von Pensively
Kapitel 17 - Gewitter und Beinahe-Herzstillstand
Am Nachmittag saß Hermine in der Bibliothek und notierte die jüngsten Ereignisse in ihrem Tagebuch. Normalerweise hatte dies den Effekt, dass sie anschließend alles viel klarer vor sich sah. Doch diesmal war es anders. Alles schien noch viel komplizierter und verworrener. Zu allem Überfluss fiel ihr ein, dass sie am morgigen Tag ein Date mit Cormac hatte. Schmunzelnd fragte sie sich, ob dieser überhaupt noch den Mut dazu hatte. Ich denke, es schickt sich nicht, wegen Belästigung von Hogwarts verwiesen zu werden, nicht wahr, McLaggen?!
„Hey! Hermine!“ Sie hob den Kopf. Ron und Harry kamen eilig auf sie zu. Sie hatte sie seit Zaubertränke nicht mehr gesehen. Das Mittagsessen hatte sie ausfallen lassen.
Sie zogen sich zwei StĂĽhle vor und setzten sich ihrer Freundin gegenĂĽber.
„Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte Ron unruhig. „Klar, warum?“
Ron und Harry sahen sich an. Ron verdrehte die Augen und Harry fuhr fort:
„Mal überlegen … du hast die Nacht im Krankenflügel verbracht, wie du heute Morgen grob erzählt hast, du bist zu spät zu Zaubertränke gekommen, Snape wollte dich danach noch sprechen und“, betonte er, „du warst nicht beim Mittagessen!“
Hermine seufzte. Sie wollte keine Fragen. Sie wollte einfach in Ruhe gelassen werden. „Na und?“, fragte sie und musste sich Mühe geben, nicht genervt zu klingen. „Ich hatte einfach keinen Hunger.“ Harry starrte sie an. Ron stöhnte auf. „Hermine … ist es wegen gestern? Weil ich dich so blöd angefahren hab? Das tut mir leid, wirklich, ich - “ „Schon vergessen, Ron, wirklich. Es ist alles in Ordnung.“
Ihre beiden besten Freunde sahen sie mit einem Blick an, der so viel sagte wie Erzähl’ das Professor Trelawney. Doch sie kannten Hermine gut genug, um zu wissen, wann es keinen Zweck mehr hatte, irgendetwas aus ihr heraus zu kriegen.
„Aha“, entgegnete Ron widerwillig. Er hasste es, aufzugeben. „Und was machst du jetzt so?“ „Wie was mache ich jetzt so?“ „Na, was du hier machst“, sagte er ungeduldig und fuchtelte mit den Händen herum. Hermine verdrehte die Augen. Was machte man in einer Bibliothek wohl?! „Ich lese?!“ Ron nickte. „Aha. Und was liest du so?“ Harry gluckste. „Sag mal, Ron! Willst du mich verarschen?!“, fragte Hermine leicht amüsiert. Ron zuckte die Achseln. „Nein, eigentlich nicht“, entgegnete er. „Aber du willst uns verarschen.“ Hermine seufzte. Wann würde er endlich aufgeben? „Ron, es ist alles in Ordnung, okay?!“ „Nein, nichts ist in Ordnung, Hermine! Was ist los? Du bist in den letzten Wochen so verändert!“, rief ihr rothaariger Freund aufgebracht. „An der Tatsache, dass wir übernächste Woche Weihnachtsferien kriegen, liegt’s bestimmt nicht! Das hat dich noch nie sonderlich beeindruckt.“ „Ron, bitte, ich - “ „Nichts bitte! Raus mit der Sprache! Hat Snape dich unter Drogen gesetzt?!“ Hermine schluckte. Er ahnte ja gar nicht, wie nah er der Lösung war. „Ron, beruhig dich“, mischte Harry sich ein. „Nein! Ich beruhige mich nicht! Guck sie dir doch an! Da stimmt was nicht! Ich wette, da steckt McLaggen hinter! Mit dem triffst du dich doch morgen, stimmt’s?!“ Ron war gar nicht mehr zu stoppen. „Siehst du, Harry?! Sie antwortet nicht! Das heißt, ich habe ins Schwarze getroffen! Ich wusste schon immer, dass - “ „RON!“ Harry hatte Ron an der Schulter gepackt. „Wir gehen jetzt besser!“ Ron starrte ihn an. „Ich gehe nirgendwo - “ „Wir gehen!“, stellte Harry noch einmal fest und fügte an Hermine gewandt hinzu: „Sehen uns später!“ Entsetzt sah Hermine den beiden hinterher; Ron, der sich sichtlich gegen Harry sträubte, sich am Ende aber doch von ihm mitschleppen lies, vorwurfsvoll beäugt von Madame Pince. Kaum hatten die beiden die Bibliothek verlassen, hörte man auch schon ihre Stimmen. Hektisch und lautstark fielen sie sich gegenseitig ins Wort. Hermine verstand jedoch nicht das Geringste.
