hast du vor, da drauf zu laufen?“ Er schmunzelte. Hermine blickte vor sich. Das Ufer des großen Sees, der, soweit sie sehen konnte, komplett zugefroren war.
Sie lächelte. „Nein.“ Sie mussten mindestens fünfzehn oder zwanzig Minuten gelaufen sein, um hierher zu gelangen. Es kam Hermine nicht so lange vor. Höchstens fünf Minuten. Das Eis funkelte in der Sonne. Keine einzige Schneeflocke war zu sehen. Hermine stutze. Eigentlich hätte auf dem Eis eine mindestens so dicke Schneedecke liegen müssen wie auf dem übrigen Gelände. Dass der Schnee hier geschmolzen war konnte auch nicht sein. Es hatte noch vor einer dreiviertel Stunde wie verrückt geschneit; als hätte Merlin seine Kühltruhe enteist.
Harry trat neben sie. Stumm starrten sie auf das Eis, auf dem sich glitzernd Strahlen der kalten Wintersonne brachen. Hermine wusste, dass Harry darauf wartete, dass sie von selbst etwas sagte. Sie wusste, dass er sie nicht drängen würde. Und dafür war sie ihm sehr dankbar. Sie seufzte. Was sollte sie ihm erzählen? Harry anzulügen kam nicht infrage. Aber was sollte Hermine tun? Ihm allen Ernstes erzählen, dass ihre Seele momentan etwas durcheinander geraten war, weil sie glaubte, Snape attraktiv zu finden? Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Die eisige Luft schmerzte fast in ihren Atemwegen, aber es tat auch gut. Harry war ihr bester Freund. Völlig irrelevant, ob er es verstehen würde oder nicht: Er würde es für sich behalten. Sie atmete noch einmal tief aus. „Harry“, setzte sie an, doch plötzlich packte der Zweifel sie erneut. „Ich … ich weiß nicht, ob ich dir davon erzählen sollte.“ Sie stöhnte und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich will es dir irgendwie sagen, ich will, dass du es weißt, weil ich mich dann sicher viel besser fühlen würde. Aber ich habe auch Angst.“ Harry legte einen Arm um Hermine und zog sie zu sich heran. Sie nahm die Hände vom Gesicht und blickte ihm direkt in seine grünen Augen. „Wovor hast du Angst?“, fragte er ruhig. Sie wandte den Blick ab. „Ich habe Angst davor, dass du es nicht verstehen könntest.“ Sie machte eine Pause von mehreren Atemzügen und fuhr fort: „Und die Wahrscheinlichkeit, dass du es nicht verstehst, ist sehr hoch. Ich … Ich selbst verstehe es ja nicht mal. Ich weiß nicht, was es ist.“ „Hermine, ganz egal, was es ist … Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“ Eine weitere, lange Pause trat ein. „Harry, ich … ich glaube, ich habe Gefühle für jemanden entwickelt, für den ich keine haben sollte.“ Harry sah sie neugierig an. Sie sah ihm an, dass er überlegte, von wem sie sprechen könnte, doch er würde im Leben nicht auf die richtige Antwort kommen. „Sprichst du von Cormac?“, fragte Harry völlig unvermittelt. Hermine starrte ihn an und als sie begriff, was er da gerade gesagt hatte, prustete sie laut los. „Um Himmels Willen, Harry!“, lachte sie. Dieser sah sie überrascht an. Wie schnell sich doch ihre Stimmung heben konnte, wenn jemand etwas Dummes sagte. „Also nicht“, stellte Harry fest. Hermine wurde plötzlich wieder ernst. „Nein, leider nicht.“ Harry stutze. „Leider?“ „Ja. Leider. Es ist wesentlich komplizierter und absurder als du dir vorstellen kannst.“
„Hallo.“ Erschrocken fuhren die beiden herum. „Luna!“, rief Hermine und Harry stöhnte: „Musst du dich immer so anschleichen?!“ Luna blickte unschuldig von Hermine zu Harry und wieder zurück. „Tut mir leid“, sagte sie ruhig und gelassen. „Was macht ihr zwei hier? Ich gehe spazieren.“
Hermine musste lächeln. Sie trug eine Mütze, die aussah wie ein Löwenkopf.
„Wir haben uns gerade unterhalten“, sagte Harry. Er versuchte zwar, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, doch das gelang ihm nicht vollends. „Oh, ich habe euch gestört. Entschuldigt bitte“, sagte sie, immer noch völlig ruhig, Luna-mäßig. Hermine wollte gerade etwas sagen, doch die Hellblonde hatte sich schon lächelnd abgewandt und hüpfte fröhlich am Ufer des Sees entlang.
Luna weiß bestimmt, warum kein Schnee auf der Eisplatte liegt, dachte Hermine abwesend und sah ihr nachdenklich hinterher. Im selben Moment wunderte sie sich, warum sie selbst keine Erklärung dafür hatte. Gerade fragte sie sich, ob es wohl in der Bibliothek ein Buch zur Geschichte Hogwarts' und seiner Umgebung gab, das sie noch nicht kannte, als Harry sie aus ihren Gedanken riss: „Wer ist es dann, Hermine?“ Er blickte sie ernst an. „Ich kann mir nichts unter deiner Beschreibung vorstellen. Gefühle für jemanden, für den du keine haben solltest.“ Er runzelte die Stirn. Hermine seufzte. „Ich … ich liebe es, in seiner Gegenwart zu sein, obwohl ich mich gleichzeitig etwas davor fürchte. Wenn er mich ansieht oder direkt vor mir steht … es ist ein spannendes Gefühl. Ich weiß nicht, ob angenehm oder nicht. Aber es ist irgendwie … anders. Ich würde ihn manchmal so gerne in den Arm nehmen und -“ Sie brach ab. Was bei Merlins Bart erzählte sie da?! „Und?“, fragte Harry und zog eine Augenbraue hoch. Verdammt.
„Harry, ich … Ich kann das nicht“, sagte sie und blickte zu Boden. „Mir ist kalt. Lass uns bitte zurück ins Schloss gehen. Ich muss auch noch was für meine Stunde bei ... bei Professor Snape vorbereiten."
Harry wirkte etwas enttäuscht als er begriff, dass er heute nicht mehr erfahren würde, doch er sagte „Okay“ und lächelte sie vorsichtig an.
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An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich bisher mit ihren Kommentaren motiviert haben, weiterzuschreiben! Vielen Dank! :)
Und an alle meine "Schwarzleser": Auch ihr dürft mal das ein oder andere Feedback hinterlassen. Da immer die gleichen Leser Kommentare zu meiner Geschichte schreiben, weiß ich nicht, ob sie auch die Mehrheit anspricht. Also los! ;)
Eure Pensively
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