Als die beiden außer Hörweite waren, stöhnte Hermine leise auf und stütze ihren Kopf mit beiden Händen. Sie betrachtete das Muster der Tischplatte. Mehr sah sie nicht. Ihre Haare, die wie ein Vorhang vor ihr Gesicht fielen, ließen zu, dass sie sich von der Außenwelt abschotten konnte. Die Bibliothek war hierzu besonders gut geeignet. Diese Stille. Sie liebte die Atmosphäre hier. Man konnte einfach alles um sich herum vergessen …
„Ich möchte behaupten, ihr Freund Weasley ist reifer für den Krankenflügel als Sie.“
Hermine fuhr hoch. Ihr Puls raste. „Professor!“, stieß sie hervor, als sie ihn sah. Er stand direkt neben ihrem Tisch, blickte sie jedoch nicht an. Stattdessen sah er in die Richtung, in die Harry und Ron soeben verschwunden waren. Hermine konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt dermaßen erschreckt hatte. Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie ihren Lehrer gerade mehr oder weniger angeschrien hatte und so fügte sie nervös hinzu: „Ich … ich habe Sie nicht kommen gehört.“ Langsam wandte der schwarzhaarige seinen Kopf in ihre Richtung. Jetzt sah er ihr direkt in die Augen. Und wieder zog er seine berühmtberüchtigte Augenbraue hoch. „Das habe ich mir beinahe gedacht, Miss Granger.“ In seiner Stimme schwang leichte Belustigung, gepaart mit einer ordentlichen Portion Ironie. Hermine spürte, wie sie sich langsam aber sicher beruhigte, wie ihr Herz wieder einen gesunden Rhythmus aufnahm. Stattdessen spürte sie dieses seltsame Gefühl in ihrer Magengegend. Sie konnte nicht definieren, ob es angenehm war oder nicht. Sie kannte es bereits im Zusammenhang mit ihrem Lehrer, wusste allerdings nicht es einzuordnen. Plötzlich fragte sie sich, wie lange er sich bereits in der Bibliothek aufhielt. Und was noch viel wichtiger war: Wie viel hatte er von ihrer Auseinandersetzung mit Ron mitbekommen? Sie biss sich auf die Unterlippe. Spätestens jetzt wusste Snape jedenfalls, dass Hermine wirklich etwas bedrückte und dass ihre Ich hatte keine Zeit, ihm bei den Hausaufgaben zu helfen–Ausrede vom Morgen völliger Blödsinn war. Hermine schluckte. Was sollte sie sagen? Weshalb hatte der Professor sie überhaupt angesprochen? Erwartete er etwas von ihr? Etwa, dass sie ihm die Wahrheit über die Gründe ihres Zusammenbruchs nannte? Aber das konnte doch nicht sein. Was interessierte das Snape? Snape war kalt. Snape kümmerte sich nicht um solche Dinge. Professor Snape war nicht so wie zum Beispiel Dumbledore.
Snape war, kurz gesagt, anders. Alles andere als feinfühlig, sensibel. Oder irrte sie sich da? War sein ganzes Wesen, seine scheinbar dunkle Seele, in Wirklichkeit nur Fassade? Hermine fragte sich ohnehin schon seit Jahren wie er es anstellte, in jeder nur erdenklichen Situation kühl und distanziert zu bleiben. So hatte sie ihn zum Beispiel noch nie wirklich lachen gesehen (mal abgesehen vom Verziehen seiner Mundwinkel, was man eventuell, aber auch wirklich nur vielleicht, als ein Grinsen hätte bezeichnen können, wenn auch bloß spöttischer Natur).
„Professor?“, fragte sie vorsichtig. Er blickte sie an, forderte sie still auf, weiter zu sprechen. „Das mit gestern Abend tut mir leid. Ich … dass ich Ihnen solche Umstände gemacht habe.“ Er sah sie immer noch an, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Das Nichtzeigen einer Reaktion machte Hermine nicht gerade sicherer, im Gegenteil. Als sie fortfuhr, hörte sie wie ihre Stimme leicht zitterte: „Ich hoffe, dass Sie … dass Sie mir … jetzt überhaupt noch bereit sind - “ „Heute Abend“, sprach er ihr dazwischen, „können Sie die Stunde nachholen.“ Hermine starrte ihn an. Wer war das? Und was hatte er mit Professor Snape gemacht? Verglichen mit anderen war er nach wie vor kühl, distanziert und nicht unbedingt freundlich. Aber verglichen mit sich selbst … „Um acht Uhr in meinem Büro, Miss Granger.“
Und er rauschte davon, ohne eine Antwort abzuwarten.
